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Begraben
Blake Pierce


Ein Riley Paige Krimi #11
Ein Meisterwerk der Spannung! Die Autorin schafft es auf hervorragende Weise den Charakteren eine psychologische Seite zu geben, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihre Köpfe versetzt fühlen, ihren Ängsten folgen und über ihren Erfolg jubeln. Die Handlung ist sehr intelligent und wird Sie das ganze Buch hindurch unterhalten. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten. Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) Begraben ist Band #11 in der Bestseller Riley Paige Krimi Serie, die mit dem #1 Bestseller VERSCHWUNDEN (Band #1) beginnt – einem kostenlosen Download mit über 1. 000 fünf Sterne Bewertungen! Ein Serienmörder tötet mit rasender Geschwindigkeit und hinterlässt am Tatort stets ein ungewöhnliches Markenzeichen: Eine Sanduhr. Der Sand ist darauf angelegt, für vierundzwanzig Stunden lang zu fallen – und wenn er leer ist, taucht ein neues Opfer auf. Unter dem starkem Druck der Medien und in einem hektischen Wettlauf gegen die Zeit wird die FBI Spezialagentin Riley Paige zusammen mit ihrer neuen Partnerin gerufen, um den Fall zu lösen. Doch Riley hat bereits genug damit zu tun, sich von ihrem Bruch mit Shane zu erholen, ihr Familienleben in Ordnung zu bringen. und Bill dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Und während sie in die dunkelsten Ecken des kranken Geistes dieses Mörders eindringt, könnte dies der Fall werden, der sie an ihre Grenzen bringt. Ein dunkler Psychothriller mit herzzerreißender Spannung, ONCE BURIED ist Band #11 einer fesselnden neuen Serie – mit einem geliebten neuen Charakter, der Sie bis spät in die Nacht blättern lässt. Band #12 in der Riley Paige Serie ist bald erhältlich.







BEGRABEN



(EIN RILEY PAIGE KRIMI – BAND #11)



B L A K E P I E R C E


Blake Pierce



Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller RILEY PAIGE Krimi Serie, die bisher acht BГјcher umfasst. Blake Pierce ist auГџerdem die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimi Serie, bestehend aus bisher fГјnf BГјchern; von der AVERY BLACK Krimi Serie, bestehend aus bisher vier BГјchern; und der neuen KERI LOCKE Krimi Serie.

Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi und Thriller Genres. Blake liebt es von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com) und bleiben Sie in Kontakt!



Copyright © 2018 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild GongTo, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com


BГњCHER VON BLAKE PIERCE



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Book #11)

GEBUNDEN (Book #12)



MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE

BEVOR ER TГ–TET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

BEVOR ER FГњHLT (Band #6)



AVERY BLACK KRIMI SERIE

GRUND ZU TГ–TEN (Band #1)

GRUND ZU FLГњCHTEN (Band #2)

GRUND ZU VERSTECKEN (Band #3)

GRUND ZU FГњRCHTEN (Band #4)

GRUND ZU RETTEN (Band #5)



KERI LOCKE KRIMI SERIE

EINE SPUR VON TOD (Buch #1)

EINE SPUR VON MORD (Buch #2)

EINE SPUR VON SCHWГ„CHE (Buch #3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Buch #4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Buch #5)


Inhalt



PROLOG (#u91dde0b0-d0e4-548c-9828-b9fe06e34081)

KAPITEL EINS (#u3eaec838-a4fa-5816-b569-9482075d2f07)

KAPITEL ZWEI (#ude819913-e4a6-5e61-83c7-fb5541f43ee7)

KAPITEL DREI (#u498336d0-32f1-5b3e-a64d-3231fb9b9330)

KAPITEL VIER (#udeeaf35e-f4c6-50cc-9e67-e9eac90ff4e1)

KAPITEL FГњNF (#uae39ff3d-5ef5-505c-b415-aa556720e5f9)

KAPITEL SECHS (#u33cfbfb0-fe4c-5587-adf7-f2469df82867)

KAPITEL SIEBEN (#u5df76d93-cb2b-5f4b-93a7-937b3125591a)

KAPITEL ACHT (#uedb26374-2b45-5ac1-b641-3169b910b50c)

KAPITEL NEUN (#u0e38840b-a0d1-571e-a26d-95c6f71b82f3)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Courtney Wallace fühlte ein vertrautes Brennen in ihrer Lungen und in ihren Oberschenkeln. Sie verfiel vom Joggen in den Laufschritt, blieb dann stehen, beugte sich mit den Händen auf den Knien nach vorn und kam keuchend wieder zu Atem.

Es war ein gutes, erfrischendes Gefühl––eine viel bessere Art und Weise morgens wach zu werden als eine Tasse heißen Kaffees, obwohl sie auch die schon bald zum Frühstück trinken würde. Sie hatte noch reichlich Zeit zum Duschen und Essen, bevor sie zur Arbeit gehen musste.

Courtney liebte das Leuchten der frühen Morgensonne unter den Bäumen, und dass die anhaltende Feuchtigkeit des Morgentaus noch in der Luft lag. Bald würde es ein heißer Maitag sein, aber jetzt gerade war die Temperatur perfekt, besonders hier im wunderschönen Naturschutzgebiet Belle Terre.

