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Verlassen
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #7
Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) VERLASSEN ist Band #7 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 700 fünf Sterne Bewertungen! Als Spezialagentin Riley Paige sich endlich entscheidet eine wohl verdiente Pause vom FBI zu machen, erreicht sie ein Hilferuf von einer ungewöhnlichen Quelle: ihrer eigenen Tochter. Aprils beste Freundin ist durch den Tod ihrer Schwester, einer Studentin in Georgetown, am Boden zerstört. Schlimmer noch, sie ist überzeugt, dass der Selbstmord gestellt war und ihre Schwester durch die Hand eines Serienmörders umgekommen ist. Widerstrebend ermittelt Riley in dem Fall und entdeckt, dass noch zwei weitere Studentinnen in Georgetown kürzlich auf die gleiche schreckliche Weise umgekommen sind – durch Hängen. Als ihr klar wird, dass es sich um einen möglichen Serienmörder handelt, zieht sie das FBI hinzu. Der Fall führt Riley auf den Campus einer der angesehensten Universitäten, in die Welt von wohlhabenden und ehrgeizigen Familien, die ihre Kinder zum Erfolg drängen. Bald findet sie heraus, dass der Fall verdrehter ist, als es den Anschein hat – und dass sie es möglicherweise mit dem psychotischsten Mörder ihrer gesamten Karriere zu tun hat. Ein dunkler Psychothriller, der Herzklopfen bereitet. VERLASSEN ist Band #7 einer fesselnden neuen Serie – mit einem geliebten neuen Charakters – der Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Band #8 in der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.







V E R L A S S E N



(EIN RILEY PAIGE KRIMI – BAND #7)



B L A K E P I E R C E


Blake Pierce



Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller RILEY PAIGE Krimi Serie, die bisher sieben BГјcher umfasst. Blake Pierce ist auГџerdem die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimi Serie, bestehend aus bisher fГјnf BГјchern; von der AVERY BLACK Krimi Serie, bestehend aus bisher vier BГјchern; und der neuen KERI LOCKE Krimi Serie.

Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi und Thriller Genres. Blake liebt es von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com) und bleiben Sie in Kontakt!



Copyright © 2017 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagbild Pholon, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com


BГњCHER VON BLAKE PIERCE



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)



AVERY BLACK KRIMI SERIE

GRUND ZU TГ–TEN (Band #1)

GRUND ZU FLГњCHTEN (Band #2)

GRUND ZU VERSTECKEN (Band #3)

GRUND ZU FГњRCHTEN (Band #4)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

EINE SPUR VON LASTER (Band #3)


Inhalt



PROLOG (#ue0fd6d80-a20a-5d97-80ed-6ac05b26ff0c)

KAPITEL EINS (#ua896711e-ce53-527d-9532-7eb89f8fff68)

KAPITEL ZWEI (#u381b597b-2a39-5020-aa1d-c52f6bdb1c43)

KAPITEL DREI (#u96a26cb6-a815-556d-a1ec-2389bc00ee58)

KAPITEL VIER (#u0d6f810c-fef8-57c0-b609-5b40d60aec66)

KAPITEL FГњNF (#u19c7ea12-718f-5d27-a84b-5045bb286cb3)

KAPITEL SECHS (#ucf69530a-fb02-5dc1-9a46-8426553b53a6)

KAPITEL SIEBEN (#uf9da6212-3b06-5db5-845c-6ab0f59acbaa)

KAPITEL ACHT (#ucdd7409e-5a00-5bd6-841f-09e7c56020a6)

KAPITEL NEUN (#u7e5b14f1-6ce0-50ce-9a43-fe4ec2a6932f)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL SECHSUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

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KAPITEL NEUNUNDDREIбєћIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZIG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Tiffany war bereits angezogen, als ihre Mutter sie von unten rief.

"Tiffany! Bist du fertig fГјr die Kirche?"

"Fast, Mom", rief Tiffany zurГјck. "Noch ein paar Minuten."

"Beeil dich. Wir mГјssen in fГјnf Minuten los."

"Okay."

Tiffany hatte sich schon vor einigen Minuten angezogen, gleich nach dem leckeren WaffelfrГјhstГјck mit ihren Eltern. Sie war nur noch nicht bereit irgendwo hinzugehen. Sie hatte zu viel SpaГџ daran, sich lustige Tiervideos auf ihrem Handy anzusehen.

Bis jetzt hatte sie einen Skateboard fahrenden Pekinesen gesehen, eine Bulldogge, die auf eine Leiter kletterte, eine Katze, die versuchte Gitarre zu spielen, ein Hund, der anfing seinen Schwanz zu jagen, sobald jemand "Pop Goes the Weasel" sang, und eine Herde von niedlichen Kaninchen.

Jetzt gerade sah sie eines, das sie wirklich zum Lachen brachte. Ein Eichhörnchen versuchte in eine eichhörnchensichere Vogelfutterstelle zu gelangen. Egal aus welcher Richtung es darauf sprang, die Futterstelle drehte sich und ließ es in hohem Bogen davon segeln. Aber das Eichhörnchen gab nicht auf.

Das Video lieГџ sie weiter kichern, bis ihre Mutter wieder rief.

"Tiffany! Kommt deine Schwester mit uns mit?"

"Ich glaube nicht, Mom."

"Geh sie doch bitte fragen."

Tiffany seufzte. Sie wollte fast zurГјckrufen:

"Frag sie doch selber."

Stattdessen antwortete sie einfach, "Okay."

Tiffanys neunzehn Jahre alte Schwester, Lois, war nicht zum FrГјhstГјck gekommen. Tiffany war sich auГџerdem ziemlich sicher, dass sie keine Absichten hatte, mit zur Kirche zu gehen. Sie hatte Tiffany gestern gesagt, dass sie es nicht wollte.

Seit sie im Herbst mit dem College angefangen hatte, unternahm Lois immer weniger mit der Familie. Sie kam an den meisten Wochenenden, an den Feiertagen und in den Ferien nach Hause, aber blieb für sich alleine oder ging mit Freunden weg, und schlief fast immer bis zum späten Vormittag.

Tiffany konnte ihr keinen Vorwurf machen.

Das Leben im Pennington Haushalt konnte einen Teenager zu Tode langweilen. Und Kirche langweilte Tiffany mehr als alles andere.

Mit einem Seufzen schloss sie das Video und trat in den Flur. Das Schlafzimmer von Lois war über dem von Tiffany, ein luxuriöser Raum, der fast den ganzen Speicher einnahm. Sie hatte ihr eigenes Badezimmer da oben und einen riesigen Kleiderschrank. Tiffany steckte währenddessen in dem kleineren Zimmer fest, so wie es schon immer gewesen war.

Es erschien ihr unfair. Sie hatte gehofft, sie wГјrde das Zimmer ihrer Schwester erben, sobald die zum College ging. Warum brauchte Lois noch so viel Platz, wenn sie doch nur am Wochenende zu Hause war? Konnten sie nicht endlich die Zimmer tauschen?

Sie beschwerte sich oft und laut darГјber, aber es schien niemanden zu kГјmmern.

Sie stand am Ende der Treppe, die zum Speicher fГјhrte und rief:

"Hey, Lois! Kommst du mit uns mit?"

Sie bekam keine Antwort. Tiffany rollte mit den Augen. So lief es meistens, wenn sie Lois holen oder sie etwas fragen sollte.

Sie stieg die Stufen nach oben und klopfte an die ZimmertГјr.

"Hey, Lois", rief sie. "Wir gehen zur Kirche. Kommst du mit?"

Wieder keine Antwort.

Tiffany wurde ungeduldig und klopfte noch einmal.

"Bist du wach?", fragte sie.

Immer noch blieb eine Antwort aus.

Tiffany stöhnte laut. Lois könnte tief und fest schlafen oder ihre Kopfhörer aufhaben. Wahrscheinlicher war allerdings, dass sie Tiffany ignorierte.

"Okay", rief sie. "Ich sage Mom, dass du nicht mitkommst."

Als Tiffany die Stufen wieder nach unten ging, machte sie sich ein wenig Sorgen um ihre große Schwester. Lois war bei ihren letzten Besuchen immer etwas bedrückt gewesen – nicht wirklich depressiv, aber nicht so fröhlich wie sonst. Sie hatte Tiffany erzählt, dass das College schwerer war, als sie erwartet hatte und der Druck ihr zusetzte.

Am Ende der Treppe stand ihr Vater im Flur und sah ungeduldig auf seine Uhr. Er war bereit loszugehen, schon im Mantel, mit Schal, MГјtze, und Handschuhen. Mom zog gerade auch ihren Mantel an.

"Kommt Lois?", fragte Dad.

"Sie sagt Nein", log Tiffany. Dad könnte wütend werden, wenn Tiffany ihm erzählte, dass Lois nicht einmal auf das Klopfen reagiert hatte.

"Nun, ich bin nicht überrascht", sagte Mom, die ihre Handschuhe anzog. "Ich habe ihr Auto sehr spät gestern Nacht gehört. Ich bin mir nicht sicher, wann genau das war."

Tiffany fühlte einen weiteren eifersüchtigen Stich, bei der Erwähnung des Autos ihrer Schwester. Lois hatte so viele Freiheiten, seit sie im College war! Niemand kümmerte sich darum, wie spät sie nach Hause kam. Tiffany hatte sie gestern nicht einmal reinkommen gehört.

Wahrscheinlich habe ich schon tief geschlafen, dachte sie.

Als Tiffany anfing, sich den Mantel anzuziehen, brummelte ihr Vater, "Ihr beiden braucht ja ewig. Wir kommen zu spät zum Gottesdienst."

"Wir haben noch genug Zeit", sagte ihre Mutter ruhig.

"Ich gehe schon mal raus und starte den Wagen", sagte Dad.

Er Г¶ffnete die HaustГјr und stapfte nach drauГџen. Tiffany und ihre Mutter beeilten sich, ihm zu folgen.

Die kalte Luft traf Tiffany hart. Der Schnee, der vor ein paar Tagen gefallen war, hielt sich hartnäckig. Sie wünschte sich, sie würde noch immer im warmen Bett liegen. Es war ein lausiger Tag, um nach draußen zu gehen.

Plötzlich hörte sie ihre Mom scharf einatmen.

"Lester, was ist los?", rief Mom Dad zu.

Tiffany sah Dad vor der offenen GaragentГјr stehen. Er starrte in die Garage, seine Augen waren groГџ und sein Mund hing offen. Er sah benommen und erschГјttert aus.

"Was ist los?", rief Mom wieder.

Dad drehte sich zu ihr um. Er schien Probleme zu haben, Worte zu finden.

SchlieГџlich platzte er heraus, "Ruf einen Krankenwagen."

"Warum?", fragte Mom verblГјfft.

Dad erklärte es nicht. Er ging in die Garage. Mom eilte nach vorne und als sie die offene Tür erreichte stieß sie einen Schrei aus, der Tiffany vor Angst das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Mom rannte in die Garage.

FГјr einen langen Moment stand Tiffany wie festgefroren an der Stelle.

"Was ist los?", rief Tiffany.

Sie hörte die schluchzende Stimme ihrer Mutter aus der Garage, "Geh zurück ins Haus, Tiffany."

"Warum?", rief Tiffany zurГјck.

Mom kam aus er Garage, Sie packte Tiffany am Arm und versuchte sie herumzudrehen, damit sie zurГјck ins Haus ging.

"Sieh nicht hin", sagte sie. "Geh zurГјck ins Haus."

Tiffany riss sich los und rannte in die Garage.

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie sah. Alle drei Autos standen dort. Links in der Ecke kämpfte Dad ungeschickt mit einer Leiter.

Etwas hing an einem Seil von einem der Balken.

Es war ein Mensch.

Es war ihre Schwester.




KAPITEL EINS


Riley Paige hatte sich gerade zum Abendessen hingesetzt, als ihre Tochter etwas sagte, das sie innehalten lieГџ.

"Sind wir nicht die perfekte Familie?"

Riley starrte April an, deren Gesicht vor Scham rot wurde.

"Wow, habe ich das laut gesagt?", fragte April schГјchtern. "Das war ein wenig kitschig, nicht wahr?"

Riley lachte und sah sich am Tisch um. Ihr Exmann, Ryan, saß am anderen Ende. Zu ihrer Linken saß April, ihre fünfzehn Jahre alte Tochter, neben ihr ihre Haushälterin, Gabriela. Auf ihrer Rechten saß die dreizehn Jahre alte Jilly, der Neuankömmling in ihrer Familie.

April und Jilly hatten an diesem Sonntag Gabriela das Kochen abgenommen und Hamburger gemacht.

Ryan nahm einen Bissen von seinem Hamburger und sagte, "Nun, wir sind eine Familie, oder nicht? Ich meine, sieh uns an."

Riley sagte nichts.

Eine Familie, dachte sie. Sind wir das wirklich?

Der Gedanke überraschte sie ein wenig. Schließlich hatten sie und Ryan sich vor fast zwei Jahren getrennt und waren seit einem halben Jahr geschieden. Auch wenn sie wieder Zeit miteinander verbrachten, hatte Riley es vermieden darüber nachzudenken, wohin es führen könnte. Sie hatte die Jahre des Verrats und der Qualen beiseitegeschoben, um die friedliche Gegenwart zu genießen.

Dann war da April, deren Jugend alles andere als einfach gewesen war. WГјrde ihr Wunsch nach Zusammensein Гјberdauern?

Riley war sich noch unsicherer bei Jilly. Sie hatte Jilly an einem Rastplatz in Phoenix gefunden, wo sie versucht hatte, sich an Trucker zu verkaufen. Riley hatte Jilly vor einem schrecklichen Leben und einem gewalttätigen Vater gerettet und hoffte nun, sie zu adoptieren. Aber Jilly hatte ihre Probleme und die Dinge waren immer unsicher mit ihr.

Die eine Person, um die Riley sich keine Probleme machen musste, war Gabriela. Die stämmige Frau aus Guatemala hatte schon lange vor ihrer Scheidung für die Familie gearbeitet. Gabriela war immer verantwortungsvoll, bodenständig und liebevoll.

