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Gefangen
Blake Pierce


"Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten." —Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden)

GEFANGEN ist Band #13 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 1.000 fünf Sterne Bewertungen! In diesem grimmen Psychothriller wird ein reicher Mann Tod aufgefunden und seine misshandelte Frau wird des Mordes beschuldigt. Sie wendet sich an Riley für Hilfe – doch ihre Schuld scheint eindeutig festzustehen. Aber als ein weiterer reicher, gewalttätiger Ehemann Tod aufgefunden wird, wird das FBI eingeschaltet und die FBI Spezialagentin Riley Paige fragt sich: kann das alles ein bloßer Zufall sein? Oder könnte es sich um das Werk eines Serienmörders handeln?Was folgt ist ein Spiel von Katz-und-Maus, wenn Riley Paige begreift, dass sie es mit einem genialen und unvorhersehbaren Mörder zu tun hat, einem ohne klares Motiv – und entschlossen zu morden, bis er gefasst ist.

Ein Actionreicher Thriller voller Spannung ist GEFANGEN Band # 13 einer fesselnden neuen Serie – mit einer geliebten neuen Hauptfigur – die sie bis in die späte Nacht dazu verleiten wird, weiterzublättern.

Band # 14 der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.





Blake pierce

Gefangen



Copyright © 2018 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E—Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild Photographee.eu, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com



Blake Pierce

Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller-Reihe RILEY PAGE, die bislang dreizehn BГјcher umfasst und fortgesetzt wird. Blake Pierce ist auch die Autorin der MACKENZIE WHITE Mystery-Serie, die acht BГјcher umfasst; der AVERY BLACK Mystery-Serie, die sechs BГјcher umfasst; der KERI LOCKE Mystery-Serie, die fГјnf BГјcher umfasst; und der neuen MAKING OF RILEY PAIGE Mystery-Serie, die mit BEOBACHTET beginnt.

Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von ihren Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.


ANDERE BГњCHER VON BLAKE PIERCE

DIE MAKING OF RILEY PAIGE SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ГњBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FГњHLT (Band #6)

EHE ER SГњNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLГњNDERT ER (Band #9)



AVERY BLACK KRIMI SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRГњNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWГ„CHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




Prolog


Morgan Farrell hatte keine Ahnung wo sie sich befand, oder woher sie gerade kam. Es fГјhlte sich an, als wГјrde sie grade aus einem tiefen, dichten Nebel herausfinden. Etwas oder jemand befand sich unmittelbar vor ihr.

Sie beugte sich angespannt starrend vor und sah ein Gesicht einer Frau, die zurГјckstarrte. Die Frau sah genauso verloren und verwirrt aus wie Morgan sich selbst fГјhlte.

„Wer bist Du?“, fragte sie die Frau.

Das Gesicht formte die Worte gleichzeitig mit Morgan und sie begriff…

Mein Spiegelbild.

Sie sah ihr eigenes Gesicht in einem Spiegel.

Sie kam sich nun albern vor, weil sie sich selbst nicht sofort erkannt hatte, war aber nicht ganz Гјberrascht.

Mein Spiegelbild.

Sie wusste, dass es ihr eigenes Gesicht im Spiegel war. Es fühlte sich aber an, als würde sie eine fremde Frau anblicken. Dies war das Gesicht, das sie immer schon gehabt hatte, dass Leute immer als elegant und schön beschrieben. Doch nun erschien es ihr wie eine aufgesetzte Maske.

Das Gesicht im Spiegel erschien irgendwie…unlebendig.

Einige Momente fragte Morgan sich, ob die gestorben war. Aber sie konnte ihren eigenen, etwas unebenen Atem hören. Sie fühlte wie ihr Herz ein bisschen zu schnell pochte.

Nein, sie war nicht tot. Aber sie schien verwirrt zu sein.

Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Wo bin ich?

Was habe ich gemacht bevor ich hierherkam?

So komisch es sich auch anfГјhlte keine Antworten auf diese Fragen zu wissen, es war ihr ein bekanntes Problem. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich in irgendeinem Teil des riesigen Hauses wiederfand, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Ihr Schlafwandeln wurde durch all die diversen Beruhigungsmittel, die der Arzt verschrieben hatte, und durch den vielen Scotch hervorgerufen.

Morgan wusste nur eins – Andrew konnte sie so auf gar keinen Fall sehen. Sie trug kein Makeup, ihre Haare waren ein wirres Durcheinander. Sie hob ihre Hand zum Gesicht um sich eine Strähne von der Stirn zu wischen, als sie sah…

Meine Hand.

Sie ist rot.

Sie ist voller Blut.

Sie sah den Mund im Spiegel geschockt aufgehen.

Dann erhob sie ihre andere Hand.

Auch diese war voller Blut.

Ein Schauder des Ekels durchfuhr sie als sie ihre Hände automatisch an ihrer Kleidung abwischte.

Dann stieg ihr Entsetzen noch weiter an. Sie hatte soeben Blut Гјber ihr unglaublich teures seidenes Nachthemd geschmiert.

Andrew wГјrde ausrasten, wenn es das erfuhr.

Aber wie konnte sie sich wieder in Ordnung bringen und das Nachthemd reinigen?

Sie schaute sich um und griff hastig nach einem Handtusch, das neben dem Spiegel hing. Als sie versuchte ihre Hände daran abzuwischen fiel ihr das Monogramm ins Auge…



AF



Sie zwang sich, ihre Umgebung genauer zu betrachten…die flauschigen monogrammierten Badetücher…die schimmernden goldfarbenen Wände.

Sie war im Badezimmer ihres Ehemannes.

Morgan stieГџ einen entsetzten Seufzer aus.

Ihr nächtliches Wandeln hatte sie schon einige Male in das Schlafzimmer ihres Ehemannes gebracht. Wenn sie ihn weckte war er jedes Mal wutentbrannt, dass sie gewagt hatte seine Privatsphäre zu stören.

Und nun war sie durch sein gesamtes Zimmer gelaufen und bis in sein anliegendes Bad.

Sie zitterte. Die Bestrafungen ihres Ehemannes waren immer grausam.

Was wird er dieses Mal mit mir machen? fragte sie sich.

Morgan schüttelte ihren Kopf im Versuch sich aus ihrem geistigen Nebel herauszuholen. Ihr Schädel fühlte sich an als würde er platzen, ihr war übel. Offensichtlich hatte sie nach den vielen Beruhigungsmitteln auch noch zu viel getrunken. Und nun hatte sie nicht nur Blut über eins von Andrews kostbaren Handtüchern geschmiert, sie sah auch, dass sie Abdrücke auf den perlweißen Badezimmertresen hinterlassen hatte. Sogar auf dem Marmorboden war Blut.

Wo kommt all dieses Blut her? fragte sie sich.

Ein merkwürdiger Gedanke kam in ihren Kopf…

Habe ich versucht mich umzubringen?

Sie konnte sich nicht daran erinnern, aber es war auf jeden Fall möglich. Sie hatte mehr als nur einmal an Selbstmord gedacht, seit sie Andrew geheiratet hatte. Und wenn sie sich jemals das Leben selbst nehmen würde, so wäre sie nicht die erste die das in diesem Haus tat.

Mimi, Andrews Frau vor Morgan, hatte Suizid begangen.

Ebenso hatte es Kirk, sein Sohn, getan, erst letzten November.

Sie lächelte fast über die bittere Ironie…

Habe ich bloГџ versucht die Familientradition fortzufГјhren?

Sie trat zurück um einen genaueren Blick auf sich werfen zu können.

All dieses Blut…

Aber sie schien nicht verwundet zu sein.

Wo kam also das ganze Blut her?

Sie drehte sich um und bemerkte, dass die TГјr zu Andrews Zimmer weit offenstand.

Ist er dort drin? fragte sie sich.

Hatte er durch das, was auch immer vorgefallen war, durchgeschlafen?

Sie atmete ein wenig auf bei dem Gedanken an die Möglichkeit. Wenn er so fest schlief konnte sie vielleicht aus dem Raum entkommen, ohne dass er bemerkte, dass sie hier gewesen war.

Aber dann begriff sie, dass es nicht so einfach sein wГјrde. Es gab immer noch das ganze Blut, das Гјberall verschmiert war.

Sollte Andrew in sein Bad reinkommen und dieses schreckliche Chaos bemerken, wГјrde er natГјrlich sofort wissen, dass sie irgendwie daran schuld war.

Sie hatte immer an allem Schuld, wie er fand.

In ihrer Panik begann sie den Tresen mit dem Handtuch abzuwischen. Aber das brachte nichts. Sie verschmierte das Blut bloß noch weiter. Sie brauchte Wasser um alles sauber machen zu können.

Sie wollte schon den Hahn aufdrehen, als ihr der Gedanke kam, dass das Geräusch von plätscherndem Wasser Andrew sicherlich wecken würde. Sie dachte sich, dass sie vielleicht die Badezimmertür leise schließen und das Wasser so leise wie möglich laufen lassen könnte.

Sie schlich auf Zehenspitzen durch das riesige Badezimmer hinüber zur Tür. Als sie dort ankam spähte sie vorsichtig hinaus ins Schlafzimmer.

Sie schrie auf als sie es sah.

Das Licht war gedimmt, aber es konnte keinen Zweifel daran geben, dass Andrew im Bett lag.

Er war voller Blut. Die Laken waren voller Blut. Blut war auf dem Teppichboden.

Morgen rannte zum Bett hinГјber.

Die Augen ihres Ehemannes waren weit aufgerissen, erstarrt in einem Ausdruck von Horror.

Er ist tot, begriff sie. Sie war nicht gestorben, Andrew war es.

Hatte er Selbstmord begangen?

Nein, das war unmöglich. Andrew hatte nichts außer Missachtung übrig für Menschen, die sich ihr Leben nahmen – das galt auch für seinen Sohn und seine ehemalige Frau.

„Keine vernünftgen Menschen“, sagte er oft von ihnen.

Und Andrew war immer stolz darauf gewesen, selbst ein vernГјnftiger Mensch zu sein.

Er hatte dieses Thema immer wieder mit Morgan aufgebracht…

„Bist du eine vernünftige Person?“

Als sie den Körper genauer betrachtete, stellte sie fest, dass Andrew an mehreren verschiedenen Wunden an seinem Körper verblutet war. Da entdeckte sie ein großes Küchenmesser inmitten der blutdurchtränkten Laken.

Wer könnte das getan haben? fragte Morgan sich.

Dann ging eine merkwürdige, euphorische Ruhe auf sie nieder als sie begriff…

Ich habe es endlich getan.

Ich habe ihn umgebracht.

Sie hatte es viele Male in ihren Träumen gemacht.

Und nun, endlich, hatte sie es auch in Wirklichkeit getan.

Sie lächelte und sagte laut zur Leiche…

„Wer ist jetzt eine vernünftige Person?“

Aber sie wusste, dass sie nicht lange in diesem warmen und angenehmen GefГјhl schwelgen konnte. Mord war Mord und sie wusste, dass sie die Konsequenzen hinnehmen musste.

Doch statt Furcht oder Schuld empfand sie ein tiefes GefГјhl der Zufriedenheit.

Er war ein schrecklicher Mann gewesen. Und nun war er tot. Was auch immer nun geschah, es war es allemal wert.

Sie nahm den Hörer neben seinem Bett in ihre klebrige Hand und wollte schon 911 tippen als sie dachte…

Nein.

Es gibt jemanden, dem ich das zuerst erzählen will.

Es war eine freundliche Frau, die ihr vor einiger Zeit Verständnis entgegengebracht hatte und Besorgnis über ihre Lage geäußert hatte.

Bevor sie irgendetwas tat, musste sie diese Frau anrufen und ihr erzählen, dass sie sich keine Sorgen mehr um Morgans Wohlergehen machen musste.

Alles war endlich in allerbester Ordnung.




Kapitel eins


Riley bemerkte, dass Jilly im Schlaf ein wenig zuckte. Die Vierzehnjährige saß im Nachbarsitz mit ihrem Kopf an Rileys Schulter gelehnt. Ihr Flugzeug war mittlerweile seit ungefähr drei Stunden in der Luft und es würde noch einige Stunden dauern, bis sie in Phoenix landen würden.

Träumt sie? fragte Riley sich.

Wenn ja, hoffte Riley, dass die Träume keine bösen waren.

Jilly hatte schreckliche Erfahrungen in ihrem kurzen Leben durchmachen müssen und sie hatte immer noch viele Albträume davon. Sie war besonders nervös gewesen, seit der Brief vom Sozialamt in Phoenix angekommen war, der sie darüber informieren sollte, dass Jillys Vater seine Tochter wiederhaben wollte. Sie flogen nun nach Phoenix zu einem Gerichtstermin, welcher diese Angelegenheit ein für alle Mal klären sollte.

Riley konnte nicht anders als ebenso nervös und besorgt zu sein. Was würde aus Jilly werden, wenn der Richter ihr nicht erlauben würde bei Riley zu bleiben?

Die Sozialarbeiterin hatte gesagt, dass sie nicht dachte, dass das passieren könnte.

Aber was, wenn sie sich irrt? dachte Riley.

Jillys gesamter Körper begann heftiger zu zucken. Sie begann leise zu wimmern.

Riley schüttelte sie vorsichtig und sagte: „Wach auf, Liebling. Du hast nur einen bösen Traum.“

Jilly setzte sich ruckartig auf und starrte einen Moment lang vor sich her. Dann brach sie in Tränen aus.

Riley legte ihren Arm um sie und langte in ihre Handtasche um nach einem Taschentuch zu suchen.

Sie fragte: „Was ist los? Was hast du geträumt?“

Jilly schluchzte wortlos vor sich hin. Schließlich sagte sie: „Es war nichts. Mach dir keine Sorgen.“

Riley seufzte. Sie wusste, dass Jilly Erlebnisse mit sich trug, von denen sie nicht sprechen mochte.

Sie fuhr über die dunklen Haare des Mädchens und sagte: „Du kannst mir alles erzählen, Jilly. Das weißt du doch.“

Jilly trocknete ihre Augen und putzte sich die Nase.

Endlich sagte sie: „Ich habe von etwas geträumt, das wirklich passiert ist. Vor einigen Jahren. Mein Vater hatte einen seiner ernsthaften Trinkwahne und beschuldigte mich, wie immer – dafür, dass meine Mutter uns verlassen hatte, dafür, dass er keine Arbeit halten konnte. Gab mir die Schuld an allem. Er sagte, er wollte mich aus seinem Leben raushaben. Er griff mich am Arm und schleppte mich in eine Kammer, schubste mich rein, verschloss die Tür und…“

Jilly wurde still und schloss ihre Augen.

„Bitte erzähl es mir“, sagte Riley.

Jilly schüttelte sich und fuhr fort: „Ich hatte erst Angst zu schreien, weil ich dachte, er würde mich wieder rausholen und schlagen. Er ließ mich einfach dort drin, als hätte er mich vergessen. Und dann…“

Jilly unterdrГјckte einen Schluchzer.

„Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergangen waren, aber alles wurde ganz ruhig. Ich dachte, dass er vielleicht eingeschlafen war, oder ins Bett gegangen oder so. Aber das hielt sehr, sehr lange so an und alles blieb so still. Endlich begriff ich, dass er das Haus verlassen haben musste. Er machte das manchmal. Er verschwand über Tage und ich wusste nie, wann er zurück sein würde, oder ob er jemals zurück sein würde.“

Riley fuhr zusammen, als sie sich versuchte vorzustellen, wie sich das arme Kind gefГјhlt haben musste.

Jilly sprach weiter: „Endlich begann ich zu schreien und an die Tür zu hämmern, aber natürlich konnte mich niemand hören und ich konnte nicht raus. Ich war alleine in dieser Kammer für… ich weiß immer noch nicht wie lange es gewesen war. Wahrscheinlich Tage. Ich hatte nichts zu essen und ich konnte nicht schlafen, weil ich so hungrig war und solche Angst hatte. Ich musste dort drin sogar auf Toilette gehen und das später alles wegmachen. Ich begann komische Dinge im Dunkeln zu hören und zu sehen – ich nehme an, es waren Halluzinationen. Ich habe wohl ein bisschen den Verstand verloren.“

Kein Wunder, dachte Riley in Horror.