Auch mochte sie die Einsamkeit. Sie hatte selten einen anderen Jogger auf diesem Weg getroffen––und niemals so früh am Morgen.

Trotz der Zufriedenheit mit ihrer Umgebung überkam sie, während sie ihre Atmung wieder unter Kontrolle bekam, ein Gefühl der Enttäuschung,.

Ihr Lebensgefährte Duncan hatte wieder einmal versprochen, mit ihr joggen zu gehen––und wieder einmal hatte er sich dann geweigert, aufzuwachen. Wahrscheinlich würde er erst lange nachdem sie zur Arbeit gegangen war aufstehen, vielleicht erst am Nachmittag.

Wird er diese Geschichte jemals hinter sich lassen?, fragte sie sich.

Und wann gedachte er sich Гјberhaupt einen neuen Job zu suchen?

Sie fiel in einen sanften Trab, in der Hoffnung, ihre negativen Gedanken abzuschütteln. Bald lief sie wieder, und das belebende Brennen in ihren Lungen und Beinen schien ihre Sorgen und Enttäuschungen wegzuwischen.

Dann gab der Boden unter ihr nach.

Sie fiel––einen seltsamen, schwebenden Moment lang, der ihr quälend langsam erschien.

Sie stГјrzte und schlug heftig auf dem Boden auf.

Hier unten gab es kein Sonnenlicht, und ihre Augen mussten sich erst noch an die Dunkelheit gewöhnen.

Wo bin ich?, fragte sie sich.

Sie sah jetzt, dass sie sich am Grund einer engen Grube befand.

Aber wie war sie hierher gekommen?

Sie fГјhlte wie ein schrecklicher Schmerz ihr rechtes Bein durchfuhr.

Sie blickte nach unten und sah, dass ihr Knöchel in einem unnatürlichen Winkel abstand.

Sie versuchte, ihr Bein zu bewegen. Der Schmerz wurde stärker und sie schrie. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr Bein brach unter ihr zusammen. Sie konnte jetzt tatsächlich spüren, wie die gebrochenen Knochen gegeneinander raspelten. Ihr wurde übel und beinahe wäre sie ummächtig geworden.

Sie wusste jetzt, dass sie Hilfe brauchte und griff nach dem Handy in ihrer Tasche.

Es war nicht da!

Es musste herausgefallen sein.

Irgendwo hier musste es sein. Mit ihren Händen suchte sie den Boden danach ab.

Doch sie hatte sich zum Teil in eine Art raue, schwere und lose gewebte Decke verstrickt, die mit Erde und Blättern bedeckt schien. Sie konnte das Telefon nicht finden.

Es begann ihr zu dämmern, dass sie in eine Falle gefallen war––ein Loch, das jemand mit einem Tuch und Blättern bedeckt hatte, um es zu verstecken.

Dachte jemand, dass sei ein guter Scherz?

Wenn ja, dann war es nicht im Geringsten lustig.

Und wie sollte sie hier wieder herauskommen?

Die Wände des Lochs waren steil, ohne jegliche Löcher für Füße und Hände. Da sie nicht einmal aufstehen konnte, würde sie nie in der Lage sein, es alleine hier rauszuschaffen.

Und wahrscheinlich wГјrde in absehbarer Zeit niemand sonst hier vorbeikommen, vielleicht wГјrde sie stundenlang warten mГјssen.

Dann hörte sie direkt über sich eine Stimme.

„Hey! Hatten Sie einen kleinen Unfall?"

Beim Geräusch der Stimme fiel ihr das Atmen etwas leichter.

Sie sah auf und sah, dass ein Mann Гјber ihr stand. Gegen das gleiГџende Licht waren nur seine Umrisse erkennbar, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.

Dennoch konnte sie ihr GlГјck kaum fassen. Nach so vielen Vormittagen, an denen sie niemandem auf diesem Weg begegnet war, kam gerade heute Morgen, da sie dringend Hilfe brauchte, jemand vorbei.

„Ich glaube, mein KnГ¶chel ist gebrochen", rief sie dem Mann zu. „Und ich habe mein Handy verloren."

„Das klingt Гјbel", sagte der Mann. „Wie ist es passiert?"

Was ist das denn fГјr eine Frage?, dachte sie.

Obwohl in seiner Stimme ein Lächeln zu liegen schien, wünschte sich Courtney, dass sie endlich sein Gesicht sehen könnte.

Sie sagte: „Ich joggte, und plГ¶tzlich war da dieses Loch, und...."

„Und was?"

Courtney war jetzt ziemlich gereizt.

Sie sagte: „Nun, offensichtlich bin ich reingefallen."

Der Mann wurde fГјr einen Moment still. Dann sagte er: „Es ist ein groГџes Loch. Haben Sie es denn nicht gesehen?"

Courtney stöhnte vor Verzweiflung.

„Ich brauche einfach nur Ihre Hilfe, um hier rauszukommen, okay?"

Der Mann schГјttelte den Kopf.