"Was denkst du, Gabriela?", fragte Riley.

Gabriela lächelte.

"Eine Familie kann man sich aussuchen, sie wird nicht nur vererbt", sagte sie. "Blut ist nicht alles. Liebe ist das Wichtige."

Riley spürte plötzlich Wärme in sich aufsteigen. Sie konnte sich immer darauf verlassen, dass Gabriela die richtigen Worte fand. Mit einem neuen Gefühl von Zufriedenheit sah sie auf die Menschen an dem Tisch.

Nachdem sie nun schon etwa einen Monat vom BAU Urlaub hatte, genoss sie es einfach, hier in ihrem Stadthaus zu sein.

Und ich genieГџe meine Familie, dachte sie.

Dann sagte April etwas, das sie Гјberraschte.

"Daddy, wann ziehst du bei uns ein?"

Ryan sah sie verblГјfft an. Wie so oft fragte Riley sich, ob sein neu gefundenes Engagement zu gut war, um lange anzuhalten.

"Das ist ein groГџes Thema, um es gleich anzugehen", sagte Ryan.

"Wieso?", hakte April nach. "Du könntest genauso gut hier wohnen. Ich meine, du und Mom, ihr schlaft wieder zusammen und du bist auch sonst fast jeden Tag da."

Riley spГјrte, wie sie rot anlief. Geschockt gab Gabriela April einen scharfen EllbogenstoГџ in die Seite.

"ВЎChica! ВЎSilencio!", sagte sie.

Jilly sah sich mit einem Grinsen um.

"Hey, das ist eine tolle Idee", sagte sie. "Dann wГјrde ich bestimmt nur noch gute Noten kriegen."

Es stimmte – Ryan hatte Jilly geholfen, die Materialien für ihre neue Schule aufzuholen, vor allem für Sozialkunde. Er hatte sie in den letzten Monaten wirklich alle unterstützt.

Rileys Augen trafen Ryans. Sie sah, dass er ebenfalls rot war.

Sie wusste selber nicht, was sie sagen sollte. Sie musste zugeben, dass ihr die Idee gefiel. Es war angenehm, Ryan die meisten Nächte hier zu haben. Alles war so einfach an seinen Platz gefallen – vielleicht zu einfach. Vielleicht stammte ein Teil der Bequemlichkeit daher, dass sie keine Entscheidung darüber treffen musste.

Sie erinnerte sich an das, was April gerade gesagt hatte.

"Eine perfekte Familie."

Sie alle hatten sich in dem Moment wohl gefühlt. Aber Riley konnte ein leichtes Unbehagen nicht unterdrücken. War diese Perfektion nur eine Illusion? Als würde man ein gutes Buch lesen oder einen schönen Film sehen?

Riley war sich nur zu bewusst, dass die Welt dort draußen voller Monster war. Sie hatte ihr Leben der Jagd nach ihnen gewidmet. Aber im letzten Monat war sie fast in der Lage gewesen, so zu tun, als gäbe es sie nicht.

Ein Lächeln breitete sich langsam auf Ryans Gesicht aus.

"Hey, warum zieht ihr nicht alle bei mir ein?", sagte er. "Da gibt es mehr als genug Platz fГјr uns alle."

Riley unterdrГјckte ein alarmiertes Keuchen.

Das Letzte was sie wollte, war wieder zurück in das große Vorstadthaus zu ziehen, das sie jahrelang mit Ryan geteilt hatte. Es gab zu viele unschöne Erinnerungen darin.

"Ich könnte das Haus nicht aufgeben", sagte sie. "Es gefällt mir hier zu gut."

April sah ihren Vater gespannt an.

"Es liegt an dir, Daddy", sagte sie. "Ziehst du bei uns ein oder nicht?"

Riley betrachtete aufmerksam Ryans Gesicht. Sie konnte sehen, dass er mit der Entscheidung haderte. Sie verstand gut, warum. Er gehörte zu einer Anwaltskanzlei in DC, aber er arbeitete oft von zu Hause. Es würde hier keinen Platz für ihn geben, um das zu tun.

Schließlich sagte Ryan, "Ich müsste das Haus behalten. Es könnte mein Büro sein."

April sprang fast auf und ab vor Begeisterung.

"Also sagst du ja?", fragte sie.

Ryan lächelte einen Moment still vor sich hin.

"Ja, ich denke, das tue ich", sagte er dann.

April quietschte begeistert auf. Jilly klatschte in die Hände und lachte.

"Das ist super!", rief Jilly. "Kannst du mir bitte den Ketchup geben – Dad?"

Ryan, April, Gabriela, und Jilly plauderten munter weiter, während sie sich über das Essen hermachten.

Riley sagte sich, dass sie dieses Glück genießen sollte, solange sie konnte. Früher oder später würde sie gerufen werden, um ein weiteres Monster zu stoppen. Der Gedanke sandte einen Schauer über ihren Rücken. Wartete das Böse bereits irgendwo auf sie?



*



Am nächsten Tag hatte April einen verkürzten Stundenplan, da die Lehrer sich zu einer Besprechung versammelten, und Riley gab dem Betteln ihrer Tochter nach, den ganzen Tag freimachen zu können. Sie entschieden sich, einkaufen zu gehen, während Jilly in der Schule war.

Die Reihen von Läden in der Shopping-Mall kamen Riley endlos vor und viele sahen sich zudem sehr ähnlich. Dürre Schaufensterpuppen in stylischen Outfits zeigten in jedem Fenster unmögliche Posen. Die Figuren, an denen sie vorbeikamen, hatten keinen Kopf, was Rileys Eindruck der Austauschbarkeit noch verstärkte. Aber April erzählte ihr unentwegt, was jeder Laden bereithielt und welche Outfits sie gerne tragen würde. April schien Unterschiede zu sehen, wo Riley nur Uniformität wahrnahm.

Eine Teenagersache, nehme ich an, dachte Riley.

Wenigstens war es heute nicht so voll.

April zeigte auf ein Schild vor einem Laden namens Towne Shoppe.

"Oh, guck mal!", sagte sie. "'Erschwinglicher Luxus'! Lass uns da mal hingehen!"

In dem Laden stürzte April sich auf einen Ständer mit Jeans und Jacken und zog Dinge heraus, um sie anzuprobieren.

"Ich nehme an, ich könnte auch eine neue Jeans gebrauchen", sagte Riley.

April rollte mit den Augen.

"Nur keine Mom Jeans, bitte!"

"Nun, nicht jeder kann tragen, was du trägst. Ich muss in der Lage sein, mich zu bewegen, ohne mir Sorgen zu machen, dass meine Anziehsachen platzen. Keine Kleiderunfälle für mich, vielen Dank auch."

April lachte. "Freizeithosen also. Viel GlГјck dabei hier welche zu finden."

Riley sah sich die Auswahl der Jeans an. Sie waren alle extrem schmal geschnitten, auf HГјfte, und kГјnstlich zerrissen.

Riley seufzte. Sie kannte ein paar Läden an einer anderen Stelle der Mall, in denen sie etwas finden würde, das eher ihrem Stil entsprach. Aber sie würde die Sticheleien von April ertragen müssen.

"Ich schaue ein andermal fГјr mich selber", sagte Riley.

April schnappte sich ein Bündel Jeans und ging in die Umkleidekabine. Als sie herauskam, trug sie die Art von Jeans, die Riley hasste – hauteng, an verschiedenen Stellen zerrissen, mit dem Bauchnabel deutlich sichtbar.

Riley schГјttelte den Kopf.

"Vielleicht solltest du selber auch mal Mom Jeans probieren", sagte sie. "Die wären deutlich bequemer. Aber Bequemlichkeit ist wahrscheinlich nicht das Ziel, hm?"

"Nö", sagte April und sah sich die Jeans im Spiegel genauer an. "Die nehme ich mit. Ich probiere die anderen noch an."

April verschwand mehrere Male wieder in der Umkleidekabine. Sie kam jedes Mal mit Jeans zurГјck, die Riley hasste, aber ihrer Tochter nicht verbieten wГјrde. Es war den Kampf nicht wert und sie wusste, dass sie ihn auf die eine oder andere Weise verlieren wГјrde.

Während April sich vor dem Spiegel drehte, fiel Riley auf, dass ihre Tochter fast so groß war, wie sie selbst und das T-Shirt, das sie trug, einen gut proportionierten Körper zeigte. Mit ihrem dunklen Haar und nussbraunen Augen, war Aprils Ähnlichkeit zu Riley verblüffend. Natürlich zeigten Aprils Haare nicht die grauen Strähnen, die in Rileys Haar zu finden waren. Aber trotzdem …

Sie wird eine Frau, dachte Riley.

Sie konnte ein gewisses Unbehagen nicht unterdrГјcken.

Wurde April zu schnell erwachsen?

Sie hatte im letzten Jahr viel durchgemacht. Sie war zweimal gefangen genommen worden. Das eine Mal war sie von einem sadistischen Mörder mit einer Propangasfackel im Dunkeln gehalten worden. Sie hatte sich dann in ihrem eigenen Zuhause gegen einen Mörder zur Wehr setzen müssen. Am Schlimmsten war der misshandelnde feste Freund, der sie unter Drogen gesetzt und als Sexsklavin hatte verkaufen wollen.

Riley wusste, dass das alles zu viel für ein fünfzehnjähriges Mädchen war. Sie fühlte sich schuldig, weil ihre eigene Arbeit April und andere Menschen, die sie liebte, in Todesgefahr gebracht hatte.

Und hier war April nun, die trotz ihrer Bemühungen wie ein normaler Teenager auszusehen erstaunlich erwachsen aussah. April schien das Schlimmste der PTBS hinter sich zu haben. Aber welche Art von Ängsten und Sorgen beschäftigten sie tief in sich drin? Würde sie sie jemals verwinden können?

Riley bezahlte Aprils neue Anziehsachen und sie traten wieder in die Mall. Die Sicherheit in Aprils Schritt beruhigte Riley ein wenig. Es wurde schließlich alles besser. Sie wusste, dass Ryan in diesem Moment einige seiner Sachen in ihr Stadthaus räumte. Und sowohl April, als auch Jilly, machten sich gut in der Schule.

Riley wollte gerade vorschlagen, dass sie sich etwas zu Essen suchen, als Aprils Handy summte. April wandte sich abrupt ab, um den Anruf anzunehmen. Riley spГјrte einen kurzen Stich. Manchmal schien das Handy ein lebendiges Ding zu sein, das die komplette Aufmerksamkeit von April verlangte.

"Hey, was gibt's?", fragte April den Anrufer.

Plötzlich fingen Aprils Knie an zu wackeln und sie setzte sich auf eine Bank. Ihr Gesicht wurde weiß und ihr fröhlicher Gesichtsausdruck verwandelte sich in Schmerz. Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen. Sofort eilte Riley zu ihr und setzt sich neben sie.

"Oh mein Gott!", rief April. "Wie konnte– warum– ich kann nicht–"

Riley sah sie beunruhigt an.

Was war passiert?

War jemand verletzt oder in Gefahr?

War es Jilly, Ryan, Gabriela?

Nein, dann hätte man sicher Riley angerufen, nicht April.

"Es tut mir so, so leid", sagte April wieder und wieder.

SchlieГџlich beendete sie den Anruf.

"Wer war das?", fragte Riley besorgt.

"Tiffany", sagte April wie betäubt.

Riley erkannte den Namen. Tiffany Pennington war dieser Tage Aprils beste Freundin. Riley hatte sie einige Male getroffen.

"Was ist passiert?", fragte Riley.

April sah mit einem Ausdruck von Trauer und Entsetzen zu Riley.

"Tiffanys Schwester ist tot", sagte sie.

April sah aus, als könnte sie ihre eigenen Worte nicht glauben.

Dann fГјgte sie mit erstickter Stimme hinzu, "Sie sagen, es war Selbstmord."




KAPITEL ZWEI


Beim Abendessen versuchte April ihrer Familie das Wenige zu erzählen, das sie über Lois' Tod wusste. Aber ihre eigenen Worte klangen fremd und seltsam in ihren Ohren.

Das kann einfach nicht wahr sein, dachte sie immer wieder.

April hatte Lois einige Male getroffen, als sie Tiffany besuchte. Sie erinnerte sich noch gut an das letzte Mal. Lois war fröhlich und aufgedreht gewesen, voller Geschichten von ihrer Zeit am College. Es war einfach nicht möglich, dass sie tot war.

Der Tod war April nicht völlig fremd. Sie wusste, dass ihre Mutter ihm mehr als einmal ins Gesicht gesehen und während ihrer Arbeit als FBI Agentin auch Menschen getötet hatte. Aber das waren Verbrecher gewesen, die man aufhalten musste. April hatte ihrer Mutter sogar geholfen, einen sadistischen Mörder zu töten, nachdem der sie gekidnappt hatte. Sie wusste auch, dass ihr Großvater vor einigen Monaten gestorben war, aber sie hatte ihn lange nicht gesehen und sie waren sich nie nahe gewesen.

Dieser Tod war weitaus realer für sie – und er ergab keinen Sinn. Es erschien ihr nicht einmal möglich zu sein.

Während April sprach, sah sie, dass ihre Familie ebenfalls verwirrt und erschüttert war. Ihre Mutter griff über den Tisch und nahm ihre Hand. Gabriela bekreuzigte sich und murmelte ein Gebet auf Spanisch. Jilly stand vor Schock der Mund offen.

April versuchte, sich an alles zu erinnern, was Tiffany ihr am Nachmittag erzählt hatte. Sie hatte erklärt, dass Tiffany und ihre Eltern am vergangenen Morgen die Leiche in der Garage hängen gefunden hatten. Die Polizei hielt es für einen Selbstmord. Tatsächlich schien jeder zu glauben, es sei Selbstmord gewesen. Als wäre das schon entschieden.

Jeder auГџer Tiffany, die immer wieder sagte, dass sie nicht daran glaubte.