Jilly sagte: „Als ich wieder Geräusche im Haus hörte, dachte ich erst, ich bilde es mir nur ein. Ich schrie auf und Dad kam zur Kammer und schloss sie auf. Er war nun stocknüchtern und schien überrascht mich dort zu entdecken. ‚Wie bist du denn da reingekommen?� fragte er. Er tat total entrüstet darüber, dass ich mich in so eine Lage begeben hatte und behandelte mich für eine kurze Weile nach diesem Vorfall ganz ok.“

Jillys Stimme war nun beinahe zu einem Flüstern abgeebbt, als sie hinzufügte: „Meinst du er bekommt das Sorgerecht für mich?“

Riley schluckte einen harten Knoten der Aufregung hinunter. Sollte sie dem Mädchen, welches sie immer noch als ihre eigene Tochter adoptieren wollte, ihre eigenen Ängste mitteilen?

Sie konnte sich nicht dazu bringen.

Stattdessen sagte sie…

„Ich bin mir sicher, dass er es nicht bekommt.“

„Es muss so kommen“, sagte Jilly. “Denn wenn er es bekommt, renne ich endgültig weg. Niemand wird mich je wiederfinden.“

Riley fühlte einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen, als sie begriff…

Sie meint es wirklich ernst.

Jilly war schon öfter von Orten weggelaufen, die sie nicht mochte. Riley erinnerte sich nur zu gut daran, wie sie Jilly überhaupt gefunden hatte. Riley hatte in einem Fall zu toten Prostituierten in Phoenix ermittelt und hatte Jilly in der Fahrerkabine eines Lastwagens gefunden, auf einem Parkplatz, wo Prostituierte arbeiteten. Jilly hatte beschlossen selbst Prostituierte zu werden und ihren Körper an den Fahrer des Lastwagens zu verkaufen.

WГјrde sie so etwas verzweifeltes erneut tun? fragte Riley sich.

Riley flößte dieser Gedanke pures Entsetzen ein.

Mittlerweile hatte Jilly sich wieder beruhigt und nickte langsam wieder ein. Riley lehnte den Kopf des Mädchens wieder an ihre Schulter. Sie versuchte nicht mehr an die bevorstehende Anhörung zu denken. Aber sie konnte die Angst, Jilly zu verlieren, nicht loswerden.

Würde Jilly überhaupt überleben, sollte das tatsächlich passieren?

Und wenn sie es Гјberleben wГјrde, was fГјr ein Leben wГјrde sie dann fГјhren?


* * *

Als das Flugzeug landete warteten vier Leute auf Riley und Jilly. Eine Person war ihnen gut bekannt – es war Brenda Fitch, die Sozialarbeiterin, die Jilly in Rileys Obhut gegeben hatte. Brenda war eine schlanke, nervöse Frau mit einem warmen und besorgten Lächeln.

Riley kannte die drei anderen Leute nicht. Brenda umarmte Jilly und Riley und stellte alle einander vor, angefangen mit einem kräftigen und lächelnden Paar mittleren Alters.

Brenda sagte: „Riley, ich glaube nicht, dass du Bonnie und Arnold Flaxman kennengelernt hast. Sie waren für eine kurze Zeit Jillys Pflegeeltern, nachdem du sie gerettet hattest.“

Riley nickte und erinnerte sich, wie Jilly kurze Zeit später von dem gutmütigen Paar weggelaufen war. Jilly war entschlossen bei niemandem außer bei Riley zu leben. Riley hoffte, dass die Flaxmans keine bösen Erinnerungen daran hegten. Sie schienen ihr aber warm und herzlich entgegenzutreten.

Brenda stellte Riley sodann einem großen Mann mit einem langen, komisch geformten Kopf und etwas abwesendem Lächeln vor.

Brenda sagte: „Das ist Delbert Kaul, er wird als unser Anwalt auftreten. Kommen Sie, lassen Sie uns alle irgendwo hingehen, wo wir uns in Ruhe hinsetzten und alles besprechen können.“

Die Gruppe machte sich auf den Weg durch den Einkaufbereich des Flughafens zum nächsten Cafe. Die Erwachsenen bestellten Kaffee, Jilly bekam ein Kaltgetränk. Als sie sich alle setzten, erinnerte Riley sich, dass Bonnie Flaxmans Bruder Garrett Holbrook war, ein FBI Agent hier in Phoenix.

Riley fragte: „Wie geht es Garrett?“

Bonnie zuckte mit den Schultern und lächelte. „Ach sie wissen schon. Garrett ist Garrett.“

Riley nickte. Sie hatte den Agenten als einen eher schweigsamen und zurГјckhaltenden Mann in Erinnerung. Doch dann hatte Riley den Mord an Garretts entfremdeter Halbschwester gefГјhrt. Er war dankbar gewesen, als der Mord aufgedeckt werden konnte und hatte dabei geholfen Jilly in Pflege zu den Flaxmans zu geben. Riley wusste, dass sich hinter seinem kГјhlen Betragen ein gutherziger Mann verbarg.

Brenda sagte zu Riley: „Ich freue mich, dass du und Jilly so kurzfristig herreisen konntet. Ich hatte wirklich gehofft, dass wir die Adoption mittlerweile abschließen könnten. Aber wie ich in meinem Brief geschrieben hatte, sind wir auf eine kleine Hürde gestoßen. Jillys Vater behauptet, dass er die Entscheidung Jilly aufzugeben unter Druck getroffen hatte. Nicht nur will er die Adoption anfechten, er droht dich wegen Entführung anzuzeigen – und mich auch, als Komplizin.“

Während er durch einige Dokumente blätterte, fügte Delbert Kaul hinzu: „Seine Vorwürfe sind nicht standhaft, jedoch stellen sie ein Ärgernis dar. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass wir das alles morgen klären können.“

Irgendwie kam Riley Kauls Lächeln nicht besonders zuversichtlich vor. Er hatte etwas Schwaches und Unsicheres in seiner Art. Sie wunderte sich wie um alles in der Welt er den Fall bekommen hatte.

Riley bemerkte, dass Brenda und Kaul gut miteinander auskamen. Sie schienen kein Paar zu sein, aber es kam ihr vor, als wären sie gute Freunde. Vielleicht hatte Brenda ihn aus diesem Grund angestellt.

Nicht notwendigerweise ein guter Grund, dachte Riley sich.

„Wer ist der Richter?“, fragte ihn Riley.

Kauls Lächeln schwand ein wenig als er antwortete: „Owen Heller. Nicht gerade meine erste Wahl, aber der beste, den wir unter diesen Umständen bekommen konnten.“

Riley unterdrГјckte einen Seufzer. Sie fГјhlte sich zunehmend verunsichert. Sie hoffte, dass bei Jilly nicht dieselben GefГјhle aufkamen.

Kaul sprach dann davon, was die Gruppe bei der Anhörung zu erwarten hatte. Bonnie und Arnold Flaxman würden zu ihrer eigenen Erfahrung mit Jilly etwas sagen. Sie würden hervorherben, dass das Mädchen eine stabile familiäre Situation brauchte, die sie mit ihrem Vater einfach nicht haben konnte.

Kaul sagte, dass er wünschte, dass Jillys älterer Bruder auch aussagen könnte, jedoch war er seit langem verschwunden, und Kaul war es nicht gelungen ihn ausfindig zu machen.

Riley sollte sich in ihren Aussagen darauf konzentrieren, welches Leben Jilly bei ihr haben würde. Sie war mit einem dicken Paket aller möglichen Unterlagen nach Phoenix angereist, die ihre Behauptungen untermauern konnten. Unter anderem waren es auch Auskünfte zu ihrer finanziellen Lage.

Kaul tippte mit seinem Kugelschreiber auf den Tisch und sagte: „Nun, Jilly, du musst nicht aussagen – “

Jilly unterbrach ihn. “Ich will aber. Ich werde aussagen.“

Kaul schien ein wenig überrascht über die Entschlossenheit in Jillys Stimme. Riley wünschte sich, dass der Anwalt genauso entschlossen wäre, wie sie.

„Na gut“, sagte Kaul. „Dann können wir das als geklärt ansehen.“

Als das Treffen zu Ende ging verabschiedete sich Brenda gemeinsam mit Kaul und den Flaxmans und sie verlieГџen gemeinsam das Lokal. Riley und Jilly machten sich auf ein Auto zu mieten, um zu einem nahegelegenen Hotel zu fahren und dort einzuchecken.


* * *

Sobald sie sich in ihrem Hotelzimmer eingerichtet hatten, bestellten Riley und Jilly Pizza. Im Fernsehen lief ein Film den sie beide zuvor gesehen hatten, und sie beachteten die Handlung nicht besonders. Zu Rileys Erleichterung schien Jilly nun kein bisschen aufgeregt zu sein. Sie unterhielten sich gemГјtlich Гјber Kleinigkeiten wie Jillys kommendes Schuljahr, Klamotten und Schuhe, das Leben der Stars und auch Гјber die Nachrichten.

Riley fand es unglaublich, dass Jilly erst vor so kurzer Zeit in ihr Leben getreten war. Ihre Beziehung war so natГјrlich und unbeschwert.

So, als wäre sie schon immer meine Tochter gewesen, dachte Riley. Sie begriff, dass das genau das war, was sie für dieses Mädchen empfand, doch dies brachte eine neue Welle der Sorgen mit sich.

WГјrde das alles morgen ein Ende haben?

Riley konnte sich nicht dazu bringen, sich vorzustellen, wie sich das anfГјhlen wГјrde.

Sie hatten fast ihre Pizza aufgegessen als sie von einem lauten Signal, das von Rileys Laptop ausging, unterbrochen wurden.

„Oh, das muss April sein!“, sagte Jilly. „Sie hat mir versprochen per Videochat anzurufen.“

Riley lächelte und ließ Jilly den Anruf von ihrer älteren Tochter entgegennehmen. Riley lauschte müßig dem Gespräch der beiden Mädchen, die vor sich her schnatterten wie die Schwestern, die sie in den letzten Monaten wahrhaftig geworden waren.

Als die Mädchen ihr Gespräch beendet hatten, unterhielt Riley sich mit April während Jilly sich auf das Bett fallen ließ und begann fernzusehen. Aprils Gesichtsausdruck war ernst und besorgt.

Sie fragte: „Wie sieht es für morgen aus, Mom?“

Riley warf einen Blick zu Jilly und sah, dass sie in dem Film versunken war. Sie dachte nicht, dass Jilly ihrem Gespräch wirklich folgte, wollte aber trotzdem vorsichtig sein.

„Wir werden sehen“, antwortete sie.

April sprach in einer leisten Stimme, sodass Jilly nichts mitbekam.

„Du siehst besorgt aus, Mom.“

„Ja, wahrscheinlich hast du recht“, sagte Riley selbst leise.

„Du schaffst das, Mom. Ich weiß, dass du es schaffst.“

Riley musste schlucken.

„Ich hoffe es“, sagte sie.

Immer noch mit leiser Stimme war April nun doch sehr von ihren Emotionen mitgerissen.

„Wir können sie nicht verlieren, Mom. Sie kann nicht zu diesem alten Leben zurück.“

„Ich weiß“, sagte Riley. „Mach dir keine Sorgen.“

Riley und April saßen einen Moment lang schweigend da. Riley war auf einmal zutiefst bewegt von der Reife, die ihre Fünfzehnjährige zeigte.

Sie wird wirklich erwachsen, dachte Riley stolz.

Schließlich sagte April: „Naja, ich lass dich mal gehen. Ruf mich an, sobald ihr etwas Neues hört.“

„Das mache ich“, sagte Riley.

Sie beendete den Videoanruf und ging hinГјber zum Bett um sich wieder neben Jilly zu setzen. Sie waren gerade am Ende des Films angelangt, als das Telefon klingelte. Riley fГјhlte eine erneute Welle der Besorgnis Гјber sie schwemmen.

Anrufe brachten in letzter Zeit nie gute Nachrichten.

Sie nahm ab und hörte die Stimme einer Frau.

„Agentin Paige, ich rufe sie von der Quantico Telefonzentrale an. Wir haben soeben einen Anruf von einer Frau aus Atlanta erhalten und…nun ja, ich weiß nicht genau, was ich tun soll, aber sie möchte unbedingt mit Ihnen persönlich sprechen.“

„Atlanta?“, fragte Riley nach. „Um wen handelt es sich?“

„Ihr Name ist Morgan Farrell.“

Riley fГјhlte einen kalten Schauer Гјber ihren RГјcken gleiten.

Sie erinnerte sich an die Frau von einem Fall, an dem sie im Februar gearbeitet hatte. Morgans reicher Ehemann, Andrew, hatte für kurze Zeit unter Mordverdacht gestanden. Riley und ihr Partner, Bill Jeffreys, hatten Andrew Farrell in seinem Zuhause verhört, und hatten festgestellt, dass er nicht der Mörder war, nach dem sie suchten. Nichtsdestotrotz bemerkte Riley, dass der Mann seine Ehefrau misshandelte.

Sie hatte Morgan damals heimlich ihre FBI Karte zugesteckt, hatte jedoch nie etwas von ihr gehört.

Wahrscheinlich will sie endlich Hilfe, dachte Riley und stellte sich die dГјnne, elegante und schГјchterne Frau vor, die sie in Andrew Farrells Villa angetroffen hatte.

Doch dann kam Riley ins Zweifeln – was konnte sie unter den gegenwärtigen Umständen schon für diese Frau tun?

Das letzte was sie gerade brauchte war ein weiteres Problem, das sie lösen musste.

Der Operator hakte nach: „Soll ich den Anruf weiterleiten?“

Riley hielt noch einen Moment lang inne und antwortete schließlich: „Ja, bitte.“

Einen Augenblick später vernahm sie eine Frauenstimme.

„Hallo, ist das Spezialagentin Riley Paige?“

Es ging ihr nun auf, dass sie Morgan kein einziges Wort hatte sagen hören als sie bei ihnen zuhause war. Sie schien so große Angst vor ihrem Mann gehabt zu haben, dass sie nicht einmal zu sprechen wagte.

Nun klang sie aber nicht allzu Г¤ngstlich.

Tatsächlich klang sie sogar ziemlich fröhlich.

Ist das nur ein Höflichkeitsanruf? fragte Riley sich.

„Ja, hier ist Riley Paige“, antwortete sie.

„Nun ja, ich dachte nur, dass ich Ihnen einen Anruf schulde. Sie waren überaus freundlich zu mir, an diesem Tag, an dem Sie unser Zuhause besucht hatten. Sie haben mir Ihre Karte hinterlassen und Sie schienen besorgt um mich zu sein. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Jetzt ist alles gut.“

Riley atmete erleichtert auf.

„Ich freue mich, das zu hören“, sagte sie. „Haben Sie ihn verlassen? Lassen Sie sich scheiden?“

„Nein“, antwortete Morgan fröhlich. “Ich hab� den Mistkerl umgebracht.“




Kapitel zwei


Riley ließ sich in den nächsten Sessel niederfallen als die Worte der Frau in ihrem Kopf wiederhallten.

„Ich hab� den Mistkerl umgebracht.“

Hatte Morgan das gerade wirklich gesagt?

Morgan fragte: „Agent Paige, sind sie noch dran?“

„Ich bin noch dran“, sagte Riley. „Erzählen Sie mir, was passiert ist.“

Morgan klang immer noch so ruhig, dass es gruselig war.

„Die Sache ist, dass ich nicht ganz sicher bin. Ich war in letzter Zeit ziemlich berauscht und kann mich nicht so gut an die Dinge erinnern, die ich so tue. Aber ich habe ihn auf jeden Fall umgebracht. Ich schaue just in diesem Moment auf seinen Körper, hier in seinem Bett. Er hat lauter Messerstiche und hat viel geblutet. Es sieht so aus, als hätte ich es mit einem scharfen Küchenmesser getan. Das Messer liegt hier direkt neben ihm.“

Riley kämpfte damit zu begreifen, was sie da gerade zu hören bekam.

