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Verfolgt
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #9
Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) VERFOLGT ist Band #9 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt. Als zwei Soldaten auf einer riesigen Militärbasis in Kalifornien tot aufgefunden werden, sind die Militärermittler perplex. Wer tötet Soldaten in der sicheren Umgebung ihrer eigenen Basis?Und warum?Das FBI wird gerufen und Riley Paige übernimmt die Leitung. Riley findet sich in der Welt des Militärs wieder und ist überrascht zu sehen, dass selbst dort ein Serienmörder zuschlagen kann, mitten in dem sichersten Gelände der Welt. Es entwickelte sich eine verzweifelte Katz und Maus Jagd, um die Psychologie des Mörders zu entziffern. Aber sie erkennt bald, dass sie es mit einem hervorragend ausgebildeten Mörder zu tun hat, einem, der sich selbst für sie als ein zu tödlicher Gegner herausstellen könnte. Ein dunkler Psychothriller, der Herzklopfen bereitet. VERFOLGT ist Band #9 einer fesselnden neuen Serie – mit einem geliebten neuen Charakters – der Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Band #10 in der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.







V E R F O L G T



(EIN RILEY PAIGE KRIMI – BAND #9)



B L A K E P I E R C E


Blake Pierce



Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller RILEY PAIGE Krimi Serie, die bisher zehn BГјcher umfasst. Blake Pierce ist auГџerdem die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimi Serie, bestehend aus bisher sechs BГјchern; von der AVERY BLACK Krimi Serie, bestehend aus bisher fГјnf BГјchern; und der neuen KERI LOCKE Krimi Serie, die bisher aus vier BГјchern besteht.

Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi und Thriller Genres. Blake liebt es von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com) und bleiben Sie in Kontakt!



Copyright © 2017 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild dlsk, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com


BГњCHER VON BLAKE PIERCE



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERMISST (Band #10)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

BEVOR ER FГњHLT (Band #6)



AVERY BLACK KRIMI SERIE

GRUND ZU TГ–TEN (Band #1)

GRUND ZU FLГњCHTEN (Band #2)

GRUND ZU VERSTECKEN (Band #3)

GRUND ZU FГњRCHTEN (Band #4)

GRUND ZU RETTEN (Band #5)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON LASTER (Band #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4)


Inhalt



PROLOG (#uf87062dd-0d03-59e7-871c-b0a51e79c1f3)

KAPITEL EINS (#u16965492-e5d3-5409-94c4-c950c517c54b)

KAPITEL ZWEI (#u8ec66225-96ec-5b27-9417-5be65f80962f)

KAPITEL DREI (#ud467d40f-5b49-5cdd-bfb6-9b8ccc66e314)

KAPITEL VIER (#uf0163212-c5ef-55e6-b879-f44b29ce17d3)

KAPITEL FГњNF (#u1703cd80-02ff-59b5-a384-92ad41139f5d)

KAPITEL SECHS (#u79b68195-a88f-5a5a-8a3c-5659c9f523d5)

KAPITEL SIEBEN (#u9641a1ca-10b6-5b74-a72e-d79f5f6ef730)

KAPITEL ACHT (#u4a2d0efd-be97-5868-989a-2b3d8d0607d4)

KAPITEL NEUN (#uac94a10d-9b52-5382-bfe6-015448957f30)

KAPITEL ZEHN (#ue1de697e-e575-5cb0-ac4f-086eb14ee64f)

KAPITEL ELF (#u56807955-e654-59c7-9bb5-aa82026ba857)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL VIERUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL SECHSUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Colonel Dutch Adams sah auf seine Uhr, während er durch Fort Nash Mowat ging. Es war Punkt 0500. Es war ein dämmriger Aprilmorgen in Südkalifornien und alles schien so zu sein, wie es sein sollte.

Er hörte die Stimme einer Frau laut rufen: "Der Garnisonskommandant ist anwesend!"

Er drehte sich um und sah ein Trainingszug bei dem Befehl des weiblichen Ausbildungsoffiziers stramm stehen. Colonel Adams hielt inne und erwiderte den Salut, bevor er weiterging. Er ging ein wenig schneller als zuvor, in der Hoffnung, der Aufmerksamkeit eines weiteren Sergeants zu entkommen. Er wollte die Truppen nicht unterbrechen, die sich in ihren Гњbungsbereichen versammelten.

Sein Gesicht zuckte ein wenig. Nach all den Jahren war er immer noch nicht daran gewöhnt, eine weibliche Stimme Befehle brüllen zu hören. Selbst der Anblick einer gemischten Truppe überraschte ihn manchmal. Die Armee hatte sich deutlich verändert, seit er als Teenager rekrutiert worden war. Er mochte viele diese Änderungen nicht.

Während er weiterging, hörte er die Rufe der Ausbildungsoffiziere, männlich und weiblich, die ihre Truppen in Formation brachten.

Die haben keinen Biss mehr, dachte er.

Er würde niemals die Beleidigungen vergessen, die sein eigener Ausbildungsoffizier vor all den Jahren von sich gegeben hatte – die grausamen Beschimpfungen gegen Familie und Vorfahren, die Schimpfwörter und Obszönitäten.

Er lächelte ein wenig. Dieser Bastard Sergeant Driscoll!

Driscoll war vor vielen Jahren gestorben – nicht im Kampf, wie er es vermutlich bevorzugt hätte, sondern an einem Herzinfarkt, ausgelöst durch hohen Blutdruck. Damals war hoher Blutdruck eine Berufskrankheit von Ausbildungsoffizieren.

Colonel Adams würde Driscoll nie vergessen und soweit es ihn betraf, war das der Lauf der Dinge. Ein Ausbildungsoffizier sollte einen bleibenden Eindruck für den Rest des Lebens bei einem Soldaten hinterlassen. Er sollte ein lebendes Beispiel für die schlimmste Art von Hölle sein, die das Leben eines Soldaten zu bieten hatte. Sergeant Driscoll hatte definitiv einen lebenslangen Eindruck bei Colonel Adams hinterlassen. Würden die Ausbilder unter seiner Führung hier im Fort Nash Mowat einen ähnlich starken Eindruck bei den Rekruten hinterlassen?

Er bezweifelte es.

Zu viel verdammte politische Korrektheit, dachte er.

Diese Verweichlichung stand jetzt sogar im Ausbildungshandbuch der Armee.

"Stress, der durch physische oder verbale Misshandlung ausgelöst wird, ist nicht produktiv und verboten."

Er schnaubte abfällig, als er an diese Worte dachte.

"Was für ein Blödsinn", murmelte er vor sich hin.

Aber die Armee hatte sich seit den 90er Jahren in diese Richtung bewegt. Er wusste, dass er mittlerweile daran gewöhnt sein sollte. Aber das würde er wohl nie sein.

Wie auch immer, er würde sich nicht mehr lange damit beschäftigen müssen. Er war nur ein Jahr von seiner Pensionierung entfernt und sein letztes Ziel war es, bis dahin Brigadegeneral zu werden.

Plötzlich wurde Adams durch einen ungewöhnlichen Anblick von seinen Gedanken abgelenkt.

Die Rekruten von Truppenzug 6 gingen ziellos in ihrem Übungsbereich umher, manche mit Aufwärmübungen beschäftigen, andere sich locker unterhaltend.

Colonel Adams hielt inne und rief:

"Soldaten! Wo zum Teufel ist euer Sergeant?"

Nervös standen die Rekruten stramm und salutierten.

"RГјhrt euch", sagte Adams. "Wird mir jetzt jemand meine verdammte Frage beantworten?"

Ein weiblicher Rekrut meldete sich zu Wort.

"Wir wissen nicht, wo Sergeant Worthing ist, Sir."

Adams traute seinen Ohren nicht.

"Was wollen Sie damit sagen, Sie wissen es nicht?" verlangte er.

"Er ist nicht zur Truppenformation aufgetaucht, Sir."

Adams knurrte grimmig.

Das klang überhaupt nicht nach Sergeant Clifford Worthing. Tatsächlich war Worthing einer der wenigen Ausbildungsoffiziere, die Adams wirklich gebrauchen konnte. Er war ein harter Knochen der alten Schule – oder zumindest wollte er das sein. Er kam oft in Adams' Büro und beschwerte sich, dass die Regeln ihn einschränkten.

Trotzdem wusste Adams, dass Worthing die Regeln so weit bog, wie er nur konnte. Manchmal beschwerten sich die Rekruten Гјber seine strengen Befehle und verbalen Beleidigungen. Diese Beschwerden freuten Adams.

Aber wo war Worthing jetzt?

Adams bahnte sich einen Weg durch die Rekruten zu der Kaserne, wo er durch die Bettreihen ging, bis er Worthings BГјro erreichte.

Er klopfte hart an die TГјr.

"Worthing, sind Sie da drin?"

Niemand antwortete.

"Worthing, hier ist Ihr Kommandant und wenn Sie da drin sind, dann sollten Sie jetzt besser antworten."

Wieder antwortete niemand.

Adams drehte den TГјrknauf und stieГџ die TГјr auf.

Das Büro war penibel aufgeräumt – aber niemand war dort.

Wo zur Hölle ist er hin? fragte Adams sich.

War Worthing Гјberhaupt heute Morgen auf dem StГјtzpunkt aufgetaucht?

Dann bemerkte er das RAUCHEN VERBOTEN Schild an der Wand.

Er erinnerte sich, dass Worthing rauchte.

Konnte der Ausbildungsoffizier zum Rauchen rausgegangen sein?

"Nein, das kann nicht sein", grummelte Adams laut.

Worthing hätte nicht vergessen, dass die Truppenformation anstand.

Trotzdem trat Adams aus dem BГјro und ging zum Hintereingang der Kaserne.

Er Г¶ffnete die TГјr und starrte in das frГјhe Morgenlicht.

Er musste nicht lange suchen.

Sergeant Worthing hockte mit seinem RГјcken an der Kasernenwand, eine ausgebrannte Zigarette im Mundwinkel.

"Worthing, was zum Teufel …?" knurrte Adams.

Dann schreckte er vor dem zurГјck, was er sah.

Auf Adams' Augenhöhe war ein großer, nasser Fleck an der Wand.

Von diesem Fleck fГјhrte eine Spur bis zu der Stelle, an der Worthing hockte.

Dann sah Adams das dunkle Loch in der Mitte von Worthings Kopf.

Es war eine Schusswunde.

Die Eintrittswunde war winzig, aber die Austrittswunde hatte den Großteil von Worthings Schädel weggerissen. Der Mann war erschossen worden, während er stehend am frühen Morgen eine Zigarette rauchte. Der Schuss war so sauber gewesen, dass der Sergeant sofort tot gewesen war. Selbst die Zigarette in seinem Mund blieb unberührt.

"GГјtiger Himmel", murmelte Adams. "Nicht schon wieder."

Er sah sich um. Ein groГџes, leeres Feld erstreckte sich hinter der Kaserne. Der Schuss war aus groГџer Entfernung abgegeben worden. Das hieГџ, dass er von einem geГјbten ScharfschГјtzen gekommen sein musste.

Adams schüttelte ungläubig den Kopf.

Sein Leben, das wusste er, würde sehr kompliziert werden – und äußerst ärgerlich.




KAPITEL EINS


Riley Page sah aus dem offenen Fenster ihres Stadthauses. Es war ein angenehmer Frühlingstag, einer dieser Tage mit singenden Vögeln und blühenden Blumen. Die Luft roch klar und frisch. Und doch zog eine lauernde Dunkelheit an ihr.

Sie hatte das seltsame Gefühl, dass all diese Schönheit schrecklich zerbrechlich war.

Deshalb hielt sie ihre Hände locker an ihrer Seite, als wäre sie in einem Porzellanladen und eine einzige falsche Bewegung könnte etwas Schönes und Teures zerbrechen. Oder vielleicht war dieser perfekte Nachmittag nur eine hauchdünne Illusion, die bei der kleinsten Berührung zerfallen würde, um zu enthüllen …

Was? fragte Riley sich.

Dass die Dunkelheit eine Welt voll Schmerz und Angst und Bösem war?

Oder dass die Dunkelheit in ihrem eigenen Verstand existierte – eine Dunkelheit von zu vielen hässlichen Gedanken und Geheimnissen?

Eine Mädchenstimme unterbrach ihre Gedanken.

"Woran denkst du, Mom?"

Riley drehte sich um. Ihr wurde klar, dass sie fГјr einen Moment die anderen Menschen in ihrem Wohnzimmer vergessen hatte.

Jilly hatte sie angesprochen, das schlaksige dreizehn Jahre alte Mädchen, das Riley gerade versuchte zu adoptieren.

"Nichts Besonderes", erwiderte Riley.

Ihr gut aussehender ehemaliger Nachbar Blaine Hildreth lächelte sie an.

"Du schienst auf jeden Fall weit weg zu sein", sagte er.

Blaine war gerade mit seiner Tochter Crystal angekommen.

Riley sagte, "Ich nehme an, ich habe mich gefragt, wo April ist."

Es bereitete ihr Sorgen. Rileys fünfzehnjährige Tochter war noch nicht von der Schule nach Hause gekommen. Wusste April nicht, dass sie bald zum Abendessen in Blaines Restaurant gehen wollten?

Crystal und Jilly grinsten sich schelmisch an.

"Oh, sie wird bald hier sein", sagte Jilly.

"Ich wette, sie kommt jede Minute", fГјgte Crystal hinzu.

Riley fragte sich, ob die Mädchen etwas wussten, das ihr entgangen war. Sie hoffte, dass April nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte. April hatte eine rebellische Phase durchgemacht und vor einigen Monaten fürchterliche Traumata durchlebt. Aber es schien ihr jetzt viel besser zu gehen.

Dann sah Riley die anderen an und fГјhlte einen schuldigen Stich.

"Blaine, Crystal – ich habe euch noch gar nichts zu Trinken angeboten! Ich habe Ginger Ale da. Und einen Bourbon, wenn du magst, Blaine."

"Ginger Ale wäre nett, danke", sagte Blaine.

"FГјr mich auch bitte", sagte Crystal.

Jilly schickte sich an, von ihrem Stuhl aufzustehen.

"Ich hole welches", sagte Jilly.

"Oh, nein, lieb von dir", sagte Riley. "Aber ich mache das schon."

Riley ging direkt in die Küche, froh etwas zu tun zu haben. Erfrischungen zu servieren wäre normalerweise Gabrielas Aufgabe, Rileys Haushälterin aus Guatemala. Aber Gabriela hatte frei und besuchte Freunde. Gabriela gab Riley manchmal das Gefühl, verwöhnt zu sein und es war eine nette Abwechslung, einmal selber für Getränke zu sorgen. Es hielt Rileys Gedanken außerdem in der Gegenwart.

