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Sackgasse
Blake Pierce


„Ein Meisterwerk der Spannung! Blake Pierce ist es auf hervorragende Weise gelungen, Charaktere mit einer psychologischen Seite zu entwickeln, die so gut beschrieben sind, dass wir uns in ihren Köpfen fühlen, ihren Ängsten folgen und ihren Erfolg bejubeln. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten.“ – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu VERSCHWUNDEN)

SACKGASSE (Ein Chloe Fine Psycho-Thriller) ist Buch #3 einer neuen spannenden Buchreihe des Bestsellerautors Blake Pierce, dessen #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (ein kostenloser Download) Гјber 1.000 FГјnf-Sterne-Bewertungen erhalten hat.

FBI ViCAP Spezialagentin Chloe Fine, 27, muss in eine vorstädtische Welt aus Cliquen, Klatsch und Lügen eintauchen, als sie zur Stelle eilt, um den Mord an einer scheinbar perfekten Ehefrau und Mutter in der Nacht ihres 20. Klassentreffens aufzuklären.

Alte High-School-Freunde, inzwischen Ende 30, sind in die gleiche Vorstadt zurückgekehrt, um ihre Kinder großzuziehen und haben dieselben Cliquen wieder aufleben lassen, die sie bereits vor 20 Jahren vereinigt und gespalten haben. Als ihr 20. High-School Klassentreffen alte Erinnerungen, Missgunst, Verrat und Geheimnisse zurückbringt, verursacht es eine Generation später erneuten Schmerz. In derselben Nacht wird ihre ehemalige Ballkönigin ermordet in ihrem Haus aufgefunden. In dieser scheinbar perfekten, gepflegten Stadt verfolgt die Vergangenheit die Gegenwart – und absolut jeder ist ein Verdächtiger. Kann Chloe Fine den Mord aufklären – während sie mit den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit ringt und der möglichen Entlassung ihres eigenen Vaters aus dem Gefängnis entgegensieht?SACKGASSE, Buch #3 in einer fesselnden neuen Serie, ist ein emotionaler psychologischer Thriller mit vielschichtigen Charakteren, kleinstädtischem Flair und atemberaubender Spannung, der Sie bis tief in die Nacht hinein an die Seiten fesseln wird.

Buch #4 der Chloe Fine Thriller Serie wird in Kürze erhältlich sein.





Blake Pierce

Sackgasse



Copyright © 2018 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Deutsche Übersetzung: Franziska Humphrey. Außer wie im US Copyright Act von 1976 erlaubt, darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses E-Book darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte eine zusätzliche Kopie für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht für Sie gekauft wurde, senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dieses Werk ist Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle sind entweder das Produkt der Phantasie des Autors oder werden fiktional verwendet. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist völlig zufällig. Copyright Umschlagfoto: robsonphoto, unter Lizenz von Shutterstock.com.



Blake Pierce

Blake Pierce ist der Autor der meistverkauften RILEY PAGE Krimi-Serie, die vierzehn BГјcher umfasst (und weitere in Arbeit). Blake Pierce ist ebenfalls der Autor der MACKENZIE WHITE Krimi-Serie, die elf BГјcher umfasst (und weitere in Arbeit); der AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus sechs BГјchern; der KERI LOCKE Mystery-Serie, bestehend aus fГјnf BГјchern; der Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, bestehend aus vier BГјchern (und weitere in Arbeit); der KATE WISE Mystery-Serie, bestehend aus fГјnf BГјchern (und weitere in Arbeit); der spannenden CHLOE FINE Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus vier BГјchern (und weitere in Arbeit); und der spannenden JESSE HUNT Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus vier BГјchern (und weitere in Arbeit).

Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von seinen Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com/), um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.


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DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

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NEBENAN (Band #1)

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SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)



KATE WISE MYSTERY SERIE

WENN SIE WГњSSTE (Band #1)

WENN SIE SГ„HE (Band #2)



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BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

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RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

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GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ГњBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FГњHLT (Band #6)

EHE ER SГњNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLГњNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)



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DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRГњNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON SCHWГ„CHE (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5)




PROLOG


An einem Montagnachmittag kurz nach dreizehn Uhr fuhr Jerry Hilyard seinen Mercedes Benz in seine Einfahrt und lächelte breit. Es gab nichts Besseres, als sein eigenes Business zu besitzen und reich genug zu sein, um Feierabend zu machen, wann immer man wollte.

Jerry freute sich auf das überraschte Gesicht seiner Frau, wenn er ihr sagen würde, dass er sie zu einem Überraschungsmittagessen einlud. Eigentlich hatte er ein Brunch geplant, aber er wusste, dass Lauren noch immer mit einem Kater von der letzten Nacht zu kämpfen haben würde. Sie war viel zu lange unterwegs gewesen, weil sie sich, aus Gründen, die ihm noch immer unverständlich waren, dazu entschieden hatte, zu ihrem zwanzigjährigen High-School Klassentreffen zu gehen. Gegen Mittag sollte sie nun weniger launisch sein – und sich vielleicht sogar zu ein oder zwei Bloody Marys mit ihm überreden lassen.

Er lächelte bei dem Gedanken an die guten Neuigkeiten, die er mit ihr teilen würde: er plante einen zweiwöchigen Urlaub nach Griechenland. Nur für sie und ihn, ohne die Kinder. Sie würden nächsten Monat abreisen.

Jerry ging mit seinem Aktenkoffer in der Hand zur Haustür und war voller Vorfreude, was der Nachmittag bringen würde. Die Tür war abgeschlossen, was nicht ungewöhnlich war. Sie war nie eine vertrauensselige Frau gewesen, noch nicht einmal in einer Nachbarschaft, die so gehoben war wie ihre.

Als er die Haustür aufschloss und sich auf den Weg in die Küche machte, um sich ein Glas Wein einzuschenken, bemerkte er, dass er den Fernseher im Schlafzimmer nicht hören konnte. Das Haus war genauso still, wie er es verlassen hatte. Vielleicht war ihr Kater noch immer nicht vorüber.

Er fragte sich, wie das Klassentreffen am Vorabend wohl gelaufen war. Sie hatte am Morgen nicht wirklich darüber gesprochen. Er war im gleichen Abschlussjahr gewesen, aber er verabscheute gefühlsduseligen Quatsch wie High-School Klassentreffen. Der einzige Grund für diese Treffen war es, Klassenkameraden eine Ausrede dafür zu liefern, zehn bis zwanzig Jahre später zusammenzukommen, um zu sehen, wer besser dran war als die anderen. Aber nachdem Laurens Freunde sie überzeugt hatten mitzukommen, war sie fast aufgeregt gewesen, zum Treffen zu gehen und einige ihrer alten Klassenkameraden wiederzusehen. Oder zumindest schien es so. Dem konsumierten Alkohol nach zu urteilen, schien es eine rundum wilde Nacht gewesen zu sein.

All diese Gedanken gingen Jerry durch den Kopf, als er sich auf den Weg durch den Flur im Obergeschoss zu ihrem Schlafzimmer machte. Als er sich der Tür jedoch näherte, hielt er inne.

Es war sehr still.

Sicher, dies war zu erwarten, wenn Lauren tatsächlich gerade ein Nickerchen hielt und Netflix nicht eingeschaltet hatte, um sich dem exzessiven Dauerfernsehen hinzugeben und die Serie zu Ende zu schauen, die diese Woche gerade in Mode war. Aber dies war eine andere Art von Stille … der völlige Mangel an Geräuschen oder Bewegungen erschien fehl am Platz. Es war wie eine Stille, die er hören konnte – eine Stille, die er geradezu fühlen konnte.

Etwas stimmt hier nicht, dachte er.

Es war ein angsteinflößender Gedanke, aber er ging dennoch schnell zur Tür. Er musste wissen, was los war, musste sicherstellen …

Sicherstellen, dass was?!

Alles, was er zunächst sehen konnte, war rot. Auf den Laken, an den Wänden, ein Rot so dick und dunkel, dass es an manchen Stellen fast schwarz erschien.

Ein Schrei entkam seinen Lungen und entwich aus seinem Mund. Er wusste nicht, ob er zu ihr rennen sollte oder hinunter ins Erdgeschoss zum Telefon.

Schlussendlich tat er nichts dergleichen. Seine Beine gaben nach und das Gewicht seiner herzzerreißenden Schreie riss ihn zu Boden, wo er mit seinen Fäusten hämmerte. Wo er versuchte, einen Sinn aus der grausamen Szene vor ihm zu machen.




KAPITEL EINS


Chloe konzentrierte sich, schaute mit zusammengekniffenen Augen durch das Visier und schoss.

Der RГјckstoГџ war sanft, der Schuss leicht und fГјhlte sich fast friedlich an. Sie nahm einen tiefen Atemzug und schoss ein zweites Mal. Es fiel ihr leicht; fГјhlte sich inzwischen natГјrlich an.

Sie konnte das Ziel auf der anderen Seite der Halle nicht sehen, aber sie wusste, dass sie zwei gute Schüsse abgefeuert hatte. Sie hatte in letzter Zeit ein gutes Gespür dafür bekommen. Es war eins dieser Dinge, woran sie erkannte, dass sie in ihre Position als Agentin hineingewachsen war. Sie fühlte sich im Umgang mit der Waffe um einiges sicherer. Der Schaft und Abzug waren so vertraut wie ihre eigenen Hände, wenn sie sich richtig darauf einlassen konnte. In der Vergangenheit hatte sie den Schießstand nur als Lehrraum genutzt, um sich zu verbessern und ihre Fähigkeiten zu verfeinern. Aber jetzt begann sie, es zu genießen. Es gab ihr ein Freiheitsgefühl, eine sonderbare Erlösung beim Schießen, sei es auch nur auf eine Papierzielscheibe.

Und bei Gott, sie brauchte dieses GefГјhl in der letzten Zeit.

Es waren zwei langweilige Wochen gewesen – in denen Chloe nicht mehr zu tun gehabt hatte, als anderen bei Papierkram und Recherchearbeiten zu helfen. Beinahe wäre sie dazu herangezogen worden, einem der Teams bei einem unbedeutenden Hacker-Fall zu helfen, und sie war viel zu begeistert darüber gewesen. Dies zeigte ihr jedoch nur, wie ruhig die letzte Zeit in ihrer Abteilung für sie gewesen war.

Und deshalb kam sie nun zum Schießstand. Dies war nicht unbedingt die ideale Weise, ihre Zeit zu verbringen, aber sie wusste, dass sie Übung brauchte. Während sie unter den Besten in ihrer Klasse an der Akademie gewesen war, hatte ihr ihre Versetzung vom Team für Beweissicherung zum Programm gegen Gewaltkriminalität jedoch auch klar gemacht, dass sie nie zu scharfsinnig oder zu vorbereitet sein konnte.

Während sie ein paar weitere Schüsse auf die Zielscheibe in etwa fünfundvierzig Metern Entfernung abfeuerte, verstand sie, wieso sich viele Leute zum Schießen hingezogen fühlten.

Man war ganz allein – nur man selbst, die Waffe und das Ziel im Visier. Es hatte etwas sehr Entspanntes – der Fokus und die Intention dahinter. Und dann kam das Geräusch. Ein „Peng“ des Schusses im Raum. Die eine Sache, die Chloe schon immer von ihren Ausflügen zum Schießstand mitgenommen hatte, war, wie fließend die Beziehung zwischen der Schusswaffe und dem menschlichen Körper sein konnte. Wenn sie sich darauf konzentrierte, fühlte sich ihre Glock wie eine einfache Verlängerung ihres Armes an, etwas, das sie mit ihren Gedanken auf die gleiche Weise kontrollieren konnte, wie sie ihre eigenen Finger oder ihren Arm kontrollierte. Dies war ein belehrendes Beispiel dafür, dass ihre Waffe, nur wenn unbedingt nötig, eingesetzt werden sollte, denn wenn man in ihrem Umgang geübt war, konnte es sich schon fast zu natürlich anfühlen, abzudrücken.

Als ihre Zeit im Schießstand abgelaufen war, sammelte sie die Zielscheiben ein und zählte nach. Sie war überrascht, wie viele Volltreffer sie genau in der Mitte des Zieles getroffen hatte, fand allerdings auch ein paar Nachzügler, die nur gerade so den Rand der Scheibe getroffen hatten.

Sie machte ein paar Fotos mit ihrem Handy und schrieb ein paar Notizen auf, um für das nächste Mal einen Anhaltspunkt zur Verbesserung zu haben. Dann warf sie die Papierzielscheiben in den Müll und machte sich auf den Weg aus dem Gebäude. Auf dem Weg aus der Halle kam ihr ein weiterer vermutlicher Grund in den Sinn, weshalb viele hier gerne Zeit verbrachten. Das Gefühl mehrerer Rückprallstöße in ihren Fingern und Handgelenken war ein ganz besonderes, geradezu eigenartiges und dennoch ein angenehmes Gefühl, welches sie nicht beschreiben konnte.

Auf dem Weg durch die Eingangshalle sah sie ein bekanntes Gesicht durch die Tür kommen. Es war Kyle Moulton, der Mann, der ihr als Partner zugewiesen worden war, von dem sie allerdings in letzter Zeit aufgrund der wenigen zu behandelnden Fälle sehr wenig gesehen hatte. Sie fühlte sich wie ein panisches Schulmädchen, als Moulton ihr ein Lächeln schenkte, während sich die Tür zur Halle hinter ihr schloss.

„Agentin Fine“ sagte er mit einem fast schon sarkastischen Unterton.

Die beiden kannten sich gut genug, um den Titel Agentin wegzulassen und sich einfach beim Vornamen zu grГјГџen. Um ehrlich zu sein, hatte Chloe das sichere GefГјhl, dass eine romantische Spannung zwischen ihnen brodelte.

Sie hatte es von ihrer Seite aus sofort gespürt, von dem Moment an, als die beiden sich das erste Mal getroffen hatten, bis hin zu dem Moment vor drei Monaten, wo sie zum ersten Mal einen Fall zusammen gelöst hatten.