Sie erinnerte sich daran, wie dürr Morgan damals ausgesehen hatte. Riley war sich sicher gewesen, dass sie magersüchtig war. Riley wusste besser als jeder andere, wie schwer es war jemanden zu Tode zu stechen. War Morgan rein körperlich überhaupt in der Lage so etwas zu tun?

Sie hörte, wie Morgan seufzte.

„Es tut mir unsagbar leid, Sie zu stören, aber ich weiß ehrlichgesagt nicht, was ich als nächstes tun soll. Ich hatte mich gefragt, ob Sie mir helfen könnten.“

„Haben Sie es sonst noch jemandem erzählt? Haben Sie die Polizei gerufen?“

„Nein.“

Riley stammelte: „Ich…Ich werde mich sofort darum kümmern.“

„Ok, haben Sie vielen Dank.“

Riley wollte Morgan gerade sagen, dass sie dranbleiben soll, während Riley einen separaten Anruf von ihrem Handy aus machen würde. Doch Morgan hatte bereits aufgelegt.

Riley saß einen Moment lang da und starrte ins Leere. Sie hörte, wie Jilly sie fragte: „Mom, ist was passiert?“

Riley schaute zu ihr herГјber und sah, dass Jilly zutiefst besorgt aussah.

Sie sagte: „Nichts, was dich beunruhigen muss, mein Schatz.“

Dann ergriff sie ihr Handy und rief die Polizei in Atlanta an.


* * *

Officer Jared Ruhl langweilte sich und fühlte sich rastlos als er im Beifahrersitz neben Sergent Dylan Petrie saß. Es war Nacht und sie patrouillierten gerade eines der reichsten Viertel in Atlanta – eine Gegend, wo äußerst selten etwas vorfiel. Ruhl war neu bei der Polizei und er sehnte sich nach dem Gefühl mitten in Geschehen zu sein.

Er hatte all den Respekt der Welt für seinen afro-amerikanischen Partner und Mentor. Sergeant Petrie war schon seit über zwanzig Jahren dabei, und er war einer der erfahrensten und abgehärteten Cops auf ihrer Wache.

Wieso schicken sie uns also auf diese sinnlose Route? fragte Ruhl sich.

Als ob sie auf seine stumme Frage antwortete, kam eine weibliche Stimme durch das Funkgerät…

„Vier-Frank-Dreizehn, hören Sie?“

Ruhls Sinne verschärften sich, als er ihre eigene Fahrzeugidentifikationsnummer hörte.

Petrie antwortete: „Wir hören, was gibt’s?“

Die Mitarbeiterin der Einsatzzentrale hielt inne, als könne sie selbst kaum glauben, was sie sagte.

Dann sprach sie: „Wir haben einen möglichen Eins-Siebenundachtzig im Farrell Haushalt. Begeben Sie sich vor Ort.“

Ruhls Kiefer fiel auf und er sah, wie Petries Augen sich Гјberrascht weiteten. Ruhl wusste, dass 187 der Code fГјr Totschlag war.

In Andrew Farrells Haus? wunderte Ruhl sich.

Er konnte seinen Ohren nicht glauben und Petrie sah so aus, als konnte auch er es nicht.

„Wiederholen Sie“, sagte Petrie.

„Ein möglicher Eins-Siebenundachtzig bei den Farrells. Können Sie dort hinfahren?“

Ruhl sah, wie Petrie stutzend die Stirn runzelte.

„Ja“, sagte Petrie. „Gibt es Verdächtige?“

Die Mitarbeiterin hielt erneut inne und sagte schließlich: „Mrs. Farrell.“

Petrie holte Luft und schГјttelte den Kopf.

„Uh…ist das ein Witz?“, sagte er.

„Kein Witz.“

„Wer ist der RP?“ fragte Ruhl.

Was bedeutet das? fragte Ruhl sich.

Ach ja…

Es bedeutete: ‚Wer hat die Tat gemeldet?�

Die Mitarbeiterin antwortete: “Eine BAU Agentin rief aus Phoenix, Arizona durch. Ich weiß, wie merkwürdig das klingt, aber…“

Die Mitarbeiterin schwieg.

Petrie sagte: „Code Drei?“

Ruhl wusste, dass Petrie fragte, ob er Sirene und Blinkleuchte einsetzen sollte.

Die Mitarbeiterin fragte: „Wie nah sind Sie?“

„Unter einer Minute Fahrt“, antwortete Petrie.

„Lassen Sie’s dann lieber sein. Die ganze Sache ist…“

Ihre Stimme verstummte erneut. Ruhl fragte sich, ob sie besorgt war, dass sie zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Was auch immer wirklich passiert war in diesem luxuriösen und privilegierten Viertel, es war sicherlich eine gute Idee die Medien so lange wie möglich im Dunkeln darüber zu belassen.

Endlich sagte die Einsatzzentralmitarbeiterin: „Fahren Sie einfach mal dort vorbei, ok?“

„Verstanden“, antwortete Petire. „Wir sind auf dem Weg.“

Petrie trat aufs Gas und sie eilten die ruhige StraГџe entlang.

Ruhl staunte, als sie sich der Farrell Villa näherten. Es war näher, als er jemals an das Haus herangetreten war. Das Gebäude breitete sich in alle Richtungen hin aus und sah eher aus wie ein vornehmer Gesellschaftsclub, als wie eine Privatadresse. Die Fassade war sorgfältig beleuchtet – sicherlich auch aus Sicherheitsgründen, aber in erster Linie wahrscheinlich um die beeindruckenden Bögen, Säulen und riesigen Fenster in Szene zu setzen. Petrie parkte das Auto in der enormen Einfahrt und stellte den Motor ab. Er und Ruhl stiegen aus und liefen zu der massiven Eingangstür hinüber. Petrie klingelte.

Wenige Augenblicke später öffnete ein großer, schlanker Mann die Tür. Ruhl schätze aufgrund seines feierlichen Frackanzugs und seiner streng-offiziösen Miene, dass es sich um den Familienbutler handelte.

Es schien Гјberrascht und keineswegs erfreut zu sein, die zwei Polizisten vor der HaustГјr anzutreffen.

„Darf ich fragen, worum es geht?“, wollte er wissen.

Der Butler schien nicht zu ahnen, dass es im Inneren der Villa irgendeinen Aufruhr geben könnte.

Petrie schaute rüber zu Ruhl, der spürte, dass sein Mentor dachte…

Ein falscher Alarm.

Wahrscheinlich nur ein Scherzanruf.

Petrie sagte zum Butler: “Können wir bitte mit Mr. Farrell sprechen?“

Der Butler lächelte hochmütig.

„Ich fürchte, das ist unmöglich“, entgegnete er. „Der Herr schläft und ich habe strenge Anweisungen – “

Petrie unterbrach ihn: „Wir haben Grund zur Besorgnis um seine Sicherheit.“

Die Augenbrauen des Butlers fuhren hoch.

„Wirklich?“, fragte er. „Ich werde nach ihm sehen, wenn sie darauf bestehen. Ich versuche ihn nicht zum Erwachen zu bringen. Ich versichere Ihnen, er wäre zutiefst unzufrieden.“

Petrie bat nicht um Erlaubnis dem Butler ins Innere des Hauses zu folgen. Das Haus war innen gigantisch, mit Säulenreihen die schließlich zu einer enormen Treppe mit verschnörkeltem Geländer und rotem Teppich führten. Ruhl fand es immer schwerer sich vorzustellen, dass irgendjemand hier tatsächlich lebte. Das Haus erschien ihm immer mehr wie ein Filmset.

Ruhl und Petrie folgten dem Butler die Treppe hoch und durch einen breiten Flur hindurch bis zu einer groГџen DoppeltГјr.

„Die Suite des Herrn“, sagte der Butler. „Warten Sie einen Moment lang hier.“

Der Butler ging durch die TГјren.

Dann hörten sie seinen entsetzten Aufschrei.

Ruhl und Petrie eilten durch die TГјre und fanden sich in einem Empfangszimmer wieder, welches in ein groГџes Schlafzimmer fГјhrte.

Der Butler hatte bereits das Licht aufgedreht. Ruhls Augen schmerzen einen Moment lang von der Helligkeit des enormen Raums. Dann fiel sein Blick auf ein Himmelbett. Wie auch alles andere im Haus, war es riesig, wie etwas aus eine Kinofilm. Aber so groß es auch war, verblasste es vor der schieren Größe des Zimmers selbst.

Alles in diesem Schlafzimmer war in Gold und Weiß gehalten – außer dem Blut, das das Bett tränkte.




Kapitel drei


Der Butler lehnte sich gegen die Wand und starrte mit glasigen Augen vor sich her. Ruhl selbst hatte den Eindruck, dass es ihm beim Anblick, der sich bot, den Atem verschlagen hatte.

Dort lag er, der reiche und bedeutende Mann, der berühmte Andrew Farrell – lag auf seinem Bett im eigenen Blut, tot. Ruhl erkannte ihn sofort von den vielen Auftritten im Fernsehen.

Ruhl hatte nie zuvor die Leiche eines Ermordeten gesehen. Er hatte nicht erwartet, dass ihm der Anblick so merkwГјrdig und unecht erscheinen wГјrde.

Was die Szene besonders bizarr machte, war die Frau, die ganz still in einem schnörkelhaften gepolsterten Sessel direkt neben dem Bett saß. Ruhl erkannte auch sie. Sie war Morgan Farrell – ehemals Morgan Chartier, ein ehemaliges, einst sehr berühmtes Model. Der Tote hatte ihre Hochzeit in ein Medien-Event verwandelt und es gefiel ihm, seine Ehefrau in der Öffentlichkeit als seine Trophäe zu präsentieren.

Sie trug ein dГјnnes, teuer aussehendes Nachthemd, das mit Blut bedeckt war. Sie saГџ unbeweglich da, mit einem groГџen Messer in der Hand. Die Klinge war blutig, genauso wie ihre Hand.

„Scheiße“, murmelte Petrie verblüfft.

Dann sprach er in sein Funkgerät.

„Einsatzzentrale, hier ist Vier-Frank-Dreizehn, wir melden uns aus dem Farrell Haus. Wir haben hier tatsächlich eine Eins-Siebenundachtzig. Schicken Sie drei Einheiten, inklusive einer aus der Mordkommission. Kontaktieren Sie den Gerichtsmediziner. Und sagen Sie Chief Stiles, dass er wahrscheinlich auch besser herkommen sollte.“

Petrie empfing die Antwort der Zentrale und schien einen Moment lang zu Гјberlegen.

„Nein, keinen Code Drei. Wir müssen uns so lange wie möglich so bedeckt wie möglich halten.“

Während dieses Austausches konnte Ruhl seinen Blick nicht von der Frau wenden. Er fand immer, dass sie schön war, wenn er sie im Fernsehen sah. Komischerweise erschien sie ihm sogar jetzt ebenso schön. Sogar mit einem blutigen Messer in ihrer Hand sah sie so zart und zerbrechlich aus wie eine Porzellanfigur.

Sie war auch so reglos, als wäre sie tatsächlich aus Porzellan – so still wie die eigentliche Leiche und offensichtlich in Unkenntnis darüber, dass jemand den Raum betreten hatte. Selbst ihre Augen bewegten sich nicht, da sie unentwegt auf das Messer in ihrer Hand starrte.

Als Ruhl Petrie zur Frau hinüber folgte, kam es ihm, dass ihn die Szene nicht länger an ein Filmset erinnerte.

Es ist vielmehr wie eine Ausstellung im Wachsfigurenkabinett, dachte er sich.

Petrie fasste die Frau vorsichtig an die Schulter und sagte: „Mrs. Farrell…“

Die Frau schien nicht im Geringsten erschrocken, als sie zu ihm hinaufblickte.

Sie lächelte und sagte: „Oh, hallo, Officer. Ich habe mich schon gefragt, wann die Polizei endlich hier ankommen würde.“

Petrie streifte sich ein paar Gummihandschuhe Гјber. Ruhl tat dasselbe. Dann nahm Petrie behutsam das Messer aus der Hand der Frau und reichte es Ruhl, der es vorsichtig in eine PlastiktГјte legte.

Während sie dies taten, sprach Petrie mit der Frau: „Bitte sagen Sie mir, was hier passiert ist.“

Die Frau kicherte musikalisch.

„Naja, das ist eine alberne Frage. Ich habe Andrew umgebracht. Ist das nicht offensichtlich?“

Petrie drehte sich zu Ruhl, so als ob er fragen wollte…

Ist es offensichtlich?

Auf der einen Seite schien es keine andere Erklärung für diese bizarre Szene zu geben. Auf der anderen Seite…

Sie sieht so schwach und hilflos aus, dachte Ruhl.

Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie so etwas tun konnte.

Petrie sagte zu Ruhl: „Geh und rede mit dem Butler. Finde heraus, was er von der ganzen Sache weiß.“

Während Petrie den Körper untersuchte, ging Ruhl zum Butler rüber, der immer noch an der Wand kauerte.

Ruhl sagte: „Sir, können Sie mir erzählen, was hier passiert ist?“

Der Butler Г¶ffnete seinen Mund, aber kein Laut entwich ihm.

„Sir“, wiederholte Ruhl.

Der Butler kniff zutiefst verwirrt die Augen zusammen. Er sagte: „Ich weiß nicht. Sie sind gekommen und…“

Er wurde wieder stumm.

Ruhl war verwundert…

WeiГџ er wirklich von nichts?

Vielleicht stellte der Butler seinen Schock und Verwirrung nur da.

Vielleicht war er ja in Wirklichkeit der Mörder.

Dieser Gedanke erinnerte Ruhl an das alte Cliché…

„Es war der Gärtner.“

Der Gedanke wäre unter anderen Umständen sogar lustig gewesen.

Aber nicht jetzt.

Ruhl dachte angestrengt nach und versuchte zu entscheiden, welche Fragen er dem Mann stellen sollte.

Er fragte: „Befindet sich noch irgendjemand im Haus?“

Der Butler antwortete mit gedämpfter Stimme: „Nur die anderen Bediensteten. Sechs weitere Angestellte, außer mir, drei Männer und drei Frauen. Sie denken doch sicherlich nicht, dass…?“

Ruhl hatte keine Ahnung, was er denken sollte, jedenfalls jetzt noch nicht.

Er fragte den Butler: „Ist er möglich, dass sonst noch jemand irgendwo im Haus ist? Ein Eindringling womöglich?

Der Butler schГјttelte den Kopf.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein soll“, entgegnete er. „Unser Sicherheitssystem ist das allerbeste.“

Das war kein ‚Nein�, dachte Ruhl. Plötzlich war er beunruhigt.

Wenn der Mörder doch ein Eindringling gewesen war, konnte es sein, dass er immer noch irgendwo im Haus war?

Oder sich in genau diesem Moment aus dem Staub machte?

An dieser Stelle hörte Ruhl, wie Petrie in sein Funkgerät sprach und irgendjemandem Anweisungen gab, wie man das Schlafzimmer in dieser riesigen Villa finden konnte.

Innerhalb weniger Sekunden, so kam es Ruhl zumindest vor, war das Zimmer voll mit Cops. Unter ihnen war auch Chief Elmo Stiles, ein groГџer imposanter Mann. Ruhl stellte auГџerdem Гјberrascht fest, dass auch der Bezirksstaatsanwalt, Seth Musil, hier war.

Der normalerweise gestriegelte und polierte Staatsanwalt sah zerzaust und verwirrt aus, so als ob er gerade eben aus seinem Bett gerissen wurde. Ruhl nahm an, dass der Chief sofort den Staatsanwalt kontaktiert hatte, nachdem die Nachrichten Гјber den Vorfall ihn erreicht hatten, ihn abgeholt und mit hierhergebracht hatte.

Der Staatsanwalt schnappte voller Horror nach Luft, als er den blutigen Körper sah, und eilte zu der Frau herüber.

„Morgan!“, rief er aus.

„Hallo, Seth“, sagte die Frau mit einer Stimme, als wäre sie erfreulich überrascht, dass auch er hier hinzugekommen war. Ruhl war nicht sonderlich verwundert darüber, dass Morgan Farrell und ein hochrangiger Politiker wie der Bezirksstaatsanwalt einander kannten. Die Frau schien immer noch nicht viel mitzubekommen von dem, was um sie herum gerade geschah.