Sie goss Ginger Ale ein, nicht nur fГјr Crystal und Blaine, auch fГјr sich und Jilly.

Als sie das Tablett mit den Gläsern zurück ins Wohnzimmer trug, hörte Riley, wie sich die Haustür öffnete. Dann hörte sie Aprils Stimme, die mit jemandem sprach, den sie mitgebracht hatte.

Riley reichte gerade ihren Gästen die Getränke, als April, gefolgt von einem Jungen in ihrem Alter, hereinkam. Sie sah überrascht zu Blaine und Crystal.

"Oh!" keuchte April. "Ich habe nicht erwartet––"

Dann wurde sie puterrot.

"Oh mein Gott, das habe ich vollkommen vergessen! Wir gehen heute aus! Es tut mir so leid!"

Jilly und Crystal kicherten. Jetzt verstand Riley ihre Belustigung. Sie wussten bereits, dass April einen neuen Freund hatte und zu beschäftigt mit ihm war, als dass sich sie an das Abendessen erinnert hätte.

Ich weiß noch, wie das war, dachte Riley, als sie sich ein wenig wehmütig an ihre eigenen Schwärme als Teenager erinnerte.

Erfreut, dass April ihn mitgebracht hatte um ihn vorzustellen, unterzog Riley den Jungen einer schnellen Beurteilung. Sie mochte sofort, was sie sah. Wie April, war er groß, schlaksig, und sah recht ungelenk aus. Er hatte leuchtend rote Haare, Sommersprossen, funkelnde blaue Augen und ein nettes Lächeln.

April sagte, "Mom, das ist Liam Schweppe. Liam, das ist meine Mom."

Liam bot Riley seine Hand an.

"Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mrs. Paige", sagte er.

Seine Stimme hatte das amüsante Quietschen eines Teenagers, das Riley ein Lächeln entlockte.

"Du kannst mich Riley nennen", sagte sie.

April sagte, "Mom, Liam ist––"

April hielt inne, offensichtlich noch nicht bereit zu sagen "mein neuer Freund."

Stattdessen sagte sie, "Er ist der Kapitän des Highschool Schachteams."

Rileys Belustigung wuchs mit jeder Minute.

"Ich nehme also an, du bringst April das Schachspielen bei", sagte sie.

"Ich versuche es", sagte Liam.

Riley konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. Sie war eine recht passable Schachspielerin und sie hatte jahrelang versucht, Aprils Interesse an dem Spiel zu wecken. Aber April hatte immer nur mit den Augen gerollt und Schach für zu uncool gehalten – eine "Mom-Sache" die sie auf keinen Fall interessieren würde.

Ihre Einstellung schien sich geändert zu haben, jetzt, wo ein niedlicher Junge mit von der Partie war.

Riley lud Liam ein, sich zu den anderen zu setzen.

Sie sagte zu ihm, "Ich wГјrde dir etwas zu trinken anbieten, aber wir wollten gerade aufbrechen, um zum Abendessen zu gehen."

"Das Abendessen, das April total vergessen hat", sagte Liam, während sein Grinsen ein wenig breiter wurde.

"Das stimmt", sagte Riley. "Warum kommst du nicht mit?"

Aprils Wangen wurden noch röter.

"Oh, Mom …" fing sie an.

"'Oh, Mom' was?", fragte Riley.

"Ich bin sicher, dass Liam schon was anderes vorhat", sagte April.

Riley lachte. Sie bewegte sich offenbar wieder in dem 'uncoole Mom' Bereich. April war bereit gewesen Liam vorzustellen, aber ein Familienessen ging dann doch zu weit.

"Was meinst du, Liam?", fragte Riley.

"Klingt super, danke", sagte Liam. "Wo gehen wir hin?"

"Blaine's Grill", sagte Riley.

Liams Augen leuchteten auf.

"Oh, wow! Ich habe tolle Sachen von dem Laden gehört!"

Jetzt war es an Blaine Hildreth zu grinsen.

"Danke", sagte er zu Liam. "Ich bin Blaine. Mir gehört das Restaurant."

Liam lachte.

"Cooler und cooler!", sagte er.

"Dann kommt, lasst uns gehen", sagte Riley.



*



Kurze Zeit später genoss Riley ein köstliches Abendessen mit April, Jilly, Blaine, Crystal und Liam. Sie saßen auf der Terrasse von Blaine's Grill und erfreuten sich an herrlichem Wetter und tollem Essen.

Riley sprach mit Liam über Schach und diskutierte einige Spieltaktiken. Sie war von seinem Wissen über das Spiel beeindruckt. Sie fragte sich, wie sie sich wohl in einer Partie mit ihm schlagen würde. Vermutlich würde sie verlieren. Sie war zwar eine gute Spielerin, aber er war bereits Kapitän des Schachteams, obwohl er erst in seinem zweiten Jahr an der Highschool war. Außerdem hatte sie in letzter Zeit nur wenig Gelegenheit zum Spielen gehabt.

Er muss wirklich gut sein, dachte sie.

Der Gedanke freute sie sehr. Riley wusste, dass April schlauer war, als sie selber dachte und es war gut, dass sie einen Freund hatte, der sie intellektuell fordern konnte.

Während sie und Liam sich unterhielten, fragte Riley sich, was wohl aus April und ihm werden würde. Es waren nur noch zwei Monate bis zum Ende des Schuljahres. Würden sie über den Sommer das Interesse aneinander verlieren? Riley hoffte, dass das nicht der Fall sein würde.

"Was hast du fГјr den Sommer geplant, Liam?", fragte Riley.

"Ich gehe zum Schach-Camp", sagte Liam. "Tatsächlich bin ich dort Junior Coach. Ich habe versucht, April zu überreden mitzukommen."

Riley sah zu April.

"Warum gehst du nicht mit, April?", fragte sie.

April wurde wieder rot.

"Ich weiß nicht", sagte sie. "Ich dachte eigentlich an ein Fußball-Camp. Das wäre vielleicht eher was für mich. Das Schach-Camp ist wahrscheinlich zu hoch für mich."

"Nein, absolut nicht!", sagte Liam. "Da sind Spieler auf jedem Niveau – auch einige, die gerade erst anfangen das Spiel zu lernen, so wie du. Und es ist direkt hier in Fredericksburg, also müsstest du nicht mal von zu Hause weg."

"Ich denke darГјber nach", sagte April. "Erst mal muss ich mich auf meine Noten konzentrieren."

Riley war froh, dass Liam April nicht von der Schule abzulenken schien. Trotzdem wünschte Riley sich, April würde mit zu diesem Schach-Camp gehen. Aber sie wusste, dass sie nicht drängen durfte. Das würde es vermutlich wieder in eine 'uncoole Mom'-Sache verwandeln. Es war besser, es Liam zu überlassen, sie zu überreden.

In jedem Fall war Riley froh, April so glücklich zu sehen. Mit ihren dunklen Haaren und braunen Augen sah April manchmal erstaunlich erwachsen aus. Riley erinnerte sich, dass sie Aprils Namen ausgewählt hatte, weil es ihr Lieblingsmonat war. Und Tage wie dieser machten ihn dazu.

Blaine sah von seinem Essen auf.

Er sagte, "Also, erzähl uns von dieser Auszeichnung, die du morgen bekommst, Riley."

Jetzt war es an Riley, ein wenig rot zu werden.

"Das ist keine groГџe Sache", sagte sie.

Jilly protestierte lautstark.

"Und ob das eine große Sache ist!", rief sie. "Es ist die Beharrlichkeitsauszeichnung und sie bekommt sie, weil sie diesen alten Fall gelöst hat. Der Boss vom ganzen FBI wird ihn ihr geben."

Blaines Augen wurden groГџ.

"Du meinst Direktor Milner selbst?", fragte er.

Riley war jetzt wirklich peinlich berГјhrt und lachte unsicher auf.

"Das ist nicht so beeindruckend, wie es klingt", sagte sie. "Es ist schlieГџlich keine groГџe Reise fГјr ihn, nach Quantico zu kommen. Er arbeitet gleich hier von DC aus, wisst ihr."

Blaines Mund blieb vor Bewunderung offen stehen.

Jilly sagte, "Blaine, April und ich haben freibekommen, damit wir sehen können, wie sie die Auszeichnung bekommt. Du und Crystal solltet auch kommen."

Blaine und Crystal sagten beide, dass sie gerne dabei wären.

"Okay", sagte Riley, die immer noch ein wenig beschämt war. "Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht. Wie auch immer, das ist nicht das größte Ereignis morgen. Jilly ist der Star des Schultheaterstücks morgen Abend. Das ist viel wichtiger."

Jetzt wurde Jilly rot.

"Ich bin nicht der Star, Mom", sagte sie.

Riley lachte bei Jillys plötzlicher Bescheidenheit.

"Du spielst eine der Titelrollen! Du bist Persephone – in einem Stück, das Demeter und Persephone heißt. Warum erzählst du uns nicht die Geschichte?"

Jilly fing an die Geschichte des griechischen Mythos zu erzählen – erst noch schüchtern, aber bald mit mehr Enthusiasmus. Riley schaute ihr erfreut zu. Eines ihrer Mädchen lernte Schach zu spielen, die andere war von griechischer Mythologie begeistert.

Es scheint doch besser zu werden, dachte sie.

Ihre Anstrengungen was Ehe und Familie anging, waren bisher recht holprige Ergebnisse geliefert. Sie hatte kürzlich einen schweren Fehler gemacht, indem sie ihrem Exmann, Ryan, erlaubt hatte, wieder in ihr Leben und das der Mädchen zu kommen. Ryan hatte sich als so unfähig wie zuvor erwiesen, Verantwortung zu übernehmen.

Aber jetzt?

Riley sah zu Blaine und stellte fest, dass er sie bereits ansah. Er lächelte und sie erwiderte das Lächeln. Da war definitiv ein Funke zwischen ihnen. Sie hatten bei ihrem Date im letzten Monat getanzt und sich geküsst – ihr einziges Date bisher. Aber Riley wand sich innerlich, als sie sich daran erinnerte, wie peinlich es geendet hatte – mit ihrer Flucht in einen neuen Fall.

Blaine schien ihr vergeben zu haben.

Aber wo wГјrde es mit ihnen hinfГјhren?

Wieder stieg die lauernde Dunkelheit in Riley auf.

Früher oder später könnte diese Illusion von Familie und Freundschaft der Realität des Bösen weichen – Mord und Grausamkeit und menschliche Monster.

Und sie hatte ein Gefühl, tief in sich, dass das eher früher als später geschehen würde.




KAPITEL ZWEI


In der vordersten Reihe des Auditorium sitzend, fГјhlte Riley sich ausgesprochen unwohl. Sie hatte sich zahllosen grausamen Killern gegenГјbergesehen und niemals ihre Fassung verloren. Aber in diesem Moment war sie kurz vor einer Panikattacke.

FBI Direktor Gavin Milner stand am Podium vor der versammelten Menge. Er sprach über Rileys lange Karriere – insbesondere den Fall, für den sie ausgezeichnet wurde, den "Streichholzbrief-Killer"-Fall.

Riley fand den vornehmen Bariton seiner Stimme sehr angenehm. Sie hatte bisher kaum mit Direktor Milner zu tun gehabt, aber sie mochte ihn. Er war ein schmaler, adretter kleiner Mann mit einem perfekten Schnurrbart. Riley dachte, dass er eher aussah und klang, wie der Dekan für eine Schule der bildenden Künste, als der Kopf von der bedeutendsten Strafverfolgungsbehörde Amerikas.

Riley hatte seinen tatsächlichen Worten allerdings nicht wirklich zugehört. Sie war zu nervös. Aber jetzt, da er zum Ende seiner Rede zu kommen schien, hörte Riley aufmerksamer zu.

Milner sagte, "Wir sind uns alle der Courage, der Intelligenz und der Professionalität auch unter Stress von Spezialagentin Riley Paige bewusst. Sie wurde in der Vergangenheit für diese Qualitäten ausgezeichnet. Aber wir sind heute hier, um sie für etwas anderes zu ehren – ihre Beharrlichkeit und ihre Entschlossenheit Gerechtigkeit walten zu lassen. Dank ihrer Bemühungen wurde ein Mörder, der vor fünfundzwanzig Jahren drei Menschen getötet hat, seiner gerechten Strafe überführt. Wir alle schulden ihr Dank für ihre Leistung – und für ihr Beispiel."

Er lächelte und sah sie direkt an. Er hob das Kästchen mit der Auszeichnung hoch.

Das ist mein Stichwort, dachte Riley.

Ihre Knie waren weich, als sie aufstand und auf die BГјhne ging.

Sie trat an das Podium und Milner legte ihr die Medaille um den Hals.

Sie war erstaunlich schwer.

Seltsam, dachte Riley. Die anderen haben sich nicht so angefГјhlt.

Sie hatte drei solcher Auszeichnungen Гјber die Jahre erhalten.

Aber diese hier war schwerer – und irgendwie anders.

Sie fГјhlte sich fast falsch an.

Riley war sich nicht sicher, warum.

FBI Direktor Gavin Milner klopfte Riley auf die Schulter und lachte leise.

Er sagte zu Riley in einem FlГјstern: "Etwas fГјr die Sammlung, was?"

Riley lachte nervös und schüttelte die Hand des Direktors.

Die Menschen im Auditorium brachen in Applaus aus.

Wieder mit einem leisen Lachen flГјsterte Direktor Milner, "Es ist Zeit, sich der Г–ffentlichkeit zu stellen."

Riley drehte sich herum und war überwältigt von dem, was sie sah.

Es waren mehr Menschen im Auditorium, als ihr klar gewesen war. Und jedes Gesicht war ihr vertraut – ein Freund, ein Familienmitglied, ein Kollege oder jemand, dem sie geholfen oder den sie gerettet hatte.

Alle hatten sich erhoben, lächelten und klatschten.

Rileys Kehle schnürte sich zu und Tränen traten ihr in die Augen.

Sie alle glauben an mich.

Sie war dankbar und berührt – aber sie spürte auch einen schuldigen Stich.

Was wГјrden diese Menschen denken, wenn sie alle ihre dunkelsten Geheimnisse erfuhren?

Sie wussten nichts von ihrer Beziehung mit dem grausamen, aber brillanten Mörder, der aus Sing Sing ausgebrochen war. Sie wussten definitiv nicht, dass dieser Kriminelle ihr geholfen hatte, mehrere Fälle zu lösen. Und sie konnten nicht wissen, wie sehr ihr Leben mit dem von Shane Hatcher verbunden war.

Riley schauderte fast bei dem Gedanken.