Aprils Vater schauderte, als sie ihnen alles erzählt hatte, an das sie sich erinnern konnte.

"Ich kenne die Penningtons", sagte er. "Lester ist der Finanzmanager fГјr eine Baufirma. Nicht gerade reich, aber recht komfortabel. Sie schienen mir immer eine stabile, glГјckliche Familie zu sein. Warum hat Lois nur so etwas getan?"

April hatte sich diese Frage den ganzen Tag Гјber gestellt.

"Tiffany sagt, keiner weiß es", sagte April. "Lois war in ihrem ersten Jahr am Byars College. Sie war zwar gestresst deswegen, aber …"

Dad schГјttelte mitfГјhlend den Kopf.

"Nun, das könnte es erklären", sagte er. "Byars ist eine harte Schule. Noch schwerer reinzukommen als Georgetown. Und sehr teuer. Ich bin überrascht, dass die Familie sich das leisten konnte."

April seufzte tief, sagte aber nichts. Sie dachte, dass Lois ein Stipendium bekommen hatte, behielt das aber für sich. Sie wollte nicht darüber reden. Sie wollte auch nichts essen. Gabriela hatte eine ihrer Spezialitäten gemacht, eine Suppe mit Meeresfrüchten, tapado, die April normalerweise liebte. Aber bisher hatte sie keinen Bissen genommen.

Alle schwiegen einen Augenblick.

Dann sagte Jilly, "Sie hat sich nicht selbst umgebracht."

Erschrocken sah April zu Jilly. Auch alle anderen hatten sich ihr zugewandt. Das junge Mädchen verschränkte die Arme und sah sehr ernst aus.

"Was?", fragte April.

"Lois hat sich nicht umgebracht", sagte Jilly.

"Woher weiГџt du das?", fragte April.

"Ich habe sie getroffen, weißt du nicht mehr? Das konnte ich sehen. Sie war nicht die Art von Mädchen, die das tun würde. Sie wollte nicht sterben."

Jilly hielt einen Moment inne.

Dann sagte sie, "Ich weiГџ wie es ist, wenn man sterben will. Sie wollte es nicht. Das konnte ich sehen."

Aprils Herz klopfte ihr wild im Hals.

Sie wusste, dass Jilly ihre ganz persönliche Hölle durchlebt hatte. Jilly hatte ihr von ihrem Vater erzählt, der sie in einer eiskalten Nacht ausgesperrt hatte. Jilly hatte in einem Abwasserrohr geschlafen und war dann zu dem Rastplatz gegangen, wo sie geplant hatte, eine Prostituierte zu werden. Dort hatte Mom sie gefunden.

Wenn jemand wusste, wie es war sterben zu wollen, dann sicherlich Jilly.

April spГјrte, wie der Damm in ihr kurz davor war zu brechen. Konnte Jilly falsch liegen? Hatte Lois sich elend gefГјhlt?

"Entschuldigt mich", sagte sie. "Ich denke, ich kann gerade nichts essen."

April stand auf und lief nach oben in ihr Zimmer. Sie schloss die TГјr, warf sich aufs Bett und fing an zu weinen.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber nach einer Weile hörte sie ein Klopfen an der Tür.

"April, kann ich reinkommen?", fragte ihre Mutter.

"Ja", antwortete April mit erstickter Stimme.

April setzte sich auf, und Mom kam mit einem Käsesandwich auf einem Teller in den Raum. Mom lächelte mitfühlend.

"Gabriela dachte, dass du das vielleicht eher runter kriegst, als die tapado", sagte sie. "Sie macht sich Sorgen, dass du krank wirst, wenn du nichts isst. Ich mache mir auch Sorgen."

April lächelte durch ihre Tränen. Das war lieb von Gabriela und Mom.

"Danke", sagte sie.

Sie wischte sich die Augen und biss von dem Sandwich ab. Mom setzte sich neben ihr aufs Bett und nahm ihre Hand.

"Willst du darГјber reden?", fragte Mom.

April schluckte hart. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie sich plötzlich daran, wie ihre beste Freundin, Crystal, vor kurzem weggezogen war. Ihr Vater, Blaine, war hier in diesem Haus brutal geschlagen worden. Auch wenn er und Mom Interesse aneinander gehabt hatten, war er so erschüttert gewesen, dass er weggezogen war.

"Ich habe so ein komisches Gefühl", sagte April. "Als wäre das irgendwie meine Schuld. Schreckliche Dinge passieren uns immer wieder und es ist fast so, als wären sie ansteckend. Ich weiß, das macht keinen Sinn, aber …"

"Ich verstehe, wie du dich fГјhlst", sagte Mom.

April war Гјberrascht. "Das tust du?"

Das Gesicht ihrer Mutter wurde traurig.

"Ich fühle mich oft selbst so", sagte sie. "Meine Arbeit ist gefährlich. Und sie bringt die in Gefahr, die ich liebe. Ich fühle mich schuldig deswegen. Sehr oft."

"Aber das ist nicht deine Schuld", sagte April.

"Warum denkst du dann, es wäre deine?"

April wusste nicht, was sie sagen sollte.

"Was beschäftigt dich sonst noch?", fragte Mom.

April dachte einen Moment nach.

"Mom, Jilly hat Recht. Ich denke nicht, dass Lois sich umgebracht hat. Und Tiffany glaubt es auch nicht. Ich kannte Lois. Sie war fröhlich, sie hatte alles im Griff. Und Tiffany hat zu ihr aufgesehen. Sie war Tiffanys Heldin. Es macht einfach keinen Sinn."

April konnte am Gesichtsausdruck ihrer Mutter sehen, dass sie ihr nicht glaubte.

Sie denkt, ich bin einfach hysterisch, dachte April.

"April, die Polizei muss annehmen, dass es sich um Selbstmord handelt, und ihre Mutter und ihr Vater––"

"Sie haben Unrecht!", sagte April, die von der Schärfe in der eigenen Stimme überrascht wurde. "Mom, du musst das überprüfen. Du weißt viel mehr über solche Sachen, als die anderen. Sogar mehr als die Polizei."

Mom schГјttelte traurig den Kopf.

"April, das kann ich nicht tun. Ich kann nicht einfach los ziehen und etwas untersuchen, das bereits abgeschlossen ist. Denk nur, was die Familie davon halten wГјrde."

April konnte die Tränen kaum zurückhalten.

"Mom, ich bitte dich. Wenn Tiffany die Wahrheit nicht herausfindet, dann wird das ihr Leben zerstören. Sie wird das nie überwinden können. Bitte, bitte tu etwas."

Es war ein groГџer Gefallen, um den sie bat, und April wusste es. Mom schwieg einen Moment. Sie stand auf, ging zu dem Fenster und sah hinaus. Sie schien tief in Gedanken versunken zu sein.

Immer noch nach drauГџen blickend, sagte Mom schlieГџlich, "Ich werde morgen mit Tiffanys Eltern sprechen. Falls sie mit mir reden wollen. Mehr kann ich nicht tun."

"Kann ich mitkommen?", fragte April.

"Du hast morgen Schule", sagte Mom.

"Dann lass uns nach der Schule gehen."

Mom hielt kurz inne, sagte aber dann, "Okay."

April stand auf und nahm ihre Mutter fest in den Arm. Sie wollte sich bedanken, aber sie war so überwältigt von Emotionen, dass sie kein Wort herausbrachte.

Wenn jemand herausfinden kann, was passiert ist, dann Mom, dachte April.




KAPITEL DREI


Am nächsten Nachmittag fuhr Riley April zum Haus der Penningtons. Trotz ihrer Zweifel, dass Lois Pennington ermordet wurde, war sich Riley sicher, dass es das Richtige war.

Das bin ich April schuldig, dachte sie, während sie fuhr.

SchlieГџlich wusste sie, wie es war, wenn man sich einer Sache sicher war, aber einem niemand glaubte.

Und April schien sich sicher zu sein, dass etwas nicht stimmte.

Soweit es Riley betraf, hatten sich ihre Instinkte noch nicht gemeldet. Aber während sie in die noblere Gegend von Fredericksburg fuhr, erinnerte sie sich selbst daran, dass Monster oft hinter den friedlichsten Fassaden lauerten. Viele der charmanten Häuser, an denen sie vorbeikamen, verbargen vermutlich dunkle Geheimnisse. Sie hatte schon zu viel Böses in ihrem Leben gesehen und kannte es zu gut.

Und ob es nun Selbstmord oder Mord gewesen war, es bestand kein Zweifel daran, dass ein Monster das scheinbar fröhliche Haus der Penningtons besetzt hatte.

Riley hielt vor dem Haus. Es war ein groГџes Haus, drei Stockwerke hoch, auf einem groГџen GrundstГјck. Riley erinnerte sich daran, was Riley Гјber die Penningtons gesagt hatte.

"Nicht gerade reich, aber recht komfortabel."

Das Haus bestätigte diesen Eindruck. Es war ein schönes Haus in einer netten Nachbarschaft. Das einzige, was ungewöhnlich schien, war das Absperrband, das vor den Türen der Garage hing, in dem die Eltern ihre Tochter gefunden hatten.

Die kalte Luft war beißend als Riley und April aus dem Auto stiegen und zum Haus gingen. Mehrere Wagen standen dicht gedrängt in der Auffahrt.

Sie klingelten und Tiffany begrüßte sie an der Tür. April warf sich in Tiffanys Arme und beide Mädchen fingen an zu weinen.

"Oh, Tiffany, es tut mir so leid", sagte April.

"Danke, dass du gekommen bist", erwiderte Tiffany mit erstickter Stimme.

Das geteilte Leid schnürte Riley die Kehle zu. Die beiden Mädchen erschienen ihr so jung, kaum mehr als Kinder. Es schien so schrecklich unfair, dass sie solche Qualen durchmachten. Dennoch spürte sie einen seltsamen Anflug von Stolz auf April und ihre herzliche Anteilnahme. April entwickelte sich zu einer mitfühlenden und fürsorglichen jungen Frau.

Ich muss zumindest etwas richtig machen als Mutter, dachte Riley.

Tiffany war ein wenig kleiner als April, noch ein wenig deutlicher der ungelenke Teenager. Sie hatte erdbeerblonde Haare und ihre Haut war blass und voller Sommersprossen, die durch die Röte um die Augen noch betont wurden.

Tiffany führte Riley und April ins Wohnzimmer. Tiffanys Eltern saßen auf der Couch, leicht voneinander getrennt. Sagte ihre Körpersprache etwas aus? Riley war sich nicht sicher. Sie wusste, dass Pärchen oft unterschiedlich mit Trauer umgingen.

Einige andere Menschen standen in der Nähe und unterhielten sich in gedämpften Stimmen. Riley nahm an, dass es Freunde und Verwandte waren, die gekommen waren, um zu helfen, so gut sie konnten.

Sie hörte leise Stimmen und Klappern aus der Küche, wo einige Leute Essen zuzubereiten schienen. Durch den Bogen, der in das Esszimmer führte, sah sie zwei Pärchen, die Bilder und Andenken auf dem Tisch arrangierten. Auch im Wohnzimmer standen Bilder von Lois und ihrer Familie in verschieden Lebensstadien.

Riley schauderte bei dem Gedanken, dass das Mädchen in den Bildern noch vor zwei Tagen lebendig gewesen war. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie April so plötzlich verlieren würde? Es war eine schreckliche Vorstellung und es war schon zu oft knapp davor gewesen.

Wer wГјrde zu ihrem Haus kommen, um Hilfe und Trost anzubieten?

WГјrde sie Гјberhaupt wollen, dass jemand kam?

Sie schГјttelte den Gedanken ab, als Tiffany sie ihren Eltern, Lester und Eunice, vorstellte.

"Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen", sagte Riley, als das Pärchen sich erheben wollte.

Riley und April setzten sich neben sie auf die Couch. Eunice hatte die gleichen Sommersprossen und helle Haut, wie ihre Tochter. Lester war dunkler und sein Gesicht lang und dГјnn.

"Mein herzliches Beileid fГјr Ihren Verlust", sagte Riley.

Das Pärchen bedankte sich. Lester schaffte es, ein gezwungenes kleines Lächeln zu zeigen.

"Wir haben uns nie kennen gelernt, aber ich kenne Ryan ein wenig", sagte er. "Wie geht es ihm?"

Tiffany reichte aus ihrem Sessel herГјber und tippte ihrem Vater auf den Arm. Sie bedeutete ihm leise, "Sie sind geschieden, Dad."

Lesters Gesicht wurde rot.

"Oh, das tut mir leid", sagte er.

Riley spГјrte, wie sie ebenfalls rot wurde.

"Das braucht es nicht", sagte sie. "Wie die Leute heutzutage sagen – 'es ist kompliziert.'"

Lester nickte und lächelte schwach.

Sie schwiegen für einen Moment, während um sie herum weiter Aktivität herrschte.

Dann sagte Tiffany, "Mom, Dad – Aprils Mutter ist FBI Agentin."

Lester und Eunice starrten sie verdutzt an. Wieder peinlich berührt, wusste Riley nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste, dass April Tiffany gestern angerufen und informiert hatte, dass sie kommen würden. Offenbar hatte Tiffany es bisher vermieden, ihren Eltern zu erzählen, was Riley beruflich machte.

Tiffany sah zwischen ihren Eltern hin und her, bevor sie sagte, "Ich dachte, vielleicht kann sie uns helfen, herauszufinden was … wirklich passiert ist."

Lester schnappte nach Luft und Eunice seufzte bitter.

"Tiffany, wir haben darГјber geredet", sagte Eunice. "Wir wissen, was passiert ist. Die Polizei ist sich sicher. Wir haben keinen Grund etwas anderes anzunehmen."

Lester stand schwankend auf.

"Ich kann das gerade nicht", sagte er. "Ich kann einfach nicht."

Er drehte sich um und ging ins Esszimmer. Riley konnte sehen, dass die beiden Pärchen sofort zu ihm eilten, um ihn zu trösten.