Lächelnd sagte die Frau zu Musil: „Naja, ich nehme an, dass offensichtlich ist, was passiert ist. Und ich bin mir sicher, dass du nicht überrascht sein wirst, dass – “

Musil unterbrach sie hastig.

„Nein, Morgan. Sag jetzt nichts. Nicht, bis wir dir einen Anwalt gefunden haben.“

Sergeant Petrie organisierte bereits die Leute, die im Zimmer waren.

Er sagte zum Butler: „Erklären Sie ihnen den Bauplan des Hauses, erwähnen sie alle Ecken und Schlupflöcher.“

Dann wandte er sich an die Polizisten: „Ich will, dass das gesamte Gebäude nach möglichen Eindringlingen und auch nur die kleinste Spur auf einen Einbruch durchsucht wird. Und befragt die Bediensteten, stellt sicher, dass sie ihre Tätigkeiten der letzten Stunden genau aufzählen können.“

Die Polizisten versammelten sich um den Butler, der nun wieder auf den Beinen war. Der Butler beschrieb das Haus und die Polizisten verließen das Zimmer. Ruhl stand neben Sergeant Petrie und schaute auf die grausame Szene. Er wusste nicht, was er selbst noch tun konnte. Der Staatsanwalt ragte nun beschützend über der lächelnden, blut-bespritzten Frau.

Ruhl kämpfte immer noch mit dem, was er sah. Er dachte daran, dass das sein erster Totschlag war. Er fragte sich…

Werde ich jemals einen merkwГјrdigeren Fall als diesen haben?

Er hoffe, dass die Polizisten, die das Haus durchsuchten, nicht mit leeren Händen zurückkehren würden. Vielleicht würden sie den wahren Schuldigen finden können. Ruhl konnte den Gedanken nicht ausstehen, dass diese zarte, liebliche Frau zu einem Mord in der Lage war.

Eine ganze Weile verging, bevor die Polizisten und der Butler wiederkamen.

Sie sagten, dass sie weder Eindringlinge, noch irgendwelche Anzeichen dessen, dass jemand ins Haus eingebrochen war, hatten finden können. Sie hatten die restlichen Bediensteten schlafend in ihren Betten vorgefunden, und hatten keinerlei Grund anzunehmen, dass irgendjemand von ihnen für die Tat verantwortlich war.

Der Gerichtsmediziner traf ein und begann den Körper zu untersuchen. Das riesige Zimmer war nun ziemlich voll geworden. Endlich schien die blutbefleckte Frau langsam den Rummel im Haus zu bemerken.

Sie erhob sich aus dem Sessel und sprach den Butler an: „Maurice, wo sind Deine Manieren? Erkundige dich doch bitte bei diesen Herrschaften, ob Sie nicht etwas zu Essen oder zu Trinken wünschen.“

Petrie schritt nun auf sie zu und holte seine Handschellen heraus.

Er sagte zu ihr: „Das ist sehr gütig von Ihnen, Ma’am, aber das wird nicht nötig sein.“

Dann begann er, in einem außerordentlich höflichen und rücksichtsvollen Ton Morgan Farrell ihre Rechte zu verlesen.




Kapitel vier


Riley wurde ihre Sorgen nicht los, als die Gerichtsverhandlung begann.

Soweit schien alles glatt zu laufen. Riley selbst hatte bereits ausgesagt und dargelegt, welches Leben Jilly bei ihr haben würde. Bonnie und Arnold Flaxman hatten außerdem ausgesagt, dass Jilly dringend eine stabile Familiensituation benötigte.

Nichtsdestotrotz war Riley nicht ganz entspannt angesichts des nahenden Auftritts von Jillys Vater, Albert Scarlatti.

Sie hatte den Mann nie zuvor getroffen. Ausgehend davon, was Jilly ihr über ihren Vater erzählt hatte, erwartete Riley es, ein groteskes Ungeheuer anzutreffen.

Sie war deshalb Гјberrascht, als sie ihn endlich vor sich sah.

Seine einst schwarzen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen, seine düsteren Gesichtszüge, wie erwartet, von jahrelangem Alkoholismus geprägt. Trotzdem schien er in diesem Moment komplett nüchtern zu sein. Er war gut, wenn auch einfach, gekleidet und war freundlich und charmant zu allen, mit denen er sprach.

Riley fragte sich außerdem, wer die Frau war, die an Scarlattis Seite saß und seine Hand hielt. Auch sie sah aus, als hätte sie ein hartes Leben geführt. Darüber hinaus war ihr Gesichtsausdruck für Riley schwer zu interpretieren.

Wer ist sie? fragte Riley sich.

Alles was Riley Гјber Scarlattis Ehefrau und Jillys Mutter wusste war, dass sie seit vielen Jahren verschollen war. Scarlatti hatte Jilly oft gesagt, dass sie wahrscheinlich gestorben sei.

Das hätte sie also nicht sein können, nach all den Jahren. Auch Jillys zeigte keinerlei Anzeichen, dass sie die Frau überhaupt kannte. Wer war sie also?

Nun war es an der Zeit fГјr Jilly auszusagen.

Riley drückte ermunternd ihre Hand und das junge Mädchen nahm den Platz im Zeugenstand ein.

Jilly sah klein aus in dem groГџen Sessel. Ihr Blick streifte unruhig durch den Gerichtssaal, sie blickte zum Richter, machte dann Augenkontakt mit ihrem Vater.

Der Mann lächelte sie mit scheinbar aufrichtiger Wärme an, doch sie wandte ihren Blick eilig ab.

Rileys Anwalt, Delbert Kaul, fragte Jilly was sie von ihrer bevorstehenden Adoption hielt.

Riley konnte sehen, dass Jillys gesamter Körper vor emotionaler Anspannung zitterte.

„Ich möchte es mehr, als ich jemals etwas in meinem Leben gewollte habe“, sagte Jilly mit unebener Stimme. „Ich bin so, so glücklich dort bei Mom —“

„Du meinst Ms. Paige“, hakte Kaul vorsichtig nach.

„Naja, sie ist jetzt meine Mom und das ist wie ich sie nenne. Und ihre Tochter, April, ist meine ältere Schwester. Bis ich bei ihnen eingezogen bin, hatte ich keine Ahnung wie es sich anfühlt, eine echte Familie zu haben die mich liebt und sich um mich sorgt.“

Jilly schien tapfer ihre Tränen zurückzuhalten.

Riley war sich nicht sicher, dass sie in der Lage war, dasselbe zu tun.

Dann fragte Kaul: „Könntest du dem Gericht ein bisschen darüber erzählen, wie es war mit Deinem Vater zu leben?“

Jilly schaute ihren Vater an.

Dann schaute sie auf den Richter und sagte: „Es war schrecklich.“

Sie begann dem Gericht zu erzählen, was sie Riley gestern erzählt hatte – davon, wie ihr Vater sie für mehrere Tage in einer Kammer eingesperrt hatte. Riley schauderte es, als sie die Geschichte erneut hörte. Die meisten Menschen im Gerichtssaal schienen zutiefst berührt zu sein. Sogar ihr Vater ließ seinen Kopf hängen.

Als sie zum Ende kam, weinte Jilly tatsächlich.

„Bis meine neue Mom in mein Leben kam, hat mich jeder den ich liebte, früher oder später verlassen. Sie konnten es nicht ertragen mit Dad zu leben, weil er so schrecklich zu ihnen war. Meine Mutter, mein älterer Bruder – sogar mein kleiner Welpe, Darby, rannte weg.“

Riley hatte einen Kloß im Hals. Sie erinnerte sich, wie Jilly geweint hatte, als sie ihr von dem Welpen erzählte, den sie vor einigen Monaten verloren hatte. Jilly dachte immer noch oft daran, was wohl aus ihm geworden war.

„Bitte“, sagte sie zum Richter, „bitte, schicken Sie mich nicht zurück in dieses Leben. Ich bin so glücklich bei meiner neuen Familie. Bitte nehmen sie mich ihnen nicht weg.“

Jilly durfte dann wieder zurГјck und sich neben Riley setzen.

Riley drückte ihre Hand und flüsterte ihr zu: „Das hast du richtig gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.“

Jilly nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Dann präsentierte Rileys Anwalt, Delbert Kaul, dem Richter alle nötigen Unterlagen, um die Adoption abzuschließen. Er hob besonders die Einverständniserklärung hervor, die Jillys Vater unterzeichnet hatte.

Soweit Riley es beurteilen konnte, machte Kaul einen ziemlich guten Job mit der Präsentation der Unterlagen. Aber seine Art und Stimme waren uninspiriert, und der Richter, ein fleischiger, missmutiger Mann mit kleinen, runden Augen, schien ganz und gar nicht beeindruckt.

FГјr einen Moment drifteten Rileys Gedanken zurГјck zu dem bizarren Anruf, den sie gestern von Morgan Farrell bekommen hatte. NatГјrlich hatte Riley die Polizei von Atlanta sofort benachrichtigt. Wenn das, was die Frau gesagt hatte, stimmte, war sie mittlerweile sicherlich verhaftet worden. Riley musste sich immer wieder fragen, was dort wirklich vorgefallen war.

War es wirklich möglich, dass die zerbrechliche Frau, die sie in Atlanta kennengelernt hatte einen Mord begangen hatte?

Jetzt ist nicht die Zeit Гјber all diese Dinge nachzudenken, ermahnte sie sich.

Als Kaul seine Präsentation beendet hatte, erhob sich Scarlattis Anwalt.

Jolene Paget war eine scharfäugige Frau in ihren Dreißigern, die Lippen welcher in einem leichten, aber fortwährenden zynischen Lächeln erstarrt zu sein schienen.

Sie sagte zum Gericht: „Mein Klient möchte diese Adoption anfechten.“

Der Richter nickte und brummte: „Das weiß ich bereits, Ms. Paget. Ihr Klient hat hoffentlich einen guten Grund parat für seinen Wunsch, seine eigene Entscheidung nun zu ändern.“

Riley bemerkte sofort, dass Paget, im Gegensatz zu ihrem eigenen Anwalt, keinerlei Notizen dabeihatte. AuГџerdem, ebenso im Gegensatz zu Kaul, drГјckten ihre Miene und Gesichtsausdruck Selbstbewusstsein aus.

Sie sagte: „Mr. Scarlatti hat einen sehr guten Grund, Euer Ehren. Er hatte seine Zustimmung unter Druck gegeben. Er befand sich in einer besonders schwierigen Zeit seines Lebens und hatte außerdem keinen Job. Und ja, er hat damals getrunken. Und er hatte eine Depression.“

Paget nickte zu Brenda Fitch rüber, die ebenso im Gerichtssaal saß, und fügte hinzu: „Er war ein leichtes Opfer für den Druck von Sozialarbeitern, besonders dieser Frau. Brenda Fitch hatte ihm gedroht ihn wegen komplett fabrizierten Vergehen anzuzeigen.“

Brenda atmete scharf ein vor Empörung. Sie sagte zu Paget: „Das ist nicht wahr, und das wissen Sie.“

Pagets Grinsen wurde weiter und sie sagte: „Euer Ehren, könnten Sie Ms. Fitch freundlicherweise bitten, nicht zu unterbrechen?“

„Bitte seien sie still, Ms. Fitch“, sagte der Richter.

Paget fügte hinzu: „Mein Klient möchte außerdem Ms. Paige wegen Entführung anzeigen – zusammen mit Ms. Fitch als Komplizin.

Brenda stöhnte vor lauter Abscheu hörbar auf, aber Riley zwang sich still zu bleiben. Sie hatte die ganze Zeit über schon gewusst, dass Paget diese Sache anstiften würde.

Der Richter sagte: „Ms. Paget, Sie haben keinerlei Beweise für irgendeine Entführung vorgelegt. Ebenso wenig wie für ihre Behauptungen zu dem Druck und den Drohungen ihrem Klienten gegenüber. Sie haben nichts gesagt, was mich überzeugen könnte, dass die anfängliche Zustimmung ihres Klienten nicht weiterhin gültig sein sollte.“

Albert Scarlatti erhob sich dann.

„Darf ich einige Worte zu meiner eigenen Verteidigung sagen, Euer Ehren?“, bat er.

Als der Richter in Einverständnis nickte, fühlte Riley einen Stich der Befürchtung.

Scarlatti ließ seinen Kopf hängen und sprach mit leiser, niedriger Stimme.

„Was Jilly Ihnen erzählt hat, was ich ihr angetan habe – ich weiß, es klingt schrecklich. Und Jilly, es tut mir unendlich leid. Aber die Wahrheit ist, das es nicht ganz das ist, was geschehen ist.“

Riley musste sich zwingen ihn nicht zu unterbrechen. Sie war sich sicher, dass Jilly sich das nicht ausgedacht hatte.

Albert Scarlatti kicherte kurz leise und traurig. Ein warmes Lächeln breitete sich über seine gebrochenen Gesichtszüge.

„Jilly, du wirst sicher zustimmen, dass du eine ganz schöne Handvoll warst, als Kind. Du kannst eine wirkliche Herausforderung sein, meine kleine Tochter. Du hast ein ganz schönes Temperament und du bist manchmal einfach komplett außer Kontrolle geraten. Ich wusste einfach nicht, was ich an diesem Tag tun sollte. Wie ich mich erinnere, hatte ich dich damals aus schierer Verzweiflung in diese Kammer gesperrt.“

Er zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Aber es war nicht, wie du sagst. Ich würde dir so etwas niemals tagelang zumuten. Nicht einmal für ein paar Stunden. Ich behaupte nicht, dass du lügst, nur, dass deine Vorstellungskraft manchmal verrückt spielt. Und ich verstehe das.“

Dann richtete sich Scarlatti an die anderen im Saal.

Er sagte: „Es ist eine Menge passiert, seit ich meine kleine Jilly verloren habe. Ich habe mich zusammengerissen und aus meinem damaligen Zustand gezogen. Ich habe einen Entzug gemacht und ich besuche regelmäßig die Anonymen Alkoholiker, ich habe seit Monaten keinen Drink angerührt. Ich hoffe, dass ich für den Rest meines Lebens keinen Drink mehr in die Hand nehme. Ich habe eine feste Anstellung gefunden – nichts richtig beeindruckendes, nur ein Job als Reinigungskraft, aber es ist ein guter Job und ich kann Ihnen eine Empfehlung meines Vorgesetzten vorlegen, dass ich mich gut mache.“

Dann berührte er die Schulter der mysteriösen Frau, die neben ihm saß.

„Aber es gab noch eine große Veränderung in meinem Leben. Ich habe Barbara Long getroffen, die wundervollste Frau der Welt, und sie ist das Beste, was mir je widerfahren ist. Wir sind verlobt und werden Ende dieses Monats heiraten.“

Die Frau lächelte ihn mit funkelnden Augen an.

Scarlatti richtete sich nun an Jilly persönlich.

„Genau Jilly. Keine Alleinerziehenden-Familie mehr. Du wirst einen Vater und eine Mutter haben – eine echte Mutter nach all diesen Jahren.“

Riley fühlte sich, als wäre ein Messer durch ihre Brust gebohrt worden.

Jilly hat gerade doch gesagt, dass ich ihre echte Mom bin, dachte sie. Aber was konnte sie auf diesen Alleinerziehenden-Kommentar antworten. Sie hatte sich von Ryan lange bevor sie Jilly gefunden hatte, scheiden lassen.

Scarlatti richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Brenda Fitch.

Er sagte: „Ms. Fitch, meine Anwältin hat gerade einige ziemlich harte Vorwürfe an Sie gerichtet. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass es meinerseits keine gekränkten Gefühle gibt. Sie haben ihre Arbeit gemacht und ich weiß das. Ich möchte bloß, dass Sie sehen, wie sehr ich mich verändert habe.“

Dann schaute er Riley direkt in die Augen.