Kein Wunder, dass diese Medaille sich schwerer anfГјhlte als die anderen.

Nein, ich verdiene sie nicht, dachte Riley.

Aber was sollte sie tun – sich umdrehen und sie Direktor Milner zurückgeben?

Stattdessen brachte sie ein Lächeln zustande und stammelte Worte des Dankes. Dann verließ sie vorsichtig die Bühne.



*



Kurz darauf stand Riley in einem großen, überfüllten Raum, in dem Erfrischungen aufgebaut waren. Es sah aus, als wären die meisten Menschen aus dem Auditorium da. Sie war der Mittelpunkt der Aktivitäten und jeder wollte ihr gratulieren. Sie war dankbar für die stützende Anwesenheit von Direktor Milner, der direkt neben ihr stand.

In der ersten Welle der Gratulanten waren Kollegen – andere Agenten, Spezialisten, Administratoren und Büroarbeiter.

Die meisten freuten sich offensichtlich für sie. Sam Flores zum Beispiel, der Leiter des technischen Analyseteams in Quantico, gab ihr einen stummen Daumen hoch und lächelte aufrichtig, bevor er weiterging.

Aber Riley hatte auch Feinde und sie waren ebenfalls hier. Die jüngste war Emily Creighton, eine recht unerfahrene Agentin, die sich selbst als Rileys Rivalin sah. Riley hatte sie vor einigen Monaten wegen Anfängerfehlern kritisiert und Creighton hatte es ihr übel genommen.

Als Creighton an der Reihe war, um Riley zu gratulieren, zwang die junge Agentin sich zu einem Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen, murmelte "Glückwunsch" und ging weiter.

Nach ein paar weiteren Kollegen kam der leitende Spezialagent Carl Walder und trat auf Riley zu. Walder repräsentierte für Riley den typischen Bürokraten. Sie verstanden sich nicht besonders gut. Tatsächlich hatte er sie einige Male suspendiert und sogar gefeuert.

Aber jetzt musste Riley fast über seinen Ausdruck gezwungener Wohltätigkeit ihr gegenüber lachen. Mit Direktor Milner direkt neben ihr wagte Walder nicht, irgendwas anderes als geheuchelten Respekt zu zeigen.

Seine Hand war feucht und kalt als er ihre schГјttelte und sie bemerkte SchweiГџtropfen auf seiner Stirn.

"Eine verdiente Auszeichnung, Agentin Paige", sagte er mit wackeliger Stimme. "Wir sind geehrte, Sie in unserem Team zu haben."

Dann schГјttelte Walder die Hand des FBI Direktors.

"Wie nett, dass Sie sich uns angeschlossen haben, Direktor Milner", sagte Walder.

"Mit VergnГјgen", sagte Direktor Milner.

Riley beobachtete das Gesicht des Direktors. Bemerkte sie da ein leichtes Grinsen als er Walder zunickte? Sie war sich nicht sicher. Aber sie wusste, dass Walder im BГјro nicht auГџerordentlich respektiert wurde, weder von seinen Untergebenen, noch von seinen Vorgesetzten.

Nachdem ihr auch der letzte Kollege aus Quantico gratuliert hatte, wühlte die nächste Welle von Gratulanten tiefe Emotionen auf. Da waren Menschen, die sie während ihrer Karriere getroffen hatte – Familienmitglieder von Mordopfern oder Menschen, die sie davor bewahrt hatte, selber zum Opfer zu werden. Riley hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen, vor allem nicht so viele von ihnen.

Der Erste war ein gebrechlich wirkender, alter Mann, den sie im letzten Januar vor einer verrückten Giftmischerin gerettet hatte. Er ergriff Rileys Hand mit seinen und sagte mit tränenerstickter Stimme immer wieder "Danke, Danke, Danke."

Riley konnte die eigenen Tränen nicht zurückhalten.

Dann kamen Lester und Eunice Pennington und ihre Tochter Tiffany. Im Februar war Tiffanys ältere Schwester, Lois, von einem kranken jungen Mann ermordet worden. Riley hatte die Penningtons seit dem Abschluss des Falls nicht mehr gesehen. Riley konnte kaum glauben, dass sie hier waren. Sie erinnerte sich an sie verstört und voller Trauer. Aber sie lächelten durch ihre Tränen, glücklich für Riley und dankbar für die Gerechtigkeit, die sie ihnen gegeben hatte.

Während Riley ihnen gerührt die Hände schüttelte, fragte sie sich, wie viel mehr sie ertragen konnte, bevor sie in Tränen aus dem Raum rannte.

Schließlich kam Paula Steen, die Mutter eines der Mädchen, die vor fünfundzwanzig Jahren ermordet worden waren, in dem Fall, für den Riley gerade ausgezeichnet worden war.

Riley war jetzt wirklich überwältigt.

Sie und Paula waren Гјber lange Jahre in Kontakt gewesen, sprachen jedes Jahr am Todestag ihrer Tochter am Telefon.

Paulas Anwesenheit traf Riley unvorbereitet.

Sie ergriff Paulas Hand und versuchte nicht zusammenzubrechen.

"Paula, vielen Dank, dass Sie gekommen sind", stammelte sie durch ihre Tränen. "Ich hoffe, wir bleiben weiter in Kontakt."

Paula lächelte sie strahlend an.

"Oh, ich werde wie gewohnt einmal im Jahr anrufen, das verspreche ich", sagte Paula. "Zumindest solange ich noch auf dieser Welt bin. Jetzt, da Sie Tildas Mörder gefasst haben, fühle ich mich bereit loszulassen – mich ihr und meinem Mann anzuschließen. Sie warten schon so lange auf mich. Vielen Dank für alles."

Riley spГјrte einen scharfen Stich.

Paula bedankte sich für den Frieden, den sie jetzt fühlte – bedankte sich für die Möglichkeit endlich sterben zu können.

Das war zu viel fГјr Riley.

Sie fand keine Worte.

Stattdessen kГјsste sie Paula ungeschickt auf die Wange und die Г¤ltere Frau ging weiter.

Der Raum leerte sich nach und nach.

Aber diejenigen, die ihr am meisten bedeuteten, waren noch da. Blaine, Crystal, Jilly, April und Gabriela standen in der Nähe und hatten die ganze Zeit zugesehen. Riley fühlte sich besonders gut bei dem stolzen Blick von Gabriela.

Sie sah auch, dass die Mädchen lächelten, während Blaines Gesicht reine Bewunderung zeigte. Riley hoffte, dass diese ganze Zeremonie ihn nicht einschüchterte oder verjagte.

Jetzt kamen drei Menschen auf sie zu, über deren Anwesenheit sie sich besonders freute. Einer davon war ihr langjähriger Partner, Bill Jeffreys. Gleich daneben war Lucy Vargas, eine eifrige und vielversprechende junge Agentin, die zu Riley als Mentorin aufsah. Der dritte war Jake Crivaro.

Riley war Гјberrascht Jake zu sehen. Er war vor vielen Jahren ihr Partner gewesen und seit einiger Zeit im Ruhestand. Er hatte seinen Ruhestand nur kurzzeitig verlassen, um ihr bei dem Streichholzbrief-Killer Fall zu helfen, der ihn seit Jahren verfolgt hatte.

"Jake!", sagte Riley. "Was machst du hier?"

Der kurze, stämmige Mann lachte laut auf.

"Hey, was ist das denn fГјr eine BegrГјГџung?"

Riley lachte ebenfalls und umarmte ihn.

"Du weiГџt, was ich meine", sagte sie.

SchlieГџlich war Jake nach Abschluss des Falls wieder nach Florida zurГјckgekehrt. Sie war froh, dass er hier war, wenn sie auch nicht damit gerechnet hatte, ihn so schnell wiederzusehen.

"Das hätte ich um nichts in der Welt verpasst", sagte Jake.

Riley spГјrte eine weitere Welle der Schuld, als sie Bill umarmte.

"Bill, Jake – das ist nicht fair."

"Was ist nicht fair?", fragte Bill.

"Das ich diese Auszeichnung erhalte. Ihr beide habt genauso viel Arbeit geleistet."

Jetzt war Lucy an der Reihe, sie zu umarmen.

"Sicher ist das fair", sagte Lucy. "Direktor Milner hat sie erwähnt. Er hat ihre Arbeit nicht verschwiegen."

Bill nickte und sagte, "Und wir hätten nichts getan, wenn du nicht so verdammt starrköpfig gewesen wärst und den Fall wieder aufgerollt hättest."

Riley lächelte. Das stimmte natürlich. Sie hatte den Fall wieder aufgenommen, obwohl jeder dachte, er wäre unmöglich zu lösen.

Plötzlich fiel ihr etwas ein.

Sie sah sich verwirrt um und sagte zu Bill, Jake und Lucy, "All diese Leute – woher wussten sie davon?"

Lucy sagte, "Na ja, es war schlieГџlich in den Nachrichten."

Das stimmte, aber soweit es Riley betraf, erklärte es nicht alles. Ihre Auszeichnung war in einem kurzen Beitrag erwähnt worden, nachdem man hätte regelrecht suchen müssen, wenn man ihn nicht zufällig sah.

Dann bemerkte Riley das schelmische Grinsen auf Bills Gesicht.

Er hat sie angerufen! wurde Riley klar.

Er hatte sich vielleicht nicht bei jeder einzelnen Person gemeldet, aber er hatte den Stein ins Rollen gebracht.

Sie war Гјberrascht von ihren widerstreitenden GefГјhlen.

NatГјrlich war sie dankbar, dass Bill dafГјr gesorgt hatte, dass dieser Tag etwas Besonderes wurde.

Aber zu ihrer Гњberraschung war sie auch wГјtend.

Ohne es zu beabsichtigen, hatte Bill einen emotionalen Гњberfall auf sie arrangiert.

Das Schlimmste war, dass er sie zum Weinen gebracht hatte.

Aber sie ermahnte sich selbst, dass er es nur aus Freundschaft und Respekt getan hatte.

Sie sagte zu ihm, "Wir beide müssen uns später mal unterhalten."

Bill lächelte und nickte.

"Machen wir", sagte er.

Riley wandte sich an ihre wartenden Freunde und Familie, aber wurde von ihrem Chef, Brent Meredith, aufgehalten. Der groГџe Mann mit seinem kantigen Gesicht schien nicht in Feierstimmung zu sein.

Er sagte, "Paige, Jeffreys, Vargas – Ich muss Sie sofort in meinem Büro sehen."

Ohne ein weiteres Wort verlieГџ Meredith den Raum.

Riley spürte einen Knoten im Magen, als sie zu Blaine, Gabriela und den Mädchen ging, um ihnen zu sagen, sie würden noch ein wenig warten müssen.

Sie erinnerte sich an die lauernde Dunkelheit, die sie am Vortag während dem Abendessen gespürt hatte.

Sie ist hier, dachte sie.

Etwas Böses bahnte sich seinen Weg in ihr Leben.




KAPITEL DREI


Während Riley Bill und Lucy über den Flur zu Merediths Büro folgte, versuchte sie herauszufinden, weshalb sie so unruhig war. Sie konnte nicht genau sagen, was sie so sehr beschäftigte.

Zum Teil war es das Gefühl, an das sie schon lange gewöhnt war – die vertraute Anspannung, die sie vor jedem neuen Fall spürte.

Aber da war noch etwas anderes mit dabei. Es war weder Angst, noch Vorahnung. Sie hatte in ihrer Karriere schon zu viele Fälle bearbeitet, um außerordentlich besorgt zu sein.

Es war etwas, das sie kaum erkannte.

Ist das Erleichterung? fragte Riley sich.

Ja, vielleicht war es das.

Die Zeremonie und der Empfang hatten sich so bizarr und unwirklich angefühlt und eine Reihe von widersprüchlichen Emotionen und Gedanken ausgelöst.

Zu Merediths Büro zu gehen, war vertraut … und es fühlte sich an wie eine Art von Flucht.

Aber eine Flucht wohin?

Zweifellos in eine vertraute Welt des Bösen und der Grausamkeit.

Riley spГјrte einen Schauer Гјber ihren RГјcken laufen.

Was sagte das über sie aus, dass sie sich mit Grausamkeit und Bösem sicherer fühlte als mit Feiern und Lobreden?

Sie wollte der Frage nicht weiter nachgehen und versuchte das GefГјhl abzuschГјtteln. Aber sie schaffte es nicht ganz.

Es schien, als wГјrde sie sich in letzter Zeit immer unwohler in ihrer Haut fГјhlen.

Als Riley, Bill und Lucy das BГјro betraten, stand ihr Chef neben seinem Schreibtisch.

Noch jemand war dort – eine junge afroamerikanische Frau mit kurzen, glatten Haaren und großen, intensiven Augen. Sie stand auf als Riley und ihre Kollegen eintraten.

Meredith sagte, "Agenten Paige, Jeffreys und Vargas, ich möchte Ihnen die Spezialagentin Jennifer Roston vorstellen."

Riley sah zu der Frau, mit der sie kurz nach der Lösung des "Streichholzbrief-Killer" Falls am Telefon gesprochen hatte. Jennifer Roston war nicht groß, aber sie sah sehr athletisch und kompetent aus. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sagte, dass sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst war.

Roston schГјttelte jedem von ihnen die Hand.

"Ich habe viel Gutes von Ihnen gehört", sagte Lucy.

"Sie haben einige Rekorde an der Akademie geknackt", sagte Bill.

Riley hatte auch Gutes von Agentin Roston gehört. Sie hatte bereits einen sehr guten Ruf und ausgezeichnete Belobigungen.

"Es ist mir eine Ehre, Sie alle kennenzulernen", sagte Roston mit einem aufrichtigen Lächeln. Dann, Riley direkt in die Augen sehend, fügte sie hinzu, "Vor allem Sie, Agentin Paige. Es ist schön sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen."

Riley war geschmeichelt. Sie spГјrte auГџerdem eine leichte, nagende Besorgnis.

Während sie alle Platz nahmen, fragte Riley sich, weshalb Roston wohl heute hier war. Wollte Meredith, dass sie alle gemeinsam an einem Fall arbeiteten?

Der Gedanke machte Riley ein wenig nervös. Sie, Bill und Lucy hatten eine gute Verbindung aufgebaut, waren ein scheinbar fehlerlos arbeitender Apparat. Würde ein zusätzliches Mitglied ihr kleines Team aus dem Takt bringen, zumindest zeitweise?

Meredith beantwortete ihre Frage. "Ich wollte, dass Sie drei Agentin Roston kennenlernen, da ich sie auf den Shane Hatcher Fall angesetzt habe. Der Bastard ist schon viel zu lange auf freiem Fuß. Die Führungsetage hat entschieden, dass sie ihn zu einer Priorität machen. Es ist an der Zeit ihn festzusetzen und wir brauchen ein Paar frischer Augen."

