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Erkaltet
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #8
Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) ERKALTET ist Band #8 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt. Da ist ein alter Fall, der Spezialagentin Riley Paige ihre ganze Karriere hindurch nicht loslässt, an den Ecken ihres Bewusstseins entlangschleicht, sie zwingt ihn immer und immer wieder zu überdenken. Der einzige Fall, den sie nie gelöst hat und sie schafft es endlich ihn aus ihrem Kopf zu verdrängen. Bis sie einen Anruf von der Mutter des Mordopfers bekommt. Er zwingt Riley dazu, sich ihm zu stellen und diesmal nicht aufzugeben, bis sie Antworten gefunden hat. Doch Riley hat kaum Zeit Luft zu holen, bis sie einen Hinweis in einem anderen alten Fall bekommt, einem, der sie noch tiefer trifft. Es ist ein Hinweis, der verspricht, den Tod ihrer eigenen Mutter zu lösen. Und er kommt von Shane Hatcher. Ein dunkler Psychothriller, der Herzklopfen bereitet. ERKALTET ist Band #8 einer fesselnden neuen Serie – mit einem geliebten neuen Charakter – der Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Auch Band #9 in der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.







E R K A L T E T



(EIN RILEY PAIGE KRIMI – BAND #8)



B L A K E P I E R C E


Blake Pierce



Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller RILEY PAIGE Krimi Serie, die bisher acht BГјcher umfasst. Blake Pierce ist auГџerdem die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimi Serie, bestehend aus bisher fГјnf BГјchern; von der AVERY BLACK Krimi Serie, bestehend aus bisher vier BГјchern; und der neuen KERI LOCKE Krimi Serie.

Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi und Thriller Genres. Blake liebt es von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com) und bleiben Sie in Kontakt!



Copyright © 2017 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild GongTo, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com


BГњCHER VON BLAKE PIERCE



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)



AVERY BLACK KRIMI SERIE

GRUND ZU TГ–TEN (Band #1)

GRUND ZU FLГњCHTEN (Band #2)

GRUND ZU VERSTECKEN (Band #3)

GRUND ZU FГњRCHTEN (Band #4)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON LASTER (Band #3)


Inhalt



PROLOG (#ulink_4973a608-c358-59f6-a442-97d7a13f5b0c)

KAPITEL EINS (#ud24d32cb-6461-5cce-b1cb-95b1258f3880)

KAPITEL ZWEI (#uccb09c9f-ccce-5438-968a-12d165303102)

KAPITEL DREI (#u5e9dbb31-0726-5bec-88fa-0fca32e82bee)

KAPITEL VIER (#u92edc455-6319-5b61-acd2-48eb0bc55612)

KAPITEL FГњNF (#ucb59bfe3-65ab-5579-afaa-30974491e087)

KAPITEL SECHS (#u361abd7d-d9dd-59ea-a41f-c3c94aa5c8d9)

KAPITEL SIEBEN (#ua8d5350e-8f14-53f6-a07f-7fc044f174ae)

KAPITEL ACHT (#ua9ddb2f4-5397-5806-9998-d9315ed1d20d)

KAPITEL NEUN (#ua1bf4663-25a6-5a2a-ab78-35d558b483db)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL VIERUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL SIEBENUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Der Mann trat in die Patom Lounge und wurde sofort von dichtem Zigarettenqualm umgeben. Das Licht war gedämpft, ein alter Heavy-Metal-Song plärrte aus den Lautsprechern und er konnte schon jetzt fühlen, wie er ungeduldig wurde.

Es war zu heiß, zu überfüllt. Er zuckte zusammen, als neben ihm kurzer Jubel ausbrach; er drehte sich um und sah, wie fünf betrunkene Männer Darts spielten. Neben ihnen war ein lebhaftes Billardspiel im Gange. Je schneller er hier herauskam, desto besser.

Er sah sich im Raum um und nach wenigen Sekunden leuchteten seine Augen beim Anblick einer Frau an der Bar auf.

Sie hatte ein niedliches Gesicht und einen jungenhaften Haarschnitt. Sie war ein klein wenig zu gut angezogen, fГјr eine Absteige wie diese.

Die passt, dachte der Mann.

Er ging zur Bar, setzte sich auf den Stuhl neben sie und lächelte sie an.

"Wie heiГџt du?", fragte er.

Er bemerkte, dass er seine eigene Stimme nicht über den Lärm der Kneipe hören konnte.

Sie sah ihn an, lächelte zurück, zeigte auf ihre Ohren und schüttelte den Kopf.

Er wiederholte seine Frage lauter und bewegte dabei seine Lippen Гјbertrieben genau.

Sie lehnte sich näher zu ihm. Fast schreiend sagte sie, "Tilda. Wie heißt du?"

"Michael", sagte er, nicht sehr laut.

Es war natürlich nicht sein richtiger Name, aber das machte vermutlich nichts aus. Er bezweifelte, dass sie ihn hören konnte. Es schien sie nicht zu kümmern.

Er sah auf ihren Drink, der fast leer war. Vermutlich eine Margarita. Er zeigte auf ihr Glas und fragte sehr laut, "Willst du noch eine?"

Immer noch lächelnd schüttelte die Frau namens Tilda ihren Kopf.

Aber sie lehnte ihn nicht ab. Dessen war er sich sicher. War es an der Zeit fГјr einen dreisteren Zug?

Er griff nach einer Cocktail Serviette und nahm einen Stift aus seiner Brusttasche.

Er schrieb auf die Serviette:



Willst du woanders hingehen?



Sie sah auf die Nachricht. Ihr Lächeln wurde breiter. Sie zögerte einen Augenblick, aber er spürte, dass sie auf der Suche nach einem Abenteuer war. Und jetzt freute sie sich, eines gefunden zu haben.

SchlieГџlich, zu seiner Erleichterung, nickte sie.

Bevor sie gingen, schnappte er sich ein Streichholzbriefchen mit dem Namen der Kneipe.

Er würde es später brauchen.

Er half ihr in ihren Mantel und sie gingen nach draußen. Die kühle Frühlingsluft und plötzliche Stille waren nach dem Lärm und der Hitze erfrischend.

"Wow", sagte sie, während sie neben ihm herging. "Ich bin da drinne fast taub geworden."

"Ich nehme an, du kommst nicht oft hierher", sagte er.

"Nein", sagte sie.

Sie fГјhrte es nicht weiter aus, aber er war sich sicher, dass sie das erste Mal in der Patom Lounge gewesen war.

"Ich auch nicht", sagte er. "Was fГјr eine Absteige."

"Das kannst du laut sagen."

"Was fГјr eine Absteige", sagte er lauter.

Beide lachten.

"Das da drüben ist mein Wagen", sagte er und streckte seinen Arm aus. "Wo möchtest du hingehen?"

Sie zögerte wieder.

Dann, mit einem schelmischen Funkeln in den Augen sagte sie, "Гњberrasch' mich."

Jetzt wusste er, dass er recht gehabt hatte. Sie war wirklich auf der Suche nach einem Abenteuer.

Nun, das war er auch.

Er Г¶ffnete die BeifahrertГјr seines Wagens und sie kletterte hinein. Er setzte sich hinter das Steuer und fuhr los.

"Wo fahren wir hin?", fragte sie.

Mit einem Lächeln und einem Zwinkern erwiderte er, "Du hast doch gesagt, ich soll dich überraschen."

Sie lachte. Ihr Lachen klang nervös, aber erfreut.

"Ich nehme an, du lebst hier in Greybull", sagte er.

"Geboren und aufgewachsen", nickte sie. "Ich glaube nicht, dass ich dich hier schon einmal gesehen habe. Wohnst du in der Gegend?"

"Nicht weit weg", sagte er.

Sie lachte wieder.

"Was bringt dich in diese langweilige kleine Stadt?"

"Arbeit."

Sie sah ihn neugierig an. Aber sie bestand nicht auf eine weitere AusfГјhrung. Offenbar war sie nicht zu sehr daran interessiert, ihn besser kennenzulernen. Das passte ihm gut.

Er fuhr auf den Parkplatz des schäbigen kleinen Motels Maberly Inn. Er hielt vor Raum 34.

"Ich habe das Zimmer bereits gebucht", sagte er.

Sie sagte nichts.

Dann, nach einer kurzen Stille, fragte er, "Ist das okay fГјr dich?"

Sie nickte ein wenig nervös.

Dann gingen sie zusammen in das Motelzimmer. Sie sah sich um. Der Raum hatte einen muffigen, unangenehmen Geruch und die Wände waren mit hässlichen Bildern geschmückt.

Sie ging zum Bett und presste ihre Hand auf die Matratze, um ihre Festigkeit zu prГјfen.

Gefiel ihr das Zimmer nicht?

Er war sich nicht sicher.

Die Geste machte ihn wütend – fuchsteufelswütend.

Er wusste nicht, warum, aber etwas in ihm riss.

Normalerweise wГјrde er nicht zuschlagen, bis er sie nackt auf dem Bett hatte. Aber er konnte sich nicht zurГјckhalten.

Als sie sich umdrehte, um zum Badezimmer zu gehen, versperrte er ihr den Weg.

Ihre Augen weiteten sich alarmiert.

Bevor sie weiter reagieren konnte, stieß er sie rückwärts auf das Bett.

Sie wehrte sich, aber er war deutlich stärker als sie.

Sie versuchte zu schreien, aber bevor sie es tun konnte, schnappte er sich ein Kissen und presste es ihr auf das Gesicht.

Bald, so wusste er, wГјrde alles vorbei sein.




KAPITEL EINS


Die Lichter in dem Vorlesungsraum gingen plötzlich wieder an und stachen Agentin Lucy Vargas in den Augen.

Die Studenten um sie herum fingen an, leise zu murmeln. Lucys Verstand war während der Übung hoch konzentriert gewesen – sie hatten sich einen Mord aus der Perspektive des Mörders vorstellen sollen – und es war schwer, wieder in die Gegenwart zurückzukehren.

"Okay, lassen Sie uns darГјber reden, was Sie gesehen haben", sagte die Dozentin.

Die Dozentin war niemand anderes, als Lucys Mentorin, Spezialagentin Riley Paige.

Lucy war nicht wirklich Teil der Klasse, die für die FBI Akademie Kadetten angesetzt war. Sie saß nur heute dabei, wie sie es von Zeit zu Zeit tat. Sie war noch sehr neu im BAU und für sie war Riley Paige eine nie versiegende Quelle der Inspiration und Bildung. Sie nutzte jede Gelegenheit, um von ihr zu lernen – und mit ihr zu arbeiten.

Riley hatte den Studenten die Details eines Mordfalles gegeben, der seit etwa fünfundzwanzig Jahren ungelöst war. Drei junge Frauen waren in Virginia getötet worden. Der Mörder hatte den Spitznamen "Streichholzbrief-Killer" bekommen, da er bei jedem seiner Opfer ein Streichholzbriefchen hinterließ. Sie kamen von Bars in der Gegend von Richmond. Er hatte außerdem Servietten mit dem aufgedruckten Namen der Motels hinterlassen, in denen die Frauen getötet worden waren. Trotzdem hatten die Ermittler keine Spuren gefunden, die zur Lösung des Falls hätten führen können.

Riley hatte die Studenten angehalten, ihre Fantasie zu nutzen, um den Mord gedanklich nachzustellen.

"Lassen Sie ihrer Fantasie freien Lauf", hatte sie vor Beginn der Übung gesagt. "Visualisieren Sie die Details. Machen Sie sich keine Sorgen, dass Sie alles richtig machen. Aber versuchen Sie das große Ganze zu sehen – die Atmosphäre, die Stimmung, die Szenerie."

Dann hatte sie fГјr zehn Minuten das Licht ausgeschaltet.

Jetzt, wo es wieder hell war, ging Riley durch den Vorlesungsraum.

Sie sagte, "Zuerst, erzählen Sie mir von der Patom Lounge. Wie sah es dort aus?"

Eine Hand schoss in die Höhe. Riley nickte dem Studenten zu.

"Es war nicht wirklich elegant, aber versuchte besser auszusehen, als es war", sagte er. "Schwach beleuchtete Nischen entlang der Wände. Überall ein weicher Überzug – vielleicht Wildleder."

Lucy runzelte die Stirn. Sie hatte sich die Bar ganz anders vorgestellt.

Riley lächelte leicht. Sie sagte dem Student nicht, ob er richtig lag oder nicht.

"Was noch?", fragte sie.

"Leise Musik hat gespielt", sagte ein anderer Student. "Vielleicht Jazz."

Aber Lucy erinnerte sich, dass sie sich Rock der 70er und 80er Jahre vorgestellt hatte.

Lag sie bei allem falsch?

Riley fragte, "Was ist mit dem Maberly Inn? Wie sah es dort aus?"

Eine Studentin hob die Hand und Riley wählte sie aus.

"Einfach und nett, wie die meisten Motels", sagte die junge Frau. "Und ziemlich alt. Aus der Zeit vor den kommerziellen Motelketten."

Ein anderer Student meldete sich.

"Klingt fГјr mich passend."

Auch andere Studenten nickten und murmelten zustimmend.

Wieder war Lucy verdutzt, wie anders sie sich den Ort vorgestellt hatte.

Riley lächelte leicht.

"Wie viele von Ihnen teilen diese generellen Eindrücke – sowohl von der Bar, als auch von dem Motel?"

Die meisten der Studenten hoben die Hand.

Lucy fing an sich unbehaglich zu fГјhlen.

"Versuchen Sie das groГџe Ganze zu sehen", hatte Riley ihnen gesagt.

Hatte Lucy die Гњbung vermasselt?

Hatte jeder andere in der Klasse es bildlich vor Augen gesehen, nur sie nicht?

Dann zeigte Riley einige Bilder auf der Leinwand an der Wand.

Zuerst kam eine Gruppe von Bildern aus der Patom Lounge – eine Nachtansicht von außen mit einem glühenden Neonschild in einem der Fenster und verschiede Innenansichten.

"Das ist die Bar", sagte Riley. "Oder zumindest sah sie so zur Zeit des Mordes aus. Ich bin nicht sicher, wie sie jetzt aussieht – oder ob es sie überhaupt noch gibt."

Lucy war erleichtert. Sie sah der Bar in ihrer Vorstellung sehr ähnlich – eine heruntergekommene Kneipe mit billig verkleideten Wänden und Kunstlederpolstern. Es gab ein paar Billardtische und Dartscheiben, so wie sie es angenommen hatte. Und selbst auf den Bildern konnte man den dichten Zigarettenrauch erkennen.

Die Studenten sahen sich Гјberrascht an.

"Jetzt lassen Sie uns einen Blick auf das Maberly Inn werfen", sagte Riley.