„Ms. Paige, ich bin auch Ihnen nicht böse. Ich bin wirklich sogar dankbar für alles was sie für Jilly getan haben, während ich mich um mein Leben gekümmert habe. Ich weiß, dass es für Sie nicht leicht gewesen sein muss, da Sie Single sind und so. Und noch dazu mit ihrer eigenen Teenage-Tochter im Schlepptau.“

Riley öffnete schon ihren Mund um zu protestieren, aber Albert fuhr herzlich fort. „Ich weiß, dass sie Ihnen viel bedeutet und Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich werde von jetzt an ein guter Vater für Jilly sein. Und ich möchte, dass sie weiterhin ein Teil von Jillys Leben bleiben.“

Riley war perplex. Sie begriff jetzt erst, wieso seine Anwältin die Entführungsvorwürfe überhaupt gegen sie vorgebracht hatte.

Es ist die klassische ‚Guter Cop, Schlechter Cop� Masche.

Jolene Paget hatte sich als harte Anwältin inszeniert, die bereit war ihren Fall mit allen Mitteln zu gewinnen. Sie hatte somit den Weg für Scarlatti geebnet, der nun wie der freundlichste Typ der ganzen Welt erscheinen würde.

Und er war sehr überzeugend. Riley konnte nicht anders, als sich zu fragen…

Ist er in Wirklichkeit vielleicht doch ein guter Kerl?

Hatte er wirklich nur eine schwere Phase?

Und das Schlimmste – hatte sie selbst vielleicht Unrecht, indem sie versuchte ihm Jilly wegzunehmen? Tat sie nichts, außer unnötiges Leid zu Jillys Leben hinzuzufügen?

Zuletzt schaute Scarlatti mit einem dringlich bittenden Blick auf den Richter.

„Euer Ehren, ich bettle Sie an, bitte lassen Sie mich meine Tochter wiederhaben. Sie ist mein Fleisch und Blut. Sie werden Ihre Entscheidung nicht bereuen. Ich verspreche es Ihnen.“

Eine Träne floss über seine Wange, als er sich wieder setzte.

Seine Anwältin erhob sich wieder und sah selbstgefälliger und sicherer aus, denn je.

Sie sprach Jilly in einem Ton von Г¶liger, falscher Aufrichtigkeit an.

„Jilly, ich hoffe, dass du verstehst, dass dein Vater nur das Beste für dich will. Ich weiß, dass ihr Eure Schwierigkeiten hattet in der Vergangenheit, aber sei Ehrlich – ist das nicht ein Verhaltensmuster von dir?“

Jilly sah verwirrt aus.

Paget fuhr fort: „Ich bin mir sicher, dass du nicht abstreiten wirst, dass du von deinem Vater weggelaufen bist, und das ist wie dich Riley Paige überhaupt gefunden hatte.“

Jilly sagte: „Ich weiß, aber das war weil – “

Paget unterbrach sie und zeigte zu den Flaxmans.

„Und bist du nicht auch von diesem netten Paar weggerannt, als sie so gütig waren, dich bei Ihnen aufzunehmen?“

Jillys Augen weiteten sich und sie nickte still.

Riley musste schlucken. Sie wusste, was Paget als nächstes sagen würde.

„Und bist du nicht einmal sogar von Riley Paige und ihrer Familie weggerannt?“

Jilly nickte und ließ ihren Kopf elendig hängen.

Und natürlich stimmte das. Riley erinnerte sich nur zu gut wie schwer es für Jilly gewesen war sich an das Leben in ihrem neuen Zuhause zu gewöhnen – sie hatte besonders mit dem Gefühl der Wertlosigkeit zu kämpfen. In einem Moment besonderer Schwäche war Jilly erneut zu einem Lastwagenrastplatz weggerannt. Sie dachte, dass ihren Körper zu verkaufen das einzige war, für was sie im Leben gut war.

„Ich bin ein Nichts“, hatte Jilly Riley gesagt, als die Polizei sie zurückgebracht hatte.

Die Anwältin hatte ihre Recherche gut gemacht, aber Jilly hatte sich seit dieser Zeit so sehr verändert. Riley war sich sicher, dass diese Tage der Unisicherheit vorüber waren.

Immer noch in einem Ton tiefer Besorgnis sagte Paget zu Jilly…

„Früher oder später, meine liebe, musst du die Hilfe der Menschen annehmen, denen du wichtig bist. Und gerade will dein Vater nichts sehnlicher, als dir ein gutes Leben geben. Ich denke, dass du es ihm schuldest ihm eine Chance zu geben, das zu tun.“

Paget wandte sich nun an den Richter: „Euer Ehren, ich muss die Sache Ihnen überlassen.“

Zum ersten Mal schien der Richter wirklich bewegt zu sein.

Er sagte: „Mr. Scarlatti, ihr eloquentes Plädoyer hat mich dazu gezwungen meine Entscheidung zu ändern.“

Riley holte laut Luft.

Passiert das gerade wirklich alles?

Der Richter fuhr fort: „Das Gesetz Arizonas ist sehr eindeutig, was die Sache der Familientrennung angeht. Die erste Überlegung geht die Befähigung des Erziehungsberechtigten an. Die zweite Überlegung bezieht sich auf das Wohl des Kindes. Nur wenn der Erziehungsberechtigte untauglich ist, kommt die zweite Überlegung ins Spiel.“

Er hielt einen Moment inne um nachzudenken.

„Mr. Scarlattis Untauglichkeit konnte hier heute nicht festgestellt werden. Es ist sogar eher umgekehrt. Soweit ich es beurteilen kann, scheint er alles dafür zu tun, um ein hervorragender Vater zu werden.“

Beunruhigt erhob sich Kaul und sprach beiГџend.

„Euer Ehren, ich erhebe Einspruch. Mr. Scarlatti hat seine Rechte freiwillig aufgegeben, und das hier ist alles komplett unerwartet. Die Adoptionsagentur hatte keinerlei Gründe um Belege für seine Untauglichkeit zu sammeln.“

Der Richter sprach mit einer Note der EndgГјltigkeit in der Stimme und schlug mit dem Gerichtshammer.

„Dann gibt es für mich auch nichts weiter zu betrachten. Sorgerecht wird dem Vater zugesprochen, beginnend mit dem gegenwärtigen Moment.“

Riley schrie entsetz auf.

Es wird wahr, dachte sie.

Ich verliere Jilly.




Kapiel fГјnf


Riley begann beinahe zu hyperventilieren als sie begriffen hatte, was geschehen war.

Sicherlich kann ich diese Entscheidung anfechten, dachte sie sich.

Die Agentur und ihr Anwalt könnten ohne Probleme solide Belege für Scarlattis gewalttätiges Verhalten auftreiben.

Aber was wГјrde in der Zwischenzeit passieren?

Jilly würde nie bei ihrem Vater bleiben. Sie würde wieder wegrennen – und dieses Mal könnte sie wirklich für immer verschwinden.

Es war möglich, dass Riley ihre jüngere Tochter nie wiedersehen würde.

Immer noch in seinem Sessel sitzend wandte der Richter sich an Jilly: „Junge Dame, du solltest jetzt wohl zu deinem Vater gehen.“

Zu Rileys groГџer Гњberraschung blieb Jilly komplett ruhig.

Sie drückte Rileys Hand und flüsterte…

„Keine Sorge, Mom. Es wird alles gut werden.“

Sie ging rüber zu Scarlatti und seiner Verlobten. Albert Scarlattis Lächeln war herzlich und warm.

Gerade als ihr Vater seine Arme zu ihr hinausstreckte, um sie zu umarmen, sagte Jilly: „Ich habe dir etwas zu sagen.“

Ein neugieriger Gesichtsausdruck machte sich auf Scarlattis Gesicht breit.

Jilly sagte: „Du hast meinen Bruder umgebracht.“

„W-Was?“, stammelte Scarlatti. „Nein, das stimmt nicht, und das weißt du. Dein Bruder Norbert ist weggerannt. Das habe ich dir hundert Mal erzählt – “

Jilly unterbrach ihn.

„Nein, ich spreche nicht von meinem großen Bruder. Ich erinnere mich nicht einmal an ihn. Ich spreche von meinem kleinen Bruder.“

„Aber du hattest nie einen —“

„Nein, ich hatte nie einen kleinen Bruder. Weil du ihn umgebracht hast.“

Scarlattis Mund stand offen und sein Gesicht wurde rot.

Ihre Stimme zitterte vor Wut als Jilly fortfuhr: „Ich nehme an, du denkst, dass ich mich nicht an meine Mutter erinnere, weil ich noch so klein war, als sie fortgegangen ist. Aber ich erinnere mich. Ich erinnere mich daran, dass sie schwanger war. Ich erinnere mich, wie du sie angebrüllt hast. Du hast ihr in den Bauch geschlagen. Ich habe gesehen, wie du es tatst, immer und immer wieder. Dann war ihr schlecht. Und dann war sie nicht mehr schwanger. Sie erzählte mir, dass es ein Junge gewesen ist, und dass er mein kleiner Bruder geworden wäre, aber dass du ihn getötet hattest.“

Riley war geschockt von dem, was Jilly da sagte. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass jedes Wort stimmte.

Ich wünschte, sie hätte mir das erzählt, dachte sie.

Aber Jilly hatte es wahrscheinlich zu schmerzhaft gefunden, darüber zu sprechen – bis zu diesem Moment.

Jilly schluchzte nun. Sie sagte: „Mommy weinte ganz doll als sie mir das erzählte. Sie sagte, dass sie weggehen musste, denn du würdest auch sie früher oder später umbringen. Und sie ist weggegangen. Und ich habe sie nie wiedergesehen.“

Scarlattis Gesicht verzog sich zu einer grässlichen Fratze. Riley sah, dass er mit seinem Zorn zu kämpfen hatte.

Er knurrte: „Mädchen, du weißt nicht, wovon du redest. Du hast dir das alles nur ausgedacht.“

Jilly sagte: „Sie trug ihr schönes blaues Kleid an dem Tag. Das eine, das ihr so sehr gefiel. Siehst du, ich erinnere mich an alles. Ich habe alles gesehen.“

Jillys Worte kamen in einem verzweifelten Strom heraus.

„Du tötest alles und jeden früher oder später. Du kannst gar nicht anders. Ich wette du hast mich sogar angelogen, als du gesagt hast, dass mein Welpe weggerannt ist. Du hast Darby wahrscheinlich auch getötet.“

Scarlattis Körper bebte nun vor Wut.

Jillys Worte hallten immer weiter durch den Raum: „Meine Mutter hat das Richtige getan, als sie weggerannt ist, und ich hoffe, dass sie glücklich ist, wo sie auch sein mag. Und wenn sie tot ist – tja, auch das ist besser, als mit dir zu sein.“

Scarlatti stieß ein dröhnendes Brüllen aus. „Halt die Klappe, du kleine Hure!“

Er ergriff mit einer Hand Jillys Schulter und ohrfeigte sie mit der anderen.

Jilly schrie auf und versuchte sich von ihm loszumachen.

Riley war aufgesprungen und rannte auf Scarlatti zu. Bevor sie zu ihm gelangen konnte, hatten bereits zwei Sicherheitsbeamte den Mann an den Armen ergriffen.

Jilly riss sich los und rannte zu Riley.

Der Richter schlug mit seinem Hammer und alles wurde ganz still. Er sah sich im Gerichtssaal um, als könnte er nicht glauben, was eben geschehen war.

Einen Moment lang saГџ er einfach da und atmete schwer.

Dann schaute er zu Riley und sagte: „Ms. Paige, ich glaube, ich schulde Ihnen eine Entschuldigung. Ich habe gerade die falsche Entscheidung getroffen und ich hebe sie auf.“

Er blickte auf Scarlatti und fügte hinzu: „Ein weiteres Wort aus Ihrem Mund und ich lasse Sie verhaften.“

Dann sagte der Richter entschlossen: „Es wird keine weiteren Anhörungen geben. Das ist meine endgültige Entscheidung hinsichtlich dieser Adoption. Sorgerecht bekommt die Adoptivmutter.“

Er schlug mit seinem Hammer und erhob sich, um den Gerichtssaal ohne ein weiteres Wort zu verlassen.

Riley drehte sich zu Scarlatti und schaute ihn an. Seine dunklen Augen waren voller Rage, aber die beiden Sicherheitsbeamten waren immer noch an seiner Seite. Er blickte zu seiner Verlobten, die voller Horror dem zugesehen hatte, was sich abspielte. Dann ließ Scarlatti nur den Kopf hängen und stand ruhig da.

Jilly hängte sich an Rileys Hals und schluchzte laut auf.

Riley drücke sie fest an sich und sagte: „Du bist ein tapferes Mädchen, Jilly. Ich werde dich nie alleine lassen, egal was passiert. Du kannst auf mich zählen.“


* * *

Jillys Wange brannte immer noch als Riley und Brenda ein paar letzte Details mit dem Anwalt klärten. Aber es war ein guter Schmerz, der bald nachlassen würde. Sie hatte die Wahrheit über etwas erzählt, was sie allzu lange für sich behalten hatte. Diese Wahrheit hatte sie für immer von ihrem Vater befreit.

Riley – ihre neue Mutter – fuhr sie zurück ins Hotel, wo sie beide schnell packten und zurück zum Flughafen fuhren. Sie hatten noch reichlich Zeit vor ihrem Abflug und gaben ihr Gepäck auf, um es nicht mit sich herumschleppen zu müssen. Dann suchten sie gemeinsam eine Toilette auf.

Jilly stand vor dem Spiegel und betrachtete sich, während ihre Mutter in einer der Kabinen war.

Ein blauer Fleck bildete sich dort, wo ihr Vater sie geschlagen hatte. Aber es wГјrde nun alles gut werden.

Ihr Vater könnte ihr nie wieder wehtun. Und alles nur, weil sie endlich die Wahrheit über ihren verlorenen kleinen Bruder erzählt hatte. Das war alles, was es gebraucht hatte, um die ganze Sache zum Besseren zu verändern.

Sie lächelte ein leichtes Lächeln, als sie sich an die Worte ihrer Mutter erinnerte…

„Du bist ein tapferes Mädchen, Jilly.“

Ja, dachte Jilly sich. Ich glaube ich bin ziemlich tapfer.




Kapitel sechs


Als Riley in den Vorraum der Toilette trat, konnte sie Jilly nicht auffinden.

Das erste, was sie fГјhlte war ein leichtes Г„rgernis.

Sie hatte Jilly doch klar gesagt…

„Warte genau hier vor der Tür. Geh nirgends hin.“

Und nun war sie nicht aufzufinden.

Dieses Mädchen, dachte Riley.

Sie machte sich keine Sorgen wegen ihrem Flug. Sie hatte noch genug Zeit vor dem Boarding. Aber sie hatte gehofft keinen Stress mehr nach solch einem Tag haben zu müssen. Sie hatte geplant, dass sie langsam und gemütlich durch den Security-Check gehen würden, ihr Gate aufsuchen und einen schönes Lokal zum Essen finden würden.

Riley seufzte frustriert.

Sogar nach Jillys tapferem Auftritt im Gerichtssaal konnte Riley nicht nicht enttäuscht sein über so ein unreifes Verhalten von Jillys Seite.

Sie wusste, dass wenn sie jetzt begann Jilly in dem groГџen Terminal zu suchen, sie sich immer und immer wieder verpassen wГјrden. Sie schaute sich nach einem Platz um, wo sie sich hinsetzen und auf Jillys Wiederkehr warten konnte.

Doch als Riley über das riesige offene Terminalgelände blickte, sah sie auf einmal wie Jilly durch die großen Glastüren ging, die nach draußen führten.

Oder zumindest hatte sie das Gefühl, dass es Jilly war – es war schwer einzuschätzen von ihrem Standpunkt aus.

Und wer war die Frau, mit der das Mädchen mitging?

Sie sah aus wie Barbara Long, Albert Scarlattis Verlobte.

Aber die zwei Personen verschwanden schnell unter den vielen Reisenden, die drauГџen hin und her liefen.

Riley fühlte ein Kribbeln der Nervosität. Hatten ihre Augen sie getäuscht?

Nein, sie war sich ziemlich sicher, dass sie richtig gesehen hatte.

Aber was war hier los? Wieso ging Jilly mit dieser Frau Гјberhaupt mit?

Riley begann sich ihnen hinterher zu bewegen. Sie wusste, dass sie keine Zeit hatte zu versuchen es zu verstehen. Sie begann nun leicht zu joggen und griff instinktiv unter ihre leichte Jacke um die Pistole zu ГјberprГјfen, die sie im Pistolenhalfter mit sich trug.