Riley zuckte innerlich zusammen.

Sie wusste bereits, dass Roston am Hatcher Fall arbeitete. Tatsächlich hatten sie ihn bereits am Telefon diskutiert. Roston hatte um Zugang zu ihren Dateien bezüglich Shane Hatcher gebeten und Riley hatte ihn ihr gewährt.

Aber worum ging es hier jetzt wirklich?

Sicherlich hatte Meredith sie nicht alle zusammengebracht, um gemeinsam an dem Hatcher Fall zu arbeiten. Sie war sich nicht sicher, wie viel Meredith über ihre Beziehung zu Hatcher wusste. Sie wäre bereits verhaftet worden, wenn ihr Chef wüsste, dass sie den entflohenen Mörder hatte gehen lassen, weil er ihr geholfen hatte.

Sie wusste sehr genau, dass Hatcher sich wahrscheinlich gerade jetzt in der Hütte versteckte, die Riley von ihrem Vater geerbt hatte – mit Rileys vollem Wissen und Einverständnis.

Wie sollte sie jemals vorgeben können, versucht zu haben, ihn zur Gerechtigkeit zu bringen.

Bill fragte Roston, "Wie läuft es bisher?"

Roston lächelte.

"Oh, ich fange gerade erst an – bis jetzt bin ich noch mit der Recherche beschäftigt."

Dann, mit einem Blick zu Riley, sagte Roston, "Vielen Dank fГјr den Zugang zu den Dateien."

"Ich freue mich, wenn ich helfen kann", sagte Riley.

Roston verengte leicht ihre Augen und ihr Gesicht nahm einen neugierigen Ausdruck an.

"Oh, sie waren eine groГџe Hilfe", sagte sie. "Sie haben viele Informationen zusammengetragen. Auch wenn ich Гјberrascht war, nicht mehr Гјber Hatchers Finanzen zu finden."

Riley unterdrГјckte ein Schaudern, als sie sich daran erinnerte, dass sie etwas UnГјberlegtes getan hatte.

Vor der Zugangsfreigabe für Roston zu ihren Dateien, hatte sie eine mit dem Titel "GEDANKEN" gelöscht – eine Datei, die nicht nur Rileys persönliche Gedanken und Beobachtungen über Hatcher enthielt, sondern auch finanzielle Informationen, die vermutlich zu Hatchers Verhaftung geführt hätten. Oder zumindest dafür gesorgt hätten, dass seine finanziellen Ressourcen abgeschnitten wurden.

Was habe ich mir nur dabei gedacht, schoss es Riley durch den Kopf.

Aber es war geschehen und konnte nicht rückgängig gemacht werden, selbst wenn sie es wollte.

Riley fГјhlte sich jetzt eindeutig unwohl unter Rostons Blick.

"Er ist schwer zu fassen", sagte Riley zu Roston.

"Ja, das habe ich gemerkt", sagte Roston.

Rostons Blick blieb auf Riley fixiert.

Rileys Unbehagen wuchs.

WeiГџ sie bereits etwas? fragte Riley sich.

Dann sagte Meredith, "Das ist vorerst alles, Agentin Roston. Ich habe noch etwas mit Paige, Jeffreys und Vargas zu diskutieren."

Roston stand auf und verabschiedete sich höflich.

Sobald sie das Büro verlassen hatte, sagte Meredith, "Es sieht aus, als hätten wir einen neuen Serienmörderfall in Südkalifornien. Jemand hat drei Ausbildungsoffiziere in Fort Nash Mowat ermordet. Sie wurden alle von einem erfahrenen Scharfschützen aus langer Distanz erschossen. Das neueste Opfer wurde heute Morgen gefunden."

Riley war interessiert, aber auch ein wenig Гјberrascht.

"Ist das nicht eher ein Fall für die Militärstrafverfolgungsbehörde?", fragte sie. Sie wusste, dass die CID normalerweise Verbrechen aufklärte, die innerhalb der US Armee begangen wurden.

Meredith nickte.

"Die CID arbeitet bereits daran", sagte er. "Sie haben eine Außenstelle in Fort Mowat, also sind sie vor Ort. Aber wie Sie wissen, leitet Provost Marshal General Boyle die CID. Er hat mich vor kurzem angerufen, um das FBI um Mithilfe zu bitten. Es sieht aus, als würde es ein besonders unschöner Fall werden, insbesondere mit all der negativen Presse. Davon wird es eine Menge geben und auch politischen Druck. Je eher der Fall gelöst wird, desto besser für alle Beteiligten."

Riley fragte sich, ob das wirklich eine gute Idee war. Sie hatte noch nie gehört, dass das FBI und die CID gemeinsam an einem Fall arbeiteten. Sie befürchtete, dass sie sich gegenseitig auf die Zehen treten würden und dadurch mehr Unheil anrichten als Gutes tun.

Aber sie erhob keine EinsprГјche. Es war nicht ihre Entscheidung.

"Also, wann geht es los?", fragte Bill.

"So schnell wie möglich", sagte Meredith. "Haben Sie ihre Taschen griffbereit?"

"Nein", sagte Riley. "Ich befГјrchte, so schnell hatte ich nicht damit gerechnet."

"Dann sobald Sie Ihre Sachen gepackt haben."

Riley spürte einen plötzlichen Stich.

Jillys StГјck ist heute Abend! dachte sie.

Wenn Riley jetzt losfuhr, dann wГјrde sie es verpassen.

"Chief Meredith––", begann sie.

"Ja, Agentin Paige?"

Riley hielt inne. Schließlich hatte das FBI ihr gerade eine Auszeichnung und eine Gehaltserhöhung gegeben. Wie konnte sie da jetzt einen Rückzieher machen?

Befehl ist Befehl, sagte sie sich streng.

Sie konnte nichts daran Г¤ndern.

"Nichts", sagte sie.

"Na dann", sagte Meredith und erhob sich. "Machen Sie sich auf den Weg. Und lösen sie den Fall so schnell wie möglich. Die nächsten warten schon."




KAPITEL VIER


Colonel Dutch Adams starrte aus seinem Bürofenster. Er hatte von hier aus einen guten Blick über Fort Nash Mowat. Er konnte sogar das Feld sehen, auf dem Sergeant Worthing an diesem Morgen getötet worden war.

"Verdammt nochmal", grummelte er vor sich hin.

Vor weniger als zwei Wochen war Sergeant Rolsky auf die gleiche Weise ermordet worden.

Dann, vor einer Woche Sergeant Fraser.

Und jetzt war es Worthing.

Drei gute Ausbildungsoffiziere.

So eine Verschwendung, dachte er.

Und bis jetzt waren die Agenten der CID nicht in der Lage gewesen, den Fall zu knacken.

Adams fragte sich: Wie zum Teufel bin ich hier als der Leiter dieses Schlamassels gelandet?

Er hatte eine gute Karriere gehabt. Er hatte seine Auszeichnungen mit Stolz getragen – die Legion of Merit, drei Bronze Stars, Meritorious Service Medaillen, eine Meritorious Unit Auszeichnung und jede Menge andere.

Er dachte über sein Leben nach, während er aus dem Fenster sah.

Was waren seine besten Erinnerungen?

Sicherlich seine Kriegseinsätze im Irak, sowohl in der Operation Desert Storm, als auch der Operation Enduring Freedom.

Was waren seine schlimmsten Erinnerungen?

Wahrscheinlich die akademische Schinderei, um genug AbschlГјsse fГјr eine Kommission zu sammeln.

Oder vielleicht vor einer Klasse unterrichten.

Aber selbst das war nicht so schlimm, wie diesen StГјtzpunkt hier zu leiten.

Am Schreibtisch sitzen, Berichte einreichen, Besprechungen leiten – all das war das bisher Schlimmste, soweit es ihn betraf.

Zumindest hatte er gute Zeiten gehabt.

Seine Karriere war nicht ohne persönliche Kosten gewesen – drei Scheidungen und sieben erwachsene Kinder, die kaum mit ihm sprachen. Er war sich nicht einmal sicher, wie viele Enkel er hatte.

So war das einfach.

Die Armee war immer seine wahre Familie gewesen.

Aber jetzt, nach all diesen Jahren, fГјhlte er sich seltsam entfremdet von der Armee.

Wie würde sich also sein endgültiger Abschied vom Militär anfühlen – wie eine erfreuliche Pensionierung oder wie eine weitere hässliche Scheidung?

Er seufzte bitter.

Wenn er sein Ziel erreichen würde, wäre sein Rang bei der Pensionierung Brigadegeneral. Er würde danach trotzdem alleine sein. Aber vielleicht war das auch gut so.

Vielleicht könnte er einfach leise verscheiden – "verblassen", wie einer von Douglas MacArthurs sprichwörtlichen "alten Soldaten."

Oder wie ein wildes Tier, dachte er.

Er war sein ganzes Leben lang ein Jäger gewesen, aber er konnte sich nicht erinnern, jemals den Kadaver eines Bärs oder Rehs oder sonstigen wilden Tieres gefunden zu haben, das auf natürliche Weise verendet war. Andere Jäger hatten ihm das gleiche erzählt.

Was für ein Rätsel ihm das immer gewesen war! Wo gingen diese wilden Tiere hin, um zu sterben und zu verrotten.

Er wГјnschte, er wГјsste es, damit er ebenfalls dorthin gehen konnte, wenn seine Zeit kam.

Plötzlich hatte er Lust auf eine Zigarette. Unglaublich, dass man in seinem eigenen Büro nicht rauchen durfte.

Da klingelte sein Schreibtischtelefon. Es war seine Sekretärin.

Die Frau sagte, "Kommandant, ich habe den Provost Marshal General in der Leitung. Er will mit Ihnen reden."

Adams war Гјberrascht.

Er wusste, dass der Provost Marshal General der Brigadegeneral Malcom Boyle war. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Adams noch nie mit ihm gesprochen.

"Worum geht es?", fragte Adams.

"Die Morde, nehme ich an", sagte die Sekretärin.

Adams knurrte leise.

NatГјrlich, dachte er.

Der Provost Marshal General in Washington stand allen Militärstrafverfolgungen vor. Er hatte zweifellos gehört, dass die Untersuchung hier noch keine Ergebnisse geliefert hatte.

"Okay, ich werde mit ihm reden", sagte Adams.

Er nahm den Anruf an.

Adams spürte sofort eine Abneigung gegen die Stimme des Mannes. Sie war zu weich für seinen Geschmack, hatte nicht den richtigen Biss für einen hochrangigen Offizier. Wie auch immer, der Mann stand im Rang weit über ihm. Er musste zumindest Respekt vortäuschen.

Boyle sagte, "Kommandant Adams, ich wollte sie nur informieren. Drei FBI Agenten aus Quantico werden in KГјrze ankommen und Sie bei den Mordermittlungen unterstГјtzen."

Adams spГјrte Г„rger in sich aufsteigen. Soweit es ihn betraf, arbeiteten bereits zu viele Agenten an dem Fall. Aber er schaffte es, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.

"Sir, ich bin nicht sicher, dass ich verstehe, warum. Wir haben unser CID BГјro gleich hier in Fort Mowat. Sie sind bereits an dem Fall dran."

Boyles Stimme klang jetzt ein wenig härter.

"Adams, Sie hatten drei Morde in weniger als drei Wochen. Es klingt für mich, als könnten Sie alle Hilfe gebrauchen, die sie bekommen können."

Adams Frustration wuchs. Aber er wusste, dass er sie nicht zeigen durfte.

Er sagte, "Mit allem Respekt, Sir, ich weiГџ nicht, warum Sie mich deswegen anrufen. Colonel Dana Larson ist die CID Kommandantin hier in Fort Mowat. Warum sprechen Sie nicht zuerst mit ihr?"

Boyles Antwort brachte Adams aus der Fassung.

"Colonel Larson hat mich kontaktiert. Sie hat mich gebeten das BAU anzurufen. Also habe ich alles arrangiert."

Adams konnte es nicht fassen.

Die Schlampe, dachte er.

Colonel Dana Larson schien alles zu tun, um ihm auf die Nerven zu gehen.

Und warum war Гјberhaupt eine Frau an der Spitze des CID BГјros?

Adams tat sein Bestes, um seinen Г„rger herunterzuschlucken.

"Ich verstehe, Sir", sagte er.

Dann beendete er den Anruf.

Adams war fuchsteufelswГјtend. Er schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. Hatte er hier gar nichts mehr zu sagen?

Trotzdem, Befehl war Befehl und er hatte sich daran zu halten.

Aber es musste ihm nicht gefallen – und er musste sich niemanden gegenüber zuvorkommend zeigen.

Er knurrte laut.

Es war ihm egal, dass Menschen getötet wurden.

Er wГјrde es diesen Agenten nicht leicht machen.




KAPITEL FГњNF


Während sie Jilly, April und Gabriela nach Hause fuhr, konnte Riley sich nicht dazu bringen, ihnen zu sagen, dass sie gleich wieder losmusste. Sie würde Jillys erstes großes Ereignis verpassen, eine führende Rolle in einem Theaterstück. Würden die Mädchen verstehen können, dass sie unter Befehl stand?

Selbst als sie das Haus erreichten konnte Riley es ihnen nicht sagen.

Sie war so beschämt.

Heute hatte sie eine Auszeichnung für Ausdauer bekommen und in der Vergangenheit für Mut und Tapferkeit. Und natürlich waren ihre Töchter im Publikum gewesen.

Aber sie fГјhlte sich gerade nicht wie eine Heldin.

Die Mädchen vergnügten sich im Garten und Riley ging zu ihrem Schlafzimmer, um ihre Sachen zu packen. Es war eine vertraute Routine. Der Trick war, eine Tasche zu packen, die alles Notwendige enthielt, um für ein paar Tage oder sogar einen Monat zu reichen.

Während sie alles auf ihrem Bett ausbreitete, hörte sie Gabrielas Stimme.

"Señora Riley – was machen Sie?"

Riley drehte sich um und sah Gabriela in der Tür stehen. Die Haushälterin hielt einen Stapel frischgewaschene Laken, die sie in den Flurschrank räumen wollte.

Riley stammelte, "Gabriela, Ich – Ich muss gehen."

Gabriela blieb der Mund offen stehen.

"Gehen? Wohin?"

"Mir wurde ein neuer Fall zugeteilt. In Kalifornien."

"Können Sie nicht morgen fliegen?", fragte Gabriela.

Riley schluckte hart.

"Gabriela, das FBI Flugzeug wartet bereits. Ich muss gehen."

Gabriela schГјttelte den Kopf.