„Agent Moulton“, sagte sie höflich.

„Sind Sie zum Dampf ablassen hier oder nur als Zeitvertreib?“, fragte er.

„Ein bisschen von beidem“, sagte sie. „Ich fühle mich etwas unausgelastet in letzter Zeit, wissen Sie?“

„Ich verstehe. Papierkram allein ist für mich auch nicht das Wahre. Aber nun ja … ich wusste nicht, dass Sie in den Schießstand kommen.“

„Ich möchte am Ball bleiben.“

„Aha“, sagte er lächelnd.

Die Stille, die sich zwischen den beiden ausbreitete, war die Typische, an die Chloe sich zu gewöhnen schien. Sie hasste es, eingebildet zu sein, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er die Spannung genauso spüren konnte wie sie selbst. Man konnte es in jedem Blick sehen, den die beiden sich zuwarfen und daran, dass Moulton ihr nicht für länger als drei Sekunden in die Augen schauen konnte – so wie genau jetzt, in diesem Moment, während sie im Türrahmen des Schießstandes standen.

„Ähm… sehen Sie“, sagte Moulton, „das klingt jetzt vielleicht dumm und auch etwas waghalsig, aber ich habe mich gefragt, ob Sie heute Abend eventuell gerne mit mir zu Abend essen würden. Einfach so, … nicht als Arbeitskollegen.“

Chloe konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie wollte gerne etwas Freches und Sarkastisches antworten. Vielleicht ein Klischee wie „Das wurde aber auch mal Zeit“ oder so ähnlich.

Stattdessen entschied sie sich für ein sicheres und ehrliches „Ja, das würde ich sehr gerne.“

„Um ehrlich zu sein, wollte ich Sie das schon länger fragen… aber wir waren immer so beschäftigt. Und die letzten paar Wochen waren genau das Gegenteil davon.“

„Ich freue mich, dass Sie sich entschieden haben, mich zu fragen.“

Die Stille umhГјllte sie wieder, aber diesmal konnte er ihren Augenkontakt halten, ohne sofort wegzuschauen. FГјr einen Moment war sie sich ziemlich sicher, er wГјrde sie kГјssen. Aber der Moment verging und er deutete mit einem Nicken zur TГјr.

„Ich werde wohl besser mal loslegen“, sagte er. „Rufen Sie mich später an und lassen Sie mich wissen, wo Sie gerne zu Abend essen würden.“

„Das werde ich.“

Sie blieb für einen Moment stehen und schaute ihm hinterher, als er den Schießstand betrat. Dieser Anfang zu einer Art Beziehung zwischen den beiden war sehr unbeholfen. Sie fühlte sich wie ein vorpubertäres Mädchen beim Abschlusstanz, das gerade erfahren hatte, dass der süße Junge dort drüben ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie fühlte sich unheimlich naiv und jung also entschied sie sich, so schnell wie möglich zu gehen.

Es war fast fünf Uhr nachmittags und da sie nichts Weiteres eingeplant hatte, entschied sie sich, einfach nach Hause zu fahren. Es lohnte sich nicht, für die letzten fünfzehn Minuten noch einmal zurück ins Büro zu gehen, nur um dort die Zeit abzusitzen. Sie realisierte, dass ihr nicht viel Zeit blieb, um sich auf ihr Abendessen mit Moulton vorzubereiten. Sie wusste nicht genau, wann er sich gerne mit ihr treffen wollte, aber sie vermutete, dass sieben Uhr eine gute Zeit zum Essen sei – was ihr also etwa zwei Stunden gab, um zu entscheiden, wo sie gerne essen würde und vor allem, was sie anziehen sollte.

Sie eilte zum Parkhaus und stieg in ihr Auto. Hier angekommen, verfiel sie erneut in einen aufgeregten Teenager-Modus. Was, wenn sie aus irgendeinem Grund in ihrem Auto landeten. Es war ziemlich schmutzig – wenn man bedachte, dass sie es nicht gesäubert hatte, seit sie sich von Steven getrennt hatte. Und während sie so an Steven dachte, wurde ihr klar, dass genau das der Grund war, weshalb es sich für sie so unangenehm anfühlte, sich wieder in die Dating-Welt zu begeben. Vor Steven war sie in nur einer weiteren Langzeitbeziehung gewesen und war dann für vier Jahre mit Steven ausgegangen, bevor sie sich verlobten. Sie war so überhaupt nicht an die Dating-Szene gewöhnt und der Gedanke daran fühlte sich etwas altmodisch an. Und um ehrlich zu sein, ein bisschen beängstigend.

Sie versuchte ihr Bestes, sich auf der fünfzehnminütigen Heimfahrt zu ihrer Wohnung zu beruhigen. Sie hatte keine Ahnung was Kyle Moultons Geschichte mit Frauen war. Es könnte ja sein, dass er genauso rostig und aus der Übung war wie sie selbst. Seinem Aussehen zufolge bezweifelte sie dies allerdings. Um ehrlich zu sein, wenn sie sich nur auf sein Aussehen beschränkte, dann hatte sie keine Ahnung, weshalb er überhaupt Interesse an ihr zeigte.

Vielleicht steht er auf Frauen mit einer kaputten Vergangenheit, die eine Tendenz dazu haben, sich voll und ganz in ihre Arbeit zu stürzen, dachte sie. Männer finden das heutzutage sexy, oder?

Als sie in ihre Straße einbog, war sie schon deutlich entspannter. Ihre Angst verwandelte sich langsam in eine positive Aufregung. Sieben Monate waren vergangen, seitdem sie sich von Steven getrennt hatte. Das waren also sieben Monate, ohne einen Mann geküsst zu haben, ohne Sex, ohne…

ГњberstГјrzen wir mal nichts, sagte sie zu sich selbst, als sie ihr Auto am Ende des Blocks einparkte.

Sie stieg aus und ging mental schon einmal die Dinge in ihrem Kleiderschrank durch, die nett aber nicht zu nett aussehen würden. Sie hatte ein paar Ideen, was sie tragen könnte und ebenfalls, wo sie zum Essen hingehen könnten, da sie in letzter Zeit große Lust auf japanisches Essen gehabt hatte. Tatsächlich wäre Sushi genau passend und—

Als sie sich ihrem Hauseingang näherte, bemerkte sie einen Mann, der auf der Treppe saß. Er sah ziemlich gelangweilt aus. Sein Kopf lehnte in seiner aufgestützten Hand, während er mit der anderen etwas in seinem Handy suchte.

Chloe wurde langsamer und blieb schlieГџlich ganz stehen. Sie kannte diesen Mann. Aber er konnte auf keinen Fall hier sein und auf den Eingangsstufen zu ihrem Wohnhaus sitzen.

Unmöglich …

Sie trat einen weiteren langsamen Schritt vorwärts. Der Mann bemerkte sie schließlich und schaute zu ihr auf. Ihre Augen trafen sich und in diesem Moment lief Chloe ein kalter Schauder über den Rücken.

Der Mann auf der Treppe war Aiden Fine – ihr Vater.




KAPITEL ZWEI


„Hey Chloe.“

Er versuchte, normal zu klingen. Er probierte, so zu tun, als wäre es völlig normal für ihn, einfach so auf ihrer Türschwelle zu erscheinen. So als bedeute die Tatsache nichts, dass er gerade für fünfundzwanzig Jahre im Gefängnis gewesen war, weil er bei der Ermordung ihrer Mutter eine Hand im Spiel gehabt hatte. Sicher, jüngste Geschehnisse, die sie selbst enthüllt hatte, zeigten, dass er höchstwahrscheinlich unschuldig war, aber für Chloe stand fest, dass dieser Mann für immer schuldig sein würde.

Gleichzeitig verspГјrte sie das BedГјrfnis, zu ihm zu gehen. Ihn vielleicht sogar zu umarmen. Es gab keinen Zweifel daran, dass ihre GefГјhle kopfstanden, wenn sie ihn hier drauГџen so Г¶ffentlich und frei stehen sah.

Sie traute sich jedoch nicht, sich ihm zu nähern. Sie vertraute ihm nicht und was vielleicht noch schlimmer war, sie traute sich selbst nicht.

„Was machst du hier?“, fragte sie.

„Ich wollte nur vorbeikommen und dich besuchen“, antwortete er, als er gleichzeitig aufstand.

Tausend Fragen schwirrten durch ihren Kopf. Die Hauptfrage war, wie er herausgefunden hatte, wo sie wohnte. Allerdings wusste sie, dass jeder mit einer Internetverbindung und einer hartnäckigen Entschlossenheit das herausfinden könnte. Stattdessen versuchte sie, höflich zu bleiben, ohne warm und einladend zu wirken

„Wie lange bist du schon raus?“, fragte sie.

„Seit anderthalb Wochen. Ich musste erst den Mut aufbringen, herzukommen.“

Sie erinnerte sich an das Telefonat mit Director Johnson, als sie vor zwei Monaten die letzten Beweise gefunden hatte – Beweise, die anscheinend mehr als genug gewesen waren, um ihren Vater freizulassen. Aufgrund ihrer Bemühungen. Sie fragte sich, ob er überhaupt wusste, was sie für ihn getan hatte.

„Und genau deshalb habe ich gewartet“, sagte er. „Diese … diese Stille zwischen uns. Sie ist unangenehm und unfair und … “

„Unfair? Dad, für den größten Teil meines Lebens warst du im Gefängnis … für eine Gewalttat, für die du, wie ich jetzt weiß, nicht einmal schuldig warst. Du hast allerdings ohne Probleme deinen Kopf dafür hingehalten. Ja, es wird unangenehm sein. Und wenn man sich den Grund für deine Inhaftierung anschaut und an die letzten Unterhaltungen denkt, die wir hatten, dann hoffe ich, dass du verstehst, dass ich dir nicht tanzend und mit Blumensträußen entgegengelaufen komme.“

„Das verstehe ich voll und ganz. Aber … wir haben so viel gemeinsame Zeit verpasst. Es kann gut sein, dass du das noch nicht empfinden kannst, weil du so jung bist. Aber diese Jahre, die ich im Gefängnis verschwendet habe, wissend, was ich geopfert habe … meine Zeit mit dir und Danielle … mein eigenes Leben …“

„Du hast diese Dinge für Ruthanne Carwile geopfert“, fauchte Chloe. „Das war deine eigene Entscheidung.“

„Das war es. Und es ist etwas, was ich für die letzten fünfundzwanzig Jahre bereut habe.“

„Was willst du also?“, fragte sie.

Sie ging an ihm vorbei und auf ihre Eingangstür zu. An ihm vorbeizugehen, kostete sie mehr Willenskraft, als sie erwartet hätte. So nah bei ihm zu sein.

„Ich hatte gehofft, wir könnten gemeinsam zu Abend essen.“

„Einfach so?“

„Irgendwo müssen wir ja anfangen, Chloe.“

„Nein, wir müssen gar nichts.“ Sie öffnete die Tür und drehte sich zu ihm um. Zum ersten Mal schaute sie ihm direkt in die Augen. Ihr Magen drehte sich und sie tat ihr Bestes, um vor ihm nicht emotional zu werden. „Ich möchte, dass du gehst. Und bitte komm niemals zurück.“



Er sah zutiefst verletzt aus, wandte seinen Blick jedoch nicht von ihr ab. „Willst du das wirklich?“

Sie wollte einfach ja sagen aber die Worte, sagte aber stattdessen: „Ich weiß es nicht.“

„Sag Bescheid, wenn du deine Meinung änderst. Ich wohne in …“

„Ich will nicht wissen, wo du wohnst“, unterbrach sie ihn. „Wenn ich Kontakt mit dir möchte, dann finde ich dich.“

Er lächelte ihr zu, allerdings mit sichtbarem Leid. „Ah, stimmt. Du arbeitest jetzt fürs FBI.“

Und was mit Mom und dir passiert ist, hat mich auf diesen Weg gefГјhrt, dachte sie.

„Tschüss, Dad“, sagte sie und ging durch ihre Eingangstür.

Sobald sich die Tür hinter ihr schloss, schaute sie nicht mehr zurück. Stattdessen machte sie sich schnellen Schrittes auf den Weg zum Aufzug, ohne so erscheinen zu wollen, als wäre sie in Eile.

Die Türen des Aufzugs schlossen sich hinter ihr und Chloe verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Sie begann zu weinen.


* * *

Sie starrte in ihren Kleiderschrank und dachte ernsthaft darüber nach, Moulton anzurufen und ihm zu sagen, dass sie es heute Abend leider nicht schaffen würde. Sie konnte ihm nicht den wahren Grund nennen – dass ihr Vater gerade nach fünfundzwanzig Jahren aus dem Gefängnis gekommen war und auf einmal auf ihrer Türschwelle erschienen war. Sicher würde er das Psychotrauma dessen verstehen, oder?

Aber dann entschied sie, dass sie ihren Vater nicht ihr Leben ruinieren lassen wГјrde. Sein Schatten hatte schon viel zu lange Гјber ihrem Leben gehangen. Und selbst etwas Banales, wie ein Date abzusagen, wГјrde ihm zu viel Macht Гјber ihr Leben geben.

Sie rief Moultons Nummer an und als sie direkt zur Mailbox weitergeleitet wurde, hinterlieГџ sie eine Empfehlung fГјr ein gutes Restaurant zum Abendessen. Jetzt, da das erledigt war, ging sie kurz duschen und zog sich um.

Als sie sich gerade ihre Hose anzog, klingelte ihr Handy. Sie sah Moultons Namen auf dem Bildschirm und ihre Gedanken wanderten gleich zu den schlimmsten Szenarien.

Er hat seine Meinung geändert. Er ruft an, um abzusagen.