"Tiffany, du solltest dich schämen", sagte Eunice.

Die Augen des Mädchens schwammen vor Tränen.

"Aber ich will einfach die Wahrheit wissen, Mom. Lois hat sich nicht umgebracht. Das kann sie einfach nicht getan haben. Das weiГџ ich."

Eunice sah Riley an.

"Es tut mir leid, dass Sie da mit hineingezogen worden sind", sagte sie. "Tiffany hat Probleme die Wahrheit zu akzeptieren."

"Du und Dad, ihr könnt die Wahrheit nicht akzeptieren", rief Tiffany.

"Schhh", sagte ihre Mutter.

Eunice reichte ihrer Tochter ein Taschentuch.

"Tiffany, es gibt Dinge, die du nicht über Lois wusstest", sagte sie langsam und vorsichtig. "Sie war unglücklicher als sie dir vermutlich erzählt hat. Sie hat das College geliebt, aber es war nicht einfach für sie. Sie stand unter großem Druck ihre Noten für das Stipendium zu halten und es war auch schwer für sie, von zu Hause weg zu sein. Sie hat Antidepressiva genommen und war in psychologischer Beratung am Byars. Dein Vater und ich dachten, dass es ihr besser ging, aber wir hatten unrecht."

Tiffany versuchte ihre Schluchzer unter Kontrolle zu bringen, aber sie schien immer noch sehr wГјtend zu sein.

"Die Schule ist ein schrecklicher Ort", sagte sie. "Da gehe ich niemals hin."

"Sie ist nicht schrecklich", sagte Eunice. "Es ist eine sehr gute Schule. Nur sehr fordernd, das ist alles."

"Ich wette, diese anderen Mädchen dachten nicht, dass es eine gute Schule ist", sagte Tiffany.

April hatte ihrer Freundin besorgt zugehört.

"Welche anderen Mädchen?", fragte sie.

"Deanna und Cory", sagte Tiffany. "Sie sind auch gestorben."

Eunice schüttelte traurig den Kopf und sagte zu Riley, "Zwei weitere Mädchen haben im letzten Semester am Byars Selbstmord begangen. Es ist ein fürchterliches Jahr gewesen."

Tiffany starrte ihre Mutter an.

"Das waren keine Selbstmorde", beharrte sie. "Lois dachte das nicht. Sie dachte, dass mit der Schule was nicht stimmt. Sie wusste nicht was, aber sie hat mir gesagt, dass es etwas wirklich Schlimmes ist."

"Tiffany, es waren Selbstmorde", sagte Eunice mГјde. "Jeder sagt das. Solche Dinge passieren eben."

Tiffany stand zitternd vor Wut und Frustration auf.

"Lois' Tod ist nicht 'einfach passiert'", sagte sie.

Eunice sah zu ihr auf, "Wenn du älter bist, dann wirst du verstehen, dass das Leben härter sein kann, als dir jetzt klar ist. Jetzt setz' dich bitte wieder hin."

Tiffany lieГџ sich trotzig wieder in den Sessel fallen. Eunice starrte in die Ferne. Riley fГјhlte sich mehr als unbehaglich.

"Wir sind nicht hergekommen, um Sie aufzuregen", sagte Riley zu Eunice. "Ich entschuldige mich fГјr das Eindringen. Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt gehen."

Eunice nickte schweigend. Riley und April verabschiedeten sich und gingen.

"Wir hätten bleiben sollen", sagte April unzufrieden, sobald sie vor der Tür waren. "Wir hätten mehr Fragen stellen sollen."

"Nein, wir haben sie nur aufgebracht", sagte Riley. "Das war ein Fehler."

Plötzlich lief April von ihr weg.

"Wo gehst du hin?", fragte Riley alarmiert.

April ging direkt auf die SeitentГјr der Garage zu. Absperrband war quer vor die TГјr gespannt.

"April, komm da weg!", sagte Riley.

April ignorierte sowohl das Absperrband, als auch ihre Mutter, und drehte den TГјrknauf. Die TГјr war nicht verschlossen und schwang auf. April duckte sich unter dem Absperrband hindurch und ging in die Garage. Riley eilte hinter ihr her, in der Absicht sie zurechtzuweisen. Stattdessen wurde sie von ihrer Neugier Гјbermannt und sie sah sich vorsichtig in der Garage um.

Es standen keine Autos in der Garage, was die große Garage auf unheimliche Weise höhlenartig wirken ließ. Gedämpftes Licht schien durch mehrere Fenster.

April zeigte auf eine Ecke.

"Tiffany hat mir gesagt, dass sie Lois dort gefunden haben", sagte April.

Tatsächlich war Absperrband auf dem Boden zu sehen.

Ein groГџer Querbalken verlief unter dem Dach und eine Leiter lehnte an der Wand.

"Komm", sagte Riley. "Wir sollten nicht hier sein."

Sie führte ihre Tochter nach draußen und schloss die Tür. Während sie und April zurück zu ihrem Wagen gingen, visualisierte Riley die Szene. Es war einfach sich vorzustellen, wie das Mädchen auf die Leiter geklettert war und sich gehängt hatte.

Oder war das wirklich, was passiert war? fragte sie sich.

Sie hatte keinen Grund, etwas anderes anzunehmen.

Trotzdem spГјrte sie ein leichtes Kribbeln des Zweifelns.



*



Als sie kurz darauf wieder zu Hause waren, rief Riley die Г¶rtliche Gerichtsmedizinerin Danica Selves an. Sie war seit Jahren mit Danica befreundet. Als Riley sie nach dem Lois Pennington Fall fragte, klang Danica Гјberrascht.

"Warum bist du so neugierig?", fragte Danica. "Hat das FBI Interesse an dem Fall?"

"Nein, es ist etwas Persönliches."

"Persönlich?"

Riley zögerte und sagte dann, "Meine Tochter ist gut mit Lois' Schwester befreundet und kannte auch Lois ein wenig. Sowohl sie, als auch Lois' Schwester können nicht glauben, dass sie Selbstmord begangen hat."

"Ich verstehe", sagte Danica. "Nun, die Polizei hat keine Anzeichen eines Kampfes gefunden. Und ich habe die Tests und die Autopsie selber durchgeführt. Laut den Ergebnissen der Blutuntersuchungen, hat sie eine große Dosis Alprazolam kurz vor ihrem Tod genommen. Ich nehme an, dass sie einfach so wenig wie möglich mitbekommen wollte. Als sie sich gehängt hat, war ihr vermutlich bereits egal, was sie tat. Es wird einfach so gewesen sein."

"Also ist es wirklich ein klarer Fall", sagte Riley.

"Scheint mir so", bestätigte Danica.

Riley bedankte sich und beendete den Anruf. In dem Moment kam April mit einem Taschenrechner und einem StГјck Papier in der Hand die Treppe herunter.

"Mom, ich denke, ich habe es bewiesen!", rief sie aufgeregt. "Es kann nur Mord gewesen sein!"

April setzte sich neben Riley und zeigte ihr einige Zahlen, die sie aufgeschrieben hatte.

"Ich habe online recherchiert", sagte sie. "Ich habe herausgefunden, dass von hunderttausend Studenten 7,5 Studenten Selbstmord begehen. Das sind 0,075 Prozent. Aber es sind nur etwa siebenhundert Studenten in Byars und in den letzten Monaten haben angeblich drei Selbstmord begangen. Das sind etwa 0,34 Prozent – was siebenundfünfzig Mal mehr als der Durchschnitt ist! Das ist unmöglich!"

Rileys Mut sank. Sie wusste es zu schätzen, dass April sich so viele Gedanken darum machte. Es erschien ihr sehr erwachsen.

"April, ich denke deine Rechnung stimmt, aber …"

"Aber was?"

Riley schГјttelte den Kopf. "Das beweist leider nichts."

Aprils Augen weiteten sich ungläubig.

"Was meinst du damit, das beweist nichts?"

"In der Statistik werden diese Fälle Ausreißer genannt. Sie sind die Ausnahmen zur Regel und gehen gegen den Durchschnitt. Es ist wie der letzte Fall, an dem ich gearbeitet habe – der Giftmörder, erinnerst du dich? Die meisten Serienmörder sind Männer, aber das war eine Frau. Und die meisten Mörder sehen ihren Opfern beim Sterben zu, aber das war ihr nicht wichtig. Es ist hier das Gleiche. Es ist nicht überraschend, dass es einige Colleges gibt, an denen mehr Studenten Selbstmord begehen als der Durchschnitt vermuten lässt."

April starrte sie schweigend an.

"April, ich habe gerade mit der Gerichtsmedizinerin telefoniert, die die Autopsie durchgefГјhrt hat. Sie ist sich sicher, dass Lois' Tod ein Selbstmord war. Und sie ist gut in ihrem Job. Sie ist eine Expertin. Wir mГјssen ihrem Urteil vertrauen."

Aprils Gesicht wurde rot vor Wut.

"Ich verstehe nicht, warum du nicht einmal meinem Urteil trauen kannst."

Dann stГјrmte sie wieder nach oben.

Wenigstens ist sie sich sicher, dass sie weiß, was passiert ist, dachte sie stöhnend.

Das war mehr, als Riley von sich sagen konnte.

Ihre Instinkte schwiegen weiterhin.




KAPITEL VIER


Es passierte schon wieder.

Das Monster namens Peterson hielt April irgendwo vor ihr gefangen.

Riley kämpfte sich durch die Dunkelheit. Jeder Schritt erschien ihr langsam und mühsam, aber sie wusste, dass sie sich beeilen musste.

Mit der Schrotflinte über der Schulter stolperte Riley durch die Dunkelheit einen matschigen Hügel hinunter. Plötzlich sah sie sie. Peterson stand bis zu den Knöcheln im Wasser. Nur wenige Schritte von ihm entfernt war April halb im Wasser, ihre Hände und Füße gefesselt.

Riley griff nach ihrem Gewehr, aber Peterson hob eine Pistole und zielte direkt auf April.

"Denk nicht einmal dran", rief er. "Ein Schritt und es ist vorbei."

Riley wurde von Panik ergriffen. Wenn sie das Gewehr hob, würde Peterson April töten, noch bevor sie feuern konnte.

Sie lieГџ das Gewehr auf den Boden fallen.

Die Angst auf dem Gesicht ihrer Tochter würde sie ewig verfolgen …



Riley hörte auf zu rennen und lehnte sich keuchend nach vorne.

Es war frГјh am Morgen und sie hatte sich zum Joggen aufgemacht. Aber diese schreckliche Erinnerung hatte sie innehalten lassen.

WГјrde sie diesen furchtbaren Moment jemals vergessen?

Würde sie jemals aufhören sich schuldig zu fühlen, weil sie April in tödliche Gefahr gebracht hatte?

Nein, dachte sie. Und so sollte es auch sein. Ich darf es nie vergessen.

Sie atmete die beissende, kalte Luft ein und aus, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Dann ging sie weiter den vertrauten Waldweg entlang. Blasses Morgenlicht fiel durch die Bäume.

Der städtische Park lag ganz in der Nähe und war einfach zu erreichen. Riley kam oft zum Laufen her. Die Bewegung half meist dabei, die Geister und Dämonen vergangener Fälle aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber heute hatte sie den gegenteiligen Effekt.

Alles was am Tag zuvor passiert war – der Besuch bei den Penningtons, der Blick in die Garage, und Aprils Wut auf Riley – hatte hässliche Erinnerungen wieder aufgewühlt.

Und alles meinetwegen, dachte Riley, die wieder in ein leichtes Joggen fiel.

Aber dann erinnerte sie sich an das, was als Nächstes an dem Fluss geschehen war.



Petersons Waffe hatte eine Fehlfunktion und Riley hatte ihm ein Messer in die Rippen gerammt, nur um dann zu stolpern und in das kalte Wasser zu fallen. Trotz seiner Wunden hatte Peterson es geschafft, Riley unter Wasser zu halten.

Dann sah sie April, Hände und Füße noch immer gefesselt, die das Gewehr aufhob. Sie hörte es gegen Petersons Kopf krachen.

Aber das Monster drehte sich um und warf sich auf April. Er hielt ihr das Gesicht unter Wasser.

Ihre Tochter wГјrde ertrinken.

Riley fand einen spitzen Stein.

Sie sprang auf Peterson zu und schlug ihm damit gegen den Kopf.

Er fiel und sie warf sich auf ihn.

Sie lieГџ den Stein immer wieder auf Petersons Gesicht niedersausen.

Der Fluss färbte sich dunkel mit Blut.



Aufgebracht durch die Erinnerung lief Riley schneller.

Sie war stolz auf ihre Tochter. April hatte an diesem fürchterlichen Tag Mut und Einfallsreichtum gezeigt. Sie war auch in anderen gefährlichen Situationen mutig gewesen.

Aber jetzt war April wГјtend auf Riley.

Und Riley konnte nicht verhindern, dass sie sich fragte, ob sie guten Grund dazu hatte.



*



Riley fühlte sich fehl am Platze bei Lois Penningtons Beerdigung am späten Nachmittag.

Zum einen war sie Гјber die Jahre sehr selten in der Kirche gewesen. Ihr Vater war ein verbitterter Ex-Marine gewesen, der nur an sich selbst und sonst nichts anderes glaubte. Sie hatte den GroГџteil ihrer Kindheit und Jugend bei ihrer Tante und ihrem Onkel verbracht, die versucht hatten, Riley mit zur Kirche zu nehmen, aber sie war zu rebellisch gewesen.

Soweit es Beerdigungen betraf, hasste Riley sie einfach. Sie hatte zu viel von der brutalen Realität des Todes gesehen und ihr erschienen Beerdigungen falsch und unecht. Sie ließen den Tod immer so sauber und friedlich erscheinen.

Ein vollkommen falscher Eindruck, dachte sie wieder. Das Mädchen war auf brutale Weise gestorben, sei es durch ihre eigene Hand oder jemand anderen.