Sie sagte, "Es ist gut, das Böse zu bekämpfen, Señora Riley. Aber manchmal denke ich, dass Sie aus den Augen verlieren, was das Gute ist."

Gabriela verschwand in den Flur.

Riley seufzte. Seit wann bezahlte Riley Gabriela, um ihr Gewissen zu spielen?

Aber sie konnte sich nicht beschweren. Es war ein Job, den Gabriela mit Bravour ausfГјhrte.

Riley starrte auf ihre halb gepackte Tasche.

Sie schГјttelte den Kopf und flГјsterte vor sich hin:

"Ich kann das Jilly nicht antun. Ich kann einfach nicht."

Ihr ganzes Leben hatte sie ihre Kinder fГјr ihre Arbeit geopfert. Jedes Mal. Nicht ein Mal hatte sie ihre Kinder an die erste Stelle gestellt.

Und das, wurde ihr klar, war das, was an ihrem Leben nicht stimmte. Das war ein Teil ihrer Dunkelheit.

Sie war mutig genug, um sich Serienmördern entgegenzustellen. Aber war sie mutig genug, um ihre Arbeit an zweite Stelle zu stellen und ihre Kinder in ihrem Leben zur Priorität zu machen?

In diesem Moment machten Bill und Lucy sich bereit, nach Kalifornien zu fliegen.

Sie erwarteten sie auf dem Flugplatz in Quantico.

Riley seufzte.

Es gab nur einen Weg, um dieses Problem zu lösen – falls sie es denn lösen konnte.

Sie musste es versuchen.

Sie nahm ihr Telefon heraus und wählte Merdiths private Nummer.

Bei dem Klang von seiner rauen Stimme, sagte sie, "Sir, hier ist Agentin Paige."

"Worum geht es?", fragte Meredith.

Sie hörte leichte Besorgnis in seiner Stimme. Riley verstand, warum. Sie nutzte diese Nummer nur in ausgesprochenen Notsituationen.

Sie nahm ihren Mut zusammen und kam direkt auf den Punkt.

"Sir, ich möchte meinen Flug nach Kalifornien verschieben. Nur für heute Abend. Agenten Jeffreys und Vargas können schon vor fliegen."

Nach einer Pause fragte Meredith, "Was ist der Notfall?"

Riley schluckte. Meredith wГјrde es ihr nicht einfach machen.

Aber sie war entschlossen, nicht zu lГјgen.

Mit zittriger Stimme stammelte sie, "Meine Tochter, Jilly –– sie ist heute in einem Theaterstück. Sie – Sie hat eine der Hauptrollen."

Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend.

Hat er gerade aufgelegt? fragte Riley sich.

Dann sagte Meredith mit einem Knurren, "Könnten Sie das wiederholen? Ich bin nicht sicher, dass ich Sie richtig verstanden habe."

Riley unterdrГјckte ein Seufzen. Sie war sich sicher, dass er sie sehr genau verstanden hatte.

"Sir, dieses Stück ist wichtig für sie", sagte sie, mit jeder vergehenden Sekunde nervöser. "Jilly – nun, Sie wissen, dass ich versuche, sie zu adoptieren. Sie hatte ein hartes Leben und sie hat eine sehr schwere Zeit hinter sich und ihre Gefühle sind sehr verletzlich und …"

Rileys Stimme verlor sich.

"Und was?", fragte Meredith.

Riley schluckte.

"Ich kann sie nicht enttäuschen, Sir. Nicht diesmal. Nicht heute."

Eine weitere grimmige Stille folgte.

Riley sammelte ihren Mut zusammen, entschlossen nicht aufzugeben.

"Sir, es wird keinen Unterschied in dem Fall machen", sagte sie. "Agenten Jeffreys und Vargas fliegen vor und Sie wissen, wie fähig die beiden sind. Sie können mich auf den neuesten Stand bringen, sobald ich da bin."

"Und wann wäre das?", fragte Meredith.

"Morgen frГјh. Sehr frГјh. Ich mache mich auf den Weg zum Flughafen, sobald das StГјck vorbei ist. Ich nehme den ersten Flug, den ich bekommen kann."

Nach einer kurzen Pause fГјgte Riley hinzu, "Auf meine eigenen Kosten."

Sie hörte ein leises Grunzen von Meredith.

"Und ob sie das werden, Agentin Paige", sagte er.

Riley keuchte leise.

Er gibt mir seine Erlaubnis!

Ihr wurde plötzlich klar, dass sie während der ganzen Unterhaltung den Atem angehalten hatte.

Es bedurfte all ihrer Kraft, nicht in unkontrollierte Dankesreden auszubrechen.

Sie wusste, dass Meredith das nicht gefallen wГјrde. Und das Letzte, was sie wollte, war seine Meinung zu Г¤ndern.

Also sagte sie einfach, "Danke."

Sie hörte ein weiteres Grunzen.

Dann sagte Meredith, "Sagen Sie ihrer Tochter Hals- und Beinbruch."

Er beendete den Anruf.

Riley atmete erleichtert auf und bemerkte dann, dass Gabriela lächelnd in der Tür stand.

Sie hatte offensichtlich zugehört.

"Ich denke, Sie werden erwachsen, SeГ±ora Riley", sagte Gabriela.



*



Mit April und Gabriela im Publikum sitzend, genoss Riley das TheaterstГјck auГџerordentlich. Sie hatte vergessen, wie amГјsant eine solche Veranstaltung sein konnte.

Die Kinder der Mittelschule trugen alle selbstgemachte Kostüme. Sie hatten auch die Bühnenbilder gemalt, um sie wie Szenen aus der Geschichte von Demeter und Persephone aussehen zu lassen – Blumenfelder, ein Vulkan, die dunklen Höhlen der Unterwelt und andere mythologische Orte.

Und Jilly machte ihre Sache wirklich gut!

Sie spielte Persephone, die junge Tochter der Göttin Demeter. Riley kannte die Geschichte.

Persephone pflückte eines Tages Blumen, als Hades, der Gott der Unterwelt, in seinem Streitwagen vorbeikam und sie entführte. Er nahm sie mit in die Unterwelt, um sie zu seiner Königin zu machen. Als Demeter bemerkte, was ihrer Tochter geschehen war, schrie sie vor Trauer und Schmerz auf.

Riley spürte Schauer ihren Rücken herunterlaufen, als das Mädchen, das Demeter spielte, ihre Trauer zum Ausdruck brachte.

Die Geschichte berГјhrte Riley mehr, als sie erwartet hatte.

Persephones Geschichte schien Ähnlichkeit mit Jillys zu haben. Schließlich war es die Geschichte eines Mädchens, das einen Teil ihrer Kindheit an Kräfte verlor, die größer waren, als sie selbst.

Riley spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

Sie kannte auch den Rest der Geschichte. Persephone erlangte ihre Freiheit zurГјck, aber nur fГјr jeweils ein halbes Jahr. Wenn Persephone nicht auf der Erde war, lieГџ Demeter die Erde erkalten und sterben. Wenn sie zurГјckkam, dann erweckte sie die Erde wieder zum Leben und der FrГјhling kam.

Und so waren die Jahreszeiten entstanden.

Riley drГјckte Aprils Hand und flГјsterte, "Hier kommt der traurige Teil."

Riley war überrascht April kichern zu hören.

"Nicht so traurig", flüsterte April zurück. "Jilly hat die Geschichte ein wenig geändert. Schau einfach zu."

Riley konzentrierte sich wieder auf die BГјhne.

Im Charakter der Persephone zerschlug Jilly eine griechische Urne auf Hades' Kopf – ein angemaltes Kissen. Dann stürmte sie aus der Unterwelt und zurück zu ihrer überglücklichen Mutter.

Der Junge, der Hades spielte, hatte einen Wutausbruch und brachte so den Winter in die Welt. Er und Demeter lieferten sich dann ein Tauziehen, Г¤nderten die Jahreszeiten von Winter zu FrГјhling und zurГјck, und so weiter, fГјr den Rest der Zeit.

Riley war begeistert.

Als das StГјck endete, ging Riley hinter die BГјhne, um Jilly zu gratulieren. Auf ihrem Weg, traf sie auf die Lehrerin, die das StГјck geleitet hatte.

"Ich finde es fantastisch, was Sie mit der Geschichte gemacht haben!", sagte Riley zu der Lehrerin. "Es war so erfrischend zu sehen, wie Persephone von einem hilflosen Opfer zu einer starken Heldin wird."

Die Lehrerin lächelte breit.

"Danken Sie nicht mir", sagte sie. "Es war Jillys Idee."

Riley eilte zu Jilly und nahm sie in die Arme.

"Ich bin so stolz auf dich!", sagte Riley.

"Danke, Mom", sagte Jilly mit einem glücklichen Lächeln.

Mom.

Das Wort echote durch Riley. Es bedeutete ihr mehr, als sie sagen konnte.



*



Später am Abend, als sie alle wieder zu Hause waren, musste Riley den Mädchen schließlich sagen, dass sie einen neuen Fall hatte. Sie streckte ihren Kopf durch Jillys Tür.

Jilly schlief schon, erschöpft von ihrem großen Erfolg. Riley liebte den Ausdruck von Zufriedenheit auf ihrem Gesicht.

Dann ging Riley zu Aprils Zimmer und sah hinein. April saГџ auf ihrem Bett und las ein Buch.

April sah auf.

"Hey, Mom", sagte sie. "Was gibt's?"

Riley trat leise in den Raum.

Sie sagte, "Das klingt vielleicht seltsam, aber … ich muss jetzt los. Ich habe einen neuen Fall, in Kalifornien."

April lächelte.

Sie sagte, "Jilly und ich haben uns das schon gedacht, als du das Meeting in Quantico hattest. Und dann haben wir deine Tasche auf dem Bett gesehen. Wir dachten schon, du wГјrdest vor dem TheaterstГјck gehen. Normalerweise packst du nicht, wenn du nicht danach sofort aus der TГјr bist."

Sie sah Riley an, ihr Lächeln wurde breiter.

"Aber dann bist du geblieben", fГјgte sie hinzu. "Ich weiГџ, dass du deinen Flug verschoben hast, zumindest fГјr das StГјck. WeiГџt du, wie viel uns das bedeutet hat?"

Riley spürte Tränen aufsteigen. Sie ging zu April und umarmte sie.

"Also ist es okay, wenn ich gehe?", fragte Riley.

"NatГјrlich ist das okay. Jilly hat mir gesagt, sie hofft, dass du ein paar Verbrecher schnappst. Sie ist wirklich stolz auf das, was du tust, Mom. Das bin ich auch."

Riley war sprachlos vor Bewegung. Beide ihre Töchter wurden so schnell erwachsen. Und sie wuchsen zu fantastischen jungen Frauen heran.

Sie kГјsste April auf die Stirn.

"Ich liebe dich, mein Schatz", sagte sie.

"Ich liebe dich auch", sagte April.

Riley wackelte mit dem Finger vor Aprils Gesicht.

"Warum bist du Гјberhaupt noch auf?", fragte sie. "Licht aus und schlafen gehen. Morgen ist wieder Schule."

April kicherte und machte das Licht aus. Riley ging in ihr Schlafzimmer, um ihre Tasche zu holen.

Es war nach Mitternacht und sie musste rechtzeitig nach DC kommen fГјr ihren Flug.

Es wГјrde eine lange Nacht werden.




KAPITEL SECHS


Der Wolf lag auf seinem Bauch auf dem harten WГјstenboden.

Dafür hielt der Mann sich selbst – für eine Bestie auf der Jagd nach ihrem nächsten Opfer.

Er hatte einen exzellenten Blick auf Fort Nash Mowat aus seiner erhöhten Position und die Nachtluft war angenehm und kühl. Er spähte zu dem heutigen Opfer durch das Nachtsichtvisier auf seinem Gewehr.

Er dachte zurГјck an seine bisherigen, verhassten Opfer.

Vor drei Wochen war es Rolsky gewesen.

Dann kam Fraser.

Dann Worthing.

Er hatte sie mit groГџer Finesse erledigt, mit SchГјssen in den Kopf, so sauber, dass sie wahrscheinlich noch nicht einmal gewusst hatten, was sie traf.

Heute wГјrde es Barton sein.

Der Wolf beobachtete, wie Barton den unbeleuchteten Pfad entlangging. Auch wenn das Bild durch sein Nachtsichtvisier körnig und monoton war, reichte die Sichtbarkeit für seine Zwecke aus.

Aber er würde das heutige Opfer nicht erschießen – noch nicht.

Er war nicht weit genug weg. Jemand in der Nähe wäre vielleicht in der Lage, seine Position zu bestimmen, auch wenn er einen Mündungsfeuerdämpfer auf seinem M110 Scharfschützengewehr montiert hatte. Er würde nicht den Anfängerfehler machen und die Soldaten dieses Stützpunktes unterschätzen.

Barton durch sein Visier folgend, genoss der Wolf das Gefühl der M110 in seinen Händen. Dieser Tage tendierte die Armee dazu, das Heckler & Koch G28 als Standard Schafschützengewehr zu verwenden. Auch wenn der Wolf wusste, dass das G28 leichter und kompakter war, bevorzugte er das M110. Es war präziser, auch wenn es länger und dadurch schwerer zu verstecken war.

Er hatte zwanzig Kugeln in seinem Magazin, aber er wГјrde nicht mehr als eine feuern, wenn die Zeit kam.

Er wГјrde Barton mit einer Kugel erledigen oder gar nicht.

Er konnte die Energie des Rudels spГјren, als wГјrden sie ihm zusehen, ihm ihre UnterstГјtzung geben.

Er sah, wie Barton schließlich sein Ziel erreichte – einen der Tennisplätze des Stützpunktes. Weitere Spieler begrüßten ihn, als er auf den Platz trat und seinen Tennisschläger auspackte.

Jetzt, da Barton in einem hell erleuchteten Bereich war, benötigte der Wolf das Nachtsichtvisier nicht mehr. Er tauschte es für sein übliches Visier aus. Dann zielte er genau auf Bartons Kopf. Das Bild war nicht mehr körnig, sondern glasklar und in voller Farbe.

Barton war jetzt etwa 300 FuГџ entfernt.

Auf diese Entfernung konnte der Wolf auf eine zentimetergenaue Präzision seines Gewehrs vertrauen.

Es lag an ihm, den Schuss mit einer ebenso genauen Präzision durchzuführen.

Und er wusste, dass er es konnte.

Nur ein kleiner Druck auf den Abzug, dachte er.

Das war alles, was gerade nötig war.

Der Wolf genoss diesen mysteriösen, freischwebenden Moment.