Sie glaubte dies tatsächlich, bis zu dem Moment, in dem sie abhob. „Hallo?“

„Also, ja, japanisch klingt gut“, sagte Moulton. „Vielleicht können Sie aufgrund des Mangels an Details und der Umsetzung schon bemerken, dass ich so etwas nicht oft mache. Also weiß ich nicht genau, wie das funktioniert – hole ich Sie ab oder treffen wir uns einfach dort …?“

„Sie können mich gerne abholen, wenn Ihnen das passt“, sagte sie und dachte wieder an den schäbigen Zustand ihres Autos. „Es gibt ein wirklich gutes Restaurant in der Nähe von hier.“

„Klingt gut“, sagte er. „Bis dann.“

… Ich mache so etwas nicht oft. Obwohl er das gerade gesagt hatte, fand Chloe es schwer, ihm zu glauben.

Sie zog sich weiter an, gab sich MГјhe mit ihrem Haar und wartete dann auf ein Klopfen an der TГјr.

Vielleicht ist es wieder dein Vater, dachte sie zu sich selbst.

Und wenn sie ganz ehrlich war, dann kamen diese Worte nicht von ihrer eigenen Stimme in ihrem Kopf. Es war Danielles Stimme, herablassend und selbstsicher.

Ich frage mich, ob sie schon weiß, dass er aus dem Gefängnis raus ist, dachte Chloe. Mein Gott, sie wird vor Wut außer sich sein.

Sie hatte allerdings keine Zeit, mehr darüber nachzudenken. Bevor sie die Chance hatte, klopfte es an der Tür. Für einen lähmenden Moment war sie sich sicher, dass es ihr Vater war. Sie gefror geradezu für einen Moment, weil sie nicht bereit war, zu antworten. Aber dann erinnerte sie sich wieder daran, wie unbehaglich Moulton gewesen war, als sie sich in der Eingangshalle des Schießstandes getroffen hatten und ihr wurde bewusst, wie sehr sie ihn sehen wollte – besonders nach allem, was in den letzten paar Stunden in ihrem Leben passiert war.

Sie öffnete die Tür mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Moulton selbst lächelte fröhlich. Vielleicht lag es daran, dass sie sich selten außerhalb der Arbeit trafen, aber Chloe fand sein Lächeln unheimlich sexy. Es war sicherlich auch hilfreich, dass er, obwohl er recht schlicht gekleidet war – ein Hemd und eine gute Jeans – unglaublich attraktiv aussah.

„Sind Sie soweit?“, fragte er.

„Auf jeden Fall“, sagte sie.

Sie schloss die TГјr hinter sich und sie begaben sich in den Flur.

Wieder einmal entstand diese perfekte Stille zwischen ihnen, die sie wünschen ließ, sie wären schon etwas weiter. Selbst etwas so Einfaches und Harmloses wie nach ihrer Hand zu greifen … sie brauchte irgendetwas.

Und es war diese schlichte Sehnsucht nach menschlichem Kontakt, die ihr zeigte, wie sehr sie das Auftauchen ihres Vaters durcheinandergebracht hatte.

Es wird nur schlimmer werden, jetzt wo er aus dem Gefängnis raus ist, dachte sie, während Moulton und sie den Aufzug ins Erdgeschoss nahmen.

Aber sie wГјrde ihn nicht diese Verabredung versauen lassen.

Sie verdrängte alle Gedanken an ihren Vater, als sie und Moulton hinaus in die warme Abendluft traten.

Und zu ihrer Гњberraschung funktionierte es sogar.

FГјr eine Weile.




KAPITEL DREI


Das japanische Restaurant, das sie ausgewählt hatte, war ein traditioneller Hibachi Grill. Es gab große, offene Kochplatten, die es großen Gruppen von Menschen erlaubten, außen herum zu sitzen und dem Koch bei seinen Künsten zuzusehen.

Chloe und Moulton wählten einen Tisch in einer ruhigeren, privateren Ecke des Restaurants. Als sie beide Platz genommen hatten, stellte sie erfreut fest, wie natürlich sich die ganze Situation mit ihm anfühlte. Selbst wenn sie die körperliche Anziehung außer Acht ließ, hatte sie Moulton doch schon seit dem ersten Moment gemocht, in dem sie sich trafen. Er war das einzige helle Licht am Ende des Tunnels gewesen, als sie vom Team für Beweissicherung in das ViCAP-Programm versetzt worden war. Und hier war er nun und machte unangenehme Momente in ihrem Leben mal wieder erträglicher.

Sie wollte den Abend nicht mit einer solchen Unterhaltung zerstören, aber sie wusste auch, dass es eine unnötige Ablenkung wäre, würde sie nicht mit ihm darüber sprechen.

„Also“, sagte Moulton, der an den Ecken seiner Speisekarte spielte, als er sie öffnete, „sagen Sie, Agentin Fine, ich hatte mich gefragt, ob es in Ordnung wäre, uns zu duzen? Da wir hier ja nicht dienstlich sind …“ Er zwinkerte sie an, während er sprach.

„Ich dachte schon, du fragst nie! Das würde ich sehr gern“, antwortete Chloe.

„War es nicht komisch, dass ich dich zum Abendessen eingeladen habe?“, fragte Moulton.

„Ich bin mir sicher das hängt davon ab, wen man fragt“, antwortete sie. „Director Johnson hält es sicher nicht für die beste Idee. Aber wie auch immer, lass mich ehrlich sein“, sagte sie, „ich hatte gehofft, du würdest mich fragen.“

„Du bist also eher traditionell? Du hättest mich also nicht gefragt? Du hättest gewartet, bis ich dich frage?“

„Es geht dabei weniger um Tradition, mehr um meine Ängste aus vergangenen Beziehungen. Von denen ich dir vermutlich ein wenig erzählen sollte. Bis vor ungefähr sieben Monaten war ich verlobt.“

Der Schreck in seinem Gesicht hielt nur für einen Moment an. Zum Glück sah sie keine Angst oder Verlegenheit in ihm. Bevor er irgendetwas antworten konnte, kam die Kellnerin zu ihnen, um ihre Getränkebestellung aufzunehmen. Beide bestellten schnell ein Sapporo-Bier, um nicht den Faden ihrer Konversation zu verlieren.

„Darf ich fragen, wie eure Beziehung endete?“, fragte Moulton.

„Es ist eine lange Geschichte. Die kurze Version ist, dass er zu bestimmend war und sich nicht von den Schatten seiner Familie trennen konnte – vor allem nicht von seiner Mutter. Und als ich dann plötzlich eine Karriere beim FBI vor mir hatte, war er keine große Unterstützung. Er war auch keine wirkliche Hilfe mit den Schwierigkeiten in meiner Familie…“

Es kam ihr in den Sinn, dass er vermutlich sogar ein wenig Гјber ihre Familiengeschichte wusste. Als sie zum Ende ihrer Ausbildung angefangen hatte, die Geschichte aufzuwГјhlen, war ihr bewusst, dass es sich in der Akademie herumgesprochen hatte.

„Ja, ich habe so dies und das gehört …“

Er ließ diesen Satz im Raum stehen. Chloe verstand dies als Einverständnis, sollte sie mit ihm darüber reden wollen, dass er hier wäre, um zuzuhören. Und sollte sie sich dagegen entscheiden, dann wäre das für ihn auch in Ordnung. Und in diesem Moment, mit all den Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten, entschied sie, dass es jetzt oder nie war. Es macht ja keinen Sinn mehr zu warten, dachte sie.

„Ich erspare dir die Details für ein anderes Mal, aber ich denke ich sollte erwähnen, dass ich heute meinen Vater gesehen habe.“

„Also ist er aus dem Gefängnis raus?“

„Ja. Und ich glaube, dass es hauptsächlich an einigen Funden bezüglich des Todes meiner Mutter liegt, die ich in den letzten paar Monaten gemacht habe.“

Es dauerte eine Weile bis Moulton wusste, wie er die Konversation fortsetzen sollte.

Genau wie sie trank er einen Schluck von seinem Bier, um sich Zeit zu nehmen. Nach einem weiteren groГџen Schluck erwiderte er mit der besten Frage, die ihm einfiel.

„Bist du okay?“

„Ich glaube schon. Es war alles nur sehr unerwartet.“

„Chloe, wir mussten heute Abend nicht ausgehen. Ich hätte es voll und ganz verstanden, wenn du abgesagt hättest.“

„Das hätte ich fast. Aber dann habe ich es nicht eingesehen, ihm Kontrolle über einen weiteren Teil meines Lebens zu geben.“

Er nickte und sie beide nutzen die Stille nach dieser Unterhaltung, um einen Blick in ihre Speisekarten zu werfen. Die Stille zwischen ihnen blieb bestehen, bis die gleiche Kellnerin wieder an ihren Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen.

Als sie gegangen war, lehnte sich Moulton über den Tisch und fragte: „Möchtest du gerne drüber reden oder sollen wir es ignorieren?“

„Weißt du, ich glaube, ich würde es gerade lieber ignorieren. Es könnte nur sein, dass es heute Abend Momente gibt, in denen ich etwas abgelenkt bin.“

Er lächelte und stand langsam von seinem Stuhl auf. „Das ist fair. Aber lass mich etwas versuchen, wenn das für dich okay ist.“

„Was?…“

Er trat einen großen Schritt auf sie zu, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. Sie schreckte zunächst zurück, unsicher darüber, was er tat. Aber als sie seine Intention verstand, ließ sie es geschehen. Und nicht nur das, sie küsste ihn auch zurück. Der Kuss war sanft, hatte aber gerade genug Dringlichkeit, um sie verstehen zu lassen, dass er darüber genauso lange nachgedacht hatte wie sie selbst.

Er unterbrach den Kuss, bevor es ungemütlich wurde; sie waren schließlich in einem Restaurant mit vielen anderen Gästen um sie herum. Chloe war nie jemand mit dem Drang zu öffentlichen Liebesbekundungen gewesen.

„Nicht, dass ich mich beschweren möchte, aber wofür war das?“, sagte sie.

„Aus zwei Gründen. Das war ich in mutig … etwas, was ich mich selten traue, wenn es um Frauen geht. Und ich wollte dir eine weitere Ablenkung bieten … hoffentlich Ablenkung genug, um die Situation mit deinem Vater eine Weile zu vergessen.“

Mit einem verwirrten Kopf und einer Wärme, die durch ihren gesamten Körper strömte, seufzte sie: „Ja, ich glaube, es könnte funktioniert haben.“

„Gut“, sagte er, „Außerdem beseitigt es die ganze Frage „Sollten wir uns am Ende unserer Verabredung küssen“, die ich immer verpatze.“

„Oh, diesem Kuss nach zu urteilen, sollten wir das auf jeden Fall wieder tun“, sagte sie.

Und, wie Moulton gehofft hatte, waren ihre Gedanken an das plötzliche Auftauchen ihres Vaters weit entfernt.


* * *

Das Abendessen verlief um einiges besser, als sie gehofft hatte.

Sobald sie einmal mit dem Thema des plötzlichen Erscheinens ihres Vaters umgegangen waren und nach Moultons unerwartetem Kuss verlief der Rest des Abends sehr entspannt.

Sie sprachen über Einzelheiten bei der Arbeit, über Musik und Filme, über Bekanntschaften und Geschichten aus ihrer Zeit an der Akademie, sowie über ihre Interessen und Hobbies. Es fühlte sich alles viel natürlicher an, als sie es erwartet hätte.

Leider bekam sie das Gefühl, sie hätte sich schon früher von Steven trennen sollen. Wenn das war, was sie verpasst hatte, während sie sich für ihn aus der Dating-Szene zurückgezogen hatte, dann war es eine Menge.

Sie aßen auf, blieben allerdings noch für ein paar weitere Getränke sitzen. Es war eine erneute Möglichkeit für Moulton seine Achtsamkeit und Zuneigung zu zeigen, denn er hörte nach zwei Getränken auf zu trinken, während sich Chloe ein Drittes bestellte. Er fragte sie sogar, ob sie lieber ein Taxi nach Hause nehmen möchte, für den Fall, dass sie sich unsicher mit ihm als Fahrer fühlte.

Er fuhr sie um kurz nach zehn zurГјck zu ihrer Wohnung. Sie war zwar bei weitem nicht betrunken, allerdings angetrunken genug, um sich Gedanken zu machen, die sie sonst nicht zulassen wГјrde.

„Ich hatte einen wundervollen Abend“, sagte Moulton. „Ich würde es gerne ganz bald wiederholen, wenn du meinst, dass es unserer Arbeit nicht im Weg steht.“

„Ich auch. Danke, dass du mich endlich gefragt hast, mit dir auszugehen.“

„Danke, dass du ja gesagt hast.“

Sie hatte nie von sich behauptet, eine Meisterin der Verführung zu sein, reagierte aber auf seinen Kommentar damit, dass sie sich zu ihm hinüberlehnte und ihn küsste. Genau wie der Kuss im Restaurant begann dieser langsam und wurde dann immer inniger. Seine Hand hielt plötzlich ihr Gesicht und glitt dann ihren Nacken hinunter, um sie näher an sich heranzuziehen. Die Armlehne war zwischen ihnen und sie neigte ihren Körper zur Seite, um mit ihrer Hand seine Brust zu berühren.

Sie war sich nicht sicher, wie lang dieser Kuss andauerte. Er war langsam und extrem romantisch. Als sie sich voneinander lösten, war Chloe etwas außer Atem.

„Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass ich noch nie wirklich viel ausgegangen bin“, sagte sie, „sollte ich also diesen nächsten Schritt falsch angehen, dann vergib mir bitte.“

„Welchen Schritt?“

Sie zögerte für einen Moment, aber die drei Getränke spornten sie an. „Ich möchte dich einladen, mit nach oben zu kommen. Ich würde gerne behaupten, dass es für einen Kaffee oder für ein weiteres Getränk ist, aber das wäre gelogen.“

Moulton sah aufrichtig überrascht aus. Es war ein Blick, der sie denken ließ, dass er sie vielleicht falsch verstanden hatte. „Bist du dir sicher?“, fragte er.