„Sie sollten nicht an einem unbekannten Ort joggen gehen, wenn Sie den Weg nicht kennen."

„Ich kenne diesen Weg gut!“, rief Courtney.

„Wie sind Sie dann bitte in dieses Loch gefallen?"

Courtney war sprachlos. Entweder war der Mann ein Idiot, oder aber er spielte mit ihr.

„Sind Sie der Arsch, der dieses Loch gegraben hat?“, rastete sie jetzt aus. „Wenn ja, dann ist das Гјberhaupt nicht lustig, verdammt nochmal. Holen Sie mich hier raus!"

Sie war schockiert, als sie erkannte, dass sie weinte.

„Wie das?“, fragte der Mann.

Courtney griff nach oben und streckte ihren Arm so weit wie möglich aus.

„Hier", sagte sie. „Greifen Sie nach unten, nehmen Sie meine Hand und ziehen Sie mich hoch."

„Ich bin nicht sicher, ob ich mich so weit strecken kann."

"Sicher können Sie das."

Der Mann lachte. Es war ein angenehmes, freundliches Lachen. Trotzdem wünschte sich Courtney immer noch, sie könnte sein Gesicht sehen.

„Ich werde mich um alles kГјmmern", sagte er.

Er trat zurГјck und auГџer Sichtweite.

Dann hörte sie das Rasseln von Metall und von weiter Hinten ein quietschendes, mahlendes Geräusch.

Das nächste, was sie wusste, war, dass ein riesiges Gewicht auf sie niederprasselte.

Sie keuchte und spuckte, bis sie begriff, dass der Mann gerade eine Ladung Dreck auf sie geworfen hatte.

Sie fühlte, wie ihre Hände und Füße ganz kalt wurden––Zeichen der Panik, so wurde es ihr bewusst.

Nur die Ruhe, sagte sie zu sich.

Was auch immer da gerade passierte, sie musste ruhig bleiben.

Sie sah, dass der Mann mit einer Schubkarre Гјber ihr stand. Ein paar verbliebene Schmutzklumpen fielen aus der Schubkarre auf ihren Kopf.

„Was machen Sie da?", schrie sie.

„Entspannen Sie sich", sagte der Mann. „Wie gesagt, ich kГјmmere mich um alles."

Er rollte die Schubkarre weg. Dann hörte sie immer wieder ein dumpfes, trommelartiges Schlagen gegen Metall.

Es war das Geräusch des Mannes, der jetzt noch mehr Dreck in die Schubkarre schaufelte.

Sie schloss die Augen, atmete tief ein, öffnete den Mund und ließ einen langen, durchdringenden Schrei ertönen.

„Hilfe!"

Dann spГјrte sie einen schweren Dreckklumpen, der sie direkt ins Gesicht traf. Sie verschluckte etwas Erde, musste wГјrgen und spuckte sie wieder aus.

Seine Stimme klang immer noch freundlich, als der Mann sagte....

„Ich fГјrchte, Sie werden viel lauter schreien mГјssen."

Dann fГјgte er mit einem Glucksen hinzu....

„Selbst ich kann Sie ja kaum hГ¶ren."

Sie ließ erneut einen Schrei erklingen und war schockiert über die Lautstärke ihrer eigenen Stimme.

Dann lud der Mann die neue Schubkarre voller Dreck auf ihr ab.

Sie konnte jetzt nicht mehr schreien. Ihre Kehle war vor lauter Dreck verstopft.

Sie wurde von einem unheimlichen Gefühl überwältigt, als ob sie ein Déjà-vu hätte. Das hier hatte sie schon vorher erlebt––diese Unfähigkeit vor Gefahr zu fliehen oder gar zu schreien.

Aber diese Erfahrungen waren nur Alpträume gewesen. Und stets war sie aus ihnen erwacht.

Sicherlich war das hier nur ein weiterer Albtraum.

Wach auf, sagte sie immer wieder zu sich. Wach auf, wach auf, wach auf!

Aber sie konnte nicht aufwachen.

Das hier war kein Traum.

Das hier war echt.




KAPITEL EINS


Spezialagentin Riley Paige arbeitete gerade an ihrem Schreibtisch im Gebäude der Behavioral Analysis Unit (BAU) des FBI in Quantico, als sie von einer unwillkommene Erinnerung heimgesucht wurde …



Ein Mann mit dunkler Haut starrte sie mit seinen glasigen Augen an.

Er hatte eine Schusswunde an der Schulter und eine viel gefährlichere Wunde am Bauch.

Mit schwacher, bitterer Stimme sagte er zu Riley …

„Ich befehle dir, mich zu tГ¶ten."

Rileys Hand lag auf ihrer Waffe.

Sie sollte ihn töten.

Sie hatte allen Grund, ihn zu töten.

Trotzdem wusste sie nicht, was sie tun sollte....



Eine Frauenstimme riss Riley aus ihrer Träumerei.

„Du siehst aus, als hГ¤ttest du etwas auf dem Herzen."

Riley blickte von ihrem Schreibtisch auf und sah eine junge afroamerikanische Frau mit kurzen glatten Haaren in ihrer BГјrotГјr stehen.