Mehr Fotos erschienen. Das Motel sah genauso schäbig aus, wie Lucy es in Gedanken gesehen hatte – nicht sehr alt, aber definitiv heruntergekommen.

Riley lachte leise.

"Scheint, als wГјrde hier etwas nicht ganz Гјbereinstimmen", sagte sie.

Die Klasse lachte in nervöser Zustimmung.

"Warum haben Sie sich die Szene so vorgestellt, wie Sie sie beschrieben haben?", fragte Riley.

Sie rief eine junge Frau auf, die ihre Hand gehoben hatte.

"Nun, Sie haben uns gesagt, dass der Mörder sich seinem Opfer in einer Bar genähert hat", sagte sie. "Das klingt für mich nach 'Singles Bar.' Ein wenig kitschig, aber zumindest mit dem Versuch elegant auszusehen. Ich hatte nicht den Eindruck einer Arbeiterklasse-Absteige."

Ein anderer Student sagte, "Genau das gleiche beim Motel. Würde ein Mörder sie nicht zu einem Motel bringen, das netter aussieht, wenn auch nur, um sie hereinzulegen?"

Lucy fing an, breit zu lächeln.

Jetzt verstehe ich, dachte sie.

Riley bemerkte ihr Lächeln und erwiderte es.

Sie sagte, "Agentin Vargas, was haben so viele von uns falsch gemacht?"

Lucy sagte, "Wir haben vergessen, das Alter des Opfers in Betracht zu ziehen. Tilda Steen war gerade zwanzig Jahre alt. Frauen die zu Single Bars gehen sind in der Regel Г¤lter, Mitte dreiГџig oder darГјber, oft geschieden. Deshalb haben wir uns die Bar anders vorgestellt."

Riley nickte zustimmend.

"Und weiter", sagte sie.

Lucy dachte einen Moment nach.

"Sie haben gesagt, dass sie aus einer Mittelklasse Familie in einer gewöhnlichen kleinen Stadt kam. Von dem Bild ausgehend, das Sie uns gezeigt haben, war sie attraktiv und ich bezweifle, dass sie Schwierigkeiten hatte, ein Date zu finden. Also warum hat sie sich in einer Absteige wie der Patom Lounge abschleppen lassen? Meine Vermutung ist, ihr war langweilig. Sie ist absichtlich an einen Ort gegangen, der möglicherweise ein wenig gefährlich ist."

Und sie hat mehr Gefahr gefunden, als sie ahnen konnte, dachte Lucy.

Aber das sagte sie nicht laut.

"Was können wir von dem lernen, was gerade passiert ist?" wandte Riley sich an die Klasse.

Ein Student hob die Hand und sagte, "Wenn man gedanklich ein Verbrechen rekonstruiert, sollte jede verfГјgbare Information Гјberdacht werden. Man darf nichts auslassen."

Riley sah zufrieden aus.

"Das ist richtig", sagte sie. "Wir müssen eine lebhafte Fantasie haben, um in der Lage zu sein, uns in den Verstand eines Mörders zu versetzen. Aber das ist eine schwierige Angelegenheit. Übersieht man nur ein kleines Detail, geht man in eine falsche Richtung. Das kann der Unterschied sein zwischen einem Fall, der gelöst wird und einem, der ungelöst bleibt."

Riley hielt inne und fügte dann hinzu, "Und dieser Fall wurde nie gelöst. Ob er das jemals wird … nun, das ist zweifelhaft. Nach fünfundzwanzig Jahren sind alle Spuren kalt. Ein Mann hat drei junge Frauen getötet – und es ist sehr wahrscheinlich, dass er dort draußen noch herumläuft."

Riley lieГџ ihre Worte einen Augenblick sinken.

"Das ist alles für heute", sagte sie dann. "Sie wissen, was Sie für die nächste Stunde lesen sollen."

Die Studenten verlieГџen den Vorlesungsraum. Lucy entschied sich noch einen Moment zu bleiben und mit ihrer Mentorin zu reden.

Riley lächelte sie an und sagte, "Das war gute Arbeit gerade."

"Danke", sagte Lucy.

Sie freute sich. Jedes noch so kleine Kompliment von Riley bedeutete ihr viel.

Dann sagte Riley, "Aber jetzt will ich noch etwas Fortgeschritteneres ausprobieren. SchlieГџ die Augen."

Lucy tat es. Mit leiser, ruhiger Stimme gab Riley ihr mehr Informationen.

"Nachdem er Tilda Steen getötet hat, vergrub er sie in einem flachen Grab. Kannst du mir beschreiben, wie das passiert ist?"

Wie bei der anderen Übung, versucht Lucy sich in den Verstand des Mörders zu versetzen.

"Er hat die Leiche auf dem Bett liegen lassen und ist dann aus der TГјr des Motelzimmers gegangen", sagte Lucy laut. "Er hat sich vorsichtig umgesehen. Er hat niemanden gesehen. Also hat er die Leiche zu seinem Wagen gebracht und auf den RГјcksitz geworfen. Dann ist er zu einem Waldgebiet gefahren. Einen Ort, den er gut kannte, der aber nicht zu nah am Tatort lag."

"Was dann?", fragte Riley.

Die Augen immer noch geschlossen, spürte Lucy die methodische Kälte des Mörders.

"Er hat an einer Stelle gehalten, die nicht einfach einzusehen war. Dann hat er eine Schaufel aus dem Kofferraum geholt."

Lucy war einen Moment unschlГјssig.

Es war Nacht, also wie hatte der Mörder seinen Weg in den Wald gefunden?

Es wäre nicht einfach, eine Taschenlampe, eine Schaufel und eine Leiche zu tragen.

"War es eine mondhelle Nacht?", fragte Lucy.

"Das war es", sagte Riley.

Lucy fГјhlte sich ermutigt.

"Er hat die Schaufel mit einer Hand genommen und die Leiche mit der anderen Гјber seine Schulter geworfen. Er ist in den Wald gegangen. Er ist so lange weitergegangen, bis er einen Platz gefunden hat, der weit genug weg war, dass niemand dort hinkommt."

"Ein weit entfernter Platz?", fragte Riley, die Lucys Gedanken unterbrach.

"Definitiv", sagte Lucy.

"Mach die Augen auf."

Lucy sah Riley an. Riley fing an, ihre Aktentasche einzuräumen.

Sie sagte, "Tatsächlich hat der Mörder die Leiche in den Wald auf der anderen Seite des Highways gebracht, direkt gegenüber von dem Motel. Er hat Tildas Leiche nur wenige Schritte in das Unterholz getragen. Er könnte leicht von Autos auf dem Highway gesehen worden sein und er hat vermutlich das Licht der Straßenlaternen genutzt, um Tilda zu vergraben. Er hat sie achtlos vergraben, mit mehr Steinen als Erde bedeckt. Ein vorbeifahrender Radfahrer hat wenige Tage später den Geruch bemerkt und die Polizei gerufen. Die Leiche war einfach zu finden."

Lucy blieb vor Гњberraschung der Mund offen stehen.

"Warum hat er sich nicht mehr MГјhe gegeben, den Mord zu vertuschen?", fragte sie. "Das verstehe ich nicht."

Die Aktentasche schlieГџend, runzelte Riley die Stirn.

"Ich verstehe es auch nicht", sagte sie. "Niemand tut es."

Riley nahm ihre Aktentasche und verlieГџ den Vorlesungsraum.

Als Lucy ihr hinterhersah, bemerkte sie eine leichte Bitterkeit und Enttäuschung in Rileys Haltung.

So unbeeindruckt Riley sich auch gab, dieser alte Fall schien sie noch immer zu quälen.




KAPITEL ZWEI


Noch beim Abendessen konnte Riley den Streichholzbrief-Killer nicht aus ihren Gedanken verbannen. Sie hatte den ungelösten Fall als Beispiel für ihren Unterricht verwendet, weil sie wusste, dass sie bald wieder davon hören würde.

Riley versuchte sich auf den köstlichen Eintopf zu konzentrieren, den Gabriela für sie zubereitet hatte. Ihre Haushälterin war eine wundervolle Köchin. Riley hoffte, dass sie nicht bemerken würde, welche Schwierigkeiten sie damit hatte, das Essen an diesem Abend entsprechend zu würdigen. Aber natürlich entging es den Mädchen nicht.

"Was ist los, Mom?", fragte April, Rileys fünfzehnjährige Tochter.

"Ist etwas passiert?", fragte Jilly, das dreizehnjährige Mädchen, das Riley hoffte adoptieren zu können.

Von ihrem Platz auf der anderen Seite des Tisches warf auch Gabriela ihr einen besorgten Blick zu.

Riley wusste nicht, was sie sagen sollte. Morgen würde sie eine Erinnerung an den Streichholzbrief-Killer bekommen – einen Anruf, der jedes Jahr aufs Neue kam. Es hatte keinen Sinn, den Gedanken daran zu vermeiden.

Aber sie brachte nicht gerne Arbeit mit nach Hause zu ihrer Familie. Manchmal, trotz all ihrer BemГјhungen, hatte sie ihre Liebsten in schreckliche Gefahr gebracht.

"Es ist nichts", sagte sie.

Die Vier setzten fГјr einige Minuten ihr Essen schweigend fort.

Schließlich sagte April, "Es ist Dad, oder nicht? Es stört dich, dass er heute wieder nicht zu Hause ist."

Die Frage überraschte Riley. Die Abwesenheit ihres Ex-Mannes störte sie tatsächlich in letzter Zeit. Sie und Ryan hatten sich viel Mühe gegeben, sich nach einer schmerzhaften Scheidung wieder zu versöhnen. Jetzt schien der Fortschritt wieder einzubrechen und Ryan hatte mehr und mehr Zeit in seinem eigenen Zuhause verbracht.

Aber Ryan war gerade nicht in ihren Gedanken gewesen.

Was sagte das Гјber sie selbst?

Wurde sie stumpf gegenГјber ihrer auseinanderfallenden Beziehung?

Hatte sie aufgegeben?

Die drei Gesichter um den Esstisch sahen sie an, warteten auf eine Antwort.

"Es ist ein Fall", sagte Riley. "Er beschäftigt mich immer zu dieser Zeit des Jahres."

Jillys Augen wurden groГџ vor Aufregung.

"Erzähl uns davon!", sagte sie.

Riley fragte sich, wie viel sie den Kindern erzählen sollte. Sie wollte die Details der Morde nicht mit ihrer Familie teilen.

"Es ist ein ungelöster Fall", sagte sie. "Eine Reihe von Morden, die weder die örtliche Polizei, noch das FBI lösen konnten. Ich versuche seit Jahren, ihn zu knacken."

Jilly hГјpfte regelrecht auf ihrem Stuhl auf und ab.

"Wie wirst du ihn lösen?"

Die Frage traf Riley unvermutet.

Natürlich wusste sie, dass Jilly es nicht böse meinte – ganz im Gegenteil. Das junge Mädchen war stolz darauf, eine Mutter zu haben, die für das Justizsystem arbeitete. Und sie dachte noch immer, dass Riley eine Art Superheldin war, die nicht versagen konnte.

Riley unterdrГјckte ein Seufzen.

Vielleicht ist es an der Zeit ihr zu sagen, dass ich nicht immer den Schuldigen fasse, dachte sie.

Aber Riley sagte einfach, "Ich weiГџ es nicht."

Es war die einfache, ehrliche Wahrheit.

Aber es gab etwas, das Riley wusste.

Tilda Steens fünfundzwanzigjähriger Todestag war morgen und sie würde ihn nicht so schnell aus ihrem Kopf verbannen können.

Zu Rileys Erleichterung wandte sich das Gespräch dem leckeren Abendessen von Gabriela zu. Die stämmige Frau aus Guatemala und die Mädchen fingen an, sich auf Spanisch zu unterhalten und Riley hatte Mühe allem zu folgen, was gesagt wurde.

Aber das war okay. April und Jilly lernten Spanisch und April wurde immer flüssiger. Jilly kämpfte noch mit der Sprache, aber Gabriela und April halfen ihr dabei, sie zu lernen.

Riley sah ihnen lächelnd zu.

Jilly sieht so gut gelaunt aus, dachte sie.

Sie war noch immer das dunkelhäutige, dünne Mädchen – aber kaum das verzweifelte, misshandelte Kind, das Riley aus den Straßen von Phoenix gerettet hatte. Sie war robust und gesund und sie schien sich gut in ihr neues Leben in Rileys Familie einzufinden.

Und April hatte sich als perfekte groГџe Schwester herausgestellt. Sie erholte sich gut von den Traumata, die sie erlitten hatte.

Manchmal, wenn sie April ansah, dann hatte Riley das Gefühl in einen Spiegel zu sehen – ein Spiegel, der ihr ihr eigenes Teenager-Selbst zeigte. April hatte Rileys Augen und die dunklen Haare, auch wenn sie noch nicht wie Rileys mit Grau durchzogen waren.

Riley spürte ein warmes Gefühl der Bestätigung.

Vielleicht mache ich wenigstens gute Arbeit als Mutter, dachte sie.

Aber das warme GefГјhl schwand schnell wieder.

Der mysteriöse Streichholzbrief-Killer beschäftigte sie noch immer.



*



Nach dem Abendessen ging Riley in ihr Schlafzimmer und Büro. Sie setzte sich vor ihren PC und atmete einige Mal tief durch, im Versuch sich zu entspannen. Aber die Aufgabe, die vor ihr lag, machte sie nervös.

Es erschien ihr albern, sich so zu fühlen. Schließlich hatte sie unzählige gefährliche Mörder über die Jahre gejagt und festgenommen. Ihr eigenes Leben war öfter bedroht gewesen, als sie zählen konnte.

Mit meiner Schwester zu sprechen sollte doch nicht so schwer sein, dachte sie.

Aber sie hatte Wendy lange nicht gesehen … wie viele Jahre war es jetzt her?

Nicht mehr seit Riley ein kleines Mädchen gewesen war. Wendy hatte sie kontaktiert, nachdem ihr Vater gestorben war. Sie hatten telefoniert und die Möglichkeit eines persönlichen Treffens besprochen. Aber Wendy lebte weit weg in Des Moines, Iowa, und sie waren nicht in der Lage gewesen einen Termin zu finden. Also hatten sie sich auf einen Videoanruf geeinigt.

Um sich vorzubereiten, sah Riley auf das gerahmte Foto, das neben ihr auf dem Schreibtisch stand. Sie hatte es nach dem Tod ihres Vaters unter seinen Sachen gefunden. Es zeigte Riley, Wendy und ihre Mutter. Riley sah aus, als wäre sie etwa vier Jahre alt und Wendy musste im Teenageralter sein.

Beide Mädchen und ihre Mutter sahen beide glücklich aus.