„Das klang falsch“, sagte sie verlegen, „Was ich sagen wollte, ist … ich würde das hier gerne ohne eine Armlehne zwischen uns fortführen. Aber ich werde nicht … ich werde nicht mit dir schlafen.“

Selbst in dem gedämpften Licht konnte sie sehen, wie er aufgrund dieses Kommentars errötete. „Das hätte ich auch nicht erwartet.“

Sie nickte, selbst etwas beschämt. „Also … würdest du gerne mit nach oben kommen?“

„Das würde ich sehr, sehr gerne.“

Dann küsste er sie. Diesmal ein wenig verspielter. Während des Kusses stieß er scherzhaft die Armlehne mit seinem Ellbogen an.

Sie löste sich von ihm und öffnete ihre Autotür. Auf dem Weg zu ihrem Haus konnte sie sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so gefühlt hatte… so als würde sie schweben.

Schweben, dachte sie zu sich selbst und lächelte. Es war das Wort, welches Danielle mal genutzt hatte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlte, von einem körperlichen High nach einem Orgasmus runterzukommen. Der Gedanke daran sorgte dafür, dass sich Chloe auf einmal ganz warm fühlte. Sie griff nach Moultons Hand, als sie das Gebäude betraten.

Sie nahmen den Aufzug und als sich die TГјren schlossen, Гјberraschte Chloe sich selbst, als sie ihn gegen die Wand des Aufzuges drГјckte und kГјsste. Jetzt da sie die Chance hatte, ihn endlich richtig zu berГјhren, packte sie seine HГјfte und zog ihn an sich heran. Ihr Kuss war deutlich heiГџblГјtiger und deutete auf so viele Dinge hin, die sie in diesem Moment gern mit ihm machen wollte.

Er war genauso begierig und legte seine Hände um ihren Rücken. Als er sie nah an sich heranzog und sich ihre Körper schließlich berührten, entwich ihr ein kleiner Seufzer. Es war ihr etwas peinlich.

Der Aufzug hielt an und sie löste sich von ihm. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie die anderen Mitbewohner des Hauses anschauen würden, wenn sie die beiden küssend im Aufzug vorfänden. Sie war erleichtert, als sie sah, dass auch Moulton etwas unsicher auf den Beinen und außer Atem war.

Sie fГјhrte ihn den Gang entlang zur vierten TГјr, welche der Eingang zu ihrer Wohnung war. In diesem Augenblick fiel ihr auf, dass, auГџer ihrer Schwester Danielle, Moulton der erste Besucher in ihrer Wohnung war.

Eine Schande, dass ich nicht vorhabe, Zeit mit einer Tour durch die Wohnung zu vergeuden, dachte sie.

Das war ein erneuter Gedanke, der sie in Verlegenheit brachte. Sie hatte sich noch nie so körperlich zu einem Mann hingezogen gefühlt. Mit der Zeit war Sex eine formale und vorausgesetzte Sache mit Steven geworden. Und wenn sie ehrlich war, dann waren die Male, bei denen sie sich wirklich befriedigt gefühlt hatte, eher selten gewesen. Und das war auch der Grund, weshalb sie nie ein Verlangen nach Intimität mit ihm gespürt hatte.

Chloe schloss die Tür auf und sie betraten die Wohnung. Sie machte das Licht an und hängte ihre Handtasche über einen der Barhocker.

„Wie lange wohnst du schon hier?“, fragte Moulton.

„Seit sechs Monaten ungefähr. Ich habe nicht viele Besucher.“

Moulton trat auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Hüfte. Ihre Köpfe näherten sich und sie begannen, sich langsam und bedeutungsvoll zu küssen. Es dauerte nicht lange, bis er sie sanft gegen die Küchentheke drückte und sein Kuss inniger wurde. Chloe fühlte sich bereits wieder atemlos und spürte ein Verlangen in sich aufsteigen, dass sie seit ihrer ersten intimen Begegnung mit einem Jungen in der High-School nicht mehr gefühlt hatte.

Sie unterbrach den Kuss lang genug, um ihn zum Sofa hinüberzuführen, wo sie sich nebeneinandersetzten und sofort weiterküssten. Es fühlte sich gut an, mit einem Mann auf diese Art zusammen zu sein, besonders mit jemandem, der ihr solch wunderbare Gefühle bescherte. Wenn sie den Teil ihrer Beziehung mit Steven mitzählte, in dem die Intimität zwischen ihnen praktisch gestorben war, dann war es etwa anderthalb Jahre her, seit ein Mann sie so geküsst und berührt hatte.

Schließlich – es fühlte sich an, als wären nur wenige Sekunden vergangen, obwohl sie vermutlich bereits seit fünf Minuten auf dem Sofa saßen – lehnte sie sich gegen ihn, sodass er keine andere Wahl hatte, als sich hinzulegen. Chloe legte sich auf ihn und seine Hand glitt langsam ihren Rücken entlang und unter ihrem T-Shirt nach oben. Diese leichte Berührung ihrer Haut löste eine Reaktion in Chloe aus, die sie nicht erwartet hatte. Sie stöhnte leicht und er antwortete, indem er seine Hand weiter ihren Rücken hinaufschob und mit seinen Fingern die Seite ihres BHs entlangstrich.

Sie setzte sich auf, ihre Beine rittlings zu beiden Seiten gespreizt, und lächelte ihn an. Ihr Kopf war wie benebelt und jeder Muskel in ihrem Körper schrie nach mehr.

„Ich meine, was ich gesagt habe“ sagte sie beinahe entschuldigend. „Ich kann nicht mit dir schlafen. Noch nicht. Das klingt vielleicht super altmodisch …“

„Chloe, alles ist gut. Du sagst mir, wenn es genug ist und das ist in Ordnung. Sag mir Bescheid, wenn ich nicht länger willkommen bin.“

Sie lächelte zu ihm hinunter. Seine Antwort reichte fast aus, ihre Meinung zu ändern. Aber sie war fest davon überzeugt, dass sie es nicht überstürzen sollten. Mit gespreizten Beinen auf ihrem Sofa auf ihm zu sitzen, ging schon fast an ihre Grenzen.

„Du bist noch immer willkommen“, sagte sie. „Klänge es seltsam, wenn ich dich fragen würde, ob du hierbleiben möchtest? Kein Sex, aber … einfach so nebeneinander schlafen?“

Das Angebot schien ihn zu Гјberraschen. Sie vermutete, dass es wirklich etwas seltsam klang.

Und weiГџt du auch, wieso du ihn das fragst? Es war Danielles Stimme in ihrem Kopf, die sie immer Г¤rgerte und trotzdem gleichzeitig irgendwie hilfreich war. Weil Dad heute bei dir aufgekreuzt ist und deine Welt auf den Kopf gestellt hat. Du willst, dass Moulton hier ist, damit du heute Nacht nicht alleine bist.

„Es tut mir leid“, sagte sie, „Das widerspricht sich und ist dumm und …“

„Nein, es ist in Ordnung“, sagte Moulton. „Das klingt schön, ich muss dich allerdings um eine Sache bitten.“

„Und das wäre?“

„Mehr Küsse, bitte“, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen.

Sie erwiderte sein Lächeln und folgte seiner Bitte gern.


* * *

Sie erwachte kurze Zeit später, als Moulton von der Couch aufstand. Sie stütze sich auf einen Ellbogen. Sie hatte ihr T-Shirt während des Knutschens ausgezogen – alles andere hatte sie aber noch an. Es hatte sich etwas merkwürdig angefühlt, in ihrer Hose auf der Couch einzuschlafen, aber sie war auf seltsame Weise stolz, dass sie sich zurückgehalten hatten. Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand und sah, dass es bereits 5:10 Uhr morgens war.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Ja“, sagte er, „Ich … fühle mich nur ein bisschen komisch, weil ich hier übernachtet habe. Ich wollte nicht, dass es am Morgen danach merkwürdig zwischen uns ist und dachte, es wäre am besten, wenn ich gehe. Aber zumindest ist es nicht so seltsam, als hätten wir Sex miteinander gehabt.“

„Vielleicht war das genau mein Plan“, scherzte sie.

„Soll ich schnell gehen und wir tun so, als wäre das hier nie passiert?“, fragte Moulton.

„Ich glaube, es wäre mir lieber, wenn du bleibst. Ich mach uns einen Kaffee.“

„Sicher?“

„Sicher. Das wäre mir genau genommen sogar sehr viel lieber.“

Sie zog ihr T-Shirt an und machte sich auf den Weg in die Küche. Sie begann den Kaffee zu kochen, während Moulton sich sein Hemd wieder anzog.

„Es ist also Donnerstag“, sagte er, “Ich weiß auch nicht warum, aber es fühlt sich eher wie ein Samstag an.“

„Vielleicht liegt es daran, dass das, was wir gestern Nacht gemacht haben, eher etwas ist, was man normalerweise Freitagabend macht? Quasi als einen guten Start ins Wochenende?“

„Ich weiß es nicht“, sagte er, „ich habe so etwas schon eine ganze Weile nicht gemacht.“

„Das glaube ich dir nicht“, sagte sie, als sie die Kaffeemaschine anschaltete.

„Nein ehrlich. Ich glaube vielleicht zu Beginn der High-School. Das war ein gutes Jahr für mich – in Bezug auf Herummachen ohne Sex zu haben.“

„Na ja, offensichtlich hast du nichts verlernt. Letzte Nacht war … also, es war viel mehr als ich erwartet hätte, als du mich abgeholt hast.“

„Es geht mir genauso.“

„Aber ich bin wirklich froh, dass es so gekommen ist“, fügte sie schnell hinzu, „Alles genauso, wie es war.“

„Gut. Vielleicht können wir es ja wiederholen. Dieses Wochenende vielleicht?“

„Vielleicht“, sagte sie, „Aber meine Zurückhaltung schmilzt bereits dahin.“

„Vielleicht war das ja genau mein Plan“, sagte er mit einem verführerischen Lächeln.

Sie lief rot an und schaute schnell weg. Sie war ein bisschen Гјberrascht, wie sehr es ihr gefiel, ihn so offensichtlich flirtend zu sehen.

„Schau“, sagte sie, „Ich muss unbedingt duschen gehen. Bediene dich gerne am Kühlschrank, wenn du etwas frühstücken möchtest. Der könnte allerdings ziemlich leer sein.“

„Danke“, sagte er. Es schien ihm schwerzufallen, seinen Blick von ihr abzuwenden.

Sie ließ ihn in der Küche zurück und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer, an welches das größere Badezimmer angrenzte. Sie zog sich aus, drehte das Wasser an und stieg in die Dusche. Sie wollte fast kichern, wenn sie daran dachte, wie die letzte Nacht verlaufen war. Sie fühlte sich wie ein Teenager, als sie das Gefühl genoss, ihn hier bei sich zu haben und sich wohl genug mit ihm zu fühlen, zu wissen, dass er sie nicht drängen würde, Sex mit ihm zu haben. Alles war auf eine seltsame Art und Weise so romantisch gewesen und zwei Mal hätte sie fast nachgegeben und doch mit ihm geschlafen. Mit einer ungewohnten Euphorie wünschte sie sich insgeheim, er würde sich trauen, zu ihr in die Dusche zu steigen.

Wenn er das macht, dann flöge alle Zurückhaltung zum Fenster hinaus, dachte sie.

Sie hatte fast fertig geduscht, als sie ihn tatsächlich hörte, wie er ins Badezimmer kam.

Besser spät als nie, dachte sie. Ihr ganzer Körper war vor Aufregung angespannt und sie wünschte sich sehnlichst, er würde sich zu ihr gesellen.

„Hey Chloe?“

„Ja?“, fragte sie etwas provokativ.

„Dein Handy hat gerade geklingelt. Vielleicht war ich ein bisschen zu neugierig … aber ich habe nachgeschaut und es war das Büro.“

„Oh wirklich? Ich frage mich, ob ein Fall ansteht …“

Dann hörte sie ein weiteres Klingeln, diesmal von einem anderen Handy. Es war näher, vermutlich in Moultons Hand. Chloe warf einen Blick um die Ecke, indem sie den Duschvorhang zur Seite schob. Sie schauten sich für einen Moment an, bevor Moulton den Anruf annahm.

„Hier spricht Moulton“, antwortete er. Er verließ das Badezimmer und ging in ihr Schlafzimmer zurück. Chloe verstand warum und drehte den Wasserhahn ab. Sie trat aus der Dusche und griff nach dem Handtuch auf dem Handtuchhalter. Sie grinste ihn an, als er ihr zuschaute, wie sie das Handtuch um sich wickelte. Nur weil sie sich letzte Nacht für anderthalb Stunden geküsst hatten, hieß das nicht, dass sie damit einverstanden war, jetzt komplett nackt vor ihm zu stehen.

Das Telefonat bot nicht viele Möglichkeiten zum Belauschen. Sie konnte nur hören, wie Moulton ein paar Mal „Okay … ja Sir …“, antwortete.

Der Anruf dauerte etwa eine Minute und als er fertig war, streckte Moulton seinen Kopf spaßend ins Bad. „Darf ich reinkommen?“

In ein Handtuch gewickelt, das alle wichtigen Körperteile verdeckte, nickte sie.

„Das war Assistant Director Garcia. Er sagte, dass er versucht hat, dich zu erreichen, aber du hast das Klingeln wohl nicht gehört.“ Er lächelte sie an und fuhr fort. „Er sagte, ich solle dich anrufen oder bei dir vorbeifahren und dich aufwecken. Es gibt einen Fall, den wir übernehmen sollen.“

Sie kicherte, als sie aus dem Badezimmer und in ihr Schlafzimmer trat. „Denkst du, letzte Nacht wird uns in unserer Arbeit beeinflussen?“

„Es könnte dafür sorgen, dass ich mich nach Feierabend in dein Motel Zimmer schleiche. Abgesehen davon… weiß ich es nicht genau. Wir werden es sehen.“

„Kannst du mir bitte eine Tasse Kaffee einschenken? Ich muss mich anziehen.“

„Ich hatte gehofft, ich könnte eben kurz deine Dusche benutzen.“

„Na klar. Obwohl es schöner gewesen wäre, wenn du das vor etwa zehn Minuten gefragt hättest, als ich noch unter der Dusche stand.“

„Für das nächste Mal weiß ich Bescheid“, sagte er.