Es war Jenn Roston, die bei Rileys letztem Fall ihre neue Partnerin gewesen war.

Riley schГјttelte sich ein wenig.

„Es ist nichts", sagte sie.

Jenns dunkelbraune Augen waren voller Sorge.

Sie sagte: „Oh, ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nichts ist."

Als Riley nicht antwortete, sagte Jenn: „Du denkst an Shane Hatcher, nicht wahr?"

Riley nickte leise. Die Erinnerungen suchten sie dieser Tage ziemlich häufig heim––all diese Erinnerungen an die grauenhafte Konfrontation mit dem verwundeten Mann in der Hütte ihres verstorbenen Vaters.

Zwischen Riley und dem entflohenen Sträfling hatte ein seltsames, verdrehten Band der Loyalität bestanden. Er war fünf Monate lang auf freiem Fuß gewesen, und sie hatte nicht einmal versucht, seine Freiheit einzuschränken––nicht bevor er begonnen hatte, unschuldige Menschen zu ermorden.

Nun war es fГјr Riley schwer nachzuvollziehen, dass sie ihn so lange hatte frei sein lassen.

Sie hatten eine beunruhigende, illegale und sehr, sehr dunkle Beziehung gefГјhrt.

Von allen Leuten, die Riley kannte, wusste Jenn am besten, wie dunkel sie wirklich gewesen war.

SchlieГџlich sagte Riley: „Ich denke immer noch, dass ich ihn sofort hГ¤tte tГ¶ten sollen."

Jenn sagte: „Er war verwundet, Riley. Er stellte keine Bedrohung fГјr dich dar."

„Ich weiГџ", sagte Riley. „Aber ich denke dennoch, dass ich vielleicht zugelassen habe, dass meine LoyalitГ¤t mein UrteilsvermГ¶gen schwГ¤cht."

Jenn schГјttelte den Kopf.



„Riley, wir hatten doch darГјber gesprochen. Du weiГџt bereits, wie ich darГјber denke. Du hast das Richtige getan. Und falls du mir allein nicht glauben mГ¶chtest, alle anderen hier sind ganz meiner Meinung."

Riley wusste, dass es stimmte. Ihre Kollegen und Vorgesetzten hatten ihr herzlich dazu gratuliert, dass sie Hatcher lebend gefasst hatte. Ihr Zuspruch war eine willkommene Abwechslung. Solange Riley unter Hatchers Bann gestanden hatte, war ihr gegenüber jeder hier zu Recht misstrauisch gewesen. Nun, da sich die Wolke des Misstrauens aufgelöst hatte, waren die Gesichter ihrer Kollegen wieder freundlich, und sie wurde mit neuem Respekt begrüßt.

Riley fГјhlte sich hier jetzt wirklich wieder zu Hause.

Dann grinste Jenn und fГјgte hinzu: „Verdammt nochmal, dieses eine Mal in deinem Leben hast du die Sache sogar nach Vorschrift erledigt."

Riley kicherte. Mit Sicherheit hatte sie die korrekte Vorgehensweise befolgt, als sie Hatcher festgenommen hatte––was mehr war, als sie über den Großteil ihrer Handlungen während des Falls, den sie und Jenn gerade gemeinsam gelöst hatten, sagen konnte.

Riley sagte: „Ja, ich schГ¤tze, du hast einen richtigen Crashkurs in meinen… unkonventionellen Methoden genossen."

„Das habe ich wirklich."

Riley kicherte unbehaglich. Sie hatte sogar noch mehr Regeln als sonst ignoriert. Jenn hatte Loyalität bewiesen und sie gedeckt––auch als sie ohne Haftbefehl in das Haus eines Verdächtigen eingebrochen war. Wenn sie dazu entschlossen gewesen wäre, hätte Jenn ihr Vorgehen durchaus melden können. Sie hätte bewirken können, dass Riley gefeuert wurde.

„Jenn, ich weiГџ das wirklich zu schГ¤tzen...."

„Nicht der Rede wert.“, sagte Jenn. „Es liegt alles in der Vergangenheit. Was als nГ¤chstes kommt, ist alles, was zГ¤hlt."

Jenns LГ¤cheln wurde breiter, als sie hinzufГјgte: „Und ich erwarte nicht, dass du dich wie eine Pfadfinderin verhГ¤ltst. Das solltest du von mir auch nicht erwarten."

Riley lachte erneut und diesmal befreiter.

Sie fand es schwer zu glauben, dass sie Jenn kГјrzlich noch misstraut hatte, sie sogar als Gegenspielerin betrachtet hatte.

SchlieГџlich hatte Jenn viel, viel mehr fГјr Riley getan, als nur die Diskretion zu wahren.

„Habe ich dir eigentlich schon dafГјr gedankt, dass du mir das Leben gerettet hast?“, fragte Riley.

Jenn lächelte.

„Ich habe irgendwann aufgehГ¶rt zu zГ¤hlen, wie oft", sagte sie.

„Nochmals vielen Dank.“

Jenn sagte nichts. Ihr Lächeln verblasste. Ihr Blick wirkte jetzt abwesend.

„Wolltest du etwas Bestimmtes, Jenn?“, fragte Riley. "Ich meine, warum bist du vorbeigekommen?"