Da wurde sie von einem uniformierten Sicherheitsbeamten aufgehalten, der sich ihr in den Weg stellte.

Er sprach mit ruhiger, professioneller Stimme: „Ziehen Sie gerade eine Waffe, Ma’am?“

Riley ließ ein frustriertes Stöhnen von sich.

Sie sagte: „Sir, ich habe gerade keine Zeit dafür.“

Sie konnte vom Gesichtsausdruck des Sicherheitsbeamten ablesen, dass sie seine Vermutung nur bestätigt hatte.

Er zog seine eigene Waffe und begann sich auf sie zuzubewegen. Aus dem Augenwinkel sah Riley, dass ein weiterer Sicherheitsbeamter sie bemerkt hatte und sich auch begann in ihre Richtung zu bewegen.

„Lassen Sie mich durch“, fauchte Riley und zeigte ihre beiden Hände. „Ich bin eine FBI-Agentin.“

Der Beamte mit der Waffe antwortete nicht. Riley nahm an, dass er ihr nicht glaubte. Sie wusste natГјrlich, dass er darauf trainiert war, ihr nicht zu glauben. Er machte bloГџ seinen Job.

Der zweite Sicherheitsbeamte machte nun Anstalten sie zu durchsuchen.

Riley verlor wertvolle Zeit. Sie nahm an, dass es für sie durch ihr hervorragendes Training ein Leichtes wäre dem ersten Sicherheitsbeamten die Waffe abzunehmen, bevor er abfeuern konnte. Doch das letzte was sie gerade gebrauchen konnte, war sich in eine nutzlose Auseinandersetzung mit es im Grunde gut meinendem Sicherheitspersonal zu verwickeln.

Sie befahl sich, still zu stehen und sagte: „Schauen Sie, lassen Sie mich Ihnen einfach meinen Ausweis vorzeigen.“

Die zwei Beamten schauten einander missmutig an.

„Ok“, sagte der eine mit der Waffe. „Aber langsam.“

Riley holte vorsichtig und langsam ihre Dienstmarke aus der Jackentasche und zeigte sie ihnen.

Ihre MГјnder standen offen.

„Ich habe es eilig“, sagte Riley.

Der Beamte, der ihr den Weg versperrte, nickte und steckte seine Pistole wieder ein.

Dankbar rannte sie los und eilte durch den Terminal und durch die GlastГјren hindurch.

Riley schaute sich um. Weder Jilly, noch die Frau waren irgendwo zu sehen.

Doch dann sah sie das Gesicht ihrer Tochter durch die Rückscheibe eines SUVs schauen. Jilly sah erschrocken aus und ihre Hände waren gegen das Glas gepresst.

Was schlimmer war, war dass das Auto begann loszufahren.

Riley sprintete verzweifelt los.

Glücklicherweise musste der SUV spontan anhalten. Ein Fahrzeug vor dem Auto hatte für einen Fußgänger gebremst und der SUV steckte dahinter fest.

Riley konnte die FahrertГјr erreichen, bevor das Auto wieder losfahren konnte.

Albert Scarlatti saГџ im Fahrersitz.

Sie zog ihre Waffe raus und richtete sie durch die Fensterscheibe direkt auf ihn.

„Es ist vorbei, Scarlatti“, brüllte sie aus ganzer Brust.

Doch bevor sie sich versah, riss Scarlatti die TГјr auf und rammte sie damit. Sie lieГџ die Waffe mit einem lauten Klappern auf den Asphalt fallen.

Riley war nun wutentbrannt – nicht nur wegen Scarlatti, sondern auch wegen ihrer eigenen falschen Einschätzung ihrer Distanz zur Tür. Sie hatte sich ausnahmsweise mal ihrer eigenen Panik hingegeben.

Doch sie war innerhalb weniger Momente wieder ganz bei sich.

Dieser Mann wГјrde Jilly nicht entfГјhren.

Bevor Scarlatti die TГјr wieder zuschlagen konnte, klemmte Riley ihren Arm dazwischen, um sie zu blocken. Obwohl ihr Arm einen schmerzhaften Schlag durch die TГјr erfuhr, konnte sie nicht geschlossen werden.

Riley riss die TГјr weit auf und sah, dass Scarlatti sich nicht die MГјhe gemacht hatte sich anzuschnallen.

Sie ergriff ihn am Arm und zog ihn aus dem Auto während er schimpfte und sich widersetzte.

Er war ein großer Mann und er war stärker, als sie erwartet hatte. Er riss sich von ihr los und erhob seine Faust, um sie ins Gesicht zu schlagen. Doch Riley war schneller. Sie schlug ihn ins Sonnengeflecht und sah wie er nach vorne über zusammenklappte. Dann haute sie ihn auf den Hinterkopf.

Er fiel flach zu Boden.

Riley sammelte ihre Waffe auf und steckte sie wieder zurГјck in ihr Waffenhalfter.

Währenddessen waren sie bereits von mehreren Sicherheitsbeamten umgeben. Glücklicherweise war einer von ihnen der Mann, den sie im Terminal begegnet war.

„Alles ok“, rief er zu den anderen. „Sie ist vom FBI.“

Das aufgescheuchte Sicherheitspersonal blieb auf Distanz.

Nun hörte Riley wie Jilly ihr aus dem Auto zurief…

„Mom! Öffne den Kofferraum!“

Als Riley sich dem Fahrzeug näherte, sah sie, dass die Frau, Barbara Long, im Beifahrersitz saß und zutiefst erschrocken war.

Ohne ein Wort zu sagen, betätigte Riley den entsprechenden Knopf und entriegelte die Fahrzeugtüren.

Jilly schwang die KofferraumtГјr auf und kletterte aus dem Auto.

Barbara Long Г¶ffnete die BeifahrertГјr und machte Anstalten zu entkommen. Doch einer der Sicherheitsbeamten hielt sie auf, bevor sie sich auch nur auf zwei Schritte vom Auto entfernen konnte.

Völlig überwältigt versuchte Scarlatti wieder auf die Beine zu kommen.

Riley fragte sich…

Was soll ich mit diesem Typ machen? Ihn festnehmen? Und sie?

Es erschien ihr eine Zeit- und Energieverschwendung zu sein. AuГџerdem wГјrden Jilly und sie hier in Phoenix tagelang feststecken, wenn sie Anzeige erstatten wollten.

Während sie versuchte zu beschließen, was zu tun war, hörte sie hinter sich Jillys Stimme…

„Mom, schau mal!“

Riley drehte sich um und sah, dass Jilly einen kleinen Hund mit groГџen Ohren im Arm hielt.

„Du könntest diesen alten Ex-Dad einfach laufen lassen“, sagte Jilly mit einem frechen Grinsen. „Schließlich hat er meinen Hund zurückgebracht. Ist das nicht nett von ihm?“

„Das ist…“, stotterte Riley überrascht, da sie sich nicht an den Namen des Hundes erinnern konnte, von dem Jilly geredet hatte.

„Das ist Darby“, sagte Jilly stolz. „Jetzt kann sie mit uns nach Hause kommen.“

Riley hielt einen langen Moment inne, dann fühlte sie ein Lächeln über ihre Lippen kommen.

Sie schaute sich um und sagte zu den Sicherheitsbeamten: „Machen Sie mit dem Kerl, was Sie für richtig halten. Und mit seiner Freundin auch. Meine Tochter und ich müssen noch einen Flieger erwischen.“

Riley fГјhrte Jilly mitsamt Hund von den erstaunten Sicherheitsbeamten weg.

„Komm“, sagte sie zu Jilly. „Wir müssen noch eine Tierbox finden. Und das alles der Fluggesellschaft erklären.“




Kapitel sieben


Als ihr Flugzeug DC anflog, saß Riley in ihrem Sitz mit Jillys Kopf in ihre Schulter gekuschelt. Sogar der kleine Hund, der zu Beginn des Fluges noch nervös gejault hatte, hatte sich schnell beruhigt. Darby schlief zusammengerollt in der Box, die sie hastig noch bei der Fluggesellschaft mit der sie folgen erworben hatten. Jilly hatte Riley erzählt, dass Barbara Long auf sie zugekommen war und sie überredet hatte mitzukommen, um Darby zu holen. Sie behauptete, dass sie Hunde hasste und dass sie wollte, dass Jilly den Hund mitnahm. Als sie am Auto angekommen waren, schubste Barbara sie in den Kofferraum und verriegelte die Türen, dann fuhren sie los.

Jetzt, wo die ganze Affäre endlich vorbei war, musste Riley wieder an den seltsamen Anruf, den sie am Vorabend von Morgan Farrell erhalten hatte, denken…

„Ich habe den Mistkerl umgebracht“, hatte Morgan gesagt.

Riley hatte sofort die Atlanta Polizei benachrichtigt, doch seitdem hatte sie keine Neuigkeiten von ihnen erhalten, und sie hatte bisher keine Zeit gehabt um sich selbst auf den neusten Stand anlässlich der Angelegenheit zu bringen.

Sie fragte sich – hatte Morgan die Wahrheit gesagt oder hatte Riley der Polizei eine Falschmeldung weitergeleitet?

War Morgan verhaftet worden?

Es erschien Riley immer noch schwer vorstellbar, dass diese zerbrechliche Frau irgendjemanden hätte umbringen können.

Doch Morgan hatte darauf bestanden.

Riley erinnerte sich, wie sie ihr gesagt hatte…

„Ich schaue just in diesem Moment auf seinen Körper, hier in seinem Bett. Er hat lauter Messerstiche und hat viel geblutet.“

Riley wusste nur zu gut, dass selbst die ruhigsten Menschen zu unwahrscheinlichen Ausschreitungen getrieben werden konnten. Es resultierte meist aus einer Verletzung ihrer Psyche, etwas dass sie unterdrückt und verborgen hatten brach unter extremen Umständen aus ihnen heraus und trieb sie zu scheinbar unmenschlichen Taten.

Morgan hatte ihr gesagt: „Ich war in letzter Zeit in einem ziemlichen Rausch.“

Vielleicht hatte sich Morgan die ganze Sache nur ausgedacht oder halluziniert.

Riley ermahnte sich…

Was auch immer dort vorgefallen ist, es geht mich nichts an.

Es war an der Zeit, dass sie sich auf ihre eigene Familie konzentrierte, welche nun gleich zwei Töchter beinhaltete – und zu Rileys Überraschung auch noch einen Hund.

Und war es nicht auch an der Zeit fГјr sie zurГјck zur Arbeit zu kehren?

Doch Riley dachte, dass sie nach der heutigen Gerichtsverhandlung und dem Flughafendrama vielleicht einen guten Resturlaub verdient hatte. Vielleicht sollte sie doch einen weiteren Tag freinehmen, bevor sie nach Quantico zurГјckkehrte?

Riley seufzte und dachte…

Wahrscheinlich nicht.

Ihre Arbeit war ihr wichtig. Sie dachte sogar, dass sie für die Welt ziemlich wichtig sein könnte. Doch dieser Gedanke beunruhigte sie wiederum. Was für eine Mutter arbeitete tagein tagaus, um grausame Monster zu fassen und doch regelmäßig das Monster in sich selbst vorzufinden?

Sie wusste, dass sie nicht immer verhindern konnte, dass ihre düstere Arbeit in ihre Privatsphäre eindrang. Ihre Fälle hatten bereits mehrmals die Leben ihrer geliebten Menschen gefährdet.

Aber das ist halt meine Arbeit, dachte sie.

Und im tiefsten Inneren wusste sie, dass es noble Arbeit war, die von jemandem gemacht werden musste. Irgendwie schuldete sie es ihren Töchtern sogar diese Arbeit weiterzumachen – nicht nur um sie vor den Monstern zu beschützen, sondern auch um ihnen zu zeigen, wie diese Monster besiegt werden könnten.

Sie musste weiterhin mit Beispiel fГјr sie vorangehen.

Es ist besser so, dachte sie.

Als das Flugzeug auf der Landebahn hielt, rГјttelte Riley leicht an Jillys Schulter.

„Wach auf, Schlafmütze“, sagte sie. „Wir sind angekommen.“

Jilly grummelte und krächzte ein wenig, dann machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit, als sie die Hündin in ihrer Box sah. Darby war gerade selber aufgewacht und wedelte freudig mit dem Schwanz, als sie zu Jilly hinaufblickte.

Dann schaute Jilly Riley mit freudestrahlenden Augen an.

„Wir haben es wirklich geschafft, nicht wahr, Mom?“, sagte sie. „Wir haben gewonnen.“

Riley umarmte Jilly fest und sagte: „Das stimmt, meine liebe. Du bist nun wirklich und wahrhaftig meine Tochter, und ich bin Deine Mutter. Und nichts wird das jemals ändern.“


* * *

Als Riley, Jilly und der Hund zuhause ankamen, wartete April an der Tür auf sie. Drinnen warteten auch Blaine, Rileys geschiedener Freund, mit seiner fünfzehnjährigen Tochter, Crystal, die Aprils beste Freundin war. Gabriela, die guatemalische Haushälterin der Familie, war auch da.

Riley und Jilly hatten ihnen die guten Nachrichten schon aus Phoenix mitgeteilt und sie hatten auch angerufen, als sie gelandet waren und sich auf den Weg nach Hause machten. Jedoch hatten sie den Welpen nicht erwähnten. Die ganze Truppe war da, um Jilly willkommen zu heißen, doch einen Augenblick später beugte sich April hinunter zur Hundebox, die Riley auf dem Boden abgestellt hatte.

„Was ist denn das?“, fragte sie.

Jilly kicherte nur.

„Es ist etwas Lebendiges“, sagte Crystal.

Jilly öffnete den Deckel der Box und dort saß Darby und schaute sie alle mit großen, ein wenig verängstigten Augen an.

„Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott!“, rief Crystal.

„Wir haben einen Hund!“, kreischte April. „Wir haben einen Hund!“

Riley musste lachen, als sie sich daran erinnerte, wie ruhig und zusammengenommen April erst gestern, als sie telefoniert hatten, gewesen war. Nun, wo ihre gesamte Reife plötzlich verschwunden war, benahm sich April plötzlich wieder wie ein kleines Mädchen. Es war wundervoll mit anzusehen.

Jilly hob Darby aus der Box. Es dauerte nicht lange, bevor der junge Hund begann die ganze Aufmerksamkeit zu genieГџen.

Während die Mädchen weiterhin laut den Hund bemutterten, fragte Blaine Riley: „Wie ist es gelaufen? Ist jetzt alles wirklich geregelt?“

„Ja“, antwortete Riley lächelnd. „Es ist wirklich vorbei. Jilly ist nun rechtlich meine Tochter.“

Alle waren zu aufgeregt wegen dem Welpen, um noch Гјber die Adoption zu sprechen.

„Wie heißt sie?“, wollte April wissen mit dem Hund im Arm.

„Darby“, antwortete Jilly auf Aprils Frage.

„Wo habt ihr sie her?“, fragte Crystal.

Riley kicherte und sagte: „Tja, das ist eine ganz schöne Geschichte. Gebt uns einen Moment um anzukommen, bevor wie sie erzählen.“

„Was ist es denn für eine Rasse?“, fragte April.

„Teil Chihuahua, glaube ich“, sagte Jilly.

Gabriela nahm den Hund aus Aprils Armen und schaute sie genau an.

„Ja, was vom Chihuahua, aber auch andere Rassen in ihr“, sagte die kräftige Frau. „Was ist das Wort für eine Mischung von Rassen?“

„Ein Mischling“, sagte Blaine.

Gabriela nickte und sagte: „Genau, Ihr habt hier einen echten Mischling – auténtico, das Wahre. Ein Mischling ist die beste Art Hund. Dieser hier muss noch ein bisschen wachsen, aber sie wird ziemlich klein bleiben. ¡Bienvenidos! Darby. ¡Nuestra casa es tuya también! Nun ist es auch Dein Zuhause.“

Sie übergab den Welpen wieder an Jilly und sagte: „Sie braucht jetzt Wasser und was zu essen, wenn sich hier alles beruhigt hat. Ich habe noch was vom Hähnchen übrig, das wir ihr geben können, aber wir müssen bald echtes Hundefutter kaufen.“

Die Mädchen verschwanden nach oben und begannen nach Gabrielas Anweisungen einen Schlafplatz für Darby einzurichten und alte Zeitungen auszulegen, falls sie in der Nacht mal gehen musste.