Als er sich unter die Dusche stellte und Chloe begann sich anzuziehen, wurde ihr bewusst, dass sie glücklich war. Ziemlich glücklich sogar. Zu allem, was letzte Nacht passiert war, kam nun ein noch neuer Fall … es schien, als wäre ihr Tag von dem plötzlichen Erscheinen ihres Vaters ganz und gar nicht aus der Bahn geworfen worden.

Aber wenn sie eines von ihrer merkwГјrdigen Familiensituation gelernt hatte, dann war es, dass man all dem nie wirklich entkam. Auf die eine oder andere Weise holte es einen doch immer wieder ein.




KAPITEL VIER


Ungefähr im selben Moment, als Chloe sich daran erinnerte, wie es sich anfühlte, sich in einem Mann zu verlieren, befand sich ihre Schwester inmitten eines Albtraums.

Danielle Fine träumte wieder einmal von ihrer Mutter. Dies war ein wiederkehrender Albtraum, den sie geträumt hatte, seit sie etwa zwölf Jahre alt gewesen war – einer dieser Träume, der in jedem neuen Lebensabschnitt, in dem sich Danielle befand, immer wieder eine neue Bedeutung einzunehmen schien. Der Traum selbst war jedoch immer derselbe, die Details und die Handlungsabläufe unverändert.

In ihrem Traum wurde sie von ihrer Mutter einen langen Gang entlang verfolgt. Allerdings war es die Version ihrer Mutter, die sie und Chloe an diesem Tag als junge Mädchen aufgefunden hatten. Blutüberströmt, mit weit aufgerissenen Augen und leblos.

Aus irgendeinem Grund war in ihrem Traum eines ihrer Beine immer durch den Sturz gebrochen worden (und das, obwohl es in den offiziellen Berichten dazu nie einen Hinweis gegeben hatte) und so schleppte sich die Traumversion ihrer Mutter auf der Verfolgungsjagd ihrer Tochter den Flur entlang.

Trotz ihrer Verletzung war ihr ihre Mutter immer direkt auf den Fersen, nur wenige Fingerspitzen entfernt, um sie an ihren dГјnnen FuГџgelenken zu greifen und auf den Boden hinunterzuziehen. Danielle rannte angsterfГјllt vor dem grausigen Anblick davon, ihre Augen auf das Ende des Ganges gerichtet. Und dort in der TГјr, die so unendlich weit entfernt zu sein schien, stand ihr Vater.

Er würde immer niederknien und seine Arme, mit einem großen Lächeln auf den Lippen, weit für sie ausbreiten. Allerdings tropfte Blut von seinen Händen und in diesem Moment purer Panik, der sie immer aufweckte, hörte Danielle auf zu rennen. Sie steckte fest zwischen ihrer toten Mutter und ihrem wahnsinnigen Vater, jedes Mal unsicher darüber, welche Richtung sicherer war.

Auch dieses Mal war es nicht anders. Der Albtraum hörte abrupt auf und riss Danielle aus ihrem Schlaf.

Sie setzte sich langsam auf. Sie war inzwischen so gewöhnt an diesen Traum, dass sie genau wusste, was los war, selbst wenn sie noch nicht völlig aufgewacht war. Erschöpft, sah sie zur Uhr hinüber und musste feststellen, dass es erst 23:30 Uhr war. Sie hatte dieses Mal nur ungefähr eine Stunde geschlafen, bevor sich der Traum wieder eingeschlichen hatte.

Sie legte sich wieder hin und wusste, dass es eine Weile dauern würde, bevor sie wieder einschlafen konnte. Sie schob die Gedanken an den Albtraum beiseite. In den vielen Jahren, in denen sie diesen Traum nun schon hatte, hatte sie gelernt, wie sie ihn abschütteln konnte, indem sie sich immer wieder daran erinnerte, dass sie nichts hätte tun können, um zu verhindern, dass ihre Mutter starb. Selbst wenn sie jemandem von ihren kleinen Geheimnissen erzählt hätte, die sie über das toxische Verhalten ihres Vaters gesehen, gehört und erlebt hatte, gab es nichts, was sie hätte tun oder sagen können, um ihre Mutter zu retten.

Sie drehte sich um und schaute zum Nachttisch hinüber. Fast hätte sie nach ihrem Handy gegriffen, um Chloe anzurufen. Drei Wochen waren vergangen, seitdem sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Es war angespannt und unangenehm zwischen ihnen gewesen und es war ihre Schuld. Sie wusste, dass sie viel Negativität auf Chloe projiziert hatte, hauptsächlich, weil Chloe ihren Vater nicht mit derselben Bosheit und Angst hasste, wie sie es tat. Danielle war diejenige gewesen, die vor drei Wochen angerufen hatte, nachdem sie realisierte, dass Chloe darauf wartete, dass sie den nächsten Schritt machte, da ihre vorherige Unterhaltung nicht sehr gut gelaufen war – Danielle hatte ihrer Schwester quasi mitgeteilt, sich nicht mehr bei ihr zu melden.

Aber sie kannte Chloes Dienstplan nicht. Sie wusste nicht, ob 23:30 Uhr abends zu spät wäre. Um ehrlich zu sein, war es Danielle in letzter Zeit schwergefallen, vor zwei Uhr morgens einzuschlafen. Heute war einer ihrer wenigen freien Abende in der Lounge, ein Abend, an dem sie zudem auch nicht in der Bar, die ihr Freund für sie gekauft hatte, gebraucht wurde, um irgendwelche Genehmigen für die Renovierung zu unterschreiben.

Schnell schob sie alle Gedanken an die Arbeit beiseite und versuchte, wieder einzuschlafen. Wenn sie jetzt anfing, sich Гјber die Arbeit und alles, was sie sonst noch um die Ohren hatte, Gedanken zu machen, dann wГјrde sie heute Nacht Гјberhaupt nicht mehr schlafen.

Wieder dachte sie an Chloe. Sie fragte sich, was für Träume und vor allem Albträume ihre Schwester über ihre Eltern hatte. Sie fragte sich, ob sie sich noch immer noch mit der Idee beschäftigte, ihren Vater aus dem Gefängnis zu befreien und, wenn dem so wäre, ob sie entschieden hatte, dies für sich zu behalten.

Schließlich wurde sie doch wieder müde. Danielles letzter Gedanke war an ihre Schwester. Sie dachte an Chloe und fragte sich, ob es endlich an der Zeit war, zu vergessen und vergeben – um die Erinnerungen an ihren Vater nicht mehr im Weg für eine bedeutungsvolle Beziehung mit Chloe stehen zu lassen.

Sie war überrascht davon, wie glücklich sie dieser Gedanke machte … so glücklich, dass, als sie einschlief, das kleinste Anzeichen eines Lächelns auf ihren Lippen lag.


* * *

Die junge Kellnerin, die als ihr Ersatz eingestellt worden war, hatte schnell gelernt. Sie war zwanzig Jahre alt, umwerfend schön und eine Art Meisterin darin, betrunkene Männer zu verstehen. Weil sie sich so gut machte, war Danielle in der Lage, sich mit ihrem Freund und den Bauunternehmern an dem Gebäude zu treffen, welches in circa anderthalb Monaten ihre eigene Bar und ihr eigenes Restaurant sein würde.

Heute wurde am Lüftungssystem gearbeitet und es wurden einige Last-Minute Wandverkleidungen in einem Hinterzimmer montiert, welches in der Zukunft von größeren Gruppen für Veranstaltungen reserviert werden konnte. Als sie dort ankam, war ihr Freund damit beschäftigt, einen Vertrag mit dem Elektriker durchzugehen. Sie saßen an einem der Tische, die kürzlich ausgepackt worden waren – eine von drei Varianten, aus denen Danielle auswählen sollte, um zu entscheiden, welche Art von Tischen sie gerne in ihrem Restaurant haben wollte.

Ihr Freund sah sie, als sie eintrat. Er sagte schnell etwas zu dem Elektriker und kam dann zu ihr hinüber, um sie zu begrüßen. Sein Name war Sam Dekker und obwohl er nicht unbedingt der ehrlichste oder intelligenteste Mann war, machte er dies durch sein hemmungslos gutes Aussehen und seinen originellen und raffinierten Geschäftssinn wett. Er war etwa zwanzig Zentimeter größer als sie und musste sich zu ihr hinunterlehnen, als er ihr einen schnellen Kuss gab.

„Ich melde mich zum Dienst“, sagte sie. „Wie kann ich heute behilflich sein?“ Sam zuckte mit den Schultern und schaute sich fast theatralisch um. „Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass es viel für dich zu tun gibt. Alles nimmt allmählich Gestalt an. Das klingt vielleicht dumm, aber du könntest einen Blick in den ABC Katalog werfen und entscheiden, welche Alkohol-Marken du gerne anbieten würdest. Und mache dir vielleicht Gedanken darüber, wo du die kleinen Lautsprecher für die Musik und solche Dinge gerne hättest. Das sind die Sachen, die man außer Acht lässt und die dann später, in letzter Minute gegen Ende des Projektes, als Ärgernisse auftauchen.“

„Ja, ich glaube, das schaffe ich“, sagte sie etwas enttäuscht.

Es gab Tage, an denen sie zu den Renovierungsarbeiten kam und sich fühlte, als würde Sam sie nur bespaßen. Er gab ihr untergeordnete Aufgaben, um sich selbst mit den wichtigen Dingen beschäftigen zu können. Es fühlte sich in gewisser Weise erniedrigend an, aber sie musste sich auch daran erinnern, dass Sam wusste, was er tat. Er hatte drei Bars eröffnet, die alle unheimlich gut liefen. Eine davon hatte er letztes Jahr an eine große landesweite Firma verkauft und dabei mehr als zehn Millionen Dollar verdient.

Und nun hatte er entschieden, sie in ihrem eigenen kleinen Unternehmen zu unterstützen. Es war ein Unterfangen, das er ihr einreden musste. Er bestand darauf, dass sie schlau genug war, einen Betrieb wie diesen zu führen, allerdings erst, sobald alle Variablen aus dem Weg geräumt waren.

Die meisten Mädchen, die mit mittelreichen Typen ausgehen, bekommen Schmuck und Autos, dachte sie, während sie sich auf den Weg zum baldigen Lounge-Bereich machte. Ich … ich bekomme eine Bar. Kein schlechter Deal, denke ich.

Meistens, wenn sie über den weiten Weg, der ihr bevorstand, nachdachte, fühlte sie sich etwas überfordert. Sie würde tatsächlich für ein Geschäft verantwortlich sein. Sie würde es leiten und Entscheidungen treffen. Ein gewisser Grad an Schuldgefühl war auch dabei. Sie fühlte sich, als wäre ihr diese Möglichkeit einfach so gegeben worden, ohne einen guten Grund, außer, dass sie mit einem Mann zusammen war, der wusste, wie man ein Geschäft startete. Demzufolge wusste sie, dass es einiges gab, was sie dafür aufopfern musste und einige Dinge, mit denen sie Sam einfach davonkommen ließ. Sie hinterfragte nie, wie spät er nach Hause kam und glaubte ihm immer, wenn er sagte, er sei in Geschäftstreffen oder mit Vertragspartnern zum Essen aus. Manchmal war sie auch bei diesen Geschäftstreffen dabei gewesen, sodass sie wusste, dass er die Wahrheit sagte – meistens.

Sie fühlte sich außerdem, als müsse sie ihm, so oft sie konnte, ihre Wertschätzung zeigen. Das hieß auch, sich nicht zu beschweren, wenn sie ihn manchmal mehrere Tage nicht sah. Es hieß auch, nicht auf die Barrikaden zu gehen, wenn er bestimmte Dinge im Schlafzimmer forderte. Es hieß, nicht verärgert darüber zu sein, dass er, auch wenn er ihr eine Bar gekauft hatte, bislang nicht ein einziges Mal über Hochzeit gesprochen hatte. Danielle war sich ziemlich sicher, dass Sam auch nicht plante, zu heiraten. Und für den Moment war das für sie in Ordnung, also machte es keinen Sinn darüber zu diskutieren.

Außerdem … worüber sollte sie sich denn zu beschweren? Sie hatte endlich einen Mann getroffen, der sie – wenn er denn da war – wie eine Königin behandelte und sie schien auf dem richtigen Weg zu leicht verdientem Erfolg zu sein.

Es liegt daran, dass die meisten Dinge, die sich zu gut anfГјhlen, um wahr zu sein, es meistens auch sind, dachte sie.

Als sie im zukünftigen Lounge-Bereich ankam, rief sie die digitalen Entwürfe auf ihrem Handy auf. Sie machte Vermerke, wo die Lautsprecher installiert werden könnten, und machte zudem eine Notiz über potenzielle Pläne für verdunkelte Scheiben an der Rückwand. Es waren Momente wie dieser, wenn sie diese Art Dinge tat, dass es sich wirklich so anfühlte, als würde ihr Traum zur Realität werden. Irgendwie schien das hier alles tatsächlich für sie zu passieren.

„Hey …“

Sie drehte sich um und sah Sam im TГјrrahmen stehen.

Er lächelte sie mit demselben hungrigen Blick an, den er ihr oft zuwarf, wenn er Lust auf sie hatte.

„Hey du“, sagte sie.

„Ich weiß, es fühlt sich an, als hätte ich dich eben abgewimmelt“, sagte er, „aber … in den nächsten paar Wochen brauche ich wirklich nur ein paar Unterschriften von dir.“

„Du überarbeitest mich regelrecht“, scherzte sie.

„Ich dachte wirklich, das Training mit der neuen Kellnerin in der Bar würde länger dauern. Es ist ja nicht mein Fehler, dass wir ein Gastronomie-Genie eingestellt haben.“ Er näherte sich ihr und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie musste nach oben schauen, um ihm in die Augen zu sehen, aber aus irgendeinem merkwürdigen Grund ließ sie das immer sicher fühlen. Es fühlte sich an, als würde dieser Mann immer wortwörtlich über sie wachen.