Jenn starrte fГјr einen Moment den Flur hinunter.

SchlieГџlich sagte sie: „Riley, ich weiГџ nicht, ob ich es dir sagen soll...." Ihre Stimme wurde immer leiser.

Es war für Riley leicht zu erkennen, dass sie etwas beunruhigte. Sie wollte sie beruhigen, etwas sagen wie …

„Du kannst mir alles sagen."

Aber das erschien ihr doch recht anmaГџend.

SchlieГџlich schien Jenn zu erschaudern.

„Egal", sagte sie. „Es ist nichts, worГјber du dir Sorgen machen mГјsstest."

„Bist du dir sicher?"

„Ganz sicher."

Ohne ein weiteres Wort verschwand Jenn im Flur und ließ Riley mit einem ausgesprochen unbehaglichen Gefühl zurück. Sie spürte schon seit längerem, dass Jenn ihre eigenen Geheimnisse wahrte––vielleicht darunter einige sehr dunkle.

Warum will sie sich mir nicht anvertrauen?, fragte sich Riley.

Es schien, also ob einer von ihnen beiden immer ein wenig misstrauisch wäre. Das war kein gutes Zeichen für ihre Zusammenarbeit als Partnerinnen.

Aber es gab nichts, was Riley dagegen tun konnte––zumindest noch nicht.

Sie blickte auf ihre Uhr. Sie käme bald zu spät zu einem Termin mit ihrem langjährigen Partner Bill Jeffreys.

Der arme Bill war momentan beurlaubt und litt nach einem schrecklichen Zwischenfall, der sich während ihres letzten gemeinsamen Falles ereignet hatte, an einer Posttraumatischer Belastungsstörung. Riley fühlte eine schmerzhafte Traurigkeit in sich aufsteigen, als sie sich an den Vorfall zurückerinnerte.

Sie und Bill hatten mit einer vielversprechenden jungen Agentin namens Lucy Vargas zusammengearbeitet.

Doch Lucy war im Dienst getötet worden.

Riley vermisste Lucy jeden Tag.

Aber wenigstens fГјhlte sie sich wegen ihres Todes nicht schuldig.

Bei Bill war das anders.

Heute Morgen hatte Bill Riley angerufen und sie gebeten, ihn auf dem Marinestützpunkt zu treffen, der den größten Teil der Anlage in Quantico ausmachte.

Er hatte ihr nicht gesagt, warum, und das beunruhigte sie. Sie hoffte, dass es nichts Ernstes sei.

Ängstlich stand Riley von ihrem Schreibtisch auf und verließ das BAU-Gebäude.




KAPITEL ZWEI


Bill fГјhlte wie Sorge kribbelnd in ihm aufstieg, als er Riley auf den SchieГџplatz der Marine fГјhrte.

Bin ich fГјr das hier Гјberhaupt bereit?, fragte er sich.

Die Frage erschien ihm beinahe albern. SchlieГџlich handelte es sich nur um eine SchieГџГјbung.

Und doch war es keine gewöhnliche Schießübung.

Genau wie er trug Riley Tarnkleidung und eine geladene M16-A4.

Aber im Gegensatz zu Bill hatte Riley keine blasse Ahnung, warum sie hier waren.

„Ich wГјnschte, du wГјrdest mir sagen, worum es geht", sagte Riley.

„Es wird fГјr uns beide eine vГ¶llig neue Erfahrung sein", sagte er.

Er hatte diese neue Art des Schießens noch nie ausprobiert, aber Mike Nevins, der Psychiater, der ihm mit seiner Posttraumatischen Belastungsstörung geholfen hatte, hatte es ihm empfohlen.

„Das wird eine gute Therapie fГјr Sie sein", hatte Mike gesagt.

Bill hoffte, dass Mike Recht behalten sollte. Er hoffte auch, dass er die Nerven behielt, wenn Riley bei ihm war.

Bill und Riley nahmen nebeneinander ihre Positionen zwischen den vier mal vier aufrechten Holzpfosten ein, die auf eine gepflasterten Fläche hinter einer breiten Wiese zeigten. Auf dem gepflasterten Gebiet befanden sich vertikale Barrieren, auf denen Einschusslöcher markiert waren. Bill hatte schon einige Minuten zuvor mit dem Mann in der Kontrollkabine gesprochen, so dass jetzt alles für sie vorbereitet sein sollte.

Jetzt sprach er mit dem selben Typen durch ein kleines Mikrofon vor seinem Mund.

„ZufГ¤llige Zielauswahl. Und Los!“

Plötzlich tauchten menschengroße Figuren hinter den Absperrungen auf, die sich alle im gepflasterten Bereich bewegen. Sie trugen die Uniformen von ISIS-Kämpfern und schienen bewaffnet zu sein.

„Feindliche Subjekte!“, rief Bill Riley zu. „SchieГџ!"

Riley war zu erschrocken, um zu schießen, aber Bill hatte einen Schuss abgegeben und das Ziel verfehlt. Dann feuerte er einen weiteren Schuss ab, der eine der Figuren traf. Die Figur fiel zur einen Seite um und bewegte sich nicht mehr. Die anderen Figuren drehten sich weg, um den Schüssen zu entgehen, wobei einige von ihnen sich schneller bewegten, während andere hinter den Schranken verschwanden.