Zwischenzeitlich richtete Gabriela Essen an – ein leckeres guatemalisches Gericht pollo encebollado genannt, Hähnchen in Zwiebelsoße. Bald darauf setzten sich alle zu Tisch.

Selbst Chef und Restaurantbesitzer, lobte Blaine das Gericht und fragte Gabriela über das Rezept aus. Dann richtete sich das Gespräch darauf, was in Phoenix alles geschehen war. Jilly bestand darauf, die ganze Geschichte selber zu erzählen. Blaine, Crystal, April und Gabriela lauschten alle mit angehaltenem Atem, als sie die wilde Szene im Gerichtssaal schilderte und dann das noch wildere Abenteuer am Flughafen.

Und natГјrlich waren alle hocherfreut Гјber den neuen Hund, der nun in ihre Leben getreten war.

Wir sind nun eine Familie, dachte Riley. Und es ist groГџartig, zuhause zu sein.

Es war auch groГџartig morgen wieder auf die Arbeit zu gehen.

Nachdem der Nachtisch verspeist war, machten sich Blaine und Crystal auf den Nachhauseweg und April ging mit Jilly in die KГјche um Darby zu fГјttern. Riley machte sich einen Drink und setzte sich ins Wohnzimmer.

Sie fГјhlte sich immer entspannter. Es war wirklich ein verrГјckter Tag gewesen, doch nun war er vorbei.

Ihr Handy klingelte und sie sah, dass der Anruf aus Atlanta kam.

Riley fühlte einen Ruck durch sich fahren. Konnte das erneut Morgan sein? Wer könnte sie sonst noch aus Atlanta anrufen?

Sie nahm ab und hörte eine Männerstimme sagen: „Agent Paige? Mein Name ist Jared Ruhl und ich bin ein Polizist hier in Atlanta. Ich habe ihre Nummer von der Quantico Telefonzentrale.“

„Was kann ich für Sie tun, Officer Ruhl?“, fragte Riley.

Zaghaft sagte Ruhl: „Nun ja, ich bin mir nicht ganz sicher, aber… ich nehme an, dass Sie die Frau kennen, die wir gestern im Zusammenhang mit dem Mord an Andrew Farrell festgenommen haben. Es handelt sich um seine Ehefrau, Morgan. Ist es nicht sogar so, dass genau Sie angesichts der Sache die Polizei alarmiert hatten?“

Riley wurde nun nervös.

„Ja, das war ich“, sagte sie.

„Ich habe außerdem gehört, dass Morgan Farrell sie direkt nach der Tat angerufen hatte, bevor sie irgendjemand anderen in Kenntnis gesetzt hatte.“

„Das stimmt.“

Eine Stille hing nun in der Leitung. Riley spürte, dass Ruhl mit dem zu kämpfen hatte, was er ihr sagen wollte.

Endlich sagte er: „Agentin Paige, was wissen Sie über Morgan Farrell?“

Riley runzelte besorgt ihre Stirn. Sie sagte: „Officer Ruhl, ich bin mir nicht sicher, dass ich das beantworten sollte. Ich weiß wirklich überhaupt nichts darüber, was dort vorgefallen ist und es ist kein Fall des FBI.“

„Das verstehe ich. Es tut mir leid. Ich hätte wohl nicht anrufen sollen…“

Seine Stimme verstummte.

Dann fügte er hinzu: „Aber Agentin Paige, ich glaube nicht, dass Morgan Farrell es getan hat. Ihren Mann umgebracht, meine ich. Ich bin ziemlich neu bei der Polizei, und ich weiß auch, dass ich noch vieles lernen muss, aber… ich glaube einfach nicht, dass sie der Typ für sowas ist.“

Diese Worte lieГџen Riley innehalten.

Sie konnte sich auf jeden Fall nicht daran erinnern, dass Morgan Farrell der „Typ“ gewesen war, der einen Mord begehen konnte. Aber sie musste jetzt vorsichtig sein mit dem, was sie zu Ruhl sagte. Sie war sich keinesfalls sicher, dass sie dieses Gespräch überhaupt führen sollte.

Sie fragte Ruhl: „Hat sie ein Geständnis abgelegt?“

„Man sagt mir, dass sie das hat. Und alle glauben ihrem Geständnis. Mein Partner, der Polizei Chief, der Bezirksstaatsanwalt – absolut alle. Außer mir. Und ich musste mich einfach fragen, ob Sie…?“

Er beendete seine Frage nicht, aber Riley wusste, wie diese lautete.

Er wollte wissen, ob Riley Morgan einen Mord zutraute.

Langsam und vorsichtig sagte sie: „Officer Ruhl, ich bin Ihnen dankbar für ihren Einsatz. Aber es ist für mich wirklich nicht angemessen zu dieser Sache irgendwelche Spekulationen zu äußern. Ich nehme an, dass es ein örtlicher Fall ist und außer das FBI wird hinzugezogen um bei den Ermittlungen zu helfen, naja…ehrlichgesagt ist es sonst nicht meine Sache.“

„Natürlich, ich entschuldige mich vielmals“, sagte Ruhl höflich. „Ich sollte besser wissen, als sie damit zu belästigen. Vielen Dank jedenfalls, dass sie meinen Anruf entgegengenommen haben. Es wird nicht wieder vorkommen.“

Er beendete den Anruf und Riley saГџ da, zog an ihrem Drink und starrte auf das Telefon.

Die Mädchen liefen an ihr vorbei, dicht gefolgt von dem kleinen Hund. Sie waren auf dem Weg ins Familienzimmer um dort zu spielen und Darby schien sich pudelwohl in ihrem neuen Zuhause zu fühlen.

Riley schaute ihnen mit einem Gefühl tiefer Befriedigung nach. Doch dann begannen Erinnerungen an Morgan Farrell in ihr Gedächtnis zu dringen.

Sie und ihr Partner, Bill Jeffreys, hatten die Farrell Villa aufgesucht um Morgans Ehemann zum Tod seines eigenen Sohnes zu befragen.

Sie konnte sich erinnern, dass Morgan damals so aussah, als wäre sie fast zu schwach um aufrecht zu stehen. Sie hatte sich an das Geländer der breiten Treppe geklammert, ihr Mann ragte währenddessen über ihr, als wäre sie eine Art Trophäe.

Sie konnte sich an den Blick der Frau erinnern, der mit abwesendem Horror gefГјllt war.

Sie konnte sich ebenso daran erinnern, was Andrew Farrell über sie gesagt hatte, sobald sie außer Hörweite war…

„War ein ziemlich bekanntes Model, als ich sie geheiratet habe – vielleicht haben Sie ihr Foto auf den Titelseiten gesehen.“

Was den großen Altersunterschied zwischen ihnen anging, hatte er bemerkt…

„Eine Stiefmutter sollte nie älter sein, als die ältesten Kinder ihres Ehemannes. Ich habe das mit allen meinen Frauen so gehalten.“

Riley lief es nun genau wie damals kalt den RГјcken hinunter.

Morgan war offensichtlich nichts anderes als ein teures Spielzeug für Andrew Farrell gewesen, dass er in der Öffentlichkeit vorzeigen konnte – sie war für ihn überhaupt kein Mensch.

SchlieГџlich erinnerte sich Riley auch daran, was mit Andrew Farrells vorherigen Ehefrau geschehen war.

Sie hatte Selbstmord begangen.

Als Riley Morgan ihre FBI Visitenkarte gegeben hatte, hatte sie sich Sorgen gemacht, dass die Frau ein ähnliches Schicksal erleiden könne – oder dass sie unter mysteriösen Umständen umkommen würde. Das letzte, was sie sich vorstellen konnte war, dass Morgan ihren Ehemann ermorden würde – oder auch sonst irgendjemanden.

Riley begann ein ihr gut bekanntes Kribbeln zu verspüren – die Art des Kribbelns, das sie immer hatte, wenn ihre Instinkte ihr sagten, dass alles nicht so war, wie es schien.

Normalerweise war dieses Kribbeln ein Signal fГјr sie, dass sie die Sache grГјndlicher untersuchen sollte.

Nun jedoch?

Nein, es geht mich wirklich nichts an, sagte sie sich.

Oder tat es das doch?

Während sie die Gedanken in ihrem Kopf umherdrehte, klingelte erneut ihr Handy. Diesmal sah sie, dass der Anruf von Bill war. Sie hatte ihm eher eine SMS geschickt, dass alles gut war und dass sie an diesem Abend bereits zuhause sein würde.

„Hi, Riley“, sagte er, als sie abnahm. „Ich wollte nur sehen, wie’s läuft. Ist also alles gut verlaufen in Phoenix?“

„Danke für den Anruf, Bill“, antwortete sie. „Ja, die Adoption ist nun endgültig abgeschlossen.“

„Ich hoffe, dass alles durchweg langweilig gewesen ist?“, fragte Bill nach.

Riley musste nur lachen.

„Nicht wirklich“, entgegnete sie. „Eigentlich, ganz und gar nicht. Es gab, ähm, Gewalttätigkeit. Und einen Hund.“

Sie hörte wie Bill ebenfalls ein bisschen lachte.

„Gewalttätigkeit und ein Hund? Ich bin gespannt! Erzähl!“

„Das mach ich, sobald wir uns sehen“, sagte Riley. “Es ist eine bessere Story, so von Angesicht zu Angesicht.“

„Ich freu� mich schon drauf. Ich nehme an, dass ich dich dann morgen in Quantico sehe.“

Riley schwieg einen Moment lang, da sie sich auf der Schwelle einer merkwГјrdigen Entscheidung verspГјrte.

Sie sagte zu Bill: „Ich glaube nicht. Ich denke, ich werde mir vielleicht ein paar Tage frei nehmen.“

„Tja, du hast es dir redlich verdient. Herzlichen Glückwunsch, noch einmal.“

Sie beendeten den Anruf und Riley ging hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie schaltete ihren Laptop ein.

Dann buchte sie einen Flug nach Atlanta für den nächsten Morgen.




Kapitel acht


Am nächsten Vormittag saß Riley bereits im Büro des Atlanta Polizei Chiefs, Elmo Stiles. Der große, barsche Mann erschien nicht sonderlich erfreut über das, was Riley ihm erzählt hatte.

Schließlich grummelte er: „Lassen Sie mich ganz ehrlich mit Ihnen sein, Agentin Paige. Sie sind den ganzen Weg hierher aus Quantico gekommen, um privat mit Morgan Farrell zu sprechen, die in Haft wegen dem Mord an ihrem Ehemann ist. Wir haben aber nicht um die Hilfe des FBI gebeten. Der Fall ist nun so gut wie geschlossen. Wir haben ein Geständnis und so weiter. Morgan ist schuldig, und das ist alles. Was ist hier also ihr Anliegen?“

Riley versuchte selbstbewusst zu wirken.

„Ich habe Ihnen bereits erklärt“, führte sie aus, „ich muss über eine komplett andere Sache mit ihr sprechen – einen ganz anderen Fall.“

Stiles runzelte skeptisch die Stirn: „Einen ganz anderen Fall, zu dem Sie mir überhaupt nichts sagen können.“

„Genau“, erwiderte Riley.

Es war natürlich eine Lüge. Zum eintausendsten Mal, seit sie an diesem Morgen DC verlassen hatte, fragte sie sich, was zur Hölle sie hier eigentlich machte. Sie war es gewohnt die Interpretation der Regeln in ihrem eigenen Interesse auszuweiten, doch hier überschritt sie eindeutig die Grenze indem sie vorgab in offiziellem Auftrag des FBI zu kommen.

Wieso um alles in der Welt hatte sie jemals gedacht, dass das eine gute Idee sei?

„Was, wenn ich nein sage?“, fragte Stiles.

Riley wusste genau, dass das die Wahl des Chiefs war, und dass, sollte er sich tatsächlich weigern, sie das zu akzeptieren hatte. Doch das wollte sie nicht sagen. Sie musste sich ernsthaft darauf vorbereiten hier zu bluffen.

Sie sagte: „Chief Stiles, glauben Sie mir, ich wäre nicht hier, wenn es nicht überaus wichtig und dringend wäre. Ich bin einfach nicht befugt Ihnen zu erklären, um was es sich handelt.“

Chief Stiles trommelte einen Moment lang mit den Fingern auf dem Tisch.

Dann sagte er: „Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Agentin Paige.“

Riley zuckte innerlich zusammen.

Das könnte sowohl etwas Gutes wie auch etwas Schlechtes sein, dachte sie.

Sie war wohlbekannt und sehr respektiert in der Justizvollstreckung für ihre scharfen Instinkte, ihre Fähigkeit, die Gedenken eines Mörders zu lesen und ihr Geschick, scheinbar unlösbare Fälle zu lösen.

Sie war jedoch auch bekannt dafür manchmal eine Nervensäge zu sein und eigenwillig zu handeln, sodass die lokalen Behörden, die mit ihr zu tun haben mussten, oft keinen Gefallen an ihr fanden.

Sie wusste nicht, auf welche dieser zwei Charakteristiken Chief Stiles sich gerade berief.

Sie wünschte, dass sie seine Mimik besser deuten könnte, doch er hatte eins dieser Gesichter die wahrscheinlich nie besonders zufrieden aussahen, egal um was es sich handelte.

Was Riley in diesem Moment am meisten fürchtete war, dass Stiles das logischste Vorgehen wählte – den Hörer abnahm und in Quantico anrief, um sich ihre Worte, dass sie in offiziellem Auftrag des FBI hier war, bestätigen zu lassen. Sollte er das tun, so würde sie dort niemand decken. Tatsächlich würde sie dann eine ganze Menge Probleme haben.

Naja, es wäre nicht das erste Mal, dachte sie.

Endlich hörte Chief Stiles auf mit seinen Fingern auf den Tisch zu hämmern und erhob sich aus seinem Bürosessel.

Er grummelte: „Naja, ich will alles andere als dem FBI im Weg stehen. Kommen Sie, ich bringe Sie zu Morgan Farrells Zelle.“

Riley unterdrückte einen erleichterten Seufzer als sie sich erhob und Stiles aus seinem Büro folgte. Als er sie durch die geschäftige Polizeistation führte, fragte Riley sich, ob Jared Ruhl, der Polizist, der sie gestern angerufen hatte, einer der hier Anwesenden war. Aber könnte er wissen, wer sie war?

Riley hoffte, dass das nicht der Fall war, sowohl in seinem, als auch in Ihrem eigenen Interesse.

Sie erinnerte sich, wie sie ihm am Telefon zum Fall von Morgan Farrell gesagt hatte…

„Ehrlichgesagt, es ist nicht meine Sache.“

Das war genau die richtige Antwort ihrerseits gewesen und es war besser fГјr Ruhl, wenn er im Glauben blieb, dass Riley sich an ihre eigene BegrГјndung gehalten hatte. Es wГјrde groГџe Probleme fГјr ihn bedeuten, wenn Chief Stiles herausfinden wГјrde, dass er Anfragen auГџerhalb seines eigenen Polizeireviers gestellt hatte.

Als Stiels sie in den Frauenteil des Gefängnisses führte wurde Riley fast betäubt von dem Lärm, der dort herrschte. Gefangene rüttelten an den Stangen und stritten sich lauthals untereinander. Nun begannen sie Riley anzubrüllen, als sie an ihren Zellen vorbeilief.

Endlich kamen sie an der Zelle, in die Morgan Farrell platziert wurde an und Stiles befahl einem Aufseher, diese aufzuschlieГџen, sodass Riley zu ihr hineinkonnte. Die Frau saГџ auf dem Bett und starrte auf den Boden. Sie schien gar nicht bemerkt zu haben, dass jemand hereingekommen war.

Riley war geschockt darüber, wie sie die Frau vorfand. Sie konnte sich erinnern, dass Morgan bei ihrer letzten Begegnung extrem dünn und zerbrechlich gewirkt hatte. Nun wirkte sie noch ausgemergelter in ihrer orangenen Gefängnisuniform, die viel zu groß für sie ausfiel.