„Lass uns später zusammen zu Mittag essen“, sagte Sam. „Etwas Einfaches. Pizza und Bier.“

„Klingt gut.“

„Und morgen … was hältst du davon, wenn wir irgendwohin fahren. An einen Strand … nach South Carolina oder an einen ähnlichen Ort.“

„Wirklich? Das klingt spontan und scheint eine zusätzliche Belastung zu all der Arbeit zu sein, die wir um die Ohren haben. In anderen Worten … es klingt so gar nicht nach dir.“

„Ich weiß. Aber dieses Projekt hat mich so eingenommen … und ich habe bemerkt, dass ich dich vernachlässigt habe. Also möchte ich es wiedergutmachen.“

„Sam, du ermöglichst mir mein eigenes Geschäft. Das ist mehr als genug.“

„Na gut. Dann werde ich es egoistischer formulieren. Ich möchte allem hier entfliehen und mit dir alleine sein, nackt und irgendwo am Meer. Klingt das besser?“

„Ja, irgendwie schon.“

„Gut. Dann gehe zur Bar und sehe nach, ob bei der Neuen alles in Ordnung ist. Ich hole dich gegen Mittag zum Essen ab.“

Sie kГјsste ihn und obwohl er offensichtlich in Eile war, war das GefГјhl von allem, was er gerade gesagt hatte, nicht an ihr vorbei gegangen. Sie wusste, wie schwer es ihm fiel, emotional und aufrichtig zu sein. Sie sah diese Seite an ihm nur selten und traute sich deshalb auch nicht, sie zu hinterfragen.

Danielle lief wieder durch die überwiegend leeren Räume des alten Backsteinhauses, welche bald ihre Bar und Lounge sein würden. Es war schwer, sich vorzustellen, dass dies hier alles ihr gehören würde, aber genau das war der Fall.

Als sie nach draußen kam, schien die Sonne heller zu scheinen als zuvor. Sie lächelte und versuchte noch immer Sinn aus allem zu machen, was in ihrem Leben in letzter Zeit passiert war. Sie dachte wieder an Chloe und beschloss, sie in den nächsten Tagen anzurufen. Alles andere in ihrem Leben verlief so gut, daher sollte sie auch versuchen, die angespannte Beziehung zwischen sich und Chloe zu reparieren.

Sie stieg in ihr Auto und fuhr zu Sams anderer Bar zurück – zu der Bar, in der er sie vor sechs Monaten eingestellt hatte. Sie war von dem Gedanken, mit ihm übers Wochenende wegzufahren, so abgelenkt, dass sie das Auto nicht sah, das an der Straßenseite geparkt hatte und hinter ihr in den Verkehr einbog.

Wenn sie es wahrgenommen hätte, dann hätte sie eventuell auch den Fahrer erkannt, obwohl sie ihn schon für eine sehr lange Zeit nicht gesehen hatte.

Dennoch, wГјrde eine Tochter je wirklich vergessen, wie das Gesicht ihres Vaters aussah?




KAPITEL FГњNF


Als Chloe und Moulton in Garcias Büro ankamen, erwartete sie Director Johnson dort bereits. Es schien, als hätten er und Garcia durch Fallakten geschaut; Garcia hatte einige auf seinem Bildschirm geöffnet, während einen kleiner ausgedruckter Stapel vor Johnson lag.

„Danke, dass Sie so schnell herkommen sind“, sagte Johnson, „Wir haben einen Fall in Virginia – ein kleiner Ort auf der anderen Seite von Fredericksburg, in einer gehobenen Nachbarschaft. Und ich sollte zunächst wohl erwähnen, dass die Familie des Opfers einige sehr einflussreiche politische Freunde hat. Und das ist der Grund dafür, weshalb wir eingeschaltet wurden. Nun ja, das und die grausame Art des Todes.“

Als sich Chloe an den kleinen Tisch im hinteren Bereich von Garcias BГјro setzte, versuchte sie ihr Bestes, nicht zu offensichtlich zu zeigen, dass sie probierte, etwas Abstand zwischen sich und Moulton zu bringen. Sie wusste, dass sie vermutlich glГјhte, und davon wie ihre Nacht und ihr Morgen verlaufen waren, geradezu strahlen wГјrde. Sie war sich nicht sicher, wie Johnson auf jegliche Art von Beziehung zwischen ihnen reagieren wГјrde, und wollte dies auch ehrlich gesagt nicht austesten.

„Womit haben wir es zu tun?“, fragte Chloe.

„Vor vier Tagen kam ein Mann nach Hause und fand seine Frau tot zu Hause auf“, sagte Garcia, „aber es war nicht nur das. Sie war nicht einfach nur umgebracht worden, sondern wurde äußerst brutal ermordet. Sie hatte mehrere Stichwunden – der Gerichtsmediziner zählte sechzehn. Der Tatort war eine Sauerei… überall war Blut. Etwas, was die örtliche Polizei noch nie zuvor gesehen hat.“

Mit einem warnenden Blick schob er einen Ordner zu Chloe hinГјber. Chloe nahm ihn entgegen und Г¶ffnete ihn langsam. Sie warf einen kurzen Blick hinein, sah nur einen Teil des Tatortfotos und schloss den Ordner genauso schnell wieder. Von dem flГјchtigen Blick auf das Foto erschien ihr der Ort des Geschehens mehr wie ein Schlachthaus als der Tatort eines Mordes.

„Mit wem ist die Familie des Opfers befreundet?“, fragte Moulton, „Sie sagten, es handle sich um jemanden in der Politik, nicht wahr?“

„Ich würde diese Information nur ungern herausgeben“, sagte Johnson. „Wir wollen nicht, dass es so aussieht, als würde das FBI jemanden bevorzugen, wenn es um bestimmte Parteien geht.“

„Zu welchem Ausmaß ist die örtliche Polizei involviert?“, fragte Chloe.

„Sie haben eine landesweite Großfahndung gestartet und die Staatspolizei ist ebenfalls involviert“, sagte Garcia. „Sie wurden allerdings gebeten, die Sache verdeckt zu halten. Die örtliche Polizei ist verständlicherweise verärgert, weil sie das Gefühl haben, dass wir ihren Fall behindern, der sowieso schon außerhalb ihrer Komfortzone liegt. Also möchte ich, dass sie beide so schnell wie möglich dorthin fahren. Außerdem … und bitte hören Sie genau zu: Ich habe an Sie beide für diesen Fall gedacht, weil sie in der Vergangenheit so erfolgreich zusammengearbeitet haben. Und Agentin Fine, Sie scheinen ein Händchen für diese kleinstädtischen, isolierten Gemeinde-Straftaten zu haben. Wie dem auch sei, sollten Ihnen dieser Fall und die Tatortfotos unbehaglich sein – so als wäre es etwas zu viel für Ihr derzeitiges berufliches Stadium in ihrer Karriere – dann sagen Sie es bitte jetzt. Ich werde Sie deshalb nicht verurteilen und würde diese Entscheidung nicht gegen Sie halten.“

Chloe und Moulton tauschten Blicke aus und sie konnte sehen, dass er genau so eifrig war, diesen Fall anzunehmen, wie sie selbst. Moulton konnte sich nicht zurückhalten und warf einen Blick in den Ordner. Sein Gesicht verzog sich ein wenig, als er durch die Tatortfotos blätterte und den kurzen Bericht am Ende des Ordners überflog. Dann schaute er wieder zu Chloe und nickte.

„Was mich betrifft, bin ich bereit“, sagte Chloe.

„Ich auch“, sagte Moulton, „und ich weiß die Gelegenheit zu schätzen.“

„Ich freue mich, das zu hören“, sagte Johnson und stand auf. „Ich freue mich darauf, zu sehen, was Sie beide erreichen können. Na dann … Bewegung. Sie haben eine lange Fahrt vor sich.“


* * *

Moulton saГџ am Steuer des FBI-Fahrzeugs und sie machten sich auf den Weg zum Autobahnring in Richtung Virginia. Barnes Point war nur eine Stunde und zwanzig Minuten entfernt, aber wenn man auf die Autobahn fuhr, fГјhlte sich eine Fahrt Гјberall hin an, als wГјrde man auf die andere Seite des Planeten reisen.

„Bist du dir hiermit sicher?“, fragte er.

„Womit genau?“

„Zusammen an einem Fall wie diesem zu arbeiten. Ich meine … vor etwa zehn Stunden haben wir noch wie zwei geile Teenager rumgeknutscht. Wirst du in der Lage sein, deine Hände von mir zu lassen, während wir arbeiten?“

„Bitte fasse das nicht falsch auf“, sagte Chloe, „aber nach dem, was ich in dem Ordner gesehen habe, ist noch mal mit dir rumzumachen wirklich das Letzte, woran ich gerade denke.“

Moulton nickte verständnisvoll. Er bog auf die nächste Auffahrt, gefolgt von einer geraden Strecke und er gab auf Gas. „Aber Spaß beiseite … mir hat gestern Abend sehr gefallen. Sogar bevor wir bei dir waren. Und ich würde das gerne wiederholen. Aber auf der Arbeit …“

„Sollten wir strengstens professionell bleiben“, beendete sie den Satz für ihn.

„Genau. Und im Bezug darauf,“, sagte er und zog sein iPad aus der Vertiefung der Mittelkonsole, „habe ich bereits die Fallakten heruntergeladen, während du gepackt hast.“

„Hast du nicht gepackt?“

„Du hast meine Tasche gesehen. Ja, klar habe ich gepackt. Aber ich bin schneller dabei.“ Während er das sagte, warf er ihr ein süßes, verschmitztes Grinsen zu, so als wolle er darauf hindeuten, dass sie eventuell etwas länger gebraucht hatte, als er erwartet hatte. „Ich hatte allerdings noch keine Chance, mir alles durchzulesen.“

„Ah, etwas Unterhaltungslektüre“, sagte Chloe.

Sie kicherten beide und als Moulton seine Hand auf ihr Knie legte, während sie begann die Dokumente zu lesen, war sie sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie das Ganze professionell halten konnten.

Sie ging durch die Akten und las Moulton die wichtigen Teile laut vor. Sie fanden, dass Garcia und Johnson gute Arbeit beim Zusammenfassen der Fakten geleistet hatten. Der Polizeireport war sehr detailliert, genau wie die Fotos. Es war immer noch nicht leicht, sie anzuschauen und Chloe konnte der Г¶rtlichen Polizei Dienststelle keine VorwГјrfe machen. Sie konnte sich vorstellen, dass jedes Kleinstadt-Revier aus seinem Element sein wГјrde, wenn es zu einem so brutalen und blutigen Fall kam.

Sie tauschten ihre Gedanken und Theorien aus und zu dem Zeitpunkt, als sie an einem Schild vorbeikamen, welches anzeigte, dass Barnes Point nur noch fünfzehn Meilen entfernt war, hatte Chloe ihre Meinung geändert. Sie dachte, sie würden in der Lage sein, professionell zusammenzuarbeiten. Sie war die letzten Wochen so sehr in den Bann seiner äußerlichen Attraktivität gezogen worden, dass sie fast vergessen hatte, wie scharfsinnig und intuitiv er bei seiner Fallbearbeitung sein konnte.

Ihr kam der Gedanke, dass sie, wenn das hier funktionieren würde, genau das hätte, was sich jede Frau auf dem Planeten wünschte: einen Mann, der sie als gleichberechtigt respektierte, nicht nur beruflich und intellektuell, sondern auch im Schlafzimmer.

Es ist nicht einmal ein Tag vergangen, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Danielles Stimme schon wieder. Wirst du wirklich schon ganz verträumt und verrückt im Kopf? Gott, du hast für ein paar Stunden mit ihm rumgeknutscht und ihr habt noch nicht einmal miteinander geschlafen. Du kennst ihn kaum und …

Aber Chloe entschied sich, diese Gedanken wegzudrängen.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Bericht des Gerichtsmediziners zu. Es beschrieb dieselbe Geschichte, die ihnen auch Johnson schon erläutert hatte, allerdings mit mehr Details. Und auf diese Details richtete sie ihre Aufmerksamkeit.

Das Blut, die Gewalt, das potenziell politische Motiv. Sie las alles sehr konzentriert und studierte den Bericht genauestens.

„Ich glaube, diese Tat ist nicht politisch motiviert“, sagte sie. „Ich glaube nicht, dass es den Täter übermäßig gekümmert hat, welche mächtigen politischen Freunde die Hilyards eventuell haben.“

„Ich höre Überzeugung in deiner Aussage“, merkte Moulton an.

„Erkläre es bitte.“

„Lauren Hilyard wurde sechzehn Mal erstochen. Und jede einzelne Wunde befindet sich im Bauchraum mit nur einem einzigen abweichenden Stich in die linke Brust. Der Gerichtsmediziner berichtet, dass die Wunden zerklüftet waren und fast übereinander, was darauf hindeutet, dass jemand die Messerstiche einen nach dem anderen verursacht hat. Diese Notiz im Report besagt: wie aus blinder Wut oder in Rage. Wenn dies die Tat jemandes mit politischer Motivation wäre, ist es dann nicht wahrscheinlicher, dass es eine Nachricht oder einen Hinweis gäbe?“

„Okay, also dann“, sagte Moulton, „bin ich an Bord. Diese Tat war nicht politisch motiviert.“

„Das war leicht.“

Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass jeder in DC denkt, alles habe eine politische Motivation. Was wäre also, wenn die Hilyards nur sozusagen irgendwie jemanden mit einem höheren Status in einem politischen Amt kennen würden. Das würde nicht jeden interessieren.“

„Ich mag deine Gedanken“, sagte sie. „Aber wir können es vermutlich noch nicht hundertprozentig verwerfen.“

Sie näherten sich Barnes Point und die Tatsache, dass ihnen ein Fall mit potenziell politischer Verknüpfung anvertraut worden war, war ihr nicht entgangen. Es war für sie beide eine großartige Chance und sie musste sicherstellen, dass sie sich für den Moment darauf konzentrierten. Vorerst war nichts anderes wichtiger als dieser Fall – keine plötzlich auftauchenden Väter, nicht die Stimme ihrer hartnäckigen und freudlosen Schwester … nicht einmal eine potenziell perfekte Romanze mit dem Mann, der neben ihr saß.