Etwas fast Religiöses lag in diesen Sekunden bevor der Abzug betätigt wurde, wenn er darauf wartete sich selbst zu dem Schuss zu bringen, darauf wartete, dass er sich entschied den Finger zu krümmen. In diesem Moment schien Leben und Tod nicht in seiner Hand zu liegen. Im Bruchteil einer Sekunde würde ein unwiderrufliches Ereignis eintreten.

Es war seine Entscheidung – und doch nicht seine Entscheidung.

Wessen Entscheidung war es also?

Ihm gefiel der Gedanke, dass da ein Tier in ihm war, ein wahrer Wolf, eine reuelose Kreatur, die in diesem fatalen Moment seinen Körper übernahm.

Dieses Tier war sowohl sein Freund, als auch sein Feind. Und er liebte es mit einer seltsamen Liebe, die man nur fГјr seinen Erzfeind empfinden konnte. Das innere Tier brachte das Beste in ihm zutage, hielt ihn auf den FГјГџen.

Der Wolf wartete darauf, dass das Tier in ihm zuschlug.

Aber das Tier tat es nicht.

Der Wolf betätigte nicht den Abzug.

Er fragte sich, warum nicht.

Etwas stimmt nicht, dachte er.

Ihm wurde sofort klar, was es war.

Der Blick auf den hell erleuchteten Tennisplatz durch sein Гјbliches Visier war einfach zu klar.

Es wГјrde keinerlei Anstrengung erfordern.

Es war keine Herausforderung.

Das war unter der WГјrde des Wolfes.

Außerdem war noch nicht genug Zeit seit dem letzten Schuss vergangen. Die anderen waren so platziert gewesen, dass sie ein Maximum an Nervosität und Unsicherheit unter den Männern auslöste, die er so verabscheute. Barton jetzt zu erschießen würde den psychologischen Einfluss seiner Arbeit stören.

Er lächelte, als ihm das klar wurde. Er stand auf und ging den Weg zurück, den er gekommen war.

Es fühlte sich richtig an, seine Beute vorerst ungestört zu lassen.

Niemand wusste, wann er das nächste Mal zuschlagen würde.

Nicht einmal er selbst.




KAPITEL SIEBEN


Es war noch dunkel, als Rileys Flugzeug abhob. Aber sie wusste, dass es durch die Zeitverschiebung bereits hell sein würde, wenn sie San Diego erreichte. Sie würde mehr als fünf Stunden in der Luft sein und sie war jetzt schon müde. Sie musste am nächsten Morgen fit sein, wenn sie sich Bill und Lucy bei den Ermittlungen anschloss. Sie hatten ernsthafte Arbeit vor sich und sie musste bereit dafür sein.

Ich sollte besser etwas schlafen, dachte Riley. Die Frau neben ihr schien bereits einzudösen.

Riley stellte ihre Lehne nach hinten und schloss die Augen. Aber anstatt einzuschlafen, erinnerte sie sich an Jillys TheaterstГјck.

Sie lächelte, als sie sich daran erinnerte, wie Jillys Persephone Hades einen über den Kopf gegeben hatte und der Unterwelt entflohen war.

Der Gedanke daran, wie sie Jilly gefunden hatte, gab Riley einen Stich. Es war nachts an einer Truckerraststätte in Phoenix gewesen. Jilly war vor ihrem gewalttätigen Vater weggelaufen und in die Kabine eines der geparkten Lastwagen geklettert. Sie hatte vorgehabt sich, bzw. ihren Körper dem Lastwagenfahrer anzubieten, sobald er zurückkam.

Riley schauderte.

Was wäre aus Jilly geworden, wenn sie ihr nicht zufällig in dieser Nacht über den Weg gelaufen wäre?

Freunde und Kollegen hatten Riley oft gesagt, dass sie etwas Gutes tat, indem sie Jilly in ihr Leben brachte.

Also warum fГјhlte sie sich nicht besser deswegen? Stattdessen spГјrte sie Verzweiflung.

Schließlich gab es unzählige Jillys in der Welt und sehr wenige wurden aus ihren schrecklichen Leben gerettet.

Riley konnte nicht allen helfen, genauso wenig, wie sie alle Mörder dieser Welt einfangen konnte.

Es ist alles so sinnlos, dachte sie. Alles, was ich tue.

Sie Г¶ffnete die Augen und sah aus dem Fenster. Das Flugzeug hatte die Lichter von DC hinter sich gelassen und sie blickte in undurchdringliche Dunkelheit.

Während sie in die schwarze Nacht sah, dachte sie an ihr Treffen mit Bill, Lucy und Meredith und wie wenig sie über den anstehenden Fall wusste. Meredith hatte gesagt, dass drei Opfer über eine lange Distanz erschossen worden waren.

Was sagte ihr das über den Mörder?

War das Töten ein Sport für ihn?

Oder hatte er eine Art Mission, die nur er kannte?

Eines erschien ihr sicher – der Mörder wusste, was er tat und er war gut darin.

Der Fall wГјrde sicherlich eine Herausforderung sein.

Langsam wurden Rileys Lider schwer.

Vielleicht kann ich doch ein wenig schlafen, dachte sie. Wieder lehnte sie den Kopf zurГјck und schloss die Augen.



*



Riley starrte auf Etwas, das aussah wie tausende Rileys, alle von ihnen in seltsamen Winkeln zueinander stehend, immer kleiner werdend, bis sie schlieГџlich in der Ferne nicht mehr auszumachen waren.

Sie drehte sich ein wenig und alle anderen Rileys taten es ihr gleich.

Sie hob ihren Arm, die anderen folgten ihrem Beispiel.

Dann streckte sie ihre Hand aus und stieß auf eine Glasoberfläche.

Ich bin in einem Spiegelkabinett, wurde Riley klar.

Aber wie war sie hierhergekommen? Und wie sollte sie wieder herauskommen?

Sie hörte eine Stimme rufen …

"Riley!"

Es war eine Frauenstimme und sie kam Riley vertraut vor.

"Ich bin hier!", rief Riley zurГјck. "Wo bist du?"

"Ich bin auch hier."

Plötzlich sah Riley sie.

Sie stand direkt vor ihr, zwischen der Vielzahl von Spiegelbildern.

Sie war eine schlanke, attraktive junge Frau, die ein Kleid trug, das schon seit Jahrzehnten aus der Mode war.

Riley wusste sofort, wer sie war.

"Mommy", flГјsterte sie.

Sie war überrascht, als sie hörte, dass ihre eigene Stimme die eines kleines Mädchens war.

"Was machst du hier?", fragte Riley.

"Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden", sagte Mommy mit einem Lächeln.

Mommy war direkt vor ihren Augen in einem SГјГџwarenladen erschossen worden.

Aber hier stand Mommy und sah genau so aus, wie Riley sich an sie erinnerte.

"Wo gehst du hin, Mommy?", fragte Riley. "Warum musst du gehen?"

Mommy lächelte und berührte das Glas, das zwischen ihnen stand.

"Ich habe dank dir endlich Frieden gefunden. Ich kann jetzt weiterziehen."

Langsam fing Riley an zu verstehen.

Sie hatte vor kurzem den Mörder ihrer Mutter gefunden.

Er war jetzt ein bemitleidenswerter alter Obdachloser, der unter einer BrГјcke lebte.

Riley hatte ihn dort zurГјckgelassen, nachdem ihr klar geworden war, dass sein Leben schon Strafe genug gewesen war.

Riley berГјhrte das Glas, das ihre Hand von Mommys Hand trennte.

"Aber du kannst nicht einfach gehen, Mommy", sagte sie. "Ich bin nur ein kleines Mädchen."

"Oh nein, das bist du nicht", sagte Mommy, ihr Gesicht strahlend und glГјcklich. "Sieh dich einfach an."

Riley sah ihr eigenes Spiegelbild neben ihrer Mommy stehen.

Es stimmte.

Riley war jetzt eine erwachsene Frau.

Es kam ihr seltsam vor, dass sie jetzt so viel Г¤lter war, als ihre Mutter zum Zeitpunkt ihres Todes.

Aber Riley sah im Vergleich zu ihrer jugendlichen Mutter auch mГјde und traurig aus.

Sie wird nie Г¤lter werden, dachte Riley.

Das stimmte nicht fГјr Riley.

Und sie wusste, dass ihre Welt voller Herausforderungen und Proben war, die ihr noch bevorstanden.

WГјrde sie jemals eine Auszeit bekommen? WГјrde sie jemals Frieden finden?

Sie spГјrte Neid bei dem Gedanken, dass ihre Mutter ewigen Frieden gefunden hatte.

Dann drehte ihre Mutter sich um und ging davon, verschwand zwischen den unzähligen Spiegelbildern von Riley.

Plötzlich hörte sie ein fürchterliches Krachen und die Spiegel zerbrachen.

Riley stand in vollkommener Dunkelheit, bis zu ihren Knöcheln in zerbrochenem Glas.

Sie zog vorsichtig ihre FГјГџe heraus und versuchte dann, Гјber die Scherben zu laufen.

"Pass auf, wo du hintrittst", sagte eine weitere vertraute Stimme.

Riley drehte sich um und sah einen alten Mann mit einem harten, wettergegerbten Gesicht.

Riley keuchte.

"Daddy!", sagte sie.

Ihr Vater grinste bei ihrem Гјberraschten Gesichtsausdruck.

"Du hast gehofft, ich wäre tot, was?", sagte er. "Tut mir leid, dich zu enttäuschen."

Riley Г¶ffnete den Mund, um ihm zu widersprechen.

Aber dann wurde ihr klar, dass er recht hatte. Sie hatte nach seinem Tod im letzten Oktober nicht getrauert.

Und sie wollte ihn definitiv nicht wieder in ihrem Leben haben.

SchlieГџlich hatte er in seinem ganzen Leben kaum ein nettes Wort fГјr sie gehabt.

"Wo bist du gewesen?", fragte Riley.

"Wo ich immer gewesen bin", sagte ihr Vater.

Die Szenerie veränderte sich von dem Meer aus zerbrochenem Glas, bis sie vor der Hütte ihres Vaters standen.

Er stand jetzt auf den Stufen zur Veranda.

"Du könntest meine Hilfe bei diesem Fall brauchen", sagte er. "Es klingt, als wäre dein Mörder ein Soldat. Ich weiß eine Menge über Soldaten. Und ich weiß eine Menge über das Töten."

Es stimmte. Ihr Vater war im Vietnamkrieg gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Menschen er während des Krieges getötet hatte.

Aber das letzte was sie wollte, war seine Hilfe.

"Es ist Zeit fГјr dich zu gehen", sagte Riley.

Das Grinsen ihres Vaters wurde spöttisch.

"Oh, nein", sagte er. "Ich mache es mir gerade erst gemГјtlich."

Sein Gesicht und Körper veränderten sich. Innerhalb von Sekunden war er jünger, stärker, dunkelhäutig und noch bedrohlicher als zuvor.

Er war jetzt Shane Hatcher.

Seine Verwandlung löste Angst in Riley aus.

Ihr Vater war immer eine grausame Gegenwart in ihrem Leben gewesen.

Aber sie fГјrchtete Hatcher noch mehr.

Hatchers manipulative Macht über sie schien noch größer zu sein als die, die ihr Vater gehabt hatte.

Er konnte sie dazu bringen Dinge zu tun, die sie sich niemals erträumt hätte.

"Gehen Sie weg", sagte Riley.

"Nein", sagte Hatcher. "Wir haben eine Abmachung."

Riley schauderte.

Es stimmt, wir haben eine Abmachung, dachte sie.

Hatcher hatte ihr geholfen, den Mörder ihrer Mutter zu finden. Dafür hatte sie ihm erlaubt, in der Hütte ihres Vaters zu wohnen.

Außerdem wusste sie, dass sie ihm etwas schuldete. Er hatte ihr geholfen Fälle zu lösen – aber er hatte mehr als das getan.

Er hatte sogar das Leben ihrer Tochter gerettet und auch das ihres Exmannes.

Riley Г¶ffnete den Mund, um zu sprechen, um zu protestieren.

Aber es kamen keine Worte heraus.

Stattdessen sprach Hatcher.

"Wir sind in unserem Verstand verbunden, Riley Paige."



Riley wurde durch einen scharfen Ruck geweckt.

Ihr Flugzeug landete auf dem San Diego International Airport.

Die Morgensonne ging hinter der Landebahn auf.

Der Pilot sprach Гјber die Lautsprecheranlage, kГјndigte ihre Ankunft an und entschuldigte sich fГјr die holprige Landung.

Die anderen Passagiere nahmen ihr Gepäck und machten sich bereit, das Flugzeug zu verlassen.

Als Riley benommen aufstand und ihre Tasche aus dem Gepäckfach nahm, erinnerte sie sich an ihren verstörenden Traum.

Riley war nicht abergläubig – aber sie konnte nicht verhindern, dass sie sich fragte:

Waren der Traum und die raue Landung ein Vorzeichen fГјr die Dinge, die folgen wГјrden?




KAPITEL ACHT


Es war ein heller, klarer Morgen, als Riley in ihr Mietauto stieg und den Flughafen verlieГџ. Das Wetter war wundervoll und angenehm sonnig. Ihr wurde klar, dass die meisten Menschen an Tagen wie diesem es genieГџen wГјrden, an einem Pool zu liegen oder an den Strand zu gehen.

Aber Riley spГјrte eine dunkle Vorahnung.

Sie fragte sich wehmütig, ob sie jemals nach Kalifornien kommen würde, um einfach nur das Wetter zu genießen – oder an irgendeinen Ort gehen würde, nur um sich zu entspannen.

Es schien ihr, als würde das Böse auf sie warten, wohin sie auch ging.

Die Geschichte meines Lebens, dachte sie.

Sie wusste, dass sie es sich und ihrer Familie schuldig war, dieses Muster zu durchbrechen – sich Zeit zu nehmen und mit den Mädchen irgendwo hinzufahren, einfach nur, weil es Spaß machte.

Aber wann sollte das jemals passieren?

Ihr entfuhr ein trauriges, mГјdes Seufzen.

Vielleicht niemals, dachte sie.

Sie hatte im Flugzeug nicht viel Schlaf bekommen und sie fГјhlte den Jetlag von dem Zeitunterschied zwischen Virginia und Kalifornien.

Trotzdem war sie motiviert, mit diesem neuen Fall anzufangen.

Auf ihrem Weg zum San Diego Freeway kam sie an modernen Gebäuden vorbei, die umgeben waren von Palmen. Bald war sie aus der Stadt, aber der Verkehr auf dem mehrspurigen Freeway nahm nicht ab. Die sich schnell vorwärts bewegende Schlange von dicht an dicht gereihten Wagen, fuhr über raue Hügel, auf denen das frühe Sonnenlicht eine steile Buschlandschaft enthüllte.