Riley sagte: „Was zum Teufel!"

Sie hatte immer noch keinen Schuss abgegeben.

Bill lachte.

„Stopp", sagte er ins Mikrofon.

Plötzlich verblieben alle Figuren dort, wo sie sich befanden, bewegungslos stehen.

„Wir schieГџen heute also auf Fake-BГ¶sewichte auf RГ¤dern?“, fragte Riley lachend.

Bill erklГ¤rte: „Es handelt sich um Roboter, die auf Segway-Roller montiert sind. Der Typ, mit dem ich vor einer Minute in der Kabine gesprochen habe, startet das Programm, dem sie folgen sollen. Aber er kontrolliert nicht jede ihrer Bewegungen. Eigentlich kontrolliert er sie gar nicht. Sie „wissen", was zu tun ist. Sie haben Laserscanner und Navigationsalgorithmen, damit sie den Barrieren und sich gegenseitig ausweichen kГ¶nnen."

Rileys Augen waren vor Staunen ganz groГџ geworden.

„Ja“, sagte sie. „Und sie wissen genau, was zu tun ist. Wenn die SchieГџerei losgeht, rennen sie weg oder verstecken sich, oder auch beides."

„Willst du es noch mal versuchen?“, fragte Bill.

Riley nickte und sah begeistert aus.

Erneut sprach Bill ins Mikrofon: „ZufГ¤llige Zielauswahl. Und Los!“

Wie zuvor begannen die Figuren sich zu bewegen, und Riley und Bill feuerten einzelne SchГјsse auf sie ab. Bill traf einen der Roboter, und Riley tat es ihm gleich. Beide Roboter blieben stehen und neigten sich nach vorne. Die anderen Roboter stoben auseinander, einige eilten willkГјrlich durch die Gegend, andere verstecken sich hinter den Barrieren.

Riley und Bill schossen weiter, aber das Schießen war jetzt schwieriger geworden. Die Roboter, die sich noch bewegten, schossen in unvorhersehbaren Bahnen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit hin- und her. Diejenigen, die sich hinter den Schranken versteckten, tauchten immer wieder auf, als wollten sie Riley und Bill dazu bringen, auf sie zu schießen. Es war unmöglich zu sagen, von welcher Seite der Barriere aus sie als nächstes auftauchen würden. Dann huschten sie entweder in der Schusslinie herum oder suchten erneut Zuflucht.

Trotz des scheinbaren Chaos dauerte es nur etwa eine halbe Minute, bis Riley und Bill alle acht Roboter ausgeschaltet hatten. Nun lagen sie alle gebeugt und regungslos zwischen den Barrieren.

Riley und Bill senkten ihre Waffen.

„Das war seltsam", sagte Riley.

„Willst du lieber aufhГ¶ren?“, fragte Bill.

Riley kicherte.

„Machst du Witze? Auf keinen Fall. Was kommt als nГ¤chstes?"

Bill schluckte, und wurde plötzlich nervös.

„Wir sollen Feinde ausschalten, ohne dabei Zivilisten zu tГ¶ten", sagte er.

Riley sah ihn mitfühlend an. Er verstand ihre Sorge. Sie wusste genau, warum er sich bei dieser neuen Übung unwohl fühlte. Es erinnerte ihn an den unschuldigen jungen Mann, den er letzten Monat versehentlich angeschossen hatte. Der Junge hatte sich von seiner Wunde zwar erholen können, aber Bill ließen die Schuldgefühle dennoch nicht los.

Außerdem verfolgte dieser Vorfall Bill, weil die brillante junge Agentin namens Lucy Vargas dabei getötet worden war.

Hätte ich sie doch nur retten können, dachte er bei sich.

Bill war seit jenem Vorfall offiziell beurlaubt und fragte sich, ob er jemals wieder würde arbeiten können. Er war völlig zusammengebrochen, dem Alkohol verfallen und hatte sogar über Selbstmord nachgedacht.

Riley hatte ihm dabei geholfen—wahrscheinlich hatte sie ihm sogar das Leben gerettet.

Bill fГјhlte sich, als wГјrde es ihm schon viel besser gehen.

Aber war er fГјr das hier bereit?

Riley beobachtete ihn immer noch sorgenvoll.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte sie.

Wieder erinnerte sich Bill daran, was Mike Nevins gesagt hatte.

„Das wird eine gute Therapie fГјr Sie sein."

Bill nickte Riley zu.

„Ich denke schon", sagte er.

Sie nahmen ihre Positionen wieder ein und hoben die Waffen. Bill sprach erneut ins Mikrofon: „Feindliche Subjekte und Zivilisten."

Die gleiche Situation wie zuvor entfalten sich vor ihnen—nur diesmal war eine der Figuren eine Frau, die in einen blauen Hijab gehüllt war. Es war sicherlich nicht schwer, sie von den Feinden in ihren tristen, braunen Outfits zu unterscheiden. Aber sie bewegte sich unter den anderen in ebenso scheinbar zufälligen Bewegungsmustern.