Zunächst ging es jetzt um den Fall und nur um den Fall. Und das war mehr als genug für sie.




KAPITEL SECHS


Barnes Point war eine ruhige und doch niedliche Stadt mit einer Bevölkerung von genau neuntausend Einwohnern. Die Hilyard Residenz befand sich direkt außerhalb der Stadtgrenze in einer kleinen Wohnsiedlung, die Farmington Acres hieß. Der Ehemann des Opfers, Jerry Hilyard, hatte sich noch nicht in der Lage dazu gesehen, zu ihrem Haus zurückzukehren, seitdem er die Leiche seiner Frau gefunden hatte. Da er keine direkte Familie in der Nähe hatte, hatten ihm enge Freunde in der Nachbarschaft angeboten, vorübergehend bei ihnen zu wohnen.

„Ich glaube, ich hätte mehr Distanz gebraucht, als nur ein paar Häuser die Straße hinunter“, sagte Moulton. „Ich meine, kannst du dir vorstellen, was der arme Kerl durchmacht?“

„Aber es könnte auch sein, dass er nah bei seinem zu Hause sein will“, erwiderte Chloe. „Nah an dem Ort, an dem er und seine Frau ihr Leben teilten.“

Moulton schien darüber nachzusinnen, als er den Leihwagen näher zu der Adresse in der Wohnsiedlung fuhr, die ihnen die Staatspolizei weitergeleitet hatte, während sie unterwegs waren. Es war ein weiteres Beispiel dafür, wie Chloe die fließende Arbeitsweise des Büros sowohl zu verstehen als auch zu respektieren begann. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass praktisch jede Information, die sie benötigte – sei es Adressen, Telefonnummern, Berufslaufbahnen, Vorstrafenregister – jederzeit zugänglich waren, lediglich ein Telefonat oder eine E-Mail entfernt. Sie vermutete, dass sich Agenten schlussendlich daran gewöhnten, aber bislang fühlte sie sich noch sehr geehrt, Teil eines solchen Systems zu sein.

Sie kamen bei der Adresse an und gingen zur Haustür. Auf dem Briefkasten stand Lovingston und das Haus selbst war eine genaue Kopie von nahezu jedem anderen Haus in der Nachbarschaft. Es war die Art von Nachbarschaft, wo die Häuser direkt nebeneinander gebaut waren, aber die Umgebung trotzdem ruhig war – ein guter Ort für Kinder, um Fahrradfahren zu lernen und vermutlich eine Menge Spaß zu Halloween und Weihnachten.

Chloe klopfte an der Tür und sie wurde sofort von einer Frau geöffnet, die ein Baby in ihrem Arm hielt.

„Sind Sie Mrs. Lovingston?“, fragte Chloe.

„Das bin ich. Und Sie müssen die FBI-Agenten sein. Wir haben vor einer Weile den Anruf der Polizei bekommen, dass Sie auf dem Weg sind.“

„Ist Jerry Hilyard noch bei Ihnen?“, fragte Moulton.

Ein Mann erschien hinter der Frau. Er kam aus dem offenen Zimmer auf der linken Seite. „Ja, ich bin noch hier“, sagte er. Er stellte sich neben Mrs. Lovingston und lehnte sich gehen den Türrahmen. Er sah unglaublich erschöpft aus, offensichtlich, weil er nicht gut geschlafen hatte, seitdem er seine Frau auf eine so brutale Weise verloren hatte.

Mrs. Lovingston drehte sich zu ihm um und warf ihm einen Blick zu, der Chloe denken ließ, dass dem Baby in ihrem Arm in der Zukunft auch einige böse Blicke zukommen würden. „Bist du dir sicher, dass du dafür bereit bist?“, fragte ihn die Frau.

„Ich schaffe es, Claire“, sagte er. „Danke.“

Sie nickte, drГјckte ihr Baby fester an ihre Brust und machte sich auf den Weg zu einem anderen Ort im Haus.

„Nun, dann kommen Sie herein, würde ich sagen“, sagte Jerry.

Er führte sie in dasselbe Zimmer, aus dem er gekommen war. Es schien eine Art kleines Arbeitszimmer zu sein, welches hauptsächlich mit Büchern und zwei elegant aussehenden Stühlen eingerichtet war. Jerry fiel in einen der Stühle, als ob seine Knochen begonnen hatten, aufzugeben.

„Ich weiß, dass es scheint, als hätte Claire leichte Vorbehalte wegen Ihrer Anwesenheit hier“, sagte Jerry, „Aber … Lauren und sie waren gute Freunde. Sie denkt, ich muss trauen … was ich auch tue. Es ist nur …“

Er hielt inne und Chloe konnte sehen, dass er mit einer Flut von Gefühlen zu kämpfen hatte und versuchte, das Gespräch zu überstehen, ohne vor ihnen zusammenzubrechen.

„Mr. Hilyard, ich bin Agentin Fine und das hier ist mein Partner, Agent Moulton. Ich frage mich, ob Sie uns über alle politischen Verbindungen, die Ihre Familie eventuell hat, berichten können.“

„Jesus“, schnaufte er, „Das ist alles so aufgebauscht worden. Die örtliche Polizei hat ein Riesentheater daraus gemacht und ist total ausgeflippt. Ich bin mir sicher, das ist auch der Grund dafür, dass Sie eingeschaltet wurden, nicht wahr?“

„Bestehen denn politische Verbindungen?“, fragte Moulton, um die Frage zu umgehen.

„Laurens Vater war damals ein guter Golf-Kumpel des Verteidigungsministers. Sie sind zusammen aufgewachsen, haben Football zusammen gespielt, all das eben. Gelegentlich verbringen sie auch jetzt noch Zeit miteinander – Enten jagen, angeln, solche Dinge.“

„Hat Lauren jemals mit dem Minister gesprochen?“, fragte Chloe.

„Nicht, seitdem wir geheiratet haben. Er kam zu unserer Hochzeit. Wir bekommen eine Weihnachtskarte von seiner Familie. Aber das ist auch schon alles.“

„Meinen Sie also, dass das, was hier passiert ist, etwas mit dieser Beziehung zu tun haben könnte?“, fragte Moulton.

„Wenn dem so ist, habe ich keine Ahnung wieso. Lauren hat sich überhaupt nicht für Politik interessiert. Ich glaube, es ist nur ein Weg für ihren Vater, sich selbst wichtig zu machen. Jemand hat sein kleines Mädchen umgebracht, also muss es damit zu tun haben, dass er wichtige Leute kennt. Er ist so ein Arsch.“

„Was können Sie uns über die letzten Tage in Laurens Leben erzählen?“, fragte Chloe.

„Ich habe der Polizei schon alles gesagt, was ich konnte.“

„Dafür haben wir Verständnis“, sagte Moulton. „Und wir haben Kopien all ihrer Berichte erhalten. Aber damit wir hier angemessen Fuß fassen können, kann es sein, dass wir einige Fragen stellen werden, die dazu führen, dass Sie ein paar Dinge wiederholen müssen.“

„In Ordnung, das ist okay“, sagte Jerry.

Chloe dachte zu sich, dass der Mann vielleicht nicht ganz wusste, was hier vonstattenging. Er sah unglaublich distanziert aus. Wenn sie nicht schon von der traumatischen Situation gewusst hätte, die er gerade durchlebte, dann hätte sie vermutlich angenommen, dass er Drogen nahm.

„Die erste Frage klingt im Angesicht des Geschehens vielleicht etwas merkwürdig“, sagte Chloe. „Aber können Sie an irgendjemanden denken, der einen Grund gehabt hätte, wütend auf Ihre Frau zu sein?“

Er lächelte höhnisch und schüttelte seinen Kopf. Als er sprach, zitterte seine Stimme in einer Art ewigen Gähnens. „Nein, Lauren blieb in letzter Zeit oft allein. Sie war introvertiert. Das war in der jüngsten Vergangenheit sogar noch schlimmer geworden … sie war sehr in sich zurückgezogen, wissen Sie?“

„Haben Sie eine Ahnung wieso?“

„Sie hatte eine üble Vergangenheit. Verkorkste Eltern und dergleichen. Sie war eine Art Mobber in der High-School. Ich glaube, so würde man das heutzutage bezeichnen. Oder vielleicht ein fieses Mädchen. Sie hat sich mit diesen Fehlern in letzter Zeit auseinandergesetzt. Ich glaube, es wurde schlimmer, als diese verdammte Einladung zum High-School Klassentreffen in der Post ankam.“

„War sie besorgt, hinzugehen?“, fragte Chloe.

„Ich bin mir nicht sicher. Es machte sie traurig, glaube ich … an die Leute zu denken, zu denen sie vielleicht früher gemein gewesen war.“

„Haben Sie beide zusammen Ihren Schulabschluss gemacht?“, fragte Moulton.

„Ja, das haben wir.“

„Und sind Sie mit ihr zum Klassentreffen gegangen?“

„Um Gottes willen, nein. Ich hasse solche Sachen. Posieren und so tun, als ob man Leute mag, die man in der High-School hauptsächlich gehasst hat. Nein, ich habe es ausgesessen.“

„Sie sagten, sie war introvertiert“, sagte Chloe, „Hatte sie nicht viele Freunde?“

„Oh, sie hatte schon einige. Claire war eine davon. Und die Freunde, die sie hatte, waren wie Familienmitglieder für sie. Sie standen sich sehr nah.“

„Haben Sie mit ihnen gesprochen, seitdem es passiert ist?“, fragte Moulton.

„Nur mit einer. Sie rief an, kurz nachdem sie es erfahren hatte, um zu sehen, ob ich irgendetwas brauche.“

„Sind dies vielleicht Freunde, die mit ihr zum Klassentreffen gegangen sind?“

„Ja, Claire war auch dabei. Aber sie ist auch ein bisschen introvertiert. Ich glaube, sie ging nur aus Neugierde hin.“

„Haben Sie und Lauren Kinder?“, fragte Chloe. „In einer Nachbarschaft wie dieser würde ich zumindest ein Kind in jedem Haushalt vermuten.“

„Wir haben zwei. Unsere älteste, Victoria, ist achtzehn. Sie hat gerade dieses Jahr das College angefangen. Sie … na ja, sie hat entschieden, diese schwere Zeit bei ihren Großeltern zu verbringen. Und weil sie zu ihnen gegangen ist, wollte Carter, unser Jüngster, auch mitgehen. Ich hatte nie eine gute Beziehung mit meinen Schwiegereltern, aber dass unsere Kinder jetzt bei ihnen sind, ist ein wahrer Segen. Ich fühle mich wie ein schrecklicher Vater, aber wenn meine Kinder jetzt hier wären, dann würde ich zusammenklappen und einfach zerbrechen, denke ich.“

„Besteht eine Art Feindseligkeit, weil Ihre Kinder jetzt bei ihren Großeltern sind?“, fragte Moulton.

„Ich will, dass sie hier bei mir sind … einfach, um sie zu sehen. Aber ich bin ein riesiges Durcheinander. Und bis das Haus in einem besseren Zustand ist … dort ist, wo sie sein sollten.“

„Sie sagten, ihre Älteste entschied, während dieser Zeit bei ihnen zu sein?“, sagte Moulton. „Weshalb?“

„Sie konnte es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Sie hatte in den letzten Jahren eine etwas angespannte Beziehung zu Lauren. So ein giftiges Mutter-Tochter-Zeug. Unsere Tochter … sie hat Jungs mit nach Hause gebracht und diese nachts ins Haus geschmuggelt. Sie machte dies schon, seit sie dreizehn Jahre alt war. Hatte das erste Mal Angst, schwanger zu sein, als sie fünfzehn war. Und wenn Sie das im Kopf ausrechnen … Lauren war siebenunddreißig. Wir hatten unsere Tochter, als Lauren und ich beide neunzehn waren.“

Chloe dachte, dass die turbulente Familiensituation das hier nicht leichter für Jerry Hilyard machen konnte. Sie glaubte nicht, dass es hier irgendetwas gab, dass es wert war, nachzuhaken, obwohl es vermutlich gut wäre, irgendwann mit der Tochter zu sprechen.

„Mr. Hilyard, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns in Ihrem Haus umschauen würden?“, fragte sie.

„Das ist in Ordnung. Der Sheriff und seine Männer sind schon einige Male ein- und ausgegangen. Der Code, um reinzukommen ist, zwei-zwei-zwei-acht.“

„Danke Mr. Hilyard“, sagte Moulton, „Bitte kontaktieren Sie uns, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Vorerst sprechen wir, glaube ich erst einmal mit Mrs. Lovingston, um zu sehen, ob sie noch Details hat, die sie teilen möchte.“

„Sie hat der Polizei alles erzählt, was sie weiß. Sie fängt an, gereizt zu sein, glaube ich.“

„Und wie steht es mit ihrem Ehemann? Kannte er Ihre Frau gut? Haben Sie vier sich häufig getroffen?“

„Nein. Claires Mann arbeitet viel außerhalb der Stadt. Ich habe ihn per Face Time angerufen, um sicherzustellen, dass es für ihn in Ordnung ist, wenn ich mich hier aufhalte. Und überhaupt waren es generell immer nur Claire und Lauren. Sie trafen sich wöchentlich immer abwechselnd auf einer unserer Terrassen und tranken gemeinsam Wein.“

Claire betrat langsam das Zimmer. Anscheinend hatte sie das Baby, welches sie getragen hatte, fГјr ein Nickerchen hingelegt.

„Und wir würden typische Frauendinge tun. Über unsere Männer reden, in Erinnerungen über unsere Vergangenheit schwelgen. Ich würde ihr über die Höhen und Tiefen berichten, wenn man ein Baby hat. Und in der letzten Zeit redeten wir immer häufiger darüber, was sie mit ihrer Tochter durchmachte.“

„Was können Sie uns über Lauren erzählen und was könnte jemanden dazu gebracht haben, ihr so etwas anzutun?“, fragte Chloe.