Riley konnte sich nicht erinnern, wann und wo das Foto gemacht worden war.

Und sie konnte sich sicherlich nicht daran erinnern, dass ihre Familie jemals glГјcklich gewesen war.

Ihre Hände kalt und zittrig, tippte sie Wendys Videoadresse ein.

Die Frau, die auf dem Bildschirm erschien, könnte ebenso gut eine vollkommen Fremde sein.

"Hi, Wendy", sagte Riley schГјchtern.

"Hi", erwiderte Wendy.

Dann starrten sie sich beide fГјr einen Moment unbehaglich an.

Riley wusste, dass Wendy etwa fünfzig Jahre alt war, zehn Jahre älter als sie. Die Jahre standen ihr gut. Sie war ein wenig kräftiger und sah durch und durch normal aus. Ihre Haare waren nicht grau, wie Rileys, aber sie bezweifelte, dass es ihre natürliche Haarfarbe war.

Riley sah zwischen dem Foto und Wendys Gesicht hin und her. Sie bemerkte, dass Wendy ein wenig wie ihre Mutter aussah. Riley wusste, dass sie immer mehr nach ihrem Vater ausgesehen hatte. Sie war nicht gerade stolz auf diese Г„hnlichkeit.

"Also", sagte Wendy schließlich, um die Stille zu durchbrechen. "Was hast du so gemacht … in den letzten Jahrzehnten?"

Riley und Wendy mussten beide lachen. Aber selbst ihr Lachen klang gezwungen und ungelenk.

Wendy, fragte, "Bist du verheiratet?"

Riley seufzte laut. Wie konnte sie erklären, was zwischen ihr und Ryan vorging, wenn sie es selber nicht wirklich verstand?

Sie sagte, "Na ja, wie die Kinder heutzutage so schön sagen, 'Es ist kompliziert.' Und ich meine wirklich kompliziert."

Mehr nervöses Lachen.

"Und du?", fragte Riley.

Wendy schien sich ein wenig zu entspannen.

"FГјr Loren und mich sind es bald fГјnfundzwanzig Jahre. Wir sind beide Apotheker und haben eine eigene Apotheke. Loren hat sie von seinem Vater geerbt. Wir haben drei Kinder. Der jГјngste, Barton, ist gerade im College. Thora und Parish sind beide verheiratet und haben ihr eigenes Leben. Ich nehme an, das macht mich und Loren zu klassischen Empty-Nestern."

Riley spГјrte einen seltsam melancholischen Stich.

Wendys Leben war so anders als ihr eigenes. Tatsächlich schien Wendys Leben vollkommen normal zu sein.

Wie schon beim Abendessen mit April, schien sie auch jetzt in einen Spiegel zu blicken.

AuГџer, dass es kein Spiegel in ihre Vergangenheit war.

Sie sah ihr zukünftiges Selbst – jemand, der sie hätte werden können, aber nun niemals sein würde.

"Was ist mit dir?", fragte Wendy. "Hast du Kinder?"

Wieder fГјhlte Riley sich versucht zu sagen:

'Es ist kompliziert.'

Stattdessen sagte sie, "Zwei. April ist fünfzehn. Und ich bin dabei noch eine zu adoptieren – Jilly, die dreizehn ist."

"Adoption! Mehr Leute sollten das tun. Das finde ich klasse."

Riley hatte nicht das GefГјhl einen GlГјckwunsch zu verdienen. Sie wГјrde sich vielleicht besser fГјhlen, wenn sie wГјsste, dass Jilly mit zwei Elternteilen aufwachsen wГјrde. Im Moment war dies jedoch zu bezweifeln. Das wollte sie aber nicht mit Wendy diskutieren.

Stattdessen gab es etwas, das sie mit ihrer Schwester klären musste.

Und sie befГјrchtete, dass es unangenehm werden wГјrde.

"Wendy, du weiГџt, dass Daddy mir in seinem Testament seine HГјtte hinterlassen hat", sagte sie.

Wendy nickte.

"Ich weiГџ", sagte sie. "Du hast mir Fotos geschickt. Sieht nach einem netten Ort aus."

Die Worte hatten für Riley einen misstönenden Klang.

" … ein netter Ort."

Riley war einige Mal dort gewesen – das letzte Mal kurz nach dem Tod ihres Vaters. Aber ihre Erinnerungen waren alles andere als erfreulich. Ihr Vater hatte die Hütte nach seinem Eintritt in den Ruhestand als US Marine Kommandant gekauft. Riley erinnerte sich an das Haus als das eines einsamen, gemeinen alten Mannes, der jeden gehasst hatte – und im Gegenzug von jedem gehasst wurde. Das letzte Mal, als Riley ihn lebend gesehen hatte, war es zu einem Schlagabtausch gekommen.

"Ich denke, es war ein Fehler", sagte sie.

"Was?"

"Mir die Hütte zu hinterlassen. Das war falsch von ihm. Du hättest sie bekommen sollen."

Wendy sah aufrichtig Гјberrascht aus.

"Warum?", fragte sie.

Riley spürte hässliche Emotionen in sich aufwallen. Sie räusperte sich.

"Weil du am Ende für ihn da warst, als er im Hospiz war. Du hast dich um ihn gekümmert. Du hast dich sogar danach um ihn gekümmert – die Beerdigung und die Papiere erledigt. Ich war nicht da. Ich––"

Sie erstickte fast an ihren nächsten Worten.

"Ich denke nicht, dass ich das hätte tun können. Die Dinge zwischen uns waren nicht gut."

Wendy lächelte traurig.

"Die Dinge zwischen mir und ihm waren auch nicht gut."

Riley wusste, dass das stimmte. Arme Wendy – Daddy hatte sie regelmäßig geschlagen, bis sie schließlich mit fünfzehn weggelaufen war. Und trotzdem hatte Wendy den Anstand gehabt, sich am Ende um ihn zu kümmern.

Riley hätte das nicht getan und sie fühlte sich deswegen auch nicht schuldig.

Riley sagte, "Ich weiГџ nicht, was die HГјtte wert ist. Sie muss zumindest etwas wert sein. Ich will, dass du sie bekommst."

Wendys Augen weiteten sich erschrocken.

"Nein", sagte sie.

Die Direktheit der Antwort Гјberraschte Riley.

"Warum nicht?", fragte Riley.

"Ich kann nicht. Ich will sie nicht. Ich will alles Гјber ihn vergessen."

Riley wusste, wie sie sich fГјhlte. Sie fГјhlte sich genauso.

Wendy fügte hinzu, "Du solltest sie einfach verkaufen. Behalte das Geld. Ich will, dass du es behältst."

Riley wusste nicht, was sie sagen sollte.

GlГјcklicherweise wechselte Wendy das Thema.

"Bevor Dad gestorben ist, hat er mir erzählt, dass du BAU Agentin bist. Wie lange machst du diese Arbeit schon?"

"Etwa zwanzig Jahre", sagte Riley.

"Nun. Ich denke, Dad war stolz auf dich."

Ein bitteres Lachen stieg in Rileys Kehle auf.

"Nein, das war er nicht", sagte sie.

"Woher weiГџt du das?"

"Oh, das hat er mich wissen lassen. Er hatte seine eigene Art, Dinge zu kommunizieren."

Wendy seufzte.

"Ich nehme an, das hatte er", sagte sie.

Ein unangenehmes Schweigen senkte sich über sie. Riley fragte sich, über was sie reden sollten. Schließlich hatten sie seit Jahren nicht gesprochen. Sollten sie noch einmal versuchen, ein persönliches Treffen auszumachen? Riley konnte sich nicht vorstellen nach Des Moines zu reisen, nur um diese Fremde namens Wendy zu besuchen. Und sie war sich sicher, dass es Wendy mit einem Besuch in Fredericksburg ähnlich ging.

Was könnten sie schließlich gemeinsam haben?

In dem Moment klingelte Rileys Festnetz Telefon auf dem Schreibtisch. Sie war dankbar fГјr die Unterbrechung.

"Da sollte ich besser drangehen", sagte Riley.

"Ich verstehe", sagte Wendy. "Danke, dass du dich gemeldet hast."

"Danke dir", sagte Riley.

Sie beendeten den Anruf und Riley ging ans Telefon. Riley sagte Hallo und hörte dann die verwirrt klingende Stimme einer Frau.

"Hallo … wer spricht da?"

"Wer ruft an?", fragte Riley.

Ein Schweigen folgte.

"Ist … ist Ryan zu Hause?", fragte die Frau.

Ihre Worte klangen ein wenig undeutlich. Riley war sich ziemlich sicher, dass die Frau betrunken war.

"Nein", sagte Riley. Sie zögerte einen Moment. Schließlich, sagte sie sich selbst, könnte es eine Klientin von Ryan sein. Aber sie wusste, dass es nicht so war. Die Situation war zu vertraut.

Riley sagte, "Rufen Sie diese Nummer nicht noch einmal an."

Sie legte auf.

Sie zitterte vor Wut.

Es fängt schon wieder von vorne an, dachte sie.

Sie wählte Ryans Festnetznummer.




KAPITEL DREI


Als Ryan abnahm, verschwendete Riley keine Zeit mit einer BegrГјГџung.

"Triffst du dich mit jemand anderem, Ryan?", fragte sie.

"Warum?"

"Eine Frau hat hier angerufen und nach dir gefragt."

Ryan zögerte, bevor er fragte, "Hast du nach ihrem Namen gefragt?"

"Nein. Ich habe aufgelegt."

"Ich wünschte, das hättest du nicht. Sie könnte eine Klientin gewesen sein."

"Sie war betrunken, Ryan. Und es war etwas Persönliches. Ich konnte es in ihrer Stimme hören."

Ryan schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.

Riley wiederholte ihre Frage, "Triffst du dich mit jemand anderem?"

"Es – Es tut mir leid", stammelte Ryan. "Ich weiß nicht, woher sie deine Nummer hat. Es muss eine Art Missverständnis gewesen sein."

Oh, und ob es da ein Missverständnis gibt, dachte Riley.

"Du beantwortest meine Frage nicht", sagte sie.

Ryan fing nun an, Г¤rgerlich zu klingen.

"Was wenn ich jemand anderen treffe? Riley, wir haben nie gesagt, dass wir exklusiv sind."

Riley war sprachlos. Nein, sie konnte sich nicht erinnern, darüber gesprochen zu haben. Aber trotzdem …

"Ich bin davon ausgegangen––" begann sie.

"Vielleicht bist du von zu viel ausgegangen", unterbrach Ryan.

Riley versuchte ihren Г„rger herunterzuschlucken.

"Wie heiГџt sie?", fragte sie.

"Lina."

"Ist es ernst?"

"Ich weiГџ es nicht."

Der Telefonhörer zitterte in Rileys Hand.

Sie sagte, "Denkst du nicht, es ist an der Zeit, dich zu entscheiden?"

Ein Schweigen folgte.

Schließlich sagte Ryan, "Riley, ich wollte schon mit dir darüber reden. Ich brauche ein wenig Freiraum. Dieses ganze Familien-Ding – Ich dachte, ich wäre bereit dafür, aber das war ich nicht. Ich will mein Leben genießen. Du solltest dir auch ein wenig Zeit nehmen, um dein Leben zu genießen."

Riley konnte den nur zu vertrauten Ton in seiner Stimme hören.

Er ist wieder in seinem Playboy-Modus, dachte sie.

Er genoss seine neue Affäre, zog sich von Riley und seiner Familie zurück. Er hatte in der letzten Zeit wie ein veränderter Mann gewirkt – mehr Verantwortung und Engagement gezeigt. Sie hätte wissen müssen, dass es nicht lange anhält. Er hatte sich nicht geändert.

"Was willst du jetzt machen?", fragte sie.

Ryan klang erleichtert, dass er seinen GefГјhlen freien Lauf lassen konnte.

"Hör zu, Riley, dieses ganze Hin und Her zwischen deinem Haus und meinem – das funktioniert für mich einfach nicht. Es fühlt sich zu vorübergehend an. Ich denke, es ist besser, wenn ich gehe."

"Das wird April sehr treffen", sagte Riley.

"Ich weiГџ. Aber wir schaffen das schon irgendwie. Ich verbringe weiter Zeit mit ihr. Das wird sie schon verstehen. Sie hat Schlimmeres durchgemacht."

Ryans aalglatte Antworten machten Riley von Sekunde zu Sekunde wГјtender. Sie war kurz davor, zu explodieren.

"Und was ist mit Jilly?" sagte Riley. "Sie hat dich sehr gerne. Sie verlässt sich auf dich. Du hast ihr bei vielen Dingen geholfen, wie ihren Hausaufgaben. Sie braucht dich. Sie macht gerade so viele Änderungen durch, es ist nicht leicht für sie."

Eine weitere Pause folgte. Riley wusste, dass Ryan sich bereit machte, etwas zu sagen, dass ihr nicht gefallen wГјrde.

"Riley, Jilly war deine Entscheidung. Ich bewundere dich dafГјr. Aber ich habe mich nicht dafГјr gemeldet. Ein Problem-Teenager von einem Fremden ist zu viel fГјr mich. Das ist nicht fair."

FГјr einen Moment war Riley zu wГјtend, um zu sprechen.

Ryan kГјmmerte sich wieder nur um seine eigenen GefГјhle.

Es war hoffnungslos.

"Komm her und hol deine Sachen", sagte sie durch zusammengebissene Zähne. "Komm erst, wenn die Mädchen in der Schule sind. Ich will, dass alles von dir so schnell wie möglich von hier verschwunden ist."

Dann legte sie auf.

Sie stand auf und tigerte rauchend vor Wut durch den Raum.

Sie wünschte, sie hätte einen Weg, um Dampf abzulassen, aber es gab nichts, was sie gerade tun konnte. Eine schlaflose Nacht lag vor ihr.

Das Abreagieren würde bis zum nächsten Tag warten müssen.




KAPITEL VIER


Riley wusste, dass ein Angriff kommen würde und zwar plötzlich und unerwartet. Und er konnte von überall aus diesem labyrinthartigen Raum kommen. Sie arbeitete sich langsam den schmalen Flur des verlassenen Gebäudes entlang vor.

Aber die Erinnerungen an den letzten Abend stahlen sich immer wieder in ihren Kopf.

"Ich brauche ein wenig Freiraum", hatte Ryan gesagt.

"Dieses ganze Familien-Ding – Ich dachte, ich wäre bereit dafür, aber das war ich nicht. Ich will mein Leben genießen."

Riley war wütend – nicht nur auf Ryan, sondern auch auf sich selbst, weil sie sich von diesen Gedanken ablenken ließ.

Konzentrier dich, sagte sie sich. Du musst einem Verbrecher das Handwerk legen.