Riley und Bill fingen an, die Feinde genauso abzuknallen wie zuvor, und einige der männlichen Figuren wichen den Kugeln erneut aus, während andere sich hinter den Schranken versteckten, nur um in unvorhersehbaren Momenten wieder hervorzuschießen.

Auch die weibliche Figur bewegte sich jetzt, als sei sie vom Feuer der Gewehre erschrocken und eilte hektisch hin und her, versteckte sich aber dennoch nie hinter einer der Schranken. Ihre simulierte Panik machte es nur noch schwerer, sie nicht aus Versehen zu treffen.

Bill fГјhlte, wie sich kalter SchweiГџ auf seiner Stirn bildete, als er wieder und wieder feuerte.

Bald hatten er und Riley alle Feinde erschossen, und die Frau im Hijab stand immer noch unversehrt da.

Bill stieГџ einen langgezogenen Seufzer der Erleichterung aus und senkte seine Waffe.

„Wie geht es dir?“, fragte Riley, und Sorge schwang dabei in ihrer Stimme mit.

„Ziemlich gut, schГ¤tze ich," sagte Bill.

Doch seine Handflächen an der Waffe fühlten sich feucht an, und er zitterte ein wenig.

„Vielleicht reicht das fГјrs Erste", sagte Riley.

Bill schГјttelte den Kopf.

„Nein", sagte er. „Das nГ¤chste Programm mГјssen wir auch noch ausprobieren."

„Worum wird es dabei gehen?"

Bill schluckte hart.

„Es ist eine Geiselnahme. Der Zivilist wird getГ¶tet werden, sollten wir es nicht schaffen, gleichzeitig zwei Feinde ausschalten."

Riley blinzelte ihn zweifelnd an.

„Bill, ich weiГџ nicht...."

„Komm schon", sagte Bill. „Es ist nur ein Spiel. Lass es uns versuchen."

Riley zuckte mit den Achseln und hob ihre Waffe.

Bill sprach ins Mikrofon: „Geiselsituation. Los geht’s."

Die Roboter wurden wieder lebendig. Die weibliche Figur blieb im offenen Feld, während die Feinde hinter den Schranken verschwanden.

Dann tauchten zwei der Feinde hinter den Schranken auf, und schwebten bedrohlich um die weibliche Figur herum, die in scheinbarer Angst hin und her wackelte.

Bill wusste, dass die Kunst fГјr ihn und Riley darin lag, auf beide Feinde sofort und gleichzeitig zu schieГџen, sobald sie freien Schuss hatten.

Es war seine Aufgabe, diesen Moment zu benennen.

Als er und Riley ihre Waffen sorgfältig zum Schuss ansetzten, sagte Bill....

„Ich nehme den Linken, du den Rechten. Feuer frei, sobald ich ‚LosвЂ? sage.“

„Geht klar", sagte Riley leise.

Bill überwachte sorgfältig die Bewegungen und Positionen der beiden feindlichen Subjekte. Er erkannte, dass es schwerer werden würde, als er erwartet hatte.

Der zweite der Feinde trieb davon, während der andere Feind sich gefährlich nahe an die Geisel stellte.

Ob wir wohl jemals eine freie Schussbahn bekommen?, fragte er sich.

Dann, fГјr einen flГјchtigen Moment bloГџ, trieben beiden Feinde in entgegengesetzte Richtungen ca. einen Meter von der Geisel weg.

„Los!“, bellte Bill.

Doch bevor er den Abzug betätigen konnte, wurde er von einer Flut von Bildern überrollt …



Er raste gerade auf ein verlassenes Gebäude zu, als er einen Schuss hörte.

Er zog seine Waffe und rannte hinein, wo er Lucy am Boden liegen sah.

Dann sah er einen jungen Mann, der auf sie zuging.

Instinktiv schoss Bill auf den Mann und traf ihn.

Der Mann drehte sich vor dem Fall––und erst dann sah Bill, dass seine Hände leer waren.

Er war unbewaffnet.

Der Mann hatte nur versucht, Lucy zu helfen.

Tödlich verwundet, stützte sich Lucy auf die Ellenbogen und feuerte sechs Schuss auf ihren echten Angreifer ab ...

...der Mann, auf den Bill hätte schießen sollen.



Ein Schuss fiel aus Rileys Gewehr und riss Bill aus seinem Tagtraum.

Die Bilder waren in Sekundenbruchteilen gekommen und wieder verschwunden.

Einer der Feinde kippte um, getötet von Rileys Schuss.

Aber Bill selbst stand wie angefroren da. Er konnte einfach nicht abdrГјcken.

Der Feind, der überlebt hatte, wandte sich bedrohlich der Frau zu, und über einen Lautsprecher ertönte vom Band ein Schuss.

Die Frau krГјmmte sich und hielt inne.

Schließlich feuerte Bill seine Waffe ab und traf den überlebenden Feind—aber für die Geisel kam alles zu spät, da sie bereits tot war.

FГјr einen Moment schien die Situation schrecklich real.

„Jesus", sagte er. „Oh, Jesus, wie konnte ich das zulassen?"