Aber April hatte darauf bestanden zu gehen und Riley konnte sie nicht alleine lassen. Was ihr ironisch erschien, denn genau in diesem Moment war es eher Riley, die sich alleine fühlte. Sie saß neben dem Gang in einer der hinteren Bänke der gefüllten Kapelle. April war weiter vorne, in der Reihe direkt hinter der Familie, so nahe bei Tiffany wie sie nur konnte. Aber Riley war froh, dass April bei ihrer Freundin war und es machte ihr nichts aus, alleine zu sitzen.

Sonnenstrahlen erhellten die Fenster und der Sarg war über und über mit Blumen und großen Kränzen bedeckt. Der Gottesdienst war würdevoll und der Chor sang gut.

Der Priester predigte über Glauben und Erlösung und versicherte allen, dass Lois nun an einem besseren Ort war. Riley hörte ihm nicht wirklich zu. Sie sah sich nach Anzeichen um, die einen Hinweis darauf gaben, wie Lois Pennington gestorben war.

Gestern war ihr aufgefallen, dass Lois' Eltern leicht voneinander getrennt saßen und sich nicht berührten. Sie war sich nicht sicher gewesen, wie sie die Körpersprache deuten sollte. Aber nun lag Lester Penningtons Arm in einer warmen Geste des Trostes um Eunices Schultern. Die beiden schienen ein normales, trauerndes Elternpaar zu sein.

Wenn etwas in der Pennington Familie nicht stimmte, dann konnte Riley es nicht sehen.

Seltsamerweise hinterlieГџ das ein GefГјhl des Unbehagens in ihr.

Sie hielt sich selbst für einen aufmerksamen Beobachter der menschlichen Natur. Falls Lois Selbstmord begangen hatte, dann war ihr Familienleben vermutlich gestört gewesen. Aber sie konnte keine Anzeichen dafür entdecken – nur normale Zeichen der Trauer.

Der Priester schaffte es, seine Predigt zu beenden, ohne auch nur einmal die vermutete Todesursache zu erwähnen.

Dann folgte eine Reihe von kurzen, tränenreichen Beiträgen von Freunden und Verwandten. Sie sprachen von Trauer und glücklicheren Zeiten, manchmal erinnerten sie sich auch an humorvolle Ereignisse, die ein trauriges, leises Lachen in der Trauergemeinde hervorriefen.

Aber nichts Гјber Selbstmord, dachte Riley.

Etwas kam ihr nicht ganz richtig vor.

Sollte nicht jemand, der Lois nahe gestanden hatte, anerkennen, dass es Dunkelheit in ihren letzten Tagen gegeben hatte – ein Kampf gegen Depression, gegen innere Dämonen, unbeantwortete Hilferufe? Sollte nicht jemand darauf hinweisen, dass ihr tragischer Tod eine Lektion für andere sein sollte, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen, bevor sie über Selbstmord nachdachten.

Aber niemand sagte etwas dergleichen.

Niemand wollte darГјber reden.

Sie schienen alle zu beschämt oder zu betroffen zu sein.

Vielleicht glaubten sie es selber nicht ganz.

Die Wortbeiträge kamen zu einem Ende und es wurde Zeit für die Verabschiedung am Sarg. Riley blieb sitzen. Sie war sich sicher, dass das Beerdigungsinstitut gute Arbeit geleistet hatte. Was auch immer von der armen Lois übrig war, würde nicht so aussehen, wie in dem Moment, in dem sie in der Garage gefunden wurde. Riley wusste aus Erfahrung, wie eine gehängte Leiche aussah.

SchlieГџlich sagte der Priester seine letzten SegenssprГјche und der Sarg wurde hinausgetragen. Die Familie ging zusammen hinterher und jedem blieb es Гјberlassen zu gehen.

Als Riley nach drauГџen trat, sah sie, wie Tiffany und April sich weinend umarmten. Dann sah Tiffany Riley und eilte auf sie zu.

"Gibt es wirklich nichts, was Sie tun können?", fragte das Mädchen mit erstickter Stimme.

Riley war erschГјttert, schaffte es aber zu antworten, "Nein, es tut mir leid."

Bevor Tiffany weiter bitten konnte, rief ihr Vater ihren Namen. Tiffanys Familie kletterte in eine schwarze Limousine. Tiffany schloss sich ihnen an und der Wagen fuhr los.

Riley wandte sich an April, die sich weigerte sie anzusehen.

"Ich nehme den Bus nach Hause", sagte April.

April ging davon und Riley versuchte nicht, sie aufzuhalten. Mit einem Klumpen im Magen, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Auto.



*



Das Abendessen war bei weitem kein so angenehmes Ereignis, wie noch zwei Tage zuvor. April sprach immer noch nicht mit Riley und auch sonst kaum mit jemandem. Ihre Trauer war ansteckend. Ryan und Gabriela waren ebenfalls niedergedrГјckt.

Plötzlich meldete sich Jilly.

"Ich habe heute in der Schule eine Freundin gefunden. Sie heiГџt Jane. Sie ist adoptiert, genau wie ich."

Aprils Miene erhellte sich.

"Hey, das ist super, Jilly", sagte sie.

"Ja. Wir haben viel gemeinsam. Viel worüber wir reden können."

Riley spГјrte, wie sich auch ihre Laune hob. Es war gut, dass Jilly anfing, Freunde zu finden. Und Riley wusste, dass April sich um Jilly Sorgen gemacht hatte.

Die beiden Mädchen sprachen ein wenig über Jane. Dann wurden alle wieder still und es war so bedrückt wie zuvor.

Riley wusste, dass Jilly versucht hatte, die dunkle Stimmung zu durchbrechen, April aufzumuntern. Aber das junge Mädchen sah nun sehr besorgt aus. Riley nahm an, dass die gerade spürbare Spannung in ihrer neuen Familie für sie alarmierend war. Jilly machte sich womöglich Sorgen, dass sie wieder verlieren könnte, was sie gerade erst gefunden hatte.

Ich hoffe, damit hat sie nicht Recht, dachte Riley.

Nach dem Essen gingen die Mädchen nach oben und Gabriela räumte die Küche auf. Ryan goss sich und Riley jeweils ein Glas Bourbon ein und sie setzen sich ins Wohnzimmer.

Sie schwiegen beide eine Weile.

"Ich gehe nach oben und rede mit April", sagte Ryan dann.

"Warum?", fragte Riley.

"Sie benimmt sich daneben. Und sie ist respektlos dir gegenГјber. Wir sollten ihr das nicht durchgehen lassen."

Riley seufzte.

"Sie benimmt sich nicht daneben", sagte sie.

"Wie wГјrdest du es denn nennen?"

Riley dachte einen Moment nach.

"Sie hat einfach so viel MitgefГјhl", sagte sie. "Sie macht sich Sorgen um ihre Freundin Tiffany und sie fГјhlt sich machtlos. Sie hat Angst, dass Lois etwas Schreckliches zugestoГџen ist. Wir sollten froh sein, dass sie sich um andere kГјmmert. Das ist auch ein Zeichen des Erwachsenwerdens."

Wieder verfielen sie ins Schweigen.

"Was denkst du, was wirklich passiert ist?", fragte Ryan schlieГџlich. "Denkst du, Lois hat Selbstmord begangen oder ist sie ermordet worden?"

Riley schüttelte erschöpft den Kopf.

"Ich wünschte, ich wüsste es", sagte sie. "Ich habe gelernt, meinem Bauchgefühl zu vertrauen, meinen Instinkten. Aber meine Instinkte melden sich nicht. Ich habe kein unterschwelliges Gefühl für die eine oder andere Möglichkeit."

Ryan tätschelte ihr die Hand.

"Was auch immer passiert ist, es ist nicht deine Verantwortung", sagte er.

"Du hast Recht", sagte Riley.

Ryan gähnte.

"Ich bin mГјde", sagte er. "Ich denke, ich gehe frГјh ins Bett."

"Ich bleibe noch eine Weile sitzen", sagte Riley. "Ich bin noch nicht bereit schlafen zu gehen."

Ryan ging nach oben und Riley goss sich ein weiteres, großes Glas ein. Das Haus war ruhig und Riley fühlte sich alleine und seltsam hilflos – genau so, wie April sich gerade fühlen musste. Aber nach einem weiteren Drink fing sie an sich zu entspannen und leicht dösig zu fühlen. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und streckte sich auf der Couch aus.

Eine Weile später wachte sie auf und sah, dass jemand eine Decke über sie ausgebreitet hatte. Ryan musste noch einmal nach unten gekommen sein, um sicherzugehen, dass es ihr gut ging.

Riley lächelte, sich jetzt deutlich weniger einsam fühlend. Dann schlief sie wieder ein.



*



Riley spГјrte einen Anflug von DГ©jГ -vu, als April auf die Garage der Penningtons zueilte.

Wie schon am Tag zuvor, rief Riley:

"April, komm da weg!"

Diesmal zog April das Absperrband zur Seite, bevor sie die TГјr Г¶ffnete.

Dann verschwand April in der Garage.

Riley rannte hinter ihr her und trat hinein.

Das Innere der Garage war deutlich größer und dunkler, als es noch am Tag zuvor gewesen war, wie ein großes, verlassenes Lagerhaus.

Riley konnte April nirgendwo entdecken.

"April, wo bist du?", rief sie.

Aprils Stimme hallte durch die Luft.

"Ich bin hier, Mom."

Riley konnte nicht sagen, wo die Stimme herkam.

Sie drehte sich im Kreis, durchsuchte mit zusammengekniffenen Augen die scheinbar endlose Dunkelheit.

Endlich ging das Deckenlicht an.

Riley erstarrte vor Entsetzen.

Von einem Balken hing ein Mädchen, das nur wenig älter war als April.

Sie war tot, aber ihre Augen waren offen und ihr Blick auf Riley gerichtet.

Und überall um das Mädchen herum, auf Tischen und auf dem Boden, lagen und standen hunderte von Fotos, die das Mädchen zusammen mit ihrer Familie zu verschiedenen Stadien ihres Lebens zeigten.

"April!", schrie Riley.

Es kam keine Antwort.



Riley erwachte mit einem Ruck und setzte sich kerzengerade auf, fast hyperventilierend nach diesem Albtraum.

Sie konnte sich gerade noch davon abhalten mit voller Lautstärke nach ihrer Tochter zu rufen.

"April!"

Aber sie wusste, dass April im Obergeschoss schlief.

Die ganze Familie schlief – von ihr abgesehen.

Warum habe ich das geträumt? fragte sie sich.

Es dauerte nur einen Augenblick, bevor sie die Antwort wusste.

Ihre Instinkte hatten sich endlich gemeldet.

Sie wusste, dass April recht hatte – etwas stimmte nicht an Lois' Tod.

Und es lag an ihr herauszufinden, was.




KAPITEL FГњNF


Riley spГјrte einen kalten Schauer, als sie am Byars College aus dem Auto stieg. Es lag nicht nur am Wetter, das kalt genug war. Die Schule vermittelte ihr ein seltsam unwillkommenes GefГјhl.

Sie schauderte noch einmal, als sie sich umsah.

Studenten wanderten über den Campus, dick gegen die Kälte angezogen, von einem Gebäude zum anderen eilend, ohne miteinander zu sprechen. Keiner von ihnen sah glücklich aus, hier zu sein.

Kein Wunder, dass Studenten sich hier umbringen wollen, dachte Riley.

Die Schule schien einem vergangenen Zeitalter anzugehören. Riley kam sich fast vor, als würde sie in die Vergangenheit treten. Die alten Backsteingebäude waren in tadellosem Zustand. Ebenso wie die weißen Säulen, Relikte einer Zeit, in der Säulen für jede Art von offiziellem Gebäude benötigt zu werden schienen.

Der parkähnliche Campus war beeindruckend groß, bedachte man, dass er mitten in der Hauptstadt des Landes lag. Natürlich war DC während seiner etwa zweihundertjährigen Geschichte beständig gewachsen. Die kleine, exklusive Schule war gewachsen, hatte Abgänger hervorgebracht, die anschließend zu den prestigeträchtigsten Universitäten des Landes gingen, bevor sie Machtpositionen in Politik und Wirtschaft erlangten. Studenten kamen an Schulen wie diese, um wertvolle Verbindungen zu knüpfen, die ein Leben lang hielten.

Natürlich war sie viel zu teuer für Rileys Familie – selbst, dessen war sie sich sicher, mit den Stipendien, die gelegentlich an ausgezeichnete Schüler bestimmter Familien gingen. Nicht, dass sie April hierher schicken wollte. Oder Jilly, was das betraf.

Riley ging zum Verwaltungsgebäude und fand das Büro des Dekans, wo sie von einer streng dreinblickenden Sekretärin begrüßt wurde.

Riley zeigte der Frau ihre Marke.

"Spezialagentin Riley Paige vom FBI. Ich hatte angerufen."

Die Frau nickte.

"Dekan Autrey erwartet Sie", sagte sie.

Die Frau fГјhrte Riley in ein groГџes, dГјsteres BГјro, mit einer dunklen Holzverkleidung.

Ein eleganter, Г¤lterer Mann stand von seinem Schreibtisch auf, um sie zu begrГјГџen. Er war groГџ, hatte graue Haare, und trug einen teuren Dreiteiler mit einer Fliege.

"Agentin Paige, nehme ich an", sagte er mit einem unterkühlten Lächeln. "Ich bin Dekan Willis Autrey. Bitte setzen Sie sich doch."

Riley lieГџ sich auf einem der StГјhle vor seinem Schreibtisch nieder, Autrey fiel zurГјck in seinen BГјrosessel.

"Ich bin nicht sicher, dass ich den Grund fГјr Ihren Besuch richtig verstanden habe", begann er. "Etwas Гјber das bedauerliche Verscheiden von Lois Pennington, nicht wahr?"

"Ihren Selbstmord, meinen Sie", sagte Riley.

Autrey nickte und legte die Fingerspitzen in einer nachdenklichen Geste vor dem Kinn zusammen.