Und die Situation sah nicht gut aus. Rileys jüngere Kollegin Lucy Vargas war bereits verwundet worden. Rileys langjähriger Partner Bill Jeffreys war bei Lucy geblieben. Sie waren beide um die Ecke hinter Riley und hielten herannahende Schützen ab. Riley hörte Schüsse aus Bills Gewehr.

Mit der Gefahr genau vor sich konnte sie sich nicht umdrehen und nachsehen, was geschah.

"Wie sieht es aus, Bill?" rief sie.

Jetzt hörte sie eine Reihe von halbautomatischen Schüssen.

"Einer erledigt, noch zwei Гјbrig", rief Bill zurГјck. "Ich schalte die Kerle hier aus, kein Problem. Und ich gebe Lucy Deckung, sie kommt wieder in Ordnung. Halte deine Augen vorne. Der Typ vor dir ist gut. Wirklich gut."

Bill hatte Recht. Riley konnte den SchГјtzen vor sich nicht sehen, aber er hatte bereits Lucy getroffen, die selbst eine ausgezeichnete SchГјtzin war. Falls Riley ihn nicht erledigte, dann wГјrde er sie alle ausschalten.

Sie hielt ihren M4-Karabiner im Anschlag. Sie hatte schon lange kein Sturmgewehr mehr in der Hand gehabt, also gewöhnte sie sich noch immer an das Gewicht und die Ausmaße.

Vor ihr lag der Flur, dessen Türen alle offen standen. Der Schütze konnte sich in jedem dieser Räume verstecken. Sie war entschlossen ihn zu finden, ihn zu erledigen, bevor er mehr Schaden anrichten konnte.

Riley drГјckte sich weiter an der Wand entlang und bewegte sich auf die erste TГјr zu. In der Hoffnung, dass er sich dort befand, hielt sie sich von der Г–ffnung fern, streckte ihre Waffe aus und feuerte drei Kugeln in den Raum. Die Waffe zuckte scharf in ihrer Hand. Dann trat sie in den TГјrrahmen und feuerte drei weitere SchГјsse. Diesmal presste sie den Schaft gegen die Schulter, um den RГјckstoГџ aufzufangen.

Sie senkte die Waffe und sah, dass der Raum leer war. Sie wirbelte herum, um sicherzustellen, dass der Flur noch frei war, bevor sie einen Moment innehielt und ihren nächsten Schritt überdachte. Abgesehen von der Gefahr, würde es zu viel Munition kosten, jeden der Räume auf diese Weise zu überprüfen. Aber sie schien keine andere Wahl zu haben. Falls der Schütze in einem dieser Räume war, dann hatte er sicherlich seine Waffe so positioniert, dass er jeden töten würde, der durch den Türrahmen trat.

Sie hielt inne und kontrollierte ihre eigene physische Reaktion.

Sie war aufgebracht, nervös.

Ihr Puls schlug heftig.

Sie atmete schnell.

Aber lag das an dem Adrenalin oder dem Г„rger der letzten Nacht?

Wieder erinnerte sich an seine Worte.

"Was wenn ich jemand anderen treffe?" hatte Ryan gesagt.

"Riley, wir haben nie gesagt, dass wir exklusiv sind."

Er hatte ihr gesagt, dass der Name der Frau Lina war.

Riley, fragte sich, wie alt sie war.

Wahrscheinlich zu jung.

Ryans Frauen waren immer zu jung.

Verdammt, hör auf, an ihn zu denken! Sie verhielt sich wie ein blutiger Anfänger.

Sie musste sich daran erinnern, wer sie war. Riley Paige, eine respektierte und bewunderte Agentin.

Sie hatte jahrelanges Training und Arbeit im Feld hinter sich.

Sie war zur Hölle und wieder zurück gegangen. Sie hatte Leben genommen und Leben gerettet. Sie verhielt sich im Angesicht der Gefahr immer kühl und überlegt.

Also warum lieГџ sie sich von Ryan so aufbringen?

Sie schГјttelte sich und versuchte so, die Ablenkungen aus ihrem Kopf zu verbannen.

Sie bewegte sich auf den nächsten Raum zu, feuerte um den Türrahmen herum, trat in den Raum und betätigte wieder den Abzug.

In dem Moment klemmte ihr Gewehr.

"Verdammt", grummelte Riley laut.

GlГјcklicherweise war der SchГјtze auch nicht in diesem Raum. Aber sie wusste, dass ihr GlГјck jederzeit vorbei sein konnte. Sie trat zurГјck, lieГџ den Karabiner sinken und zog ihre Glock.

In dem Moment sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Dort war er, in einem Türrahmen weiter vor ihr, sein Gewehr genau auf sie gerichtet. Instinktiv ließ Riley sich fallen und rollte sich ab, um seinen Schüssen auszuweichen. Dann kam sie auf die Knie und feuerte dreimal, sich bei jedem der Schüsse in den Rückstoß lehnend. Alle drei Kugeln trafen den Schützen, der rückwärts zu Boden fiel.

"Ich habe ihm erwischt!", rief sie Bill zu. Sie hielt ihren Blick auf die Figur gerichtet und sah kein Lebenszeichen. Es war vorbei.

Dann stand Riley auf und zog ihren VR-Helm mit den Gläsern, Kopfhörern und dem Mikrofon ab. Der gefallene Schütze verschwand, zusammen mit dem Labyrinth der Gänge. Sie fand sich in einem Raum der Größe eines Basketballplatzes wieder. Bill stand in der Nähe und Lucy kam wieder auf die Füße. Bill und Lucy nahmen ebenfalls ihre Helme ab. Wie Riley, trugen auch sie jede Menge Ausrüstung, mit Sensoren an ihren Handgelenken, Ellbogen, Knien und Knöcheln, die jede ihrer Bewegungen in der Simulation verfolgten.

Jetzt, da ihre Partner keine simulierten Puppen mehr waren, hielt Riley einen Augenblick inne, um ihre Anwesenheit zu würdigen. Sie schienen ein seltsames Paar zu sein – einer von ihnen reif und solide, der andere jung und impulsiv.

Aber sie gehörten beide zu ihren liebsten Menschen.

Riley hatte mehr als einmal mit Lucy zusammen gearbeitet und wusste, dass sie sich auf sie verlassen konnte. Die junge Agentin mit ihren dunklen Augen schien regelrecht von innen heraus zu leuchten, Energie und Enthusiasmus zu versprГјhen.

Im Gegensatz dazu war Bill in Rileys Alter und auch wenn seine vierzig Jahre ihn ein wenig langsamer gemacht hatten, war er immer noch einer der besten Agenten.

Und er sieht immer noch sehr gut aus, sagte sie zu sich selbst.

Für einen kurzen Augenblick, fragte sie sich – jetzt wo die Dinge zwischen ihr und Ryan wieder schief gelaufen waren, vielleicht sollten sie und Bill …?

Aber nein, sie wusste das war eine fürchterliche Idee. In der Vergangenheit hatten sie und Bill beide unbeholfene Versuche unternommen, um etwas Ernsthaftes zu starten und die Ergebnisse waren ein Desaster gewesen. Bill war ein guter Partner und ein noch besserer Freund. Es wäre dumm, das zu zerstören.

"Gute Arbeit", sagte Bill zu Riley. Er grinste breit.

"Ja, du hast mir das Leben gerettet, Riley", sagte Lucy lachend. "Ich kann nicht glauben, dass ich mich habe anschieГџen lassen. Ich habe den Typen nicht gesehen, obwohl er direkt vor mir war!"

"DafГјr ist das System ja da", sagte Bill zu Lucy und klopfte ihr auf den RГјcken. "Selbst sehr erfahrene Agenten tendieren dazu, ihre Ziele zu verfehlen, wenn sie innerhalb von 3 Metern stehen. VR hilft dabei, mit diesem Problem umzugehen."

Lucy sagte, "Nun, nichts geht über eine virtuelle Kugel in die Schulter, um eine Lektion zu lernen." Sie rieb sich die Schulter, wo die Ausrüstung einen leichten Schlag ausgelöst hatte, um ihr anzuzeigen, dass sie getroffen wurde.

"Besser als eine richtige", sagte Riley. "Trotzdem meine besten WГјnsche fГјr eine schnelle Genesung."

"Danke!", lachte Lucy. "Ich fГјhle mich schon besser."

Riley holsterte ihre Simulationswaffe und hob das falsche Sturmgewehr auf. Sie erinnerte sich an den intensiven Rückstoß, den sie bei der Feuerung der Waffen gespürt hatte. Und das nicht existierende, verlassene Gebäude war erstaunlich lebendig und detailliert gewesen.

Trotzdem fГјhlte Riley sich seltsam leer und unzufrieden.

Aber das lag nicht an Bill oder Lucy. Und sie war dankbar, dass sich beide an diesem Morgen Zeit genommen hatten, um sich ihr anzuschlieГџen.

"Danke, dass ihr mitgemacht habt", sagte sie. "Ich nehme an, ich musste ein wenig Dampf ablassen."

"FГјhlst du dich besser?", fragte Lucy.

"Ja", sagte Riley.

Es stimmte nicht, aber eine kleine LГјge konnte nicht schaden.

"Wie wäre es, wenn wir einen Kaffee trinken gehen?", fragte Bill.

"Klingt gut!", sagte Lucy.

Riley schГјttelte den Kopf.

"Nicht heute, danke. Ein andermal gerne. Geht ruhig, ihr zwei."

Bill und Lucy verlieГџen den groГџen VR Raum. Riley, fragte sich, ob sie vielleicht doch mit ihnen mitgehen sollte.

Nein, ich wäre keine angenehme Gesellschaft, dachte sie.

Ryans Worte hallten wieder durch ihren Kopf.

"Riley, Jilly war deine Entscheidung."

Ryan hatte Nerven, der armen Jilly den RГјcken zuzuwenden.

Aber Riley war jetzt nicht wГјtend. Stattdessen spГјrte sie eine tiefe Traurigkeit.

Aber warum?

Langsam wurde ihr klar:

Nichts davon ist real.

Mein ganzes Leben, alles ist ein Schwindel.

Ihre Hoffnungen mit Ryan und den Kindern wieder eine Familie zu sein, waren eine Illusion.

Genau wie diese verdammte Simulation.

Sie fiel auf die Knie und fing an zu weinen.

Es dauerte einige Minuten, bis Riley sich zusammenreiГџen konnte. Dankbar, dass niemand ihren Zusammenbruch gesehen hatte, stand sie auf und ging zurГјck zu ihrem BГјro. Sobald sie durch die TГјr trat, fing ihr Telefon an zu klingeln.

Sie wusste, wer anrief.

Sie hatte den Anruf erwartet.

Und sie wusste, dass die Unterhaltung nicht einfach werden wГјrde.




KAPITEL FГњNF


"Hallo, Riley", meldete sich eine weibliche Stimme, als Riley abnahm.

Es war eine nette Stimme – ein wenig altersschwach und zitternd, aber freundlich.

"Hallo, Paula", sagte Riley. "Wie geht es Ihnen?"

Der Anrufer seufzte.

"Nun ja, Sie wissen – heute ist es immer schwer."

Riley verstand. Paulas Tochter, Tilda, war vor fГјnfundzwanzig Jahren an diesem Tag ermordet worden.

"Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich anrufe", sagte Paula.

"NatГјrlich nicht, Paula", versicherte Riley ihr.

Schließlich hatte Riley ihre recht seltsame Verbindung vor Jahren begonnen. Riley hatte nie aktiv an dem Fall von Tildas Mord gearbeitet. Sie hatte sich mit der Mutter des Opfers in Verbindung gesetzt, lange nachdem der Fall als ungelöst zu den Akten gelegt worden war.

Dieser jährliche Anruf zwischen ihnen, war seit Jahren eine Art Ritual.

Riley fand es noch immer eigenartig eine Unterhaltung mit jemandem zu fГјhren, den sie nie getroffen hatte. Sie wusste nicht einmal, wie Paula aussah. Sie wusste, dass Paula mittlerweile achtundsechzig Jahre alt war. Sie war dreiundvierzig gewesen, nur drei Jahre Г¤lter als Riley, als ihre Tochter ermordet wurde. Riley stellte sie sich als freundliche, grauhaarige, groГџmГјtterliche Figur vor.

"Wie geht es Justin?", fragte Riley.

Riley hatte ein paar Mal mit Paulas Mann gesprochen, ihn aber nie besser kennen gelernt.

Paula seufzte wieder.

"Er ist im letzten Sommer gestorben."

"Das tut mir leid", sagte Riley. "Wie ist es passiert?"

"Es war plötzlich, vollkommen unerwartet. Ein Aneurysma – oder vielleicht ein Herzanfall. Sie haben angeboten eine Autopsie durchzuführen, um es herauszufinden. Ich habe gesagt, 'Warum die Mühe machen?' Es hätte ihn nicht zurückgebracht."

Riley fГјhlte mit der Frau. Sie wusste, dass Tilda ihre einzige Tochter gewesen war. Der Verlust ihres Mannes konnte nicht leicht sein.

"Wie kommen Sie klar?", fragte Riley.

"Ich leben einen Tag nach dem anderen", sagte Paula. "Es ist einsam hier."

Eine Spur fast unerträglicher Traurigkeit lag in ihrer Stimme, als wäre sie bereit, sich ihrem Mann im Tod anzuschließen.

Riley konnte sich ihre Einsamkeit nicht vorstellen. Sie spürte Dankbarkeit für die Menschen in ihrem Leben – April, Gabriela und jetzt auch Jilly. Riley hatte oft mit der Angst zu kämpfen, sie alle zu verlieren. April war mehr als einmal in Gefahr gewesen.

Und natГјrlich waren da noch wundervolle alte Freunde, wie Bill. Er hatte ebenfalls seinen Anteil an riskanten Situationen und Gefahren durchlebt.

Ich werde sie nie als selbstverständlich hinnehmen, dachte sie.

"Und wie geht es Ihnen, meine Liebe?", fragte Paula.

Vielleicht hatte Riley deshalb das GefГјhl, dass sie mit Paula Гјber Dinge reden konnte, die sie sonst mit kaum jemandem besprach.

"Nun ja, ich bin gerade dabei, ein dreizehnjähriges Mädchen zu adoptieren. Das ist ein richtiges Abenteuer. Oh, und Ryan war für eine Weile zurück. Dann ist er wieder abgehauen. Etwas niedlicheres, Jüngeres ist im ins Auge gefallen."

"Wie fürchterlich für Sie!", sagte Paula. "Ich hatte Glück mit Justin. Er ist nie fremdgegangen. Und ich nehme an, auf lange Sicht gesehen hatte er auch Glück. Er ist schnell gegangen, keine Schmerzen, kein Leiden. Ich hoffe, wenn meine Zeit kommt …"

Paulas Stimme verlor sich.