Bill trat vor, fast so, als wolle er der Frau zu Hilfe eilen.

Riley trat jetzt ebenfalls vor, um ihn aufzuhalten.

„Es ist okay, Bill! Es ist doch nur ein Spiel! Das hier ist nicht echt!"

Bill blieb zitternd stehen, und versuchte sich zu beruhigen.

„Riley, es tut mir leid, es ist nur so.... fГјr eine Sekunde war alles wieder da und...."

„Ich weiГџ", sagte Riley trГ¶stend. „Ich verstehe."

Bill brach in sich zusammen und schГјttelte den Kopf.

„Vielleicht bin ich noch nicht bereit dafГјr", sagte er. „Vielleicht sollten wir fГјr heute aufhГ¶ren.“

Riley klopfte ihm auf die Schulter.

„Nein", sagte sie. „Ich denke, es ist besser, wenn du es jetzt durchziehst."

Bill nahm ein paar lange, langsame AtemzГјge. Er wusste, dass Riley Recht hatte.

Also nahmen Riley und er ihre Positionen wieder auf, und Bill sprach erneut ins Mikrofon ...

„Geiselnahme. Los geht’s.“

Die Ausgangssituation war wieder die Gleiche, mit zwei Feinden, die gefährlich nahe bei der Geisel lauerten.

Während Bill durch seine Visier blickte, atmete er langsam ein und aus.

Es ist nur ein Spiel, sagte er zu sich. Es ist nur ein Spiel.

Endlich kam der Moment, auf den er wartete. Die beiden Feinde hatten sich kaum merklich von der Geisel entfernt. Es war immer noch ein gefährlicher Schuss, aber Bill und Riley mussten es wagen.

„Feuer frei!“, sagte er.

Diesmal schoss er sofort, und den Bruchteil einer Sekunde später hörte er das Geräusch von Rileys Schuss.

Beiden feindlichen Subjekte fielen nach vorne und hörten auf, sich zu bewegen.

Bill senkte seine Waffe.

Riley klopfte ihm auf die Schulter.

„Du hast es geschafft, Bill", sagte sie lГ¤chelnd. „Das macht mir SpaГџ. Was sonst kГ¶nnen wir mit diesen Bots noch anfangen?"

Bill sagte: „Es gibt ein Programm, bei dem wir auf sie zugehen kГ¶nnen, wГ¤hrend wir schieГџen."

„Lass es uns ausprobieren."

Bill sprach wieder in sein Mikrofon.

"Nahkampf."

Alle acht Feinde begannen sich zu bewegen, und Bill und Riley rГјckten Schritt fГјr Schritt auf sie zu und feuerten Schuss um Schuss. Ein paar Roboter fielen, und die anderen huschten herum und wurden immer schwerer zu treffen.

Als Bill weiter schoss, wurde ihm klar, dass in dieser Simulation etwas Entscheidendes fehlte.

Sie schieГџen nicht zurГјck, dachte er.

Seine Erleichterung Гјber die Rettung der Geisel fГјhlte sich seltsam hohl an. SchlieГџlich hatten Riley und er nur das Leben eines Roboters gerettet.

Es änderte nichts an der Realität dessen, was letzten Monat passiert war.

Lucy hatte es sicher nicht wieder zum Leben erweckt.

Seine Schuld verfolgte ihn immer noch. Ob er jemals in der Lage wäre, sie abzuschütteln?

Und ob er wohl jemals wieder seine Arbeit würde ausüben können?




KAPITEL DREI


Im Anschluss an ihre Schießübung machte sich Riley immer noch Sorgen um Bill. Es stimmte, nach seinem Zusammenbruch hatte er sich schnell erholt. Und, als sie aus nächster Nähe zu schießen begonnen hatten, schien er sich richtig zu amüsieren

Als er Quantico verließ, um in seine Wohnung zurückzukehren, erschien er ihr sogar fröhlich. Dennoch war er nicht mehr der alte Bill, der so viele Jahre lang ihr Partner gewesen, und dabei längst ihr bester Freund geworden war.

Sie wusste, worГјber er sich am meisten Sorgen machte.

Bill hatte Angst, dass er nie wieder zur Arbeit kommen könnte.

Sie wünschte, sie könnte ihn mit freundlichen, einfachen Worten beruhigen—etwas wie....

„Du machst einfach eine schwere Zeit durch. Das passiert uns allen. Du wirst frГјher drГјber hinweg sein, als du denkst."

Aber dahingesagte Zusicherungen waren nicht das, was Bill jetzt brauchte. Und in Wahrheit wusste Riley auch nicht, ob es stimmte.

Sie hatte selbst eine Phase erlebt, in der sie unter PTBS litt und wusste, wie schwer der Weg zur Genesung sein konnte.

Sie wГјrde Bill einfach helfen mГјssen, diesen schrecklichen Prozess durchzustehen.

Obwohl Riley zurück in ihr Büro ging, gab es für sie bei der BAU heute eigentlich wenig zu tun. Sie hatte derzeit keinen Auftrag, und diese geruhsamen Tage kamen ihr nach der Intensität des letzten Falles