"Kaum ein FBI Fall, würde ich denken", sagte er. "Ich habe die Eltern des Mädchens angerufen und ihnen die herzliche Anteilnahme der Schule übermittelt. Sie waren natürlich am Boden zerstört. Wirklich eine unschöne Sache. Aber sie schienen keine speziellen Bedenken zu haben."

Riley wusste, dass sie ihre Worte mit Bedacht wählen musste. Sie war nicht im offiziellen Auftrag hier – tatsächlich hätten ihre Vorgesetzten in Quantico diesen Besuch vermutlich nicht genehmigt. Aber vielleicht konnte sie verhindern, dass Autrey das herausfand.

"Ein anderes Familienmitglied hat seine Zweifel geäußert", sagte sie.

Es bestand kein Grund ihm zu sagen, dass es Lois' kleine Schwester gewesen war.

"Wie bedauerlich", sagte er.

Dieses Wort scheint er zu mögen – bedauerlich, dachte Riley.

"Was können Sie mir über Lois Pennington erzählen?", fragte Riley.

Autrey schien nun fast gelangweilt, als wären seine Gedanken gerade woanders.

"Nun, sicherlich nichts, was Ihnen nicht auch die Familie schon erzählt hat", sagte er. "Ich kannte sie nicht persönlich, aber …"

Er wandte sich an seinen Computer und fing an zu tippen.

"Sie scheint eine vollkommen normale Erstsemester-Studentin gewesen zu sein", sagte er mit Blick auf den Bildschirm. "Ausreichend gute Noten. Keine Vermerke. Obwohl ich sehe, dass Sie Beratung aufgrund von Depressionen bekommen hat."

"Aber sie ist nicht der einzige Selbstmord an dieser Schule dieses Jahr", sagte Riley.

Autreys Miene verdunkelte sich leicht. Er sagte nichts.

Bevor sie losgefahren war, hatte Riley sich die beiden Selbstmorde näher angesehen, die Tiffany erwähnt hatte.

"Deanna Webber und Cory Linz haben sich angeblich ebenfalls im letzten Semester umgebracht", sagte Riley. "Cory ist hier auf dem Campus gestorben."

"'Angeblich'?", fragte Autrey. "Ein recht bedauerliches Wort, wie ich finde. Ich habe nichts Gegenteiliges gehört."

Er wandte sich leicht von Riley ab, als wolle er ihre Anwesenheit ignorieren.

"Ms. Paige––" begann er.

"Agentin Paige", korrigierte Riley.

"Agentin Paige – Ich bin sicher, dass jemand wie Sie sich darüber im Klaren ist, dass die Selbstmordrate unter Studenten in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Selbstmord ist mittlerweile die dritthäufigste Todesursache unter Menschen dieser Altersgruppe. Es gibt mehr als tausend Selbstmorde pro Jahr in Colleges."

Er hielt inne, als wolle er die Tatsache sinken lassen.

"Und natürlich", fuhr er fort, "erleben einige Schulen gewisse Cluster in einem bestimmten Jahr. Byars ist eine fordernde Schule. Es ist bedauerlich, aber leider unvermeidbar, dass unser Anteil an Selbstmorden leicht höher liegt."

Riley unterdrückte ein Lächeln.

Die Zahlen, die April am Vortag recherchiert hatte, wГјrden jetzt hilfreich sein.

April wГјrde sich freuen, dachte sie.

Sie sagte, "Der nationale Durchschnitt von College Selbstmorden liegt bei etwa sieben Komma fГјnf auf hunderttausend. Aber alleine in diesem Jahr haben sich drei Studenten von ihren siebenhundert das Leben genommen. Das ist das SiebenundfГјnfzigfache des nationalen Durchschnitts."

Autrey zog eine Augenbraue hoch.

"Nun, wie Sie wahrscheinlich wissen, gibt es immer––"

"Ausreißer", sagte Riley, die es wieder schaffte, nicht zu lächeln. "Ja, ich weiß alles über Ausreißer. Trotzdem erscheint mir die Selbstmordrate an Ihrer Schule als äußerst – bedauerlich."

Autrey sah schweigend an ihr vorbei.

"Dekan Autrey, ich habe das Gefühl, dass es Ihnen nicht gefällt, eine FBI Agentin hier zu haben", sagte sie.

"Das tut es tatsächlich nicht", sagte er. "Sollte ich mich anders fühlen? Es ist eine Verschwendung Ihrer und meiner Zeit und auch eine Verschwendung von Steuergeldern. Und Ihre Anwesenheit hier könnte den Eindruck erwecken, es wäre etwas im Argen. Ich kann Ihnen versichern, das ist hier am Byars College nicht der Fall."

Er lehnte sich Гјber seinen Schreibtisch zu Riley.

"Agentin Paige, von welcher Abteilung des FBI kommen Sie genau?"

"BAU, Einheit fГјr Verhaltensanalyse."

"Ah. Direkt neben Quantico. Nun, dann sollten Sie vielleicht im Hinterkopf behalten, dass viele unserer Studenten aus Politikerfamilien kommen. Einige ihrer Eltern haben erheblichen Einfluss auf die Regierung – das FBI eingeschlossen. Ich bin sicher, wir wollen beide nicht, dass diese Art von Sache ihnen zugetragen wird."

"Diese Art von Sache?", fragte Riley.

Autrey drehte sich in seinem Stuhl hin und her.

"Solche Leute könnten dazu tendieren, sich bei Ihren Vorgesetzten zu beschweren", sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick.

Riley spГјrte ein leichtes Unbehagen.

Er schien erraten zu haben, dass sie nicht in offiziellem Auftrag hier war.

"Es ist wohl besser keinen Staub aufzuwirbeln, wo kein Problem besteht", fuhr Autrey fort. "Ich sage das natürlich nur zu Ihrem eigenen Wohl. Es wäre mir ein schrecklicher Gedanke, sollten Sie Probleme mit Ihren Vorgesetzten bekommen."

Riley hätte fast laut aufgelacht.

Probleme mit ihren Vorgesetzten war Routine fГјr sie.

Ebenso wie suspendiert oder gefeuert und wieder eingestellt zu werden.

Das machte Riley keine Angst.

"Ich verstehe", sagte sie. "Alles, um nur nicht dem Ruf der Schule zu schaden."

"Ich bin froh, dass wir uns verstehen", sagte Autrey.

Er stand auf, offensichtlich in der Erwartung, dass Riley gehen wГјrde.

Aber Riley war nicht bereit zu gehen – noch nicht.

"Vielen Dank fГјr Ihre Zeit", sagte sie. "Ich bin sofort weg, nachdem Sie mir die Kontaktinformationen fГјr die Familien der vorangegangenen Selbstmorde gegeben haben."

Autrey starrte auf sie herunter. Riley starrte zurГјck, ohne sich aus ihrem Stuhl zu bewegen.

Autrey warf einen Blick auf seine Uhr. "Ich habe einen anderen Termin. Ich muss jetzt gehen."

Riley lächelte.

"Ich habe es ebenfalls eilig", sagte sie, mit Blick auf ihre eigene Uhr. "Also je schneller Sie mir die Informationen geben, desto schneller können wir beide mit unserem Tag fortfahren. Ich warte."

Autrey runzelte die Stirn, setzte sich dann aber wieder an seinen Computer. Er tippte ein wenig und dann war sein Drucker zu hören. Er reichte ein Blatt mit den Informationen an Riley.

"Ich fГјrchte, ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten beschweren mГјssen", sagte er.

Riley bewegte sich immer noch nicht. Ihre Neugier nahm zu.

"Dekan Autrey, Sie haben erwähnt, dass 'Byars Anteil an Selbstmorden leicht höher liegt.' Über wie viele Selbstmorde sprechen wir hier genau?"

Autrey antwortete nicht. Sein Gesicht wurde rot vor Wut, aber er hielt seine Stimme ruhig und kontrolliert.

"Ihre Vorgesetzten beim BAU werden von mir hören", sagte er.

"Natürlich", erwiderte Riley mit trockener Höflichkeit. "Vielen Dank für Ihre Zeit."

Riley verließ das Büro und das Verwaltungsgebäude. Diesmal fühlte sich die kalte Luft erfrischend und belebend an.

Autreys Versuche auszuweichen, hatten Riley davon Гјberzeugt, dass sie ein ganzes BГјndel von Probleme gefunden hatte.

Und Probleme waren Rileys Job.




KAPITEL SECHS


Sobald Riley wieder in ihrem Wagen saГџ, sah sie sich die Informationen genauer an, die sie von Dekan Autrey bekommen hatte. Sie erinnerte sich an die Details von Deanna Webbers Tod.

NatГјrlich, dachte sie, als sie alte Nachrichtenartikel auf ihrem Telefon aufrief. Die Tochter der Abgeordneten.

Abgeordnete Hazel Webber war eine aufsteigende Politikerin, verheiratet mit einem bekannten Maryland Anwalt. Der Tod ihrer Tochter war im letzten Herbst groß in den Nachrichten gewesen. Damals hatte Riley den Berichten nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Sie kamen ihr eher wie Klatschblätter Gerüchte vor, als richtige Nachrichten – die Art von Dingen, die Rileys Meinung nach niemanden außer der Familie angingen.

Jetzt war sie anderer Meinung.

Sie fand die Telefonnummer vom Büro der Abgeordneten in Washington. Als sie die Nummer wählte, meldete sich eine effizient klingende Rezeptionistin am anderen Ende.

"Hier spricht Spezialagentin Riley Paige, vom FBI", sagte Riley. "Ich wГјrde gerne ein Meeting mit der Abgeordneten Webber arrangieren."

"Darf ich fragen, worum es geht?"

"Ich muss mit ihr Гјber den Tod ihrer Tochter sprechen."

Schweigen.

Riley sagte, "Es tut mir leid die Abgeordnete und ihre Familie bezüglich dieser schrecklichen Tragödie zu stören. Aber wir müssen noch ein paar offenen Fragen nachgehen."

Wieder Schweigen.

"Es tut mir leid", sagte die Rezeptionistin dann langsam. "Aber die Abgeordnete ist derzeit nicht in Washington. Sie werden warten mГјssen, bis sie wieder aus Maryland zurГјck ist."

"Und wann genau ist das?", fragte Riley.

"Das kann ich nicht sagen. Sie werden einfach noch einmal anrufen mГјssen."

Die Frau beendete den Anruf ohne ein weiteres Wort.

Sie ist in Maryland, dachte Riley.

Sie fГјhrte eine schnelle Suche durch und fand heraus, dass Hazel Webber im Maryland Horse Country lebte. Es sah nicht so aus, als wГјrde das Haus schwer zu finden sein.

Aber bevor Riley den Motor starten konnte, klingelte ihr Handy.

"Hier ist Hazel Webber", sagte die Anruferin.

Riley war überrascht. Die Rezeptionistin musste sofort nach dem Anruf mit der Abgeordneten Kontakt aufgenommen haben. Sie hatte nicht damit gerechnet von der Abgeordneten selbst zu hören, erst recht nicht so schnell.

"Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte Webber.

Riley erklärte, sie wolle mit ihr über einige offene Fragen bezüglich dem Tod ihrer Tochter sprechen.

"Könnten Sie ein wenig genauer sein?", bat Webber.

"Das würde ich lieber persönlich tun", sagte Riley.

Webber schwieg einen Moment.

"Ich befürchte, das ist nicht möglich. Und ich möchte Sie und Ihre Vorgesetzten bitten, mich und meine Familie nicht weiter zu belästigen. Wir beginnen gerade erst zu heilen. Ich bin sicher, das verstehen Sie."

Riley war von dem eisigen Ton der Frau verblГјfft. Sie konnte nicht die leiseste Spur von Trauer entdecken.

"Abgeordnete Webber, wenn sie mir nur ein klein wenig ihrer Zeit––"

"Ich habe nein gesagt."

Webber beendete den Anruf.

Riley war sprachlos. Sie hatte keine Ahnung, was sie von diesem kurzen, seltsamen Austausch halten sollte.

Sie wusste nur, dass sie einen Nerv getroffen hatte.

Und, dass sie so sofort nach Maryland fahren musste.



*



Es war eine angenehme, zweistündige Fahrt. Da das Wetter gut war, nahm Riley die Route, die über die Chesapeake Bay Bridge führte, die Maut gerne zahlend, um über das Wasser fahren zu können.

Bald fand sie sich im Horse Country von Maryland, wo hübsche Holzzäune Weiden umschlossen und lange Alleen zu eleganten Häusern und Scheunen weit ab der Straßen führten.

Sie hielt vor dem Tor zu Webbers Anwesen. Ein stämmiger uniformierter Wächter trat aus seiner Hütte und kam auf sie zu.

Riley zeigte ihre Marke und stellte sich vor.

"Ich bin hier um Abgeordnete Webber zu sehen", sagte sie.

Der Wächter trat einen Schritt zurück und sprach in sein Mikrofon. Dann trat er wieder zu Riley.

"Die Abgeordnete sagt, das muss ein Irrtum sein", sagte er. "Sie erwartet Sie nicht."

Riley lächelte, so breit sie konnte.

"Oh, ist sie gerade beschäftigt? Das ist okay, mein Terminkalender ist heute nicht voll. Ich warte einfach hier, bis sie Zeit hat."

Der Wächter sah sie finster an und versuchte sie mit seinem Blick einzuschüchtern.

"Ich fГјrchte, Sie werden gehen mГјssen, Ma'am", sagte er.

Riley zuckte mit den Achseln, als wГјrde sie die Bedeutung seiner Worte nicht verstehen.

"Nein, wirklich, das passt schon. Kein Problem. Ich kann hier warten."

Der Wächter entfernte sich wieder, um in sein Mikrofon zu sprechen. Nachdem er Riley einen Moment düster angestarrt hatte, ging er zurück in seine Hütte und öffnete das Tor. Riley fuhr hindurch.

Sie fuhr durch eine weite, schneebedeckte Weide, auf der ein paar Pferde frei herumliefen. Es war eine friedliche Szenerie.