Riley schauderte.

Paula hatte ihre Tochter an einen Mörder verloren, der niemals seine gerechte Strafe erhalten hatte.

Riley hatte ebenfalls jemanden an einen Mörder verloren, der nie gefasst wurde.

Sie sprach langsam.

"Paula … ich habe immer noch Flashbacks. Und Albträume."

Paula antwortete in einer freundlichen, tröstenden Stimme.

"Ich nehme an, das ist nicht Гјberraschend. Sie waren noch so klein. Und Sie waren dabei, als es passiert ist. Mir wurde erspart, was Sie durchgemacht haben."

Riley stutzte bei ihren Worten.

Es erschien ihr nicht so, als wäre Paula etwas erspart geblieben.

Sicherlich, sie war nicht gezwungen gewesen zu sehen, wie ihre Tochter starb.

Aber das eigene Kind zu verlieren musste schlimmer sein als das, was Riley erlebt hatte.

Paulas Fähigkeit zu selbstlosem Mitgefühl erstaunte Riley immer wieder.

Paula sprach weiter in ihrer tröstenden Stimme.

"Trauer geht nie weg, denke ich. Vielleicht sollten wir das auch nicht wollen. Was würde aus uns werden, wenn ich Justin und Sie ihre Mutter vergessen würden? Ich will niemals so hart werden. Solange ich noch Schmerz und Trauer empfinde, fühle ich mich menschlich … und lebendig. Es ist ein Teil von dem, was wir beide sind, Riley."

Riley hielt die Tränen zurück.

Wie immer sagte Paula ihr genau das, was sie hören musste.

Aber wie immer war es nicht einfach.

Paula fuhr fort, "Und sehen Sie, was Sie aus Ihrem Leben gemacht haben – Sie beschützen andere und sorgen für Gerechtigkeit. Ihr Verlust hat Sie zu dem gemacht, was Sie sind – ein Kämpfer, ein guter und mitfühlender Mensch."

Ein einzelnes Schluchzen löste sich aus Rileys Kehle.

"Oh, Paula. Ich wünschte, es müsste nicht so sein – für keinen von uns. Ich wünschte, ich hätte––"

Paula unterbrach sie.

"Riley, wir reden jedes Jahr darüber. Der Mörder meiner Tochter wird nicht gefasst werden. Es ist niemandes Schuld und ich will sie auch niemandem geben. Vor allem Ihnen nicht. Es war nie Ihr Fall. Es ist nicht Ihre Verantwortung. Jeder hat getan, was er konnte. Das Beste, was Sie tun können, ist einfach mit mir zu reden. Und das macht mein Leben so viel besser."

"Mein Beileid wegen Justin", sagte Riley.

"Danke. Das bedeutet mir viel."

Riley und Paula stimmten zu, im nächsten Jahr wieder zu sprechen und beendeten den Anruf.

Riley saГџ alleine in ihrem BГјro.

Mit Paula zu sprechen war immer innerlich aufwГјhlend, aber meistens fГјhlte Riley sich danach besser.

Heute fГјhlte sie sich schlechter.

Warum?

Zu viel geht schief, wurde Riley klar.

Heute schienen alle Probleme in ihrem Leben zusammenzuhängen.

Und irgendwie konnte sie nicht verhindern, dass sie sich selbst die Schuld fГјr all den Verlust, all den Schmerz gab.

Zumindest spГјrte sie nicht mehr den Drang zu weinen. Weinen half nicht. AuГџerdem hatte Riley einiges an BГјroarbeit zu erledigen. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und versuchte zu arbeiten.



*



Später am Nachmittag fuhr Riley von Quantico direkt zur Brody Middle School. Jilly wartete bereits auf dem Gehsteig, als Riley hielt.

Jilly sprang auf den Beifahrersitz.

"Ich warte schon seit fünfzehn Minuten!", sagte sie. "Beeil dich! Wir kommen zu spät zum Spiel!"

Riley lachte leise.

"Wir kommen nicht zu spät", sagte sie. "Wir sind genau rechtzeitig."

Riley fuhr in die Richtung von Aprils Highschool.

Während sie fuhr begann Riley wieder, sich Sorgen zu machen.

War Ryan am Haus gewesen und hatte seine Sachen geholt?

Und wann und wie sollte sie den Mädchen beibringen, dass er nicht mehr zurückkam?

"Was ist los?", fragte Jilly.

Riley hatte nicht bemerkt, dass ihr Gesicht ihre GefГјhle so deutlich zeigte.

"Nichts", sagte sie.

"Es ist nicht Nichts", sagte Jilly. "Das kann ich sehen."

Riley unterdrГјckte ein Seufzen. Wie April und Riley selbst, war Jilly mehr als aufmerksam.

Soll ich es ihr jetzt sagen?, fragte Riley sich.

Nein, jetzt war nicht die Zeit. Sie waren auf dem Weg, um bei Aprils FuГџballspiel zuzusehen. Sie wollte den Nachmittag nicht mit schlechten Nachrichten ruinieren.

"Es ist wirklich nichts", sagte sie.

Riley hielt wenige Minuten vor Anpfiff vor Aprils Schule. Sie und Jilly gingen zu der Zuschauertribüne, die bereits recht voll war. Riley wurde klar, dass Jilly vielleicht recht gehabt hatte – sie hätten früher kommen sollen.

"Wo können wir sitzen?", fragte Riley.

"Da oben!", sagte Jilly und zeigte auf die oberste Reihe, wo noch einige Plätze frei zu sein schienen. "Ich kann mich vor das Geländer stellen und alles sehen."

Sie gingen die Tribüne nach oben und setzten sich. Kurze Zeit später begann das Spiel. April spielte im Mittelfeld und hatte offenbar viel Spaß. Riley bemerkte sofort, dass sie eine aggressive Spielerin war.

Während sie zusahen kommentierte Jilly, "April sagt, dass sie ihre Fähigkeiten in den nächsten Jahren ausbauen will. Stimmt es, dass Fußball ihr vielleicht ein College Stipendium bringen könnte?"

"Wenn sie wirklich daran arbeitet", sagte Riley.

"Wow. Das ist so cool. Vielleicht kann ich das auch."

Riley lächelte. Es war wundervoll, dass Jilly einen so positiven Ausblick auf die Zukunft hatte. In dem Leben, das sie hinter sich gelassen hatte, war wenig Anlass zur Hoffnung gewesen. Ihre Aussichten waren düster gewesen. Sie hätte vermutlich nicht einmal die Highschool beendet, geschweige denn ein College besucht. Eine ganz neue Welt der Möglichkeiten erschloss sich ihr jetzt.

Ich nehme an, ich mache wenigstens etwas richtig, dachte Riley.

Während Riley zusah, bewegte sich April auf das Tor zu und versenkte einen wundervollen Eckschuss. Sie hatte das erste Tor des Spiels geschossen.

Riley sprang auf, jubelte und klatschte.

Dabei erkannte sie ein weiteres Mädchen im Team. Es war Aprils Freundin Crystal Hildreth. Riley hatte Crystal schon eine Weile nicht mehr gesehen. Der Anblick des Mädchens wühlte einige verworrene Emotionen auf.

Crystal und ihr Vater, Blaine, hatten direkt neben Riley und ihrer Familie gewohnt.

Blaine war ein charmanter Mann. Riley hatte Interesse an ihm gehabt und er an ihr.

Aber all das hatte vor einigen Monaten geendet, als etwas Schreckliches passiert war. Danach waren Blaine und seine Tochter weggezogen.

Riley wollte wirklich nicht an diese Ereignisse erinnert werden.

Sie sah sich in der Menge um. Da Crystal spielte, war sicherlich auch Blaine unter den Zuschauern. Aber im Moment konnte sie ihn nicht sehen.

Sie hoffte, dass sie ihn nicht treffen wГјrde.



*



In der Halbzeit rannte Jilly los, um mit ein paar Freunden zu sprechen, die sie gesehen hatte.

Riley bemerkte, dass sie eine SMS bekommen hatte. Sie war von Shirley Redding, der Immobilienmaklerin, die sie bezГјglich des Verkaufs der HГјtte ihres Vaters kontaktiert hatte.

Dort stand:

Gute Nachrichten! Rufen Sie mich sofort an!

Riley verließ die Tribüne und wählte die Nummer der Maklerin.

"Ich habe mir den Verkauf angesehen", sagte die Frau. "Das GrundstГјck sollte mehr als hunderttausend Dollar bringen. Vielleicht sogar das Doppelte."

Riley spürte einen Anflug von Erregung. So eine Summe würde eine große Hilfe für die College Pläne der Mädchen sein.

Shirley fuhr fort, "Wir mГјssen Гјber Details reden. Passt es Ihnen gerade?"

Tat es natürlich nicht, also verabredeten sie sich für den nächsten Tag. Gerade als sie den Anruf beendete, sah sie, wie sich jemand durch die Menge auf sie zubewegte.

Riley erkannte ihn sofort. Es war Blaine, ihr ehemaliger Nachbar.

Sie bemerkte, dass der gut aussehende, lächelnde Mann noch immer eine Narbe auf seiner rechten Wange hatte.

Riley wurde das Herz schwer.

Gab er Riley die Schuld fГјr diese Narbe?

Sie konnte nicht verhindern, dass sie es tat.




KAPITEL SECHS


Blaine Hildreth spürte eine Welle von widersprüchlichen Gefühlen, während er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Er hatte Riley Paige entdeckt, als sie aufstand, um ihrer Tochter zuzujubeln. Sie sah wie immer sehr lebendig und bemerkenswert aus und er war wie von selbst in der Halbzeit zu ihr gegangen. Jetzt sah sie ihn an, aber er konnte nichts aus ihrem Gesichtsausdruck lesen.

Wie fГјhlte sie sich, ihn zu sehen?

Und wie fГјhlte er sich, sie zu sehen.

Blaine konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken zu dem traumatischen Tag vor zwei Monaten wanderten.



Er saß in seinem Wohnzimmer, als er einen fürchterlichen Lärm von nebenan hörte.

Er rannte zu Rileys Haus und fand die HaustГјr halb offen stehen.

Er stГјrmte hinein und sah, was vor sich ging.

Ein Mann griff April, Rileys Tochter, an. Der Mann hatte April auf den Boden geworfen und sie wand sich unter ihm, schlug ihn mit ihren Fäusten.

Blaine rannte auf sie zu und zog den Angreifer von April herunter. Er kämpfte mit dem Mann, versuchte ihn zu überwältigen.

Blaine war größer als der Angreifer, aber nicht stärker und nicht annährend so beweglich.

Er schlug immer wieder nach dem Mann, aber die meisten seiner Schläge verfehlten sein Ziel, während die anderen keinen Eindruck zu hinterlassen schienen.

Plötzlich hatte der Mann einen vernichtenden Schlag in seine Magengrube gelandet. Blaine war die Luft weggeblieben. Er war zusammengeklappt.

Dann hatte der Angreifer gegen sein Gesicht getreten …



… und alles um ihn herum war schwarz geworden.

Dann war Blaine im Krankenhaus aufgewacht.

Und jetzt, als er auf Riley zuging, wГјhlte ihn die Erinnerung ein wenig auf.

Er versuchte, sich zu fangen.

Als er Riley erreichte, wusste er nicht, was er tun sollte. Die Hände zu schütteln kam ihm ein wenig lächerlich vor. Sollte er ihr eine Umarmung geben?

Er sah, dass Rileys Gesicht vor Scham gerötet war. Sie schien auch nicht zu wissen, was sie tun sollte.

"Hi, Blaine", sagte sie.

"Hi."

Sie standen sich einen Augenblick schweigend gegenГјber und lachten dann ein wenig Гјber ihre Befangenheit.

"Unsere Mädchen spielen heute sehr gut", sagte Riley.

"Vor allem deins", sagte Blaine.

Aprils Tor frГјh im Spiel hatte ihn wirklich beeindruckt.

"Bist du mit jemandem hier?", fragte Riley.

"Nein. Und du?"

"Nur Jilly", sagte Riley. "Ich nehme an, du kennst sie nicht. Jilly ist … nun, das ist eine lange Geschichte."

Blaine nickte.

"Meine Tochter hat mir von Jilly erzählt", sagte er. "Sie zu adoptieren ist wirklich eine tolle Sache."

Blaine erinnerte sich an etwas, das Crystal ihm erzählt hatte. Riley versuchte sich wieder mit Ryan zu versöhnen. Blaine, fragte sich, wie das wohl lief. Ryan war zumindest nicht hier beim Spiel.

Recht schüchtern sagte Riley, "Hör zu, wir sitzen ganz oben in der Reihe. Wir haben noch Platz. Willst du den Rest des Spiels mit uns angucken?"

Blaine lächelte.

"Das wГјrde ich gerne", sagte er.

Sie gingen zurück zur Tribüne und erklommen die Stufen nach oben. Ein dünnes, junges Mädchen lächelte, als sie Riley sah. Aber sie sah nicht glücklich aus, als sie Blaine neben ihr bemerkte.

"Jilly, das ist mein Freund, Blaine", sagte Riley.

Ohne ein Wort stand Jilly auf und schickte sich an, wegzugehen.

"Setz dich zu uns, Jilly", sagte Riley.

"Ich setze mich zu meinen Freunden", sagte Jilly, drängte sich an ihnen vorbei und ging die Stufen nach unten. "Sie können mich noch reinquetschen."

Riley sah erschГјttert und fassungslos aus.

"Es tut mir leid", sagte sie zu Blaine. "Das war sehr unhöflich."

"Das ist okay", sagte Blaine.

Riley seufzte und sie setzten sich.

"Nein, das ist nicht okay", sagte sie. "Eine ganze Menge Dinge sind nicht okay. Jilly ist wütend, weil ich mit jemandem zusammensitze, der nicht Ryan ist. Er war wieder bei uns eingezogen und sie hat sich sehr an ihn gewöhnt."

Riley schГјttelte den Kopf.

"Jetzt zieht Ryan wieder aus", sagte sie. "Ich hatte noch keine Möglichkeit den Mädchen davon zu erzählen", sagte sie. "Oder vielleicht hatte ich einfach noch nicht den Mut. Es wird sie beide sehr treffen."

Blaine war ein wenig erleichtert, dass Ryan nicht mehr auf der Bildfläche war. Er hatte Rileys gutaussehenden Exmann einige Male getroffen und die Arroganz des Mannes war ihm sauer aufgestoßen. Außerdem musste er zugeben, dass er gehofft hatte, Riley wäre frei für eine neue Beziehung.