Sie wirkte auch zutiefst erschöpft. Das letzte Mal, das Riley sie gesehen hatte, war sie in vollem Makeup gewesen und angezogen, wie das Modell, dass sie einst gewesen war, bevor sie Andrew Farrell geheiratet hatte. Ohne Makeup sah sie überraschend heimatlos und verloren aus. Riley dachte sich, dass jemand, der sie nicht kannte, sie leicht für eine Obdachlose hätte halten können.

In einem sehr höflichen Ton sagte Chief Stiles zu Morgan: „Ma’am, sie haben Besuch. Es ist Spezialagentin Riley Paige vom FBI.“

Morgan schaute zu Riley auf und starrte sie an, so als wäre sie sich nicht sicher, ob sie nicht träumte. Chief Stiles wandte sich dann zu Riley und sagte: „Kommen Sie nochmal vorbei, wenn Sie hier fertig sind.“

Stiles verließ die Zelle und wies den Aufseher an, die Tür hinter sich zu schließen. Riley schaute sich um, um zu sehen, welche Art von Überwachung die Zelle hatte. Sie war nicht überrascht, eine Kamera zu entdecken. Sie hoffte, dass es nicht außerdem noch Audioaufnahmegeräte gab. Das letzte was sie jetzt wollte war für Stiles oder sonst jemanden ihr Gespräch mit Morgan Farrell mit anhören zu können. Doch nun, wo sie schon hier war, musste sie das Risiko eingehen.

Als Rileys sich neben sie auf das Bett niederließ, schaute sie Morgan weiterhin nahezu ungläubig an.

Mit einer müden Stimme sagte sie: „Agentin Paige. Ich hatte Sie nicht erwartet. Es ist sehr freundlich von Ihnen mich hier zu besuchen, aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen.“

Riley sagte: „Ich wollte nur…“

Ihre Stimme verstummte, als sie sich selbst fragen musste…

Was will ich denn genau?

Hatte sie wirklich eine klare Vorstellung von dem, was sie hier eigentlich vorhatte?

Endlich sagte Riley: „Könnten Sie mir erzählen, was geschehen ist?“

Morgan seufzte tief.

„Es gibt nicht viel zu erzählen, oder? Ich habe meinen Ehemann ermordet. Es tut mir leid, dass ich das getan habe, glauben Sie mir. Aber nun, wo es vollbracht ist…naja, ich würde jetzt wirklich gerne nach Hause gehen.“

Riley war geschockt von ihren Worten. Begriff die Frau nicht, in was fГјr einer schrecklichen Situation sie sich befand?

Wusste sie nicht, dass Georgia ein Staat mit Todesstrafe war?

Morgan schien Probleme damit zu haben, ihren Kopf hochzuhalten. Sie zuckte zusammen, als eine Frau in einer der Nachbarzellen schrill aufschrie.

Sie sagte: „Ich dachte, dass ich ein wenig Schlaf hier im Gefängnis bekommen würde. Aber hören Sie sich diesen Lärm an! Es geht immer weiter so, vierundzwanzig Stunden am Tag.“

Riley schaute in das erschöpfte Gesicht der Frau.

Sie fragte: „Sie haben nicht viel Schlaf bekommen, oder? Vielleicht schon seit langer Zeit?“

Morgan schГјttelte den Kopf.

„Schon seit zwei oder drei Wochen – sogar bevor ich hierherkam. Andrew ist in eine seiner sadistischen Launen geraten und beschloss, mich nicht in Ruhe zu lassen oder mich schlafen zu lassen, Tag und Nacht. Es ist einfach für ihn…“

Sie hielt inne, offensichtlich hatte sie ihren Fehler bemerkt, und sagte dann: „Es war einfach für ihn. Er hatte einen komischen Stoffwechsel, so einen den einige leistungsstarke Männer haben. Er konnte mit bloß drei oder vier Stunden Schlaf am Tag auskommen. Und in letzter Zeit war ich viel zuhause. Also stellte er mir überall im Haus nach, ließ mir keine Privatsphäre, kam zu jeder Stunde in mein Schlafzimmer und zwang mich…zu allen möglichen Sachen…“

Riley überkam eine leichte Übelkeit bei dem Gedanken daran, was diese ungesagten „Sachen“ sein konnten. Sie war sich sicher, dass Andrew Morgan sexuell gepeinigt hatte.

Morgan zuckte mit den Schultern.

„Ich nehme an, dass mir endlich der Kragen geplatzt ist“, sagte sie. „Und ich habe ihn umgebracht. Von dem, was man mir erzählt hat, habe ich gute zwölf oder dreizehn Mal auf ihn eingestochen.“

„Von dem, was man Ihnen erzählt hat?“, fragte Riley nach. „Können Sie sich nicht daran erinnern?“

Morgan stöhnte leise und verzweifelt.

„Müssen wir vertiefen, an was ich mich erinnern kann und an was nicht? Ich habe getrunken und Pillen genommen bevor es passierte und es ist alles wie in einem Nebel. Die Polizei hat mich verhört bis ich nicht mehr wusste, wo oben und wo unten ist, und wie mir geschah. Wenn Sie sich für die Einzelheiten interessieren, ich bin mir sicher, dass sie Sie mein Geständnis lesen lassen.“

Riley fГјhlte ein komisches Kribbeln bei diesen Worten. Sie war sich noch nicht sicher, wieso.

„Ich wünschte wirklich sehr, dass Sie es mir erzählen könnten“, sagte Riley.

Morgan runzelte die Stirn und dachte einen Moment lang nach.

Dann sagte sie: „Ich glaube, dass ich beschlossen hatte… dass ich etwas tun musste. Ich hatte gewartet, bis er in dieser Nacht auf sein Zimmer geht. Selbst dann war ich nicht sicher gewesen, dass er bereits schlief. Ich klopfte leicht an seiner Tür und er antwortete nicht. Ich öffnete die Tür und schaute hinein, und dort war er, tief schlafend.“

Sie schien nun angestrengter zu Гјberlegen.

„Ich nehme an, dass ich mich umgesehen hatte nach etwas, womit ich es hätte tun können – ihn umbringen, meine ich. Ich nehme an, dass ich nichts Passendes vorfand. Also, nehme ich an, bin ich hinunter in die Küche und habe ein Messer genommen. Dann bin ich wieder hinaufgestiegen und – naja, ich nehme an, dass ich es mit dem Stechen ein bisschen übertrieben habe, denn ich hatte danach überall Blut hingemacht und auch mich selbst befleckt.“

Riley bemerkte, wie oft sie diese Worte wiederholte…

„Ich nehme an.“

Dann lieГџ Morgan einen genervten Seufzer aus.

„Was für eine Schweinerei das war! Ich hoffe sehr, dass die Bediensteten es mittlerweile wieder alles aufgeräumt haben. Ich habe es selbst versucht, aber natürlich bin ich in solchen Sachen selbst unter den besten Umständen absolut unfähig.“

Dann holte Morgan langsam und tief Luft.

„Und dann habe ich Sie angerufen. Und Sie haben sie Polizei gerufen. Danke, dass Sie das alles für mich veranlasst haben.“

Dann lächelte sie Riley merkwürdig an und fügte hinzu: „Und vielen Dank noch einmal, dass Sie mich besuchen. Es ist wirklich sehr lieb von Ihnen. Ich verstehe jedoch immer noch nicht, worum es sich handelt.“

Riley war zunehmend besorgt Гјber Morgans Beschreibung ihrer eigenen Handlungen.

Irgendwas stimmt hier nicht, dachte sie.

Riley hielt einen Moment lang inne und überlegte, dann fragte sie…

„Morgan, was für ein Messer haben sie verwendet?“

Morgan runzelte ihre Stirn.

„Irgendein Messer, nehme ich an“, sagte sie. “Ich weiß nicht besonders viel über Küchenutensilien. Ich glaube, dass die Polizei gesagt hatte, dass es ein Tranchiermesser war. Es war lang und scharf.“

Riley war immer verunsicherter dadurch, wie viele Dinge Morgan nicht wusste oder unsicher war.

Was Riley selbst anging, so kochte sie mittlerweile nicht mehr sehr oft für ihre Familie, dennoch wusste sie genau, was sich in ihrer Küche befand, und wo es aufzufinden war. Alles war an seinem genauen Platz, besonders seit Gabriela die Leitung der Küche übernommen hatte. Ihr eigenes Tranchiermesser wurde zusammen mit anderen scharfen Messern in einem hölzernen Messerblock aufbewahrt.

Riley fragte: „Wo genau haben Sie das Messer hergenommen?“

Morgan lachte angespannt.

„Habe ich das nicht gerade gesagt? Aus der Küche.“

„Nein, ich meine, von welchem Ort in der Küche?“

Morgans Augen trГјbten sich.

„Wieso fragen Sie mich all das?“, sagte sie in einer leisen, flehenden Stimme.

„Können Sie es mir nicht sagen?“, hakte Riley mit sanftem Nachdruck nach.

Morgan sah nun zunehmend verstört aus.

„Wieso stellen Sie mir all diese Fragen? Wie ich Ihnen bereits sagte, es ist alles in meinem Geständnis. Sie können es sich durchlesen, wenn Sie es noch nicht getan haben. Wirklich, Agentin Paige, das ist nicht nett von Ihnen. Und ich würde gerne wissen, was Sie hier tun. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nicht bloße Freundlichkeit ist.“

Morgans Stimme bebte mit einer stillen Wut. „Ich musste bereits allerlei Fragen beantworten – mehr, als ich zählen kann. Ich verdiene nicht, noch mehr davon beantworten zu müssen, und ich kann nicht sagen, dass es mir gefallen hat.“

Sie erhob sich und sprach: „Ich habe getan, was getan werden musste. Mimi, seine Frau vor mir, sie hat Selbstmord begangen, wissen Sie? Es war überall in den Nachrichten. Und auch sein Sohn. All seine restlichen Frauen, ich weiß nicht einmal, wie viele es gewesen sind, haben einfach ausgeharrt und gelitten, bis sie ein paar Fältchen bekommen haben und er beschloss, dass sie nicht mehr gut genug waren um sie vorzeigen zu können. Also wurde er sie los. Welche Frau duldet sowas? Welche Frau denkt, dass sie das verdient?“

Dann fügte sie mit einem tiefen Knurren hinzu…

„Ich bin nicht so eine Frau. Und ich denke, dass Andrew das nun weiß.“

Dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder von Verwirrung getrГјbt.

„Das alles gefällt mir nicht“, flüsterte sie. „Ich denke, dass Sie jetzt besser gehen.“

„Morgan —“

„Ich sagte, dass ich möchte, dass Sie jetzt gehen.“

„Wer ist Ihr Anwalt? Hat Sie ein Psychiater begutachtet?“

Morgan schrie nun beinahe: “Ich meine es Ernst. Gehen Sie!“

Riley wünschte, dass sie noch viele weitere Fragen stellen könnte, aber sie sah, dass es keinen Sinn hatte. Sie rief nach einem Aufseher, der sie aus der Zelle ließ. Dann fand sie zurück zu Chief Stiles� Büro und schaute durch die offene Tür hinein.

Stiles schaute von seinem Schreibtisch mit einer verdächtigenden Miene auf.

„Haben Sie alles herausgefunden, was Sie wissen wollten?“, fragte er Riley.

Einen Moment lang wusste Riley nicht, was sie sagen sollte.

Sie war versucht zu antworten…

„Nein, und ich werde wiederkommen müssen um noch einmal mit ihr zu reden.“

Doch das könnte Stiles� Skeptizismus an den Rand treiben und er würde dann womöglich doch in Quantico anrufen.

Stattdessen antwortete sie…

„Danke für Ihre Mitarbeit, Sir. Ich werde selbst hinausfinden.“

Als sie sich den Weg aus der Polizeistation bahnte, dachte sie an die merkwürdige Unterhaltung, die sie eben mit Morgan über das Messer gehabt hatte und wie defensiv die Frau geworden war…

„Wieso stellen Sie mir all diese Fragen?“

Riley war sich in einem sicher. Morgan hatte nicht die geringste Ahnung, wo das Messer in der Küche aufbewahrt wurde. Und wenn sie danach hätte suchen müssen, dann hätte sie Riley genau sagen können, wo sie es gefunden hatte.

Sie erinnerte sich außerdem daran, was Morgan ihr damals am Telefon gesagt hatte…

„Das Messer ist gleich hier neben ihm.“

In dem Moment hatte Morgan sicherlich nicht gewusst, wo das Messer hergekommen war.

Sie ist unschuldig, begriff Riley, als sie in ihren Mietwagen stieg.

Ihr BauchgefГјhl lieГџ keine Zweifel, auch wenn Morgan selbst es nicht glaubte.

Und niemand anders wГјrde ihre Schuld anzweifeln. Sie waren alle froh, sich der Sache entledigt zu haben.

Es lag an Riley die Dinge gerade zu rГјcken.




Kapitel neun


Als sie einen Schluck Kaffee nahm, fragte Riley sich…

Was tue ich nun?

In ihrem Kopf drängten sich zu viele Fragen, und sie war in ein Fast Food Restaurant gefahren und hatte einen Burger und Kaffee bestellt. Sie hatte ein ruhiges Plätzchen, etwas entfernt von den anderen Kunden gefunden, um über ihre nächsten Schritte nachdenken zu können.

Riley war es gewohnt die Regeln zu brechen und unter komischen Umständen zu arbeiten. Aber diese Situation war selbst für sie neu. Das hier war Neuland.

Sie wünschte, dass sie Bill anrufen könnte, der seit vielen Jahren schon ihr Arbeitspartner war. Oder dass sie die Sache mit Jenn Roston besprechen könnte, der jungen Agentin, mit der sie an den letzten Fällen auch zusammengearbeitet hatte. Aber das würde bedeuten sie in eine Sache hineinzuziehen, an der selbst sie eigentlich nicht arbeiten durfte.

Konnte Sie hier vor Ort mit irgendjemandem sprechen?

Chief Stiles kann ich natГјrlich nichts fragen, dachte sich Riley.

Natürlich gab es einige andere Leute, an die sie sich in unkonventionellen Situationen ab und zu wandte. Einer war Mike Nevins, ein Gerichtspsychologe aus DC, der als unabhängiger Berater an einigen FBI Fällen mitarbeitete. Riley hatte Mike in vielen Fällen um Hilfe gebeten, inklusive einiger solcher, die sie nicht gerade streng nach Vorschrift geführt hatte. Er hatte ihr und auch Bill außerdem schon durch Episoden von posttraumatischer Belastungsstörung geholfen. Mike war immer diskret gewesen und er war ein guter Freund.

Sie öffnete ihren Laptop, steckte ihre Kopfhörer ins Ohr und öffnete das Videochat Programm, durch das sie Mikes Büro anrief. Dieser tauchte sofort auf ihrem Bildschirm auf – ein adretter, penibel-erscheinender Mann in teuren Hemd und Weste.

„Riley Paige!“, rief Mike in einem geschmeidigen und beruhigenden Bariton aus. „Wie schön dich zu sehen. Es ist schon eine Weile her. Wie kann ich dir behilflich sein?“

Riley freute sich, sein Gesicht zu sehen. Doch plötzlich fragte sie sich…

Wie kann er mir helfen?

Was sollte sie ihm erzählen?

„Mike, was kannst du mir über falsche Geständnisse erzählen?“, fragte sie.

Mike neigte neugierig den Kopf.

„Ähm – könntest du vielleicht ein bisschen genauer sein?“, fragte er.

„Ich meine nicht diejenigen, die nach einem Mord einfach aufkreuzen und die Tat gestehen, wegen der öffentlichen Anerkennung und so. Ich meine solche, die wirklich glauben, dass sie es getan haben.“

„Hast du einen spannenden neuen Fall?“

Riley hielt inne und Mike kicherte.

„Oh, weh“, sagte er. „Du machst wieder alles auf eigene Faust, nicht wahr?“

Riley lachte nervös.

„Ich fürchte schon, Mike“, erwiderte sie.

„Brichst du dieses Mal tatsächlich das Gesetz?“




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