Trotz der Landschaft hatte Riley das GefГјhl, dass SГјdkalifornien weniger entspannt war, als sie erwartet hatte. Wie sie, schienen auch die anderen in Eile zu sein.

Sie nahm die Ausfahrt "Fort Nash Mowat." Nach einigen Minuten hielt sie vor einem Tor, zeigte ihre Marke und erhielt die Erlaubnis das Gelände zu betreten.

Sie hatte Bill und Lucy geschrieben und sie wissen lassen, dass sie auf dem Weg war. Die beiden warteten bei ihrem Wagen und Bill stellte die uniformierte Frau neben ihnen als Colonel Dana Larson vor, Kommandantin des Fort Mowat CID BГјros.

Riley war sofort von Larson beeindruckt. Sie war eine kräftige, stämmige Frau mit eindringlichen dunklen Augen. Ihr Handschlag vermittelte Riley ein Gefühl von Selbstsicherheit und Professionalität.

"Es freut mich, Sie kennenzulernen, Agentin Paige", sagte Colonel Larson mit klarer, kräftiger Stimme. "Ihr Ruf eilt Ihnen voraus."

Rileys Augen weiteten sich leicht.

"Ich bin Гјberrascht", sagte sie.

Larson lachte leise.

"Nicht nötig", sagte sie. "Ich bin ebenfalls in der Strafverfolgung und halte mich informiert über alles, was das BAU tut. Wir sind geehrt, Sie hier im Fort Mowat zu haben."

Riley spürte leichte Röte in ihre Wangen steigen, als sie sich bei Colonel Larson bedankte.

Larson rief einen in der Nähe stehenden Soldaten, der mit schnellem Schritt auf sie zutrat und salutierte.

Sie sagte, "Korporal Salerno, ich möchte, dass sie Agentin Paiges Wagen zurück zu der Mietwagenstation am Flughafen bringen. Sie wird es hier nicht benötigen."

"Jawohl, Ma'am", sagte der Korporal, "wird erledigt." Er stieg in Rileys Wagen und verlieГџ den StГјtzpunkt.

Riley, Bill und Lucy stiegen in das andere Auto.

Während Colonel Larson fuhr, fragte Riley, "Was habe ich bisher verpasst?"

"Nicht viel", sagte Bill. "Colonel Larson hat uns gestern Abend hier getroffen und uns unsere Unterkunft gezeigt."

"Wir haben noch nicht den StГјtzpunktkommandanten getroffen", fГјgte Lucy hinzu.

Colonel Larson sagte, "Wir sind jetzt gerade auf dem Weg zu Kommandant Dutch Adams."

Dann, mit einem leisen Lachen, fГјgte sie hinzu, "Erwarten Sie kein herzliches Willkommen. Agenten Paige und Vargas, damit meine ich insbesondere Sie."

Riley war sich nicht sicher, was Larson meinte. War der Kommandant unzufrieden, weil das BAU zwei Frauen geschickt hatte? Riley konnte sich nicht denken, warum. Wo auch immer Riley hinsah, sah sie uniformierte Frauen und Männer beisammen stehen. Und mit Colonel Larson auf dem Stützpunkt musste Adams daran gewöhnt sein, mit Frauen in Autoritätspositionen umzugehen.

Colonel Larson hielt vor einem sauberen, modernen Bürogebäude und führte die Agenten hinein. Als sie sich näherten, standen drei junge Männer stramm und salutierten Colonel Larson. Riley sah, dass ihre CID Jacken denen des FBIs ähnelten.

Colonel Larson stellte die drei Männer als Sergeant Matthews und seine Teammitglieder, Spezialagenten Goodwin und Shores vor. Dann betraten sie alle einen Konferenzraum, in dem sie von Kommandant Dutch Adams erwartet wurden.

Matthews und seine Agenten salutierten Adams, Colonel Larson nicht. Riley wurde klar, dass es an dem gleichgestellten Rang der beiden lag. Sie spГјrte auГџerdem deutlich die Spannung zwischen den beiden Kommandanten.

Und wie Colonel Larson gesagt hatte, sah Adams nicht erfreut darГјber aus, Riley und Lucy in dem Konferenzraum zu sehen.

Jetzt verstand Riley, was das Problem war.

Kommandant Dutch Adams war von der alten Schule und hatte sich nicht daran gewöhnt, dass Männer und Frauen zusammen dienten. Und ausgehend von seinem Alter, würde er das wohl auch nie. Er würde mit seinen Vorurteilen in den Ruhestand treten.

Adams musste vor allem die Anwesenheit von Colonel Larson auf dem Stützpunkt gegen den Strich gehen – eine uniformierte Frau, über die er keine Autorität hatte.

Als die Gruppe sich setzte, spürte Riley einen Schauer über ihren Rücken laufen, als sie Adams' Gesicht genauer betrachtete. Es war ein breites, langes, kantiges Gesicht, das denen vieler Soldaten ähnelte, die sie während ihres Lebens gekannt hatte – ihren Vater eingeschlossen.

Tatsächlich fand Riley die Ähnlichkeit zwischen Kommandant Adams und ihrem Vater geradezu verstörend.

Er sprach mit Riley und ihren Kollegen in einem Гјbertrieben offiziellen Ton.

"Willkommen in Fort Nash Mowat. Dieser Stützpunkt ist seit 1942 in Betrieb. Er erstreckt sich über fünfundsiebzigtausend Morgen, hat tausendfünfhundert Gebäude und dreihundertfünfzig Meilen Straße. Sie werden hier jederzeit etwa sechzigtausend Menschen finden. Ich bin stolz, ihn den besten Ausbildungsstützpunkt im ganzen Land zu nennen."

An dieser Stelle versuchte Adams ein abfälliges Grinsen zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht völlig.

Er fügte hinzu, "Und aus diesem Grund, möchte ich Sie bitten, hier möglichst wenig Wirbel zu verursachen. Dieser Ort ist eine gut geölte Maschine. Außenseiter haben die unerfreuliche Angewohnheit Sand ins Getriebe zu werfen. Falls Sie das tun, verspreche ich Ihnen, dass Sie es bereuen werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

Er sah Riley dabei direkt in die Augen, offensichtlich in dem Versuch, sie einzuschГјchtern.

Sie hörte Bill und Lucy sagen, "Jawohl, Sir."

Aber sie sagte nichts.

Er ist nicht mein Vorgesetzter, dachte sie.

Sie hielt einfach den Augenkontakt aufrecht und nickte.

Dann sah er zu den anderen im Raum. Er sprach mit kalter Wut in seiner Stimme.

"Drei gute Männer sind tot. Die Situation ist untragbar. Ändern Sie das. Sofort."

Er hielt einen Moment inne. Dann sagte er, "Um Punkt elfhundert findet die Beisetzung von Sergeant Clifford Worthing statt. Ich erwarte, dass Sie alle daran teilnehmen."

Ohne ein weiteres Wort stand er auf. Die CID Agenten standen auf und salutierten und Colonel Adams verlieГџ den Raum.

Riley war sprachlos. Waren sie nicht alle hier, um den Fall zu besprechen und das weitere Vorgehen festzulegen?

Ihre Гњberraschung bemerkend, grinste Colonel Larson sie an.

"Normalerweise ist er nicht so gesprächig", sagte sie. "Vielleicht mag er sie."

Alle lachten bei dieser sarkastischen Spitze.

Riley wusste, dass ein wenig Humor hilfreich sein konnte.

Die Dinge wГјrden noch schnell genug ernst werden.




KAPITEL NEUN


Larson sah Riley, Bill und Lucy aufmerksam an. Ihr Blick war durchdringend und intensiv, als würde sie versuchen sie einzuschätzen. Riley fragte sich, ob die Kommandantin der CID eine wichtige Ansage machen würde.

Stattdessen fragte Larson, "Haben Sie schon gefrГјhstГјckt?"

Sie alle verneinten.

"Nun, diese Situation ist untragbar", sagte Larson mit einem Lachen. "Lassen Sie uns das korrigieren, bevor Sie mir vom Fleisch fallen. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen die Gastfreundschaft von Fort Mowat."

Larson ließ ihr Team zurück und führte die drei FBI Agenten in die Offizierskaserne. Riley sah sofort, dass Larson die Gastfreundschaft ernst gemeint hatte. Die Kaserne wirkte wie ein teures Restaurant und Larson wollte nichts davon hören, dass sie ihr Essen selbst bezahlten.

Bei einem köstlichen Frühstück besprachen sie den Fall. Riley wurde klar, dass sie einen Kaffee dringend benötigt hatte. Das Essen war auch willkommen.

Colonel Larson gab ihnen ihre Ansicht des Falls. "Das auffallendste Detail an diesen Morden ist die Methode und der Rang der Opfer. Rolsky, Fraser und Worthing waren alle Ausbildungsoffiziere. Sie wurden alle drei aus langer Distanz mit einem leistungsstarken Gewehr getötet. Und die Opfer wurden alle Nachts erschossen."

Bill fragte, "Was haben sie noch gemeinsam?"

"Nicht viel. Zwei waren weiГџ und einer war schwarz, also keine Rassenfrage. Sie standen alle unterschiedlichen Truppen vor, also hatten sie auch keine gemeinsamen Rekruten."

Riley fГјgte hinzu, "Sie haben vermutlich schon die Unterlagen von allen Soldaten zusammengestellt, die abgemahnt worden sind oder psychologische Probleme hatten. Deserteure? Unehrenhafte Entlassungen?"

"Haben wir", erwiderte Larson. "Es ist eine sehr lange Liste und wir haben sie durchgearbeitet. Aber ich schicke sie Ihnen und Sie können sehen, was Sie darin finden."

"Ich würde gerne mit den Männern in jeder Truppe sprechen."

Larson nickte. "Natürlich. Sie können heute nach der Beerdigung mit einigen sprechen und ich arrangiere weitere Treffen, wenn Sie möchten."

Riley bemerkte, dass Lucy sich Notizen machte. Sie nickte der jungen Agentin zu, ihre eigenen Fragen zu stellen.

Lucy fragte, "Welches Kaliber hatten die Kugeln?"

"NATO Kaliber", sagte Colonel Larson. "7.62 Millimeter."

Lucy sah Larson interessiert an. Sie sagte, "Klingt, als könnte die Waffe ein M110 sein. Oder möglicherweise ein Heckler & Koch G28."

Larson lächelte leicht, scheinbar beeindruckt von Lucys Wissen.

"Aufgrund der Distanz nehmen wir an, dass es sich um ein M110 handelt", sagte Larson. "Die Kugeln scheinen aus der gleichen Waffe zu stammen."

Riley war erfreut Lucy so engagiert zu sehen. FГјr Riley war Lucy ein ProtegГ© und sie wusste, dass Lucy sie als eine Art Mentorin sah.

Sie lernt schnell, dachte Riley stolz.

Riley sah zu Bill. Sie konnte sehen, dass er ebenso erfreut Гјber Lucys Fortschritte war, wie sie.

Riley hatte selbst noch einige Fragen, entschied aber, nicht zu unterbrechen.

Lucy sagte zu Larson, "Ich nehme an, sie denken der Täter ist jemand mit einer Militärausbildung. Ein Soldat auf dem Stützpunkt?"

"Möglich", sagte Larson. "Oder ein ehemaliger Soldat. Auf jeden Fall jemand mit einer exzellenten Ausbildung. Kein gewöhnlicher Schütze."

Lucy klopfte mit ihrem Bleistift auf den Tisch.

Sie schlug vor, "Jemand, der ein Problem mit Autoritätspersonen hat? Insbesondere Ausbildungsoffizieren?"

Larson kratzte sich nachdenklich am Kinn.

"Ich habe darГјber nachgedacht", sagte sie.

Lucy sagte, "Ich nehme an, sie haben auch Terrorismus in Betracht gezogen."

Larson nickte.

"Dieser Tage ist das leider die Standardtheorie."

"Ein einsamer Wolf?", fragte Lucy.

"Vielleicht", sagte Larson. "Aber es könnte sein, dass er auf Geheiß einer ganzen Gruppe hin agiert – entweder eine kleine Zelle hier in der Nähe oder etwas Internationales wie ISIS oder Al-Qaeda."

Lucy dachte einen Moment nach.

"Wie viele muslimische Rekruten haben Sie derzeit in Fort Mowat?", fragte Lucy.

"Momentan dreihundertdreiundvierzig. Das ist natürlich ein sehr kleiner Prozentsatz von Rekruten. Aber wir müssen vorsichtig sein mit einer Profilerstellung. Im Allgemeinen sind unsere muslimischen Rekruten sehr engagiert. Wir hatten bisher keine Probleme mit Extremismus – falls es das ist."

Larson sah Riley und Bill an und lächelte.

"Aber Sie beide sind sehr ruhig. Wie wollen Sie weiter vorgehen?"

Riley schielte zu Bill. Wie gewöhnlich konnte sie sehen, dass er das Gleiche dachte wie sie.

"Lassen Sie uns einen Blick auf die Tatorte werfen", sagte Bill.



*



Wenige Minuten später fuhren Riley, Bill und Lucy mit Colonel Larson durch Fort Mowat.

"Welchen Tatort wollen Sie sich zuerst ansehen?", fragte Larson.

"In der Reihenfolge der Morde", sagte Riley.

Während Larson fuhr, bemerkte Riley Soldaten, die Übungen absolvierten, Hindernisparkoure überwanden und am Schießstand übten. Sie konnte sehen, dass es harte, fordernde Arbeit war.

Riley fragte Larson, "An welcher Stelle ihrer Ausbildung sind diese Rekruten?"

"Sie sind in der zweiten Phase – der weißen Phase", sagte Larson. "Wir haben drei Phasen – rot, weiß und blau. Die ersten beiden, rot und weiß, dauern jeweils drei Wochen und diese Rekruten sind gerade in ihrer fünften Woche. Die letzten vier Wochen sind die blaue Phase. Die ist so schwer, wie sie nur sein kann. In der Phase finden die Rekruten heraus, ob sie haben, was nötig ist, um ein Soldat zu sein."

Riley hörte den Stolz in Larsons Stimme – den gleichen Stolz, den sie oft in der Stimme ihres Vaters gehört hatte, wenn er über seine Zeit im Militär sprach.

Sie liebt, was sie tut, dachte Riley.

Sie hatte auГџerdem keinen Zweifel daran, dass Colonel Larson gut in dem war, was sie tat.

Larson parkte neben einem Pfad, der durch das Camp führte. Sie stiegen aus und Larson führte sie an eine Stelle des Pfades. Sie lag auf einer freien Fläche, frei von Bäumen, die den Blick versperren könnten.