Aber er fГјhlte sich gleichzeitig schuldig bei dem Gedanken.

Das Spiel fing bald wieder an. Sowohl April, als auch Crystal spielten gut und Blaine und Riley feuerten sie von Zeit zu Zeit an.

Aber währenddessen dachte Blaine an das letzte Mal, als er Riley gesehen hatte. Es war kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus gewesen. Er hatte an ihre Tür geklopft und ihr gesagt, dass er und Crystal wegzogen. Blaine hatte Riley eine lahme Entschuldigung gegeben. Er hatte gesagt, dass das Stadthaus zu weit von dem Restaurant entfernt war, das er besaß und leitete.

Er hatte außerdem versucht es so klingen zu lassen, als wäre es keine große Sache.

"Es wird sein, als hätte sich nichts geändert", hatte er ihr gesagt.

Das stimmte natГјrlich nicht und Riley hatte es nicht geglaubt.

Sie war sichtlich verstimmt gewesen.

Es schien keinen guten Zeitpunkt dafГјr zu geben, also schnitt er das Thema jetzt an.

In einer zögernden Stimme sagte er, "Hör zu, Riley, es tut mir leid, wie die Dinge das letzte Mal gelaufen sind, als wir uns gesehen haben. Als ich dir gesagt habe, dass wir umziehen, meine ich. Das war nicht gerade mein bester Moment."

"Du musst nichts erklären", sagte Riley.

Aber Blaine sah das anders.

Er sagte, "Schau, ich denke, wir beide kennen den Grund fГјr unseren Umzug."

Riley zuckte mit den Achseln.

"Ja", sagte Riley. "Du warst um die Sicherheit deiner Tochter besorgt. Ich gebe dir keine Schuld, Blaine. Das tue ich wirklich nicht. Du hast nur getan, was du fГјr richtig gehalten hast."

Blaine wusste nicht, was er sagen sollte. Riley hatte natürlich Recht. Er hatte sich Sorgen um Crystals Sicherheit gemacht, nicht seine eigene. Er hatte sich außerdem Sorgen um Crystals mentale Gesundheit gemacht. Blaines Exfrau, Phoebe, war eine gewalttätige Alkoholikerin und Crystal hatte immer noch mit den emotionalen Wunden dieser Beziehung zu kämpfen. Sie brauchte kein erneutes Trauma in ihrem Leben.

Riley wusste alles über Phoebe. Sie hatte Crystal vor einem von Phoebes betrunkenen Wutanfällen gerettet.

Vielleicht versteht sie es wirklich, dachte er.

Aber er konnte nicht sagen, wie sie sich wirklich fГјhlte.

In dem Moment machte das Team ihrer Töchter ein weiteres Tor. Blaine und Riley klatschten und jubelten. Dann sahen sie dem Spiel schweigend zu.

Schließlich sagte Riley, "Blaine, ich gebe zu, ich war enttäuscht, als du weggezogen bist. Vielleicht sogar ein wenig wütend. Ich hatte Unrecht. Es war nicht fair von mir. Es tut mir leid, was passiert ist."

Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort.

"Ich habe mich schrecklich wegen dem gefühlt, was dir zugestoßen ist. Und schuldig. Das tue ich noch immer. Blaine, ich––"

Sie schien mit ihren Gedanken und Gefühlen zu kämpfen.

"Ich habe das Gefühl, dass ich jeden in Gefahr bringe, der mir über den Weg läuft. Ich hasse das an meinem Job. Ich hasse das an mir selbst."

Blaine wollte gerade widersprechen.

"Riley du musst nicht––"

Riley hielt ihn auf.

"Es stimmt und wir beide wissen es. Wenn ich mein Nachbar wäre, dann würde ich auch wegziehen. Zumindest, solange ich einen Teenager im Haus habe."

In dem Moment machte das Team ihrer Töchter einen Fehler. Blaine und Riley stöhnten mit dem Rest der Zuschauer für das Heimatteam auf.

Blaine fing an, sich ein wenig mutiger zu fühlen. Riley schien ihm seinen Umzug tatsächlich nicht vorzuhalten – oder zumindest nicht mehr.

Konnten sie das Interesse wiedererwecken, das sie fГјreinander gehabt hatten?

Blaine nahm seinen Mut zusammen und sagte, "Riley, ich würde dich und die Kinder gerne zum Essen in mein Restaurant einladen. Du könntest auch Gabriela mitbringen. Sie und ich könnten ein paar Rezepte austauschen."

Riley saß schweigend neben ihm. Sie sah fast so aus, als hätte sie ihn nicht gehört.

SchlieГџlich sagte sie, "Ich denke nicht, Blaine. Die Dinge sind gerade einfach zu kompliziert. Aber danke fГјr dein Angebot."

Blaine spürte einen Stich der Enttäuschung. Er wurde nicht nur von Riley zurückgewiesen, sie schien auch keine Möglichkeit für die Zukunft offen zu lassen.

Aber es gab nichts, was er daran Г¤ndern konnte.

Den Rest des Spiels verbrachten sie schweigend.



*



Riley dachte beim Abendessen noch immer an Blaine. Sie, fragte sich, ob sie einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht hätte sie seine Einladung annehmen sollen. Sie mochte ihn und vermisste ihn.

Er hatte sogar Gabriela eingeladen, was sehr nett war. Als Restaurantbesitzer hatte er Gabrielas Essen in der Vergangenheit sehr geschätzt.

Und Gabriela hatte ein typisch guatemalisches Essen heute Abend gezaubert – Hähnchen in Zwiebelsoße. Die Mädchen genossen es und redeten über den Fußballsieg am Nachmittag.

"Warum warst du nicht beim Spiel, Gabriela?", fragte April.

"Es hätte dir bestimmt gefallen", sagte Jilly.

"Sí, Ich mag den futbol", sagte Gabriela. "Das nächste Mal komme ich."

Das schien Riley eine gute Gelegenheit zu sein, etwas zu erwähnen.

"Ich habe gute Nachrichten", sagte sie. "Ich habe heute mit meiner Maklerin gesprochen und sie denkt, dass der Verkauf von Großvaters Hütte eine Menge Geld bringen könnte. Das sollte wirklich bei den College Plänen helfen – für euch beide."

Die Mädchen sahen sehr erfreut aus und sprachen eine Weile darüber. Aber bald schien sich Jillys Miene zu verdüstern.

SchlieГџlich fragte sie Riley, "Wer war der Typ beim Spiel?"

April sagte, "Oh, das war Blaine. Er war unser Nachbar. Er ist Crystals Dad. Du hast sie getroffen."

Jilly aГџ fГјr einen Moment trotzig weiter.

Dann fragte sie, "Wo ist Ryan? Warum war er nicht beim Spiel?"

Riley schluckte nervös. Sie hatte bemerkt, dass Ryan während dem Spiel zum Haus gekommen war und den Großteil seiner Sachen mitgenommen hatte. Es war an der Zeit, den Mädchen die Wahrheit zu sagen.

"Da gibt es etwas, was ich euch sagen wollte", begann sie.

Aber sie hatte Schwierigkeiten die richtigen Worte zu finden.

"Ryan … sagt, dass er ein wenig Freiraum braucht. Er––"

Sie konnte sich nicht dazu bringen, mehr zu sagen. Sie konnte an den Gesichtern der Mädchen sehen, dass das auch nicht nötig war. Sie verstanden nur zu gut, was sie meinte.

Nach wenigen Sekunden der Stille brach Jilly in Tränen aus und floh aus dem Raum nach oben. April folgte ihr schnell, um sie zu trösten.

Riley wurde klar, dass April an Ryans schwankende Aufmerksamkeit gewöhnt war. Die Enttäuschung musste schmerzen, aber sie würde besser damit klar kommen als Jilly.

Alleine mit Gabriela am Tisch sitzend, fing Riley an, sich schuldig zu fühlen. War sie einfach unfähig eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann zu führen?

Als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte, sagte Gabriela, "Hören Sie auf, sich die Schuld zu geben. Es ist nicht Ihre Schuld. Ryan ist ein Idiot."

Riley lächelte traurig.

"Danke, Gabriela", sagte sie.

Es war genau das, was sie hatte hören müssen.

Dann fügte Gabriela hinzu, "Die Mädchen brauchen eine Vaterfigur. Aber nicht jemanden, der kommt und geht, wie es ihm passt."

"Ich weiГџ", sagte Riley.



*



Später am Abend sah Riley nach den Mädchen. Jilly war in Aprils Zimmer und machte stumm ihre Hausaufgaben.

April sah auf und sagte, "Wir sind okay, Mom."

Riley spürte Erleichterung. So sehr sie auch mit den Mädchen trauerte, so stolz war sie doch auf April, die Jilly tröstete.

"Danke, mein Liebling", sagte sie und schloss leise die TГјr.

Sie dachte, dass April mit ihr Гјber Ryan reden wГјrde, wenn sie soweit war. Aber Jilly wГјrde es schwerer haben.

Als sie nach unten ging, dachte Riley an das, was Gabriela gesagt hatte.

"Die Mädchen brauchen eine Vaterfigur."

Sie sah auf ihr Telefon. Blaine hatte es klar gemacht, dass er ihre Beziehung wieder beleben wollte.

Aber was genau würde er von ihr erwarten? Ihr Leben war voll mit ihren Kindern und ihrer Arbeit. Konnte sie gerade wirklich jemand anderen in ihre Leben lassen? Würde sie ihn enttäuschen?

Aber, musste sie zugeben, ich mag ihn.

Und er mochte sie. Es musste doch noch Platz in ihrem Leben geben, für …

Sie nahm ihr Telefon und wählte Blaines Festnetznummer. Sie war enttäuscht, als sich der Anrufbeantworter meldete, aber nicht überrascht. Sie wusste, dass die Arbeit im Restaurant ihn oft bis spät in die Nacht beschäftigte.

Nach dem Piep hinterlieГџ Riley eine Nachricht.

"Hi, Blaine. Hier ist Riley. Hör zu, es tut mir leid, dass ich heute Nachmittag beim Spiel so kühl war. Ich hoffe, ich war nicht unhöflich. Ich wollte nur sagen, dass wir, falls dein Angebot noch steht, gerne kommen. Meld' dich doch, wenn du Zeit hast."

Riley fühlte sich sofort besser. Sie ging in die Küche und goss sich einen Drink ein. Während sie auf der Couch im Wohnzimmer sitzend daran nippte, erinnerte sie sich an die Unterhaltung mit Paula Steen.

Paula schien ihren Frieden damit gemacht zu haben, dass der Mörder ihrer Tochter niemals gefunden werden würde.

"Niemand ist Schuld und ich möchte auch niemandem die Schuld geben", hatte Paula gesagt.

Die Worte beschäftigten Riley.

Es erschien ihr so unfair.

Riley trank aus, ging unter die Dusche und anschlieГџend ins Bett.

Sie war kaum eingeschlafen, als die Albträume begannen.



*



Riley war ein kleines Mädchen.

Sie ging nachts durch einen Wald. Sie hatte Angst, aber sie wusste nicht, warum.

SchlieГџlich hatte sie sich in dem Wald nicht wirklich verlaufen.

Der Wald war in der Nähe des Highways und sie konnte die Autos vorbeifahren sehen. Das Licht der Straßenlaternen und der Vollmond leuchteten ihr den Weg durch die Bäume.

Dann fielen ihre Augen auf eine Reihe von drei flachen Gräbern.

Die Erde und die Steine, die die Gräber bedeckten, bewegten sich.

Frauenhände gruben sich einen Weg aus den Gräbern.

Sie konnte ihre gedämpften Stimmen hören.

"Hilf uns! Bitte!"

"Ich bin nur ein kleines Mädchen!", erwiderte Riley mit Tränen in den Augen.



Riley wachte erschrocken auf. Sie zitterte.

Es ist nur ein Albtraum, sagte sie sich selbst.

Und es war nicht überraschend, dass sie von dem Streichholzbrief-Killer träumte, nachdem sie mit Paula Steen gesprochen hatte.

Sie atmete mehrmals tief durch. Bald spГјrte sie, wie sie sich wieder entspannte und zurГјck in den Schlaf driftete.

Aber dann …



Sie war nur ein kleines Mädchen.

Sie war in einem SГјГџwarenladen mit Mommy und Mommy kaufte ihr jede Menge SГјГџigkeiten.

Ein gruseliger Mann mit einer Strumpfhose Гјber dem Gesicht kam auf sie zu.

Er zielte mit einer Waffe auf Mommy.

"Her mit deinem Geld", sagte er zu Mommy.

Aber Mommy hatte zu viel Angst, um sich zu bewegen.

Der Mann schoss Mommy in die Brust und sie fiel vor Riley auf die FГјГџe.

Riley fing an zu schreien. Sie wirbelte herum, suchte nach jemandem, der ihr helfen wГјrde.

Aber plötzlich war sie wieder im Wald.

Die Hände der Frauen ragten aus den drei Gräbern.

Die Stimmen riefen ihr zu:

"Hilf uns! Bitte!"

Dann hörte Riley eine weitere Stimme neben sich. Sie klang vertraut.

"Du hast sie gehört, Riley. Sie brauchen deine Hilfe."

Riley drehte sich um und sah Mommy. Sie stand neben ihr, ihre Brust aus einer Schusswunde blutend. Ihr Gesicht war bleich.

"Ich kann ihnen nicht helfen, Mommy!", weinte Riley. "Ich bin nur ein kleines Mädchen!"

Mommy lächelte.

"Nein, du bist nicht nur ein kleines Mädchen, Riley. Du bist erwachsen. Dreh dich um und schau."

Riley drehte sich um und fand sich einem groГџen Spiegel gegenГјber.

Es stimmte.

Sie war jetzt eine Frau.

Und die Stimmen riefen noch immer.

"Hilf uns! Bitte!"



Riley riss die Augen auf.

Sie zitterte mehr als vorher und schnappte nach Luft.

Sie erinnerte sich an etwas, das Paula Steen zu ihr gesagt hatte.

"Der Mörder meiner Tochter wird nicht gefasst werden."

Paula hatte auГџerdem gesagt:

"Es war nicht Ihr Fall."

Riley spГјrte eine grimmige Entschlossenheit.

Es stimmte – der Streichholzbrief-Killer war nicht ihr Fall gewesen.

Aber sie konnte ihn nicht länger in der Vergangenheit lassen.

Der Streichholzbrief-Killer musste endlich zur Verantwortung gezogen werden.

Jetzt ist es mein Fall, dachte sie.




KAPITEL SIEBEN


Riley hatte keine weiteren Albträume mehr, aber ihr Schlaf war dennoch unruhig. Überraschenderweise fühlte sie sich wach und voller Energie, als sie am nächsten Morgen aufwachte.