Als sie das Haus erreichte, war es sogar noch größer, als sie erwartet hatte – ein modernes Herrenhaus. Sie erspähte ein weiteres, gepflegtes Haus gleich hinter einer kleinen Anhöhe in der hügeligen Landschaft.

Ein asiatischer Mann erwartete sie stumm an der Tür. Er war so groß und breit wie ein Sumo Ringer, was seinen formellen, Butler-ähnlichen Anzug auf groteske Weise unangebracht erscheinen ließ. Er führte Riley durch einen gewölbten Flur mit einem Boden, der aus einem teuer aussehenden rotbraunen Holz bestand.

SchlieГџlich wurde sie von einer kleinen, grimmig dreinblickenden Frau in Empfang genommen, die sie wortlos in ein BГјro fГјhrte, dessen Sauberkeit Riley fast unheimlich war.

"Warten Sie hier", sagte die Frau.

Sie ging und schloss die TГјr hinter sich.

Riley saГџ in einem Stuhl vor dem Schreibtisch. Minuten verstrichen. Sie war versucht sich die Unterlagen auf dem Schreibtisch anzusehen oder vielleicht sogar den Computer. Aber sie wusste, dass vermutlich jede ihrer Bewegungen von Sicherheitskameras aufgezeichnet wurde.

Dann schwebte endlich Abgeordnete Hazel Webber in den Raum.

Sie war eine große Frau – dünn, aber imposant. Sie sah nicht alt genug aus, um schon so lange im Kongress zu sitzen, wie Riley angenommen hatte – weder sah sie alt genug aus, um eine Tochter im College-Alter zu haben. Eine gewisse Steifheit um ihre Augen könnte sowohl Gewohnheit, als auch Botox bedingt sein, vielleicht auch beides.

Riley erinnerte sich daran, sie im Fernsehen gesehen zu haben. Normalerweise fiel ihr jedes Mal, wenn sie jemanden traf, den sie aus dem Fernsehen kannte, auf, wie anders sie im wahren Leben aussahen. Seltsamerweise war dies bei Hazel Webber nicht der Fall. Es war, als wäre sie wahrhaftig zweidimensional – ein fast unnatürlich oberflächlicher Mensch in jeglicher Hinsicht.

Ihr Outfit verwirrte Riley ebenso. Warum trug sie ein Jackett Гјber ihrem leichten Pullover? Das Haus war warm genug.

Teil ihres Stils, nehme ich an, dachte Riley.

Das Jackett gab ihr ein formelleres Aussehen, als es Stoffhosen und ein Pullover wären. Vielleicht war es auch eine Art von Rüstung, um sich vor aufrichtigem menschlichem Kontakt zu schützen.

Riley stand auf, um sich vorzustellen, aber Webber sprach zuerst.

"Agentin Riley Paige, BAU", sagte sie. "Ich weiГџ."

Ohne ein weiteres Wort setzte sie sich hinter den Schreibtisch.

"Was wollen Sie mir sagen?", fragte Webber.

Riley spürte einen leichten Alarm. Natürlich hatte sie nichts, was sie ihr sagen konnte. Der ganze Besuch war ein Bluff und Webber kam ihr plötzlich als die Art von Frau vor, die nicht einfach zu bluffen war. Riley stand das Wasser bis zum Hals und sie musste sich bemühen nicht unterzugehen.

"Ich bin tatsächlich hier, um Sie um Informationen zu bitten", sagte Riley. "Ist Ihr Mann zu Hause?"

"Ja", sagte die Frau.

"Wäre es möglich, mit Ihnen beiden zu sprechen?"

"Er weiГџ, dass Sie hier sind."

Ihre vage Antwort entwaffnete Riley, aber sie zeigte es nicht. Die Frau richtete ihre kalten, blauen Augen auf Rileys. Riley zuckte nicht. Sie starrte einfach zurück und rüstete sich für den unausgesprochenen Kampf der Willensstärken.

Riley sagte, "Das BAU untersucht eine ungewöhnliche Anzahl von scheinbaren Selbstmorden am Byars College."

"Scheinbare Selbstmorde?", warf Webber mit hochgezogener Augenbraue ein. "Ich wГјrde Deannas Selbstmord kaum als 'scheinbar' beschreiben. Er erschien mir und meinem Mann real genug."

Riley könnte schwören die Temperatur im Raum war gerade um ein paar Grad gefallen. Webber zeigte nicht den leisesten Hauch von Emotionen, bei der Erwähnung des Todes ihrer Tochter.

Sie hat Eiswasser in den Venen, dachte Riley.

"Ich hätte gerne, dass Sie mir erzählen, was passiert ist", sagte Riley.

"Warum? Ich bin sicher, dass Sie den Bericht gelesen haben."

Natürlich hatte Riley nichts dergleichen getan. Aber sie musste weiter bluffen, um das Gespräch am Laufen zu halten.

"Es würde helfen, wenn ich es in Ihren eigenen Worten hören könnte", sagte sie.

Webber schwieg fГјr einen Augenblick. Sie wandte ihren Blick nicht ab. Riley allerdings auch nicht.

"Deanna wurde bei einem Reitunfall im letzten Sommer verletzt", sagte Webber. "Sie erlitt einen komplizierten HГјftbruch. Es schien notwendig zu werden, sie ganz zu ersetzen. Damit waren die Tage ihrer Reitturniere vorbei. Das hat ihr das Herz gebrochen."

Webber hielt inne.

"Sie hat Oxycodon für den Schmerz genommen. Sie hat eine Überdosis genommen – absichtlich. Und das ist alles, was es dazu zu sagen gibt."

Riley spГјrte, dass sie etwas unausgesprochen lieГџ.

"Wo ist es passiert?", fragte sie.

"In ihrem Zimmer", sagte Webber. "Sie lag in ihrem Bett. Der Gerichtsmediziner hat gesagt, sie ist an Atemstillstand gestorben. Sie sah aus, als würde sie schlafen, als das Dienstmädchen sie gefunden hat."

Und dann – blinzelte Webber.

Sie hatte tatsächlich geblinzelt.

Sie war im Kampf der Willensstärke gestrauchelt.

Sie lГјgt! wurde Riley klar.

Rileys Pulsschlag nahm zu.

Jetzt musste sie wirklich den Druck erhöhen und genau die richtigen Fragen stellen.

Aber bevor Riley eine Frage stellen konnte, Г¶ffnete sich die TГјr zum BГјro. Die Frau, die Riley hereingefГјhrt hatte, kam in den Raum.

"Abgeordnete, ich muss Sie sprechen, bitte", sagte sie.

Webber sah erleichtert aus, als sie von ihrem Schreibtisch aufstand und ihrer Assistentin aus der TГјr folgte.

Riley atmete langsam durch.

Sie wünschte, sie wäre nicht unterbrochen worden.

Sie war sich sicher, dass sie in der Lage gewesen wäre, Hazel Webbers Fassade zu knacken.

Aber ihre Gelegenheit war noch nicht vorbei.

Wenn Webber zurГјckkam, wГјrde Riley erneut anfangen.

Es dauerte nicht einmal eine Minute, bevor die TГјr sich wieder Г¶ffnete. Webber schien ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben.

Sie stand in der offenen Tür und sagte, "Agentin Paige – wenn Sie wirklich Agentin Paige sind – ich fürchte, ich muss Sie bitten, zu gehen."

Riley schluckte hart.

"Ich verstehe nicht."

"Meine Assistentin hat gerade das BAU angerufen. Sie haben dort absolut keine Ahnung von einer Untersuchung bezüglich Selbstmorden am Byars College. Also, wer immer Sie auch sind––"

Riley zog ihre Marke heraus.

"Ich bin Spezialagentin Riley Paige", sagte sie bestimmt. "Und ich werde dafür sorgen, dass eine solche Untersuchung so schnell wie möglich eingeleitet wird."

Sie ging an Hazel Webber vorbei aus dem BГјro.

Auf ihrem Weg aus dem Haus, war ihr klar, dass sie sich gerade einen Feind gemacht hatte – und zwar einen gefährlichen.

Es war eine andere Art von Gefahr, als die, die sie gewohnt war.

Hazel Webber war keiner der Psychopathen, dessen bevorzugte Waffen Ketten, Messer, Pistolen, oder Gasfackeln waren.

Sie war eine Frau ohne Gewissen und ihre Waffen waren Geld und Macht.

Riley bevorzugte die Art von Gegner, die sie schlagen oder erschieГџen konnte. Trotzdem war sie bereit, sich mit Webber auseinanderzusetzen, egal welche Drohungen sie ihr entgegenschleudern wГјrde.

Sie hat mich Гјber ihre Tochter angelogen, dachte Riley immer wieder.

Und nun war Riley entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.

Das Haus erschien nun leer zu sein. Riley war überrascht es zu verlassen, ohne auch nur auf einen Menschen zu treffen. Sie hatte beinahe das Gefühl, sie könnte die Gemälde von der Wand nehmen, ohne dass sie erwischt wurde.

Sie ging nach drauГџen, stieg in ihren Wagen, und fuhr davon.

Als sie das Tor des Anwesens erreichte, sah sie, dass es verschlossen war. Gleich davor standen der stämmige Wächter, der sie hereingelassen hatte, und der enorme Butler. Beide hatten ihre Arme verschränkt und warteten ganz offensichtlich auf sie.




KAPITEL SIEBEN


Die beiden Männer wirkten bedrohlich. Sie sahen außerdem ein wenig lächerlich aus – der kleinere von beiden trug eine Wächteruniform, sein sehr viel breiterer Partner trug seinen ultraformellen Butleranzug.

Wie ein paar Zirkusclowns, dachte sie.

Aber sie wusste, dass sie nicht versuchten lustig zu sein.

Riley hielt direkt vor ihnen. Sie rollte ihr Fenster nach unten, lehnte sich nach drauГџen und rief ihnen zu:

"Gibt es ein Problem, Gentlemen?"

Der Wächter kam näher, direkt auf ihren Wagen zu.

Der kolossale Butler stapfte auf das Beifahrerfenster zu.

Er sprach in einem donnernden Bass.

"Abgeordnete Webber würde gerne ein Missverständnis aufklären."

"Und das wäre?"

"Sie möchte, dass Sie verstehen, dass Schnüffler hier nicht erwünscht sind."

Jetzt verstand Riley.

Webber und ihre Assistentin waren offenbar zu dem Schluss gekommen, dass Riley eine BetrГјgerin und keine wirklich FBI Agentin war. Sie schienen zu vermuten, dass sie eine Reporterin war, die eine Art ExposГ© Гјber die Abgeordnete schreiben wollte.

Ohne Zweifel waren diese beiden Typen es gewohnt, mit neugierigen Reportern umzugehen.

Riley zog wieder ihre Marke aus der Tasche.

"Ich denke, es hat tatsächlich ein Missverständnis gegeben", sagte sie. "Ich bin wirklich eine Spezialagentin des FBI."

Der große Mann grinste abfällig. Er glaubte scheinbar, ihre Marke sei eine Fälschung.

"Steigen Sie bitte aus dem Wagen", sagte er.

"Lieber nicht, danke", erwiderte Riley. "Ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn Sie das Tor öffnen würden."

Riley hatte ihre TГјr unverschlossen gelassen. Der groГџe Mann Г¶ffnete sie.

"Steigen Sie bitte aus dem Wagen", wiederholte er.

Riley stöhnte leise auf.

Das wird nicht gut enden, dachte sie.

Riley stieg aus dem Wagen und schloss die Tür. Die beiden Männer stellten sich in kurzem Abstand nebeneinander vor sie.

Riley fragte sich, welcher von ihnen sich zuerst bewegen wГјrde.

Dann ließ der große Mann seine Knöchel knacken und kam auf sie zu.

Riley trat ihm entgegen.

Als er nach ihr griff, packte sie ihn am Kragen und dem Ärmel seines linken Arms und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Dann drehte sie sich auf ihrem linken Fuß schnell um die eigene Achse und duckte sich. Sie spürte das massive Gewicht des Mannes kaum, als sein gesamter Körper über ihren Rücken flog. Er landete mit einem lauten Knall kopfüber vor ihrer Autotür und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf.

Das Auto hat am meisten abbekommen, dachte sie in einem Anflug von Unmut.

Der andere Mann bewegte sich bereits auf sie zu und sie wirbelte herum.

Sie landete einen Tritt in seine Weichteile. Er klappte stöhnend zusammen und Riley konnte sehen, dass dieser kleine Kampf vorbei war.

Sie nahm die Pistole des Mannes aus seinem HГјftholster.

Dann betrachtete sie ihr Werk.

Der große Mann lag noch immer in einem Haufen neben dem Auto und starrte sie verängstigt an. Die Tür des Wagens war verbeult, aber nicht so schlimm, wie Riley befürchtet hatte. Der uniformierte Mann war auf Händen und Knien und schnappte nach Luft.

Sie hielt die Pistole, mit dem Griff zuerst, dem Wächter entgegen.

"Das scheinen Sie verloren zu haben", sagte sie mit sГјГџlicher Stimme.

Mit zitternden Händen streckte er sich nach der Waffe aus.

Riley zog sie wieder weg.

"Nicht so schnell", sagte sie. "Nicht bevor Sie das Tor geöffnet haben."

Sie nahm den Mann bei der Hand und half ihm auf die Beine. Er stolperte zurГјck zur HГјtte und Г¶ffnete das Tor. Riley ging zu ihrem Wagen.

"Entschuldigen Sie bitte", sagte sie zu dem enormen Mann.

Immer noch verängstigt dreinblickend, kroch der Mann wie ein gigantischer Krebs beiseite, um Riley aus dem Weg zu gehen. Sie stieg in ihr Auto und fuhr durch das Tor. Die Waffe warf sie durch das Fenster auf den Boden, während sie wegfuhr.

Die denken nicht mehr, dass ich ein Reporter bin, dachte sie.

Sie war sich auГџerdem sicher, dass die Abgeordnete es ebenfalls sehr schnell wissen wГјrde.