„Lauren hat während der High-School ein paar Entscheidungen getroffen, mit denen ihre Eltern nicht immer einverstanden waren“, antwortete Claire. „Sobald Lauren ihren Abschluss an der High-School gemacht und ihre Tochter bekommen hatte … na ja, da stand ein Collegebesuch außer Frage.“

„Es war ihnen peinlich“, fügte Jerry hinzu, „Sie waren sauer und zogen nach New Hampshire. Sie erzählen unserer Tochter diese grausamen Lügen über Lauren, wann immer sie können.“

„Um die Fehler, die sie gemacht haben und die Vernachlässigung in Laurens Aufbringen, wiedergutzumachen“, sagte Lauren. „Ein paar echte Arschlöcher.“

Chloe ahnte, dass die Unterhaltung in die Richtung eines Niedermachens der Eltern ging, und schritt ein. „Mrs. Lovingston, können Sie an potenzielle Feinde oder angespannte Verhältnisse denken, die Lauren eventuell hatte?“, fragte Chloe.

„Nicht außerhalb ihrer Familie. Und obwohl die beiden Trottel sind, würden sie das sicher nicht tun. Das ist … das ist erbärmlich.“

Moulton griff in seine Innentasche und zog eine Visitenkarte hervor. Er legte sie auf den Couchtisch und trat einen Schritt zurück. „Bitte … sollte einem von Ihnen noch irgendetwas anderes einfallen, zögern Sie bitte nicht, uns zu kontaktieren.“

Claire und Jerry nickten beide nur kurz. Die Unterhaltung war zwar nur kurz gewesen, hatte ihnen allerdings sichtlich zugesetzt. Chloe und Moulton gingen in unangenehmer Stille.

Draußen angekommen, als sie sich auf dem Weg zum Auto machten, blieb Chloe für einen Moment auf dem Bürgersteig stehen. Sie blickte die Straße hinunter, in die Richtung des Hilyard Hauses und stellte fest, dass es gerade außer Sichtweite war. Und trotzdem begann sie, Moulton recht zu geben. Vielleicht war es etwas zu nah. Und wenn das Schlafzimmer immer noch auch nur annähernd so aussah, wie sie es auf den Fotos gesehen hatten, die Johnson ihnen gezeigt hatte, dann schien es geradezu makaber, dass Jerry sich in solch direkter Nähe aufhielt.

„Bist du bereit, das Haus anzusehen?“, fragte Chloe.

„Nicht wirklich“, sagte Moulton, der ganz klar die Bilder aus der Akte noch immer klar und deutlich vor Augen hatte. „Aber ich denke, irgendwo müssen wir ja anfangen.“

Sie stiegen zurück ins Auto und fuhren den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sofort versuchte Chloe sich einzureden, dass es nicht so schlimm sein konnte, wie es auf den Fotos ausgesehen hatte – all dieses Dunkelrot auf den frischen weißen Laken.


* * *

Sie brauchten nur zwanzig Sekunden zum Haus der Hilyards.

Die Tatsache, dass es dem Haus der Lovingstons so ähnlich sah – und quasi jedem anderen Haus auf dem Block – war, was Chloe betraf, unheimlich gruselig. Sie gingen durch die Eingangstür mit dem Code, den Jerry Hilyard ihnen gegeben hatte, und traten in ein absolut stilles und geräuschloses Haus.

Da sie genau wussten, weshalb sie hier waren, verschwendeten sie keine Zeit und gingen gleich nach oben. Das Hauptschlafzimmer war leicht zu finden, das Zimmer am Ende des Flurs. Durch die geöffnete Tür konnte Chloe schon rote Schlieren auf dem Teppich und den Laken sehen.

Sie war jedoch erleichtert, als sie feststellte, dass der Tatort tatsächlich nicht so schlimm aussah, wie auf den Bildern, die Director Johnson ihnen gezeigt hatte. Zuallererst war die Leiche weggebracht worden. Zweitens waren die Blutspuren schon länger dort, was sie leicht verblassen ließ.

Sie gingen zum Bett und achteten darauf, Гјber alle Blutspritzer auf dem Teppich zu steigen. Sie konnte Stellen in den Blutspritzern sehen, in die der Gerichtsmediziner und die ursprГјnglichen Ermittler versehentlich hineingetreten waren. Chloe sah zur anderen Seite des Raumes, zur Kommode, wo ein Flachbildfernseher an der Wand angebracht war. Sie hat wahrscheinlich ferngesehen, als es passierte. Vielleicht versuchte sie, die Erinnerungen an das High-School Klassentreffen zu vergessen.

Dann ging Chloe nach unten und schaute sich um. Sie sah keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen und keine eindeutigen Hinweise darauf, dass etwas gestohlen worden war. Sie sah sich im Wohnzimmer, in der Küche und im Gästezimmer um. Sie trat sogar hinaus auf die hintere Terrasse und schaute sich dort um. In der Ecke stand ein kleiner Gartentisch. In der Mitte darauf, unter dem Sonnenschirm, befand sich ein Aschenbecher.

Chloe gab ein hmm Geräusch von sich, als sie den Inhalt des Aschenbechers sah. Es befanden sich keine Zigarettenstummel darin, sondern eine andere Art von Asche und Papier. Sie beugte sich vor und nahm einen Atemzug. Der Geruch von Marihuana war unverkennbar. Sie sortierte ein paar Dinge in ihrem Kopf und versuchte herauszufinden, ob dies in irgendeiner Weise relevant sein könnte.

Chloe zuckte zusammen, als ihr Telefon klingelte. Moulton trat auf die Terrasse, um sich ihr anzuschließen, sah ihren kurzzeitigen Schock und lächelte. Sie verdrehte die Augen und ging an ihr Telefon, ohne dass sie die Nummer erkannte.

„Hier spricht Agentin Fine“, antwortete sie.

„Hier spricht Claire Lovingston. Ich dachte, Sie würden vermutlich gerne wissen, dass ich gerade einen Anruf von einer meiner Freundinnen, Tabby North, bekommen habe. Sie war eine der engen Freundinnen, von denen Jerry Ihnen erzählt hat. Sie fragte, ob irgendjemand anderes von der Polizei vorbeigekommen ist, um mit mir zu sprechen. Ich habe ihr gesagt, dass das FBI hier war und sie würde gerne mit Ihnen reden.“

„Hat sie Informationen für uns?“

„Um ehrlich zu sein … weiß ich es nicht. Vermutlich nicht. Aber dies ist eine eher kleine Gemeinde. Ich glaube, sie wollen dem Ganzen nur auf den Grund gehen. Ich bin mir sicher, Sie werden sie unglaublich hilfreich finden.“

„Großartig. Schicken Sie mir ihre Nummer nach diesem Anruf.“

Chloe legte auf und informierte Moulton. „Das war Claire. Sie sagt, eine andere Freundin von Lauren rief sie an, um zu sehen, ob sich etwas Neues entwickelt habe. Sie möchte gerne mit uns sprechen.“

„Gut. Ich will nicht lügen … Ich bin hier ziemlich fertig. Das Schlafzimmer ist mir unheimlich.“

Dies war eine gute Art, es zu beschreiben. Chloe konnte die Fotos immer noch vor ihrem inneren Auge sehen und der Tatort ohne die Leiche schien daher wie der Blick auf einen alten, verlassenen Ort, den sie nicht sehen sollte.

Trotzdem gingen sie zurück ins Schlafzimmer und nahmen sich etwas Zeit, um den Raum noch einmal zu überprüfen. Sie schauten ins Badezimmer, in den begehbaren Kleiderschrank und sogar unters Bett. Nachdem sie nichts Interessantes gefunden hatten, verließen sie das Haus und, kurz darauf, auch die Farmington Acres Nachbarschaft. Chloe dachte wieder, es sei ein unglaublich idyllischer Ort – die perfekte Nachbarschaft, um eine Familie zu gründen und eine Zukunft zu gestalten.

Solange man sich im Klaren darüber war, dass es von Zeit zu Zeit einen Mord geben könnte, mit dem man fertig werden musste.




KAPITEL SIEBEN


Tabby North war ein Rotschopf und hatte einen Körper, der Chloe vermuten ließ, dass sie mindestens vier Tage pro Woche ins Fitnessstudio ging. Chloe war außerdem der bescheidenen Meinung, dass ihr Körper ein paar mehr Mahlzeiten gebrauchen könne. Sie war ganz offensichtlich wunderschön, aber sie sah aus, als könnte sie von einem starken Wind weggeblasen werden.

Chloe und Moulton trafen Tabby in ihrem Haus und stellten fest, dass sie eine weitere enge Freundin eingeladen hatte; eine Frau, die anscheinend zum gleichen Fitnessstudio wie Tabby ging. Diese Frau war Kaitlin St. John und sie weinte, als Chloe und Moulton ankamen. Sie versammelten sich auf Tabbys abgeschirmter Terrasse, wo Tabby sie mit einer Karaffe Lavendellimonade empfing. Chloe konnte sich gegen die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, nicht wehren – wie heuchlerisch das alles schien. Diese Frauen, die rasend auf die Vierzig zugingen, mit ihren winzigen Taillen und ihren gesundheitsverrückten Getränken.

Diese Gedanken sind sicherlich nicht der Grund dafür, warum Johnson sagte, er glaube, du hättest ein Händchen für diese Kleinstadt-Fälle, dachte sie zu sich selbst.

Um höflich zu sein, nahm sie einen Schluck Limonade. Trotz ihrer negativen Gedanken schmeckte sie wirklich lecker.

„Ich nehme an, Sie haben schon mit der Polizei gesprochen?“, fragte Chloe.

„Ja“, sagte Tabby. „Und obwohl ich vollkommen verstehe, dass sie ihr Bestes geben, war es ziemlich eindeutig, dass sie keine Ahnung davon haben, was sie tun.“

„Es jagt ihnen auch Angst ein“, sagte Kaitlin.

„Was genau jagt ihnen Angst ein?“, fragte Moulton.

„Der Gedanke daran, dass sie es mit irgendeiner politischen Verbindung zu tun haben könnten. Ich vermute, Sie wissen, dass Laurens Vater eng mit dem Verteidigungsminister befreundet ist. Ich bin mir sicher, dass die örtliche Polizei einen Medienzirkus, wenn möglich, lieber vermeiden würde.“

„Es besteht also eine politische Verbindung?“, fragte Tabby.

„Es ist viel zu früh, um dies sicher zu wissen“, sagte Chloe. Sie empfing bereits jetzt unangenehme Schwingungen von den beiden. Sie zweifelte nicht an ihrem Kummer – dieser zeigte sich in ihren Gesichtsausdrücken und der Tatsache, dass Kaitlin offen vor ihnen geweint hatte, seit sie hier waren. Aber sie hatte auch keine Schwierigkeiten, sich die beiden vorzustellen – vielleicht zusammen mit Lauren Hilyard und Claire Lovingston – wie sie hier saßen und über jeden in der Stadt tratschten. Sie fragte sich, wie viel von dem, was sie hier besprachen, am Ende in der Barnes Point Gerüchteküche landen würde.

„Können Sie uns sagen, wann Sie Lauren zuletzt gesehen haben?“, fragte Moulton.

„In der Nacht vor ihrem Tod“, sagte Tabby. „Wir haben uns alle auf dem High-School-Klassentreffen wiedergesehen.“

„Wir mussten Lauren quasi dorthin schleifen“, sagte Kaitlin. „Sie hasste solche Sachen immer.“

„Nun ja, sie hasste solche Sachen, nachdem wir die Schule verlassen hatten“, korrigierte Tabby. „Sie hat immer versucht, die High-School-Jahre in der Vergangenheit zu belassen.“

„Schien sie in dieser Nacht irgendwie anders zu sein?“, fragte Chloe.

„Nicht, dass ich es bemerkt hätte“, sagte Tabby.

„Ich auch nicht“, sagte Kaitlin. „Ich wage zu behaupten, dass sie etwas später in der Nacht ein wenig Spaß hatte. Lauren… nun ja, sie war die Herzensbrecherin unserer High-School. Alle Jungs wollten sie und als Jerry Hilyard sie im Abschlussjahr auf einmal schwängerte… Mann, es schien, als würde alles explodieren. Sie verlor etwas von dieser Anziehungskraft, wissen Sie. Aber die Art und Weise wie jeder sie an diesem Abend bei dem Klassentreffen behandelte… ich glaube, alle hatten es vergessen. Es schien, als wäre sie wieder die Ballkönigin. Ich denke, sie brauchte das.“

„Waren eine Menge Leute dort?“, fragte Moulton.

„Ziemlich viele“, sagte Tabby. „Dies ist ein etwas merkwürdiger Teil der Stadt. Viele Leute, die auf unsere High-School gegangen sind, haben entweder ihren Abschluss gemacht, oder sind nach dem College wieder hierher zurückgezogen. Es ist nicht gerade eine wohlhabende Stadt, aber diese Seite des Ortes ist dafür bekannt, die reiche Seite zu sein, wissen Sie? Wie dem auch sei, für ein paar Augenblicke sah Lauren wirklich glücklich aus.“

„Wie wir verstehen, gehörte Lauren zu denen, die ihren Abschluss machten und dann hierblieben“, sagte Chloe. „Waren Sie alle Freunde in der High-School?“

„Ja. Zum Teufel… Lauren und Claire waren bereits seit dem Kindergarten befreundet.“

„Würden Sie also sagen, dass die beiden unter Ihnen vier am engsten waren?“

„Wahrscheinlich“, sagte Kaitlin. „Sie waren schon immer beste Freundinnen. Wir wissen, dass sie ihre privaten kleinen Veranda-Treffen hatten. Es ist goldig… aber ja, von Zeit zu Zeit fühlte ich mich ein wenig ausgelassen. Und du Tab?“




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