Sie hatte einiges zu tun.

Sie zog sich an und ging nach unten. April und Jilly saßen bereits in der Küche und aßen das Frühstück, das Gabriela zubereitet hatte. Beide Mädchen sahen traurig aus, aber nicht so am Boden zerstört wie gestern.

Riley sah, dass auch fГјr sie gedeckt war, also setzte sie sich und sagte, "Die Pancakes sehen wundervoll aus. WГјrdest du sie mir bitte rГјbergeben?"

Während sie aß und ihren Kaffee trank, schienen die Mädchen ein wenig ihrer guten Laune wiederzugewinnen. Sie erwähnten Ryans Abwesenheit nicht, stattdessen redeten sie über Kinder in ihren Schulen.

Sie sind hart im Nehmen, dachte Riley.

Und sie hatten beide schon vorher schwere Zeiten durchgemacht.

Sie war sich sicher, dass sie auch die Krise mit Ryan Гјberwinden wГјrden.

Riley trank ihren Kaffee aus und sagte, "Ich muss los."

Sie stand auf und gab erst April, dann Jilly einen Kuss auf die Wange.

"Geh und schnapp ein paar Bösewichte, Mom", sagte Jilly.

Riley lächelte.

"Das mache ich, mein Schatz", erwiderte sie.



*



Sobald sie in ihr Büro kam, rief Riley die Akten des alten Falles auf ihrem PC auf. Während sie alte Zeitungsartikel durchsah, erinnerte sie sich daran, dass sie einige davon gelesen hatte, als es gerade geschehen war. Sie war damals noch ein Teenager gewesen und der Streichholzbrief-Killer war ihr wie etwas aus einem Albtraum erschienen.

Die Morde waren hier in Virginia, in der Nähe von Richmond geschehen, mit jeweils drei Wochen zwischen den drei Opfern.

Riley öffnete eine Karte und fand Greybull, eine kleine Stadt neben der Interstate 64. Tilda Steen, das letzte Opfer, war in Greybull geboren und gestorben. Die anderen beiden Morde waren in den Städten Brinkley und Denison geschehen. Riley konnte sehen, dass alle Städte innerhalb von hundert Meilen lagen.

Riley schloss die Karte und sah sich wieder die Zeitungsartikel an.

Eine Гњberschrift verkГјndete in groГџen Buchstaben:

STREICHHOLZBRIEF-KILLER FORDERT DRITTES OPFER!

Sie schauderte leicht.

Ja, sie erinnerte sich daran, diese Гњberschrift vor vielen Jahren gelesen zu haben.

Der Artikel beschrieb die Panik, die der Mörder in der Gegend ausgelöst hatte – vor allem unter jungen Frauen.

Laut dem Artikel stellten Polizei und Г–ffentlichkeit die gleichen Fragen:

Wann und wo würde der Mörder das nächste Mal zuschlagen?

Wer würde das nächste Opfer sein?

Aber es hatte keine weiteren Opfer gegeben.

Warum?, fragte Riley sich.

Es war eine Frage, die die Polizei nicht hatte beantworten können.

Der Mörder schien ein skrupelloser Serienmörder zu sein – die Art, die so lange tötete, bis er gefasst wurde. Stattdessen war er einfach verschwunden. Und sein Verschwinden war genauso mysteriös gewesen, wie die Morde selbst.

Riley begann, die alten Polizeiberichte durchzulesen, um ihr Gedächtnis aufzufrischen.

Die Opfer schienen nicht miteinander in Verbindung zu stehen. Der Mörder hatte bei allen drei Morden die gleiche Vorgehensweise benutzt. Er hatte die jungen Frauen in Bars getroffen, sie zu einem Motel gebracht und dort getötet. Dann hatte er ihre Leichen in flachen Gräbern, nicht weit von den Tatorten entfernt, verscharrt.

Die Г¶rtliche Polizei hatte keine Schwierigkeiten, die Bars und die Motels zu finden.

Wie es manche Serienmörder taten, hatte er Hinweise für die Polizei hinterlassen.

Bei allen Leichen waren Streichholzbriefchen von den Bars und Notizpapier oder Servietten von den Motels gefunden worden.

Zeugen in den Bars und Motels konnten eine recht gute Beschreibung von dem Verdächtigen geben.

Riley zog eine Zeichnung heraus, die vor Jahren angefertigt worden war.

Sie sah, dass der Mann gewöhnlich aussah, mit dunkelbraunen Haaren und braunen Augen. Während sie die Zeugenberichte las, bemerkte sie einige Details. Zeugen hatten erwähnt, dass er außergewöhnlich blass aussah, als würde er einen Job haben, bei dem er wenig an die Sonne kam.

Die Beschreibungen waren nicht sehr detailliert. Trotzdem schien es Riley, als hätte der Fall nicht zu schwer zu lösen sein sollen. Und doch hatte die Polizei den Mörder nie gefunden. Das BAU hatte den Fall übernommen, nur um zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass der Mörder entweder verstorben war oder das Gebiet verlassen hatte. Die Suche landesweit durchzuführen, wäre wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gewesen – eine Nadel, die möglicherweise nicht einmal existierte.

Aber es hatte einen Agenten gegeben, einen Spezialisten für ungelöste Fälle, der anderer Meinung gewesen war.

"Er ist noch in der Gegend", hatte er allen gesagt. "Wir können ihn finden, wenn wir nur weitersuchen."

Aber seine Vorgesetzten hatten ihm nicht geglaubt und ihm keine Unterstützung gegeben. Das BAU hatte den Fall als ungelöst zu den Akten gelegt.

Der Agent war schon seit Jahren vom BAU pensioniert und nach Florida gezogen. Aber Riley wusste, wie sie ihn erreichen konnte.

Sie wählte seine Nummer.

Kurz darauf hörte sie eine vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. Jake Crivaro war ihr Partner und Mentor gewesen, als sie gerade zum BAU kam.

"Hallo, Fremder", sagte Jake. "Wo zur Hölle bist du gewesen? Was treibst du so? Du rufst nicht an, du schreibst nicht. Ist das die Art, einen einsamen, vergessenen alten Geier zu behandeln, der dir alles beigebracht hat, was du weißt?

Riley lächelte. Sie wusste, dass er es nicht so meinte. Schließlich hatten sie sich vor gar nicht allzu langer Zeit gesehen. Jake hatte seinen Ruhestand vor einigen Monaten unterbrochen, um ihr bei einem Fall zu helfen.

Sie fragte nicht, "Wie geht es dir?"

Sie erinnerte sich an seine Litanei, als sie das letzte Mal gefragt hatte.

"Ich bin fünfundsiebzig Jahre alt. Zwei meiner Knie und eine meiner Hüften sind ersetzt worden. Meine Augen sind hinüber. Ich habe ein Hörgerät und einen Herzschrittmacher. Und alle meine Freunde, außer dir, sind draufgegangen. Wie denkst du, dass es mir geht?"

Ihn zu fragen, wГјrde seine Beschwerden nur von neuem starten.

In Wahrheit war er immer noch körperlich fit und sein Verstand war so scharf wie eh und je.

"Ich brauche deine Hilfe, Jake", sagte Riley.

"Musik in meinen Ohren. Ruhestand ist Г¤tzend. Was kann ich fГјr dich tun?"

"Ich schaue mir einen alten Fall an."

Jake lachte leise.

"Die sind mir am liebsten. Weißt du, ungelöste Fälle waren immer eine Spezialität von mir. Das sind sie noch, ist eine Art von Hobby. Selbst im Ruhestand kann ich mir Dinge ansehen, die niemand gelöst hat. Ich bin halt ein Gewohnheitstier. Erinnerst du dich an den 'Engelsgesicht' Mörder in Ohio? Den habe ich vor ein paar Jahren gelöst. War mehr als ein Jahrzehnt ungelöst."

"Ich erinnere mich", sagte Riley neckend. "Das war gute Arbeit fГјr einen alten Knacker, der seine besten Jahre hinter sich hat."

"Schmeicheleien bringen dich nicht weiter. Also, was hast du fГјr mich?"

Riley zögerte. Sie wusste, dass sie einige unschöne Erinnerungen aufwühlen würde.

"Das war einer von deinen Fällen, Jake", sagte sie.

Jake schwieg fГјr einen Augenblick.

"Sag es mir nicht", sagte er schlieГџlich. "Der Streichholzbrief-Killer Fall."

Riley wollte fast fragen, "Woher weiГџt du das?"

Aber es war einfach, die Antwort zu erraten.

Jake war besessen von ungelösten Fällen, vor allem von seinen eigenen. Er wusste ohne Zweifel von dem Jahrestag von Tilda Steens Tod. Er hatte vermutlich auch die Jahrestage der anderen Opfer bemerkt. Riley nahm an, dass sie ihn seit Jahren verfolgten.

"Das war vor deiner Zeit", sagte Jake. "Warum wГјhlst du diese alte Geschichte wieder auf?"

Sie hörte die Bitterkeit in seiner Stimme – die gleiche Bitterkeit, an die sie sich als junge Anwärterin erinnerte. Er war wütend gewesen, als seine Vorgesetzten den Fall zu den Akten gelegt hatten. Er war noch Jahre später, bei seiner Pensionierung, verbittert gewesen.

"Weißt du, ich bin über die Jahre mit Tilda Steens Mutter in Verbindung geblieben", sagte Riley. "Ich habe gestern mit ihr gesprochen. Diesmal …"

Sie hielt inne. Wie konnte sie es in Worte fassen?

"Ich nehme an, es hat mich diesmal einfach härter getroffen. Wenn niemand etwas tut, dann wird diese arme Frau sterben, ohne dass der Mörder ihrer Tochter zur Gerechtigkeit gebracht wurde. Ich habe gerade keinen anderen Fall und ich …"

Ihre Stimme verlor sich.

"Ich weiß, wie du dich fühlst", sagte Jake, seine Stimme plötzlich voller Mitgefühl. "Diese drei toten Frauen haben es besser verdient. Ihre Familien haben es besser verdient."

Riley war erleichtert, dass Jake ihre GefГјhle teilte.

"Ich kann nicht viel tun ohne BAU Unterstützung", sagte Riley. "Denkst du, es gibt eine Möglichkeit, den Fall wieder zu öffnen?"

"Ich weiГџ es nicht. Vielleicht. Lass uns gleich an die Arbeit gehen."

Riley konnte hören, wie Jakes Finger über eine Computertastatur klapperten, als er seine eigenen Akten aufrief.

"Was ist schief gelaufen, als du an dem Fall gearbeitet hast?", fragte Riley.

"Was ist nicht schief gelaufen? Meine Theorien passten zu keiner der anderen im BAU. Die Gegend war recht ländlich, nur drei kleine Städte. Aber entlang der Interstate, so nah an Richmond, gab es eine Menge Durchgänger. Das Büro hat entschieden, dass es ein Herumtreiber gewesen sein muss, der weitergezogen ist. Mein Bauchgefühl hat mir etwas anderes gesagt – dass er in der Gegend gelebt hat und vielleicht noch dort lebt. Aber Niemanden hat es interessiert, was mein Bauchgefühl gesagt hat."

Während er etwas tippte, grummelte er, "Ich hätte den Fall wahrscheinlich schon vor Jahren gelöst, wenn ich nicht diesen idiotischen Partner gehabt hätte."

Riley hatte von Jakes inkompetentem Partner gehört, der gefeuert worden war, noch bevor sie zum BAU gekommen war.

Sie sagte, "Ich habe gehört, er hat alles vermasselt, was er angefasst hat."

"Ja, wortwörtlich. In einer der Bars hat er ein Glas angefasst, das der Mörder benutzt hatte. Hat die Fingerabdrücke verwischt."

"Gab es keine FingerabdrГјcke auf den Servietten oder den Streichholzbriefen?"

"Nicht nachdem sie in den flachen Gräbern mit Erde und Steinen bedeckt worden waren. Der Typ hat es so was von vermasselt. Er hätte gleich dort an Ort und Stelle gefeuert werden müssen. Hat allerdings auch so nicht mehr lange durchgehalten. Das letzte was ich gehört habe ist, dass er in einem Supermarkt arbeitet. Gut, dass wir den los sind."

Riley hörte, wie Jake im Tippen inne hielt. Sie nahm an, dass er jetzt alle Unterlagen aufgerufen hatte.

"Okay, jetzt schlieГџ deine Augen", sagte Jake.

Riley schloss die Augen und lächelte. Er würde sie durch die gleiche Übung leiten, die sie mit ihren Studenten durchgeführt hatte. Sie hatte sie von ihm gelernt.

Jake sagte, "Du bist der Mörder, aber du hast noch niemanden getötet. Du bist gerade in den McLaughlin's Pub in Brinkley gekommen und hast dich einem Mädchen namens Melody Yanovich vorgestellt. Du flirtest mit ihr und es scheint, als würde alles glatt laufen."

Sie fing an, die Dinge aus der Sicht des Mörders zu sehen. Die Szene spielte sich deutlich in ihrem Verstand ab.

Jake sagte, "Da ist eine kleine Schale mit Streichholzbriefchen der Bar. Während du mit ihr flirtest, nimmst du eins und steckst es in deine Tasche. Warum?"

Riley konnte die Streichhölzer fast zwischen ihren Fingern fühlen. Sie stellte sich vor, wie sie sie in ihre Brusttasche steckte.

Aber warum?, fragte sie sich.

Als der Fall beendet wurde, hatte es eine recht einhellige Meinung dazu gegeben. Der Mörder hatte die Streichhölzer von der Bar und die Notizzettel von den Motels bei den Opfern gelassen, um die Polizei zu verhöhnen.

Aber jetzt wurde ihr klar – das war nicht, was Jake dachte.

Und sie dachte es jetzt ebenfalls nicht.

Sie sagte, "Er wusste nicht, dass er sie töten würde – zumindest nicht, als er dort im McLaughlin's Pub war, nicht das erste Mal. Er hat das Streichholzbriefchen als Souvenir für seine bevorstehende Eroberung mitgenommen, eine Trophäe für die gute Zeit, die er erwartete."

"Gut", sagte Jake. "Was dann?"

Riley konnte sich deutlich vorstellen, wie der Mörder Melody Yanovich aus seinem Auto half und sie zu dem Motelzimmer führte.

"Melody war freiwillig dort und hat sich selbstsicher gefühlt. Sobald sie in das Motelzimmer kamen, ist sie sofort ins Badezimmer gegangen, um sich vorzubereiten. Währenddessen hat er ein Notizzettel mit dem Motel Logo eingesteckt – aus dem gleichen Grund, aus dem er die Streichhölzer mitgenommen hat, als Souvenir. Dann hat er sich ausgezogen und hat sich auf das Bett unter die Decke gelegt. Bald ist Melody aus dem Badezimmer gekommen …"

Riley hielt inne, um ein klareres Bild zu bekommen.