*



Einige Stunden später fuhr Riley auf den Parkplatz vor dem BAU Gebäude. Dort saß sie für einige Minuten. Sie war nicht einmal während dem letzten Monat hier gewesen. Sie hatte nicht erwartet, so schnell zurück zu sein. Es fühlte sich seltsam an.

Sie stellte den Motor aus, zog den Schlüssel ab, stieg aus dem Wagen, und ging in das Gebäude. Auf dem Weg zu ihrem Büro wurde sie von Freunden und Kollegen in variierenden Stufen von Willkommen, Überraschung, oder Zurückhaltung begrüßt.

Sie hielt am BГјro ihres Partners, Bill Jeffreys, aber er war nicht da. Vermutlich war er an einem Fall, diesmal mit einem anderen Partner.

Sie spürte einen kleinen Stich der Einsamkeit – sogar der Eifersucht.

In vielerlei Hinsicht war Bill ihr bester Freund.

Trotzdem, vielleicht war es gerade gut so. Bill wusste nicht, dass sie und Ryan wieder zusammen waren, und er würde es nicht gutheißen. Er hatte zu oft ihre Hand gehalten, während der schmerzhaften Trennung und Scheidung. Er würde nur schwer glauben, dass Ryan sich geändert hatte.

Als sie die TГјr zu ihrem BГјro Г¶ffnete, musste sie ein zweites Mal hinsehen, um sicherzugehen, dass sie im richtigen Raum stand. Es sah alles viel zu ordentlich und organisiert aus. Hatten sie ihr BГјro einem anderen Agenten gegeben? Arbeitet gerade jemand anderes hier?

Riley Г¶ffnete eine Schublade und fand vertraute Unterlagen, wenn auch besser geordnet.

Wer würde hier alles für sie aufräumen?

Sicherlich nicht Bill. Er wГјrde es besser wissen.

Vielleicht Lucy Vargas, dachte sie.

Lucy war eine junge Agentin, mit der sowohl sie, als auch Bill gearbeitet hatten, eine, die sie beide mochten. Falls Lucy hinter all dieser Ordnung steckte, dann hatte sie wenigstens nur versucht hilfreich zu sein.

Riley saГџ an ihrem Schreibtisch.

Bilder und Erinnerungen trafen sie – der Sarg des Mädchens, ihre am Boden zerstörten Eltern, und Rileys schrecklicher Traum von dem hängenden Mädchen, umgeben von Erinnerungsstücken. Sie erinnerte sich auch, wie Dekan Autrey ihren Fragen ausgewichen war und Hazel Webber regelrecht gelogen hatte.

Sie erinnerte sich an das, was sie zu Hazel Webber gesagt hatte. Sie hatte versprochen, eine offizielle Untersuchung einzuleiten. Es war an der Zeit dieses Versprechen einzuhalten.

Sie nahm ihr Telefon und klingelte Brent Meredith, ihren Boss, an.

Als der Teamchef abnahm, sagte sie, "Sir, hier ist Riley Paige. Ich habe mich gefragt, ob––"

Sie wollte ihn um ein paar Minuten seiner Zeit bitten, als seine Stimme durch den Hörer donnerte.

"Agentin Paige, kommen Sie sofort in mein BГјro."

Riley schauderte.

Meredith war definitiv wГјtend auf sie.




KAPITEL ACHT


Als Riley ins BГјro von Brent Meredith eilte, fand sie ihn neben seinem Schreibtisch stehend auf sie wartend wieder.

"SchlieГџen Sie die TГјr", sagte er. "Setzen Sie sich."

Riley tat, wie ihr geheiГџen wurde.

Immer noch stehend, schwieg Meredith für einen Augenblick. Er starrte Riley einfach nur finster an. Er war ein großer Mann – breit gebaut mit kantigen Zügen. Und er war selbst in seiner besten Laune einschüchternd.

Gerade jetzt, war er nicht bester Laune.

"Gibt es etwas, das Sie mir sagen wollen, Agentin Paige?", fragte er.

Riley schluckte. Sie nahm an, dass ihre Aktivitäten des Tages bereits bei ihm angekommen waren.

"Vielleicht fangen Sie besser an, Sir", sagte sie schwach.

Er trat auf sie zu.

"Ich habe zwei Beschwerden über Sie von höherer Stelle bekommen", sagte er.

Rileys Mut sank. Sie wusste, wen Meredith mit 'höherer Stelle' meinte. Die Beschwerden waren vom leitenden Spezialagent Carl Walder selbst gekommen – einem verachtenswerten kleinen Mann, der Riley mehr als einmal wegen Ungehorsam suspendiert hatte.

Meredith knurrte, "Walder sagt mir, dass er einen Anruf von einem Dekan eines kleinen Colleges bekommen hat."

"Ja, Byars College. Aber wenn Sie mir erlauben zu erklären––"

Meredith unterbrach sie wieder.

"Der Dekan sagt, Sie seien in sein Büro gekommen und hätten absurde Anschuldigen erhoben."

"Das ist nicht, was passiert ist, Sir", versuchte Riley einzuwerfen.

Aber Meredith beachtete sie gar nicht.

"Walder hat außerdem einen Anruf von der Abgeordneten Hazel Webber bekommen. Sie sagt, Sie haben sich Zugang zu ihrem Haus verschafft und sie belästigt. Sie haben sogar über einen nicht existierenden Fall gelogen. Und dann haben Sie zwei ihrer Mitarbeiter angegriffen. Sie haben Sie mit ihrer Waffe bedroht."

Riley stellten sich bei dieser Anschuldigung die Nackenhaare auf.

"Das ist wirklich nicht, was passiert ist, Sir."

"Was ist dann passiert?"

"Es war die Waffe des Wächters", platzte sie heraus.

Sobald die Worte aus dem Mund waren, wurde Riley klar:

Das ist nicht richtig herausgekommen.

"Ich habe versucht, sie zurГјckzugeben!", sagte sie.

Aber sie wusste sofort, das hat nicht geholfen.

Ein langes Schweigen fiel.

Meredith atmete tief ein. Schließlich sagte er, "Sie sollten besser eine gute Erklärung für Ihr Verhalten haben, Agentin Paige."

Riley seufzt.

"Sir, es hat alleine in diesem Schuljahr drei verdächtige Todesfälle am Byars College gegeben. Alles angebliche Selbstmorde. Ich glaube nicht, dass sie das waren."

"Das ist das Erste, was ich davon höre", sagte Meredith.

"Ich verstehe, Sir. Und ich bin hergekommen, um mit Ihnen darГјber zu reden."

Meredith wartete auf weitere Erklärungen.

"Eine Freundin meiner Tochter hatte eine Schwester am Byars College – Lois Pennington, Erstsemester. Ihre Familie hat sie letzten Sonntag in der Garage hängend gefunden. Ihre Schwester glaubt nicht, dass es Selbstmord war. Ich habe die Eltern befragt, und––"

Meredith rief laut genug, dass er auch auf dem Flur zu hören war:

"Sie haben die Eltern befragt?"

"Ja, Sir", sagte Riley leise.

Meredith brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen.

"Muss ich Ihnen sagen, dass das kein BAU Fall ist?"

"Nein, Sir", sagte Riley.

"Tatsächlich, soweit ich weiß, ist es überhaupt kein Fall."

Riley wusste nicht, was sie als Nächstes sagen sollte.

"Also, was haben die Eltern gesagt?", fragte Meredith. "Denken sie, dass es Selbstmord war?"

"Ja", gab Riley mit leiser Stimme zu.

Jetzt war es an Meredith sprachlos zu sein. Er schГјttelte konsterniert den Kopf.

"Sir, ich weiГџ, wie das klingt", sagte Riley. "Aber der Dekan am Byars hat etwas verheimlicht. Und Hazel Webber hat mich Гјber den Tod ihrer Tochter belogen."

"Woher wissen Sie das?"

"Ich weiГџ es einfach!"

Riley sah Meredith beschwörend an.

"Sir, nach all den Jahren wissen Sie sicherlich, dass meine Instinkte gut sind. Wenn ich ein bestimmtes Bauchgefühl habe, dann liege ich fast immer richtig. Sie müssen mir vertrauen. Da stimmt etwas nicht, an den Toden dieser Mädchen."

"Riley, Sie wissen, dass das so nicht funktioniert."

Riley war aus dem Konzept gebracht. Meredith nannte sie nur selten beim Vornamen – nur, wenn er ernsthaft besorgt um sie war. Sie wusste, dass er sie schätzte, mochte, und respektierte und sie fühlte ebenso.

Er lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und zuckte unzufrieden mit den Schultern.

"Vielleicht haben Sie recht, vielleicht auch nicht", sagte er mit einem Seufzen. "Wie auch immer, ich kann keinen BAU Fall daraus machen, nur weil Ihr BauchgefГјhl sich meldet. DafГјr braucht es eine Menge mehr."

Meredith sah sie nun besorgt an.

"Agentin Paige, Sie haben eine Menge durchgemacht. Sie haben viele gefährliche Fälle übernommen und beim letzten ist ihr Partner beinahe durch eine Vergiftung umgekommen. Und Sie haben ein neues Familienmitglied, um das sie sich kümmern müssen, und …"

"Und was?", fragte Riley.

Meredith hielt inne und sagte dann, "Ich habe Sie vor einem Monat beurlaubt. Sie schienen das für eine gute Idee zu halten. Das letzte Mal, als wir gesprochen haben, wollten Sie sogar mehr Zeit. Ich denke, das ist das Beste. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Sie haben die Ruhe nötig."

Riley fühlte sich entmutigt und geschlagen. Aber sie wusste auch, dass es keinen Sinn hatte zu diskutieren. Meredith hatte recht. Er konnte keinen Fall daraus machen, nur aufgrund dessen, was Sie ihm erzählt hatte. Vor allem nicht mit einem bürokratischen Albtraum wie Walder, der ihnen im Nacken saß.

"Es tut mir leid, Sir", sagte sie. "Ich gehe jetzt nach Hause."

Sie fühlte sich unendlich alleine, als sie Merediths Büro verließ und aus dem Gebäude ging. Aber sie war noch nicht bereit, ihren Verdacht beiseite zu schieben. Ihr Bauchgefühl war dafür zu stark. Sie wusste, dass sie etwas tun musste.

Das Wichtigste zuerst, dachte sie.

Sie musste mehr Informationen bekommen. Sie musste beweisen, dass etwas nicht stimmte.

Aber wie sollte sie das alleine tun?



*



Riley kam eine halbe Stunde vor dem Abendessen nach Hause. Sie ging in die Küche und fand Gabriela, die eine weitere ihrer leckeren Spezialitäten aus Guatemala, gallo en perro, einen scharfen Eintopf, zubereitete.

"Sind die Mädchen zu Hause?", fragte Riley.

"SГ­. Sie sind in Aprils Zimmer und machen zusammen Hausaufgaben."

Riley war ein wenig erleichtert. Zumindest zu Hause schien alles gut zu laufen.

"Was ist mit Ryan?", fragte Riley.

"Er hat angerufen. Er kommt später."

Riley spürte ein leichtes Unbehagen. Es erinnerte sie an die schlechten Zeiten mit Ryan. Aber sie sagte sich selbst, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Ryans Job war einfach anstrengend. Und außerdem sorgte Rileys eigener Job dafür, dass sie häufiger von Zuhause weg war, als sie wollte.

Sie ging nach oben und warf ihren Computer an. Sie suchte nach Informationen zu Deanna Webbers Tod, konnte aber nichts finden, was sie nicht bereits wusste. Dann suchte sie nach Cory Linz, dem anderen Mädchen, das gestorben war. Wieder fand sie nur dürftige Informationen.

Sie suchte nach Todesanzeigen, die das Byars College erwähnten, und fand insgesamt sechs. Einer war im Krankenhaus gestorben, nach einem langen Kampf mit Krebs. Von den anderen erkannte sie die Fotos von drei jungen Frauen. Es waren Deanna Webber, Lois Pennington, und Cory Linz. Aber sie erkannte weder den jungen Mann, noch die junge Frau in den anderen beiden Todesanzeigen. Ihre Namen waren Kirk Farrell und Constance Yoh, beides Studenten.

Natürlich erwähnte keine der Todesanzeigen, dass der oder die Verstorbene Selbstmord begangen hatte. Die meisten waren sehr vage, was die Todesursache anging.

Riley lehnte sich in ihrem Stuhl zurГјck und seufzte.

Sie brauchte Hilfe. Aber an wen konnte sie sich wenden? Sie hatte noch immer keinen Zugang zu den Techies in Quantico.

Sie schauderte bei einer anderen Möglichkeit.

Nein, nicht Shane Hatcher, dachte sie.

Das kriminelle Genie, das von Sing Sing geflohen war und ihr bei mehr als einem Fall geholfen hatte. Ihr Versagen – oder war es ihr Widerwillen – ihn zu fassen, hatte deutlichen Unmut bei Rileys Vorgesetzten des BAUs ausgelöst.

Sie wusste sehr wohl, wie sie ihn kontaktieren konnte.

Tatsächlich könnte sie es sofort, hier an ihrem Computer.

Nein, dachte Riley mit einem weiteren Schaudern. Absolut nicht.

Aber an wen sollte sie sich sonst wenden?

Da erinnerte sie sich an etwas, das ihr Hatcher in einer Г¤hnlichen Situation gesagt hatte.

"Ich denke du weiГџt, mit wem du im FBI reden musst, wenn du Persona Non Grata geworden bist. Noch jemand, der sich nicht um die Regeln schert."

Riley spГјrte leichte Aufregung.

Sie wusste genau, wessen Hilfe sie brauchte.




KAPITEL NEUN


Riley nahm ihr Telefon und wählte.

Die antwortende Stimme sagte, "Roff hier."

Das sozial ungelenke Computergenie war ein technischer Analyst fГјr die FBI AuГџenstelle in Seattle. Van Roff hatte ihr bei ihrem letzten Fall geholfen und, wie so viele der professionellen Geeks, die sie kannte, genoss er es regelrecht, die Regeln zu biegen oder sogar zu brechen.




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