"Sergeant Rolsky wurde hier ermordet", sagte Larson. "Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Wir konnten anhand der Wunde oder der Position der Leiche nicht erkennen, wo der Schuss herkam – außer, dass es eine beträchtliche Distanz gewesen sein muss.

Riley sah sich um und studierte den Tatort.

"Wann wurde Rolsky getötet?", fragte sie.

"Gegen zweiundzwanzighundert", sagte Larson.

Riley wandelte es mental in ein vertrautes Format um – zehn Uhr abends.

Sie stellte sich vor, wie der Tatort um diese Zeit ausgesehen hatte. Einige Laternen standen in einem Umkreis von zehn Metern zu der Stelle. Trotzdem musste das Licht sehr gedämpft gewesen sein. Wahrscheinlich hatte der Schütze ein Nachtsichtvisier benutzt.

Sie drehte sich langsam um und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war.

Im Süden und Norden standen Gebäude. Es war unwahrscheinlich, dass der Schütze Gelegenheit gehabt hatte, von einer dieser Positionen aus zu schießen.

Im Westen konnte sie hinter dem StГјtzpunkt den Pazifischen Ozean in der Distanz sehen.

Im Osten waren steile HГјgel.

Riley zeigte zu den HГјgeln und sagte, "Ich nehme an, dass der SchГјtze dort positioniert war."

"Das ist eine gerechtfertigte Annahme", sagte Larson und zeigte auf eine Stelle auf dem Boden. "Wir haben die Kugel gleich hier gefunden, was andeutet, dass der Schuss aus Richtung der HГјgel gekommen sein muss. Ausgehend von der Wunde, wurde der Schuss aus einer Entfernung von achtzig bis neunzig Metern gefeuert. Wir haben das Gebiet durchsucht, aber er hat keine Beweisspuren hinterlassen."

Riley dachte einen Moment nach.

Dann fragte sie Larson, "Ist auf dem Gelände von Fort Mowat Jagen erlaubt?"

"Während der Saison mit Jagderlaubnis", erwiderte Larson. "Wir sind gerade in der Truthahnsaison. Während des Tages ist auch das Schießen von Krähen erlaubt."

Natürlich wusste Riley, dass diese Tode keine Jagdunfälle waren. Als die Tochter eines Mannes, der sowohl ein Marine, als auch ein Jäger gewesen war, wusste sie, dass niemand ein Scharfschützengewehr nutzen würde, um Truthähne oder Krähen zu schießen. Eine Schrotflinte wäre zu dieser Jahreszeit die wahrscheinlichere Waffe der Wahl.

Sie bat Larson, sie zu dem nächsten Tatort zu bringen. Der Colonel fuhr sie zu niedrigen Hügeln am Ende eines Wanderpfades. Als sie aus dem Wagen stiegen, zeigte Larson auf eine Stelle des Pfades, der sich nach oben wand.

"Sergeant Fraser wurde dort getötet", sagte sie. "Er hat eine Abendwanderung gemacht. Der Schuss scheint aus der gleichen Distanz gekommen zu sein. Wieder hat niemand etwas gesehen oder gehört. Aber wir nehmen an, dass er etwa um dreiundzwanzighundert getötet wurde."

Elf Uhr abends, dachte Riley.

Auf eine andere Stelle zeigend fГјgte Larson hinzu, "Wir haben die Kugel dort entdeckt."

Riley sah in die entgegengesetzte Richtung. Von dort musste der Schuss gekommen sein. Sie sah zahlreiche Plätze, an denen der Schütze sich versteckt haben konnte. Sie war sich sicher, dass Larson und ihr Team die Gegend abgesucht hatten.

SchlieГџlich fuhren sie zu den Kasernen, wo die Rekruten wohnten. Larson fГјhrte sie zum Hintereingang. Das erste, was Riley auffiel, war ein riesiger dunkler Fleck auf der Wand gleich neben der TГјr.

Larson sagte, "Hier wurde Sergeant Worthing getötet. Er scheint für eine schnelle Zigarette hergekommen zu sein, vor den morgendlichen Truppenübungen. Der Schuss war so sauber, dass nicht einmal die Zigarette aus seinem Mundwinkel gefallen ist.

Rileys Interesse nahm zu. Dieser Tatort unterschied sich von den anderen – und war deutlich informativer. Sie untersuchte den Fleck und die Schmierspuren, die nach unten führten.

Sie sagte, "Es sieht so aus, als hätte er an der Wand gelehnt, als die Kugel ihn traf. Sie müssen eine bessere Ahnung für die Schussrichtung bekommen haben, als von den anderen Tatorten."

"Deutlich besser", stimmte Larson zu. "Aber keine präzise Position."

Larson zeigte Гјber das Feld hinter den Kasernen, wo die HГјgel begannen.

"Der Schütze muss sich irgendwo zwischen diesen beiden Eichen versteckt haben", sagte sie. "Aber er hat sehr sorgfältig aufgeräumt. Wir konnten keine Spur von ihm finden."

Riley sah, dass die Entfernung zwischen den beiden Bäumen etwa sechs Meter betrug. Larson und ihr Team hatte gute Arbeit geleistet, die Position des Schützen einzugrenzen.

"Wie war das Wetter?", fragte Riley.

"Sehr klar", sagte Larson. "Ein dreiviertel Mond bis zum Morgengrauen."

Riley spГјrte ein Kribbeln Гјber den RГјcken laufen. Es war das vertraute GefГјhl, das sie bekam, wenn sie sich an einem Tatort befand.

"Ich wГјrde mich gerne selber dort umsehen", sagte sie.

"Sicherlich", sagte Larson. "Ich bringe Sie hin."

Riley wusste nicht, wie sie ihr sagen sollte, dass sie alleine gehen wollte.

GlГјcklicherweise sprach Bill fГјr sie.

"Lassen Sie Agentin Paige ruhig alleine gehen. Das ist ihr Ding."

Larson nickte anerkennend.

Riley wanderte über das Feld. Mit jedem Schritt wurde das Kribbeln stärker.

Schließlich fand sie sich zwischen den beiden Bäumen wieder. Sie konnte sehen, warum Larsons Team nicht in der Lage gewesen war, die exakte Position zu finden. Der Boden war sehr uneben mit vielen kleinen Büschen. Alleine in dem Gebiet, in dem sie gerade stand, gab es sicherlich ein halbes Dutzend Plätze, an denen sich jemand verstecken und einen sauberen Schuss auf die Kasernen abgeben konnte.

Riley ging zwischen den Bäumen hin und her. Sie wusste, dass sie nicht nach etwas suchte, das der Schütze zurückgelassen hatte – nicht einmal Fußspuren. Larson und ihr Team hätte so etwas nicht übersehen.

Sie atmete langsam ein und aus und stellte sich vor, in den frГјhen Morgenstunden hier gewesen zu sein. Die Sterne verblassten und der Mond warf noch Schatten.

Das Gefühl wurde mit jeder Sekunde stärker – ein Gespür für den Mörder.

Riley atmete weiter tief durch und bereitete sich vor, in den Verstand des Mörders einzutreten.




KAPITEL ZEHN


Riley stellte sich den Mörder vor. Was hatte er gefühlt, gedacht und beobachtet, als er auf der Suche nach dem perfekten Platz gewesen war. Sie wollte so nah wie möglich an den Mörder herankommen, um ihn zu finden. Und das konnte sie. Es war ihre Gabe.

Zuerst musste sie den Platz finden.

Sie sah sich um, so wie er sich umgesehen haben musste.

Während sie sich umsah, spürte sie einen rätselhaften, fast magnetischen Zug.

Sie wurde von einem roten Weidenbusch angezogen. An einer Seite des Busches war eine freie Stelle zwischen den Zweigen und dem Boden. Auf dem Boden davor war eine leichte Ausbuchtung.

Riley beugte sich hinunter und untersuchte den Boden vorsichtig.

Die Erde in der Ausbuchtung war ordentlich und glatt.

Zu ordentlich, dachte Riley. Zu glatt.

Der Rest der Erde in dem Gebiet war rauer, unregelmäßiger.

Riley lächelte.

Der Mörder hatte sich große Mühe gegeben, seine Position zu verstecken und hatte sich genau dadurch verraten.

Sich die Landschaft bei Mondlicht vorstellend, blickte Riley Гјber den HГјgel zu dem Feld vor den Kasernen.

Sie stellte sich vor, was der Mörder von hier aus gesehen haben musste – die Figur von Sergeant Worthing, wie er aus der Hintertür trat.

Riley spürte ein Lächeln auf dem Gesicht des Mörders.

Sie konnte ihn denken hören:

"Genau nach Zeitplan!"

Und genau wie der Mörder erwartet hatte, zündete der Sergeant sich eine Zigarette an und lehnte sich gegen die Wand.

Es war Zeit zu handeln – und es musste schnell gehen.

Der Himmel wurde heller und die Sonne wГјrde bald aufgehen.

Wie der Mörder es getan haben musste, streckte Riley sich auf der Ausbuchtung auf dem Boden aus. Ja, es war der perfekte Platz, die perfekte Position.

Aber wie hatte sich die Waffe in der Hand des Mörders angefühlt.

Riley hatte noch nie ein M110 Gewehr in der Hand gehabt. Aber vor einigen Jahren hatte sie mit dem Vorgänger der Waffe, der M24 trainiert. Voll geladen und zusammengesetzt, wog die M24 etwa sieben Kilo und Riley hatte gelesen, dass die M110 kaum leichter war.

Aber das Nachtsichtvisier hatte sie noch schwerer gemacht und oberlastig.

Riley stellte sich die Szenerie durch ein Nachtsichtvisier vor. Das Bild von Sergeant Worthing war marmoriert und körnig.

Kein Problem für einen erprobten Schützen. Für einen erfahrenen Scharfschützen wäre der Schuss eine Leichtigkeit. Trotzdem spürte Riley, dass der Mörder unzufrieden war.

Was hatte ihn gestört?

Was hatte er gedacht?

Dann kam ihr dieser Gedanke:

"Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen."

Riley spürte ein plötzliches Verstehen.

Der Mord war persönlich gewesen – ein Akt des Hasses oder zumindest der Abscheu.

Aber er wГјrde nicht von seinem Vorhaben ablassen, nur weil er unzufrieden war. Er konnte damit leben, nicht das Gesicht seiner Beute zu sehen.

Sie spГјrte den Widerstand des Abzugs, als sie ihn zog, dann den scharfen RГјckstoГџ, als das Gewehr die Kugel abfeuerte.

Das Geräusch des Schusses war nicht sehr laut. Der Schall- und der Mündungsfeuerdämpfer hatten den Lärm und die Sichtbarkeit auf ein Minimum reduziert.

War der Mörder trotzdem besorgt gewesen, dass ihn jemand gehört oder gesehen haben könnte?

Nur für einen kurzen Augenblick, dessen war Riley sich sicher. Er hatte zwei andere Männer aus der gleichen Distanz erschossen und niemand schien diese Schüsse gehört zu haben. Oder falls sie jemand gehört hatte, dann hatte sich niemand etwas dabei gedacht.

Aber was tat der Mörder nun, nachdem er gefeuert hatte?

Er hat weiter durch sein Visier gesehen, wurde Riley klar.

Er folgte der Bewegung der Leiche, wie sie langsam die Wand hinunterglitt und in einer ungelenken Hocke endete.

Und wieder dachte der Mörder:

"Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen."

So wie der Mörder es getan haben musste, stand Riley wieder auf. Sie stellte sich vor, wie der Mörder einen breiten Pinsel genutzt hatte, um die Erde zu glätten, bevor er seine Position verließ.

Riley atmete zufrieden durch. Ihr Versuch, sich mit dem Verstand des Mörders zu verbinden, hatte ihr mehr verraten, als sie sich erhofft hatte.

Oder zumindest dachte sie das.

Sie erinnerte sich an etwas, das Colonel Larson vorher Гјber die Verbindung zu islamistischem Terror gesagt hatte.

"Dieser Tage ist das leider die Standardtheorie."

Rileys Bauchgefühl sagte ihr, dass diese Theorie wahrscheinlich falsch war. Aber sie war noch nicht bereit, ihren Kollegen das zu sagen. Sie wusste, dass Larson recht hatte unter den gegebenen Umständen die Möglichkeit von Terrorismus nicht außer Acht zu lassen. Es war die richtige Vorgehensweise. Vorerst war es besser, wenn Riley ihre Ahnung für sich behielt – zumindest bis sie diese mit Beweisen belegen konnte.

Riley sah auf ihre Uhr. Sie und die anderen wurden bald auf der Beerdigung erwartet.




KAPITEL ELF


Während Riley den sechs uniformierten Männern zusah, die Sergeant Worthings Sarg trugen, bewunderte sie ihren feierlichen Gleichschritt und die Präzision ihrer Bewegungen.

Auch der unheimliche Gegensatz zwischen der Zeremonie und seinem tatsächlichen Tod traf sie. Der Mord von Sergeant Worthing war abrupt und brutal gewesen.

Seine Beerdigung war elegant.

Der Militärfriedhof war ein hübscher Ort, hoch auf einem Hügel in einem abgelegenen Gebiet von Fort Nash Mowat. Riley konnte den Pazifischen Ozean in der Ferne sehen.

Riley, Lucy und Bill standen abseits von der Zeremonie. Sie konnte Sergeant Worthings Witwe und seine Familie auf den Klappstühlen neben dem Grab sitzen sehen. Sie betrachtete die fünfzig uniformierten jungen Männer und Frauen von Worthings Truppe, die stramm standen.

Sie sah außerdem eine kleine Gruppe von unwillkommenen Zivilisten in der Nähe – Reporter und Fotografen, die sich hinter den abgesperrten Bereich drängten.

Sie unterdrückte ein entmutigtes Stöhnen.

Nach drei Morden gab es keinen Weg, die Presse länger von Fort Mowat fernzuhalten. Die öffentliche Aufmerksamkeit würde den Druck erhöhen, den Fall schnellstmöglich zu lösen. Riley hoffte nur, dass die Journalisten nicht zu viel Ärger machen würden.

Wahrscheinlich ist das zuviel erhofft, dachte sie.

Sobald der Sarg Гјber dem Grab positioniert war, begann der Geistliche zu sprechen.

"Wir empfehlen unseren Bruder, Sergeant Clifford Jay Worthing, dem allmächtigen Gott an und übergeben seinen Körper der Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub …"

Riley war Гјberrascht zu fГјhlen, wie die Worte des Geistlichen sie berГјhrten.

Was war es an dieser Beerdigung, das ihr unter die Haut ging?

Dann dachte sie: Daddy.




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