War die Frau nackt gewesen?

Nein, nicht ganz, dachte Riley.

"Melody hatte ein Handtuch um sich gewickelt. Da fing er an, sich unsicher zu fühlen. Er hat in der Vergangenheit Probleme gehabt. Würde er auch diesmal wieder mit dem Akt Probleme haben? Sie ist ins Bett geklettert und hat das Handtuch weggezogen …"

"Und?" drängte Jake.

"Und er wusste sofort – er würde es nicht tun können. Er war beschämt und peinlich berührt. Er konnte die Frau nicht mit dem Wissen gehen lassen, dass er versagt hatte. Eine glühende Wut hat ihn überkommen. Seine Rage hat seine Menschlichkeit weggewischt. Er hat sie am Hals gepackt und in dem Bett erwürgt. Sie ist schnell gestorben. Seine Wut ebbte ab und als ihm klar geworden ist, was er getan hatte, wurde er von Schuldgefühlen gepackt. Und …"

Rileys Verstand eilte durch den Rest des Verbrechens. Der Mörder hatte sein Opfer nicht nur in einem flachen Grab verscharrt, sondern es auch in der Nähe zur Straße und dem Highway getan. Er wusste sehr genau, dass die Leiche gefunden werden würde. Tatsächlich hatte er dafür gesorgt.

Riley riss die Augen auf.

"Ich verstehe es, Jake. Als er das Streichholzbriefchen und den Notizzettel eingesteckt hatte, wollte er nur Souvenirs sammeln. Aber nach den Morden hat er sie fГјr etwas anderes genutzt. Er hat sie bei den Leichen gelassen, um der Polizei zu helfen, nicht um sie zu verspotten. Er wollte gefasst werden. Er hatte nicht den Nerv sich zu stellen, also hat er Hinweise hinterlassen so gut er konnte."

"Jetzt verstehst du es", sagte Jake. "Ich nehme an, dass die ersten beiden Morde sich genau so abgespielt haben. Jetzt sieh dir die Zusammenfassung der Morde in den Polizeiberichten an."

Riley sah sich den Bericht an.

"Auf welche Weise unterscheidet sich der letzte Mord?", fragte Jake.

Riley Гјberflog den Text. Sie bemerkte nichts, was sie nicht bereits wusste.

"Tilda Steen ist vollkommen bekleidet begraben worden. Es scheint, als hätte er nicht einmal versucht, mit ihr Sex zu haben."

Jake sagte, "Jetzt sag mir, was dort Гјber die Todesursache bei den drei Opfern steht."

Riley fand die Stellen schnell.

"Strangulation", sagte sie. "Die gleiche Todesursache fГјr alle drei Opfer."

Jake grunzte unzufrieden.

"Das war der Fehler der Polizei", sagte er. "Die ersten beiden, Melody Yanovich und Portia Quinn, sind definitiv erwГјrgt worden. Aber ich habe von dem Gerichtsmediziner erfahren, dass keine Strangulationsmale auf dem Hals von Tilda Steen zu finden waren. Sie wurde erstickt, aber nicht erwГјrgt. Was sagt uns das?"

Rileys Verstand verarbeitete die neuen Informationen.

Sie schloss wieder die Augen und versuchte sich die Szene vorzustellen.

"Etwas ist passiert, als Tilda in das Motelzimmer gekommen ist", sagte Riley. "Sie hat ihm etwas anvertraut, vielleicht etwas, das sie niemandem sonst gesagt hat. Oder vielleicht hat sie ihm etwas über ihn gesagt, was er nicht hören wollte. Sie wurde plötzlich …"

Riley hielt inne.

Jake sagte, "Weiter. Sag es."

"Menschlich für ihn. Er fühlte sich schuldig wegen dem, was er tun würde. Und auf eine verdrehte Weise …"

Riley brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren.

"Er hat entschieden, sie als eine Art Gnadenakt zu töten. Er hat sie nicht mit den Händen erwürgt. Er hat es sanfter getan. Er hat sie auf dem Bett überwältigt und sie mit einem Kissen erstickt. Er war so voller Reue, dass …"

Riley Г¶ffnete die Augen.

"… er nicht noch einmal getötet hat."

Jake grunzte anerkennend.

Er sagte, "Das ist die Schlussfolgerung, zu der ich damals gekommen bin. Das denke ich noch immer. Ich glaube, dass er noch in der Gegend ist und er wird von dem verfolgt, was er vor all den Jahren getan hat."

Ein Wort fing an durch Rileys Kopf zu hallen.

Reue.

Etwas wurde plötzlich glasklar.

Ohne darüber nachzudenken, sagte sie, "Er bereut es noch immer, Jake. Und ich wette, dass er Blumen auf den Gräbern der Frauen hinterlässt."

Jake lachte zufrieden.

"Nicht schlecht", sagte er. "Das ist es, was ich an dir mag, Riley. Du verstehst die Psychologie und du weiГџt, wie du sie anwenden kannst."

Riley lächelte.

"Ich habe von dem Besten gelernt", sagte sie.

Jake grummelte seinen Dank fГјr das Kompliment. Sie bedankte sich und beendete den Anruf. Dann saГџ sie nachdenklich in ihrem BГјro.

Es liegt an mir.

Sie musste den Mörder finden und ihn ein für alle Mal seiner gerechten Strafe übergeben.

Aber sie wusste, dass sie es nicht alleine tun konnte.

Sie brauchte Hilfe, um den Fall wieder aufzunehmen.

Sie eilte in den Flur und machte sich auf den Weg zu dem BГјro von Bill Jeffreys.




KAPITEL ACHT


Bill Jeffreys genoss einen ungewöhnlich ruhigen Morgen im BAU, als seine Partnerin in sein Büro gestürmt kam. Er erkannte sofort den Ausdruck auf ihrem Gesicht. So sah Riley immer aus, wenn sie wegen einem neuen Fall aufgeregt war.

Er wies auf einen Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtischs und Riley setzte sich hin. Aber während er ihrer Beschreibung der Morde aufmerksam zuhörte, wunderte sich Bill über ihre Begeisterung. Trotzdem sagte er nichts, während sie ihm von der Unterhaltung mit Jake erzählte.

"Also, was denkst du?", fragte sie schlieГџlich, als sie fertig war.

"WorГјber?", fragte Bill.

"Willst du mit mir an dem Fall arbeiten?"

Bill sah sie unsicher an.

"Sicher, das würde ich, aber … der Fall ist nicht einmal offen. Das liegt nicht in unseren Händen."

Riley atmete tief durch und sagte vorsichtig, "Ich hatte gehofft, wir könnten das ändern."

Es dauerte einen Augenblick, bis Bill ihre Bedeutung verstand. Dann wurden seine Augen groГџ und er schГјttelte den Kopf.

"Oh, nein, Riley", sagte er. "Der hier ist zu lange zu den Akten gelegt. Meredith wird kein Interesse daran haben, ihn wieder zu Г¶ffnen."

Er konnte sehen, dass sie ebenfalls ihre Zweifel hatte, aber versuchte sie zu verstecken.

"Wir müssen es versuchen", sagte er. "Wir können den Fall lösen. Ich weiß es. Die Zeiten haben sich geändert, Bill. Wir haben neue Möglichkeiten. Zum Beispiel war die DNA Testung damals noch in den Kinderschuhen. Das ist jetzt anders. Du arbeitest gerade an keinem anderen Fall, oder?"

"Nein."

"Ich auch nicht. Warum es also nicht versuchen?"

Bill sah Riley besorgt an. Innerhalb eines Jahres war seine Partnerin abgemahnt, suspendiert und sogar gefeuert worden. Er wusste, dass ihre Karriere oft an einem seidenen Faden hing. Das einzige, was sie gerettet hatte, war ihre einzigartige Fähigkeit, ihre Beute zu fassen – manchmal auf ungewöhnliche Weise. Diese Fähigkeit und seine gelegentliche Deckung hatten sie im BAU gehalten.

"Riley, du bettelst geradezu um Г„rger", sagte er. "Mach keinen Wirbel."

Er konnte sehen, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten und er bereute seine Wortwahl sofort.

"Okay, wenn du es nicht tun willst", sagte sie, stand auf, drehte sich um und verlieГџ das BГјro.



*



Riley hasste diesen Ausdruck. "Mach keinen Wirbel."

Sie war nun mal jemand, der sich nicht darum scherte, wie viel Wirbel etwas machte. Und sie wusste sehr gut, dass sie das zu einer guten Agentin machte.

Sie war auf dem Weg aus Bills BГјros, als er rief, "Hey, warte einen Moment. Wo gehst du hin?"

"Wo denkst du, dass ich hingehe?" rief sie zurГјck.

"Okay, okay! Ich komme!"

Sie und Bill eilten den Flur hinunter zu dem Büro ihres Teamchefs, Brent Meredith. Riley klopfte an die Tür und sie hörten eine grimmige Stimme rufen, "Herein."

Riley und Bill traten in Merediths geräumiges Büro. Wie immer schnitt der Teamchef mit seinem großen Körperbau und dunklen, kantigen Zügen, eine beeindruckende Figur. Er war über einige Berichte gebeugt.

"Machen Sie es schnell", sagte Meredith, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. "Ich bin beschäftigt."

Riley ignorierte Bills besorgten Blick und setzte sich neben Merediths Schreibtisch.

Sie sagte, "Chief, Agent Jeffreys und ich wollen einen ungelösten Fall wieder öffnen und wir haben uns gefragt––"

Noch immer auf seine Berichte konzentriert, unterbrach Meredith.

"Nein."

"Wie bitte?" sagte Riley.

"Anfrage abgelehnt. Und jetzt, wenn es Ihnen nichts ausmacht, habe ich zu tun."

Riley blieb sitzen. Sie war fГјr einen Augenblick sprachlos.

Dann sagte sie, "Ich habe gerade mit Jake Crivaro gesprochen."

Meredith hob leicht seinen Kopf und sah sie an. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

"Wie geht es dem alten Jake?", fragte er.

Riley erwiderte sein Lächeln. Sie wusste, dass Jake und Meredith enge Freunde während ihrer frühen Tage im BAU gewesen waren.

"Er ist grummelig", sagte Riley.

"Das war er immer", sagte Meredith. "Wissen Sie, dieser alte Bastard konnte regelrecht einschГјchternd sein."

Riley unterdrГјckte ein Lachen. Der Gedanke, dass Meredith jemanden einschГјchternd finden konnte, war recht belustigend. Riley hatte bei Jake nie dieses GefГјhl gehabt.

Sie sagte, "Gestern war der fГјnfundzwanzigste Todestag des letzten Opfers des Streichholzbrief-Killers."

Meredith wandte sich ihr zu, Interesse in den Augen blitzend.

"Ich erinnere mich an den Fall", sagte er. "Jake und ich waren damals beide im Feld. Er ist nie darüber hinweggekommen, dass er den Fall nicht lösen konnte. Wir haben oft bei einem Drink darüber gesprochen."

Meredith faltet seine Hände über den Berichten und sah Riley aufmerksam an.

"Jake hat Sie also deswegen angerufen, was? Er will den Fall wieder Г¶ffnen und aus dem Ruhestand kommen?"

Riley spürte den vorübergehenden Impuls zu lügen. Meredith wäre sicherlich offener für die Idee, wenn sie von Jake käme. Aber sie konnte es einfach nicht.

"Ich habe ihn angerufen, Sir", sagte sie. "Aber es hatte ihn bereits beschäftigt. Das tut es immer um diese Zeit. Und wir haben über einige Möglichkeiten gesprochen."

Meredith lehnte sich in seinem Stuhl zurГјck.

"Erzählen Sie mir, was Sie haben", sagte er.

Sie Гјberschlug schnell die Fakten.

"Jake denkt, dass der Mörder noch in der Gegend ist", sagte sie. "Und ich vertraue Jakes Bauchgefühl. Wir denken, dass er von Schuldgefühlen überkommen war und noch ist. Und ich hatte die Idee, dass er möglicherweise regelmäßig Blumen auf das Grab des letzten Opfers legt, Tilda Steen. Also haben wir etwas Neues, das wir untersuchen können."

Riley konnte sehen, dass Meredith interessiert war.

"Das könnte eine gute Spur sein", sagte er. "Was haben Sie noch?"

"Nicht viel", sagte sie. "Außer, dass Jake ein Glas erwähnt hat, das als Beweis gesichert wurde."

Meredith nickte.

"Ich erinnere mich. Sein idiotischer Anfänger von einem Partner hat die Fingerabdrücke ruiniert."

Riley sagte, "Es ist wahrscheinlich noch in der Asservatenkammer. Vielleicht können wir eine DNA-Probe bekommen. Das war vor fünfundzwanzig Jahren nicht wirklich eine Option."

"Gut", sagte Meredith. "Was noch?"

Riley dachte einen Moment nach.

"Wir haben eine alte Polizeizeichnung", sagte sie. "Sie ist nicht besonders gut. Aber vielleicht könnten unsere Techniker das Bild künstlich altern und eine Idee für sein aktuelles Aussehen bekommen. Ich könnte sie Sam Flores geben."

Meredith antwortete nicht sofort.

Dann sah er zu Bill, der noch immer in der Nähe des Türrahmens stand.

"Haben Sie gerade einen aktiven Fall, Agent Jeffreys?"

"Nein."

"Gut. Ich will, dass Sie diesen Fall mit Paige bearbeiten."

Ohne ein weiteres Wort wandte Meredith seine Aufmerksamkeit wieder seinen Berichten zu.

Riley sah zu Bill. Wie ihr, war auch ihm die Гњberraschung deutlich anzusehen.

"Wann legen wir los?", fragte Bill Meredith.

"Vor fünf Minuten", sagte Meredith und machte eine wedelnde Handbewegung. "Was ist los mit Ihnen? Hören Sie auf, Zeit zu verschwenden. An die Arbeit."

Riley und Bill eilten aus dem BГјro, aufgeregt Гјber die weitere Vorgehensweise sprechend.




KAPITEL NEUN


Kurz darauf entspannte Riley auf dem Beifahrersitz, während Bill den FBI Wagen in Richtung Greybull fuhr, wo Tilda Steen ermordet worden war. Riley fühlte sich gut dabei, an einem neuen Fall zu arbeiten, vor allem an einem, den sie sich selber ausgesucht hatte.

Es war ein warmer, sonniger Tag. Ihre Sorgen und Ängste schienen hinter ihr zurückzubleiben. Jetzt, nachdem ihr Kopf sich ein wenig klärte, fing Riley an, anders über Ryans Auszug zu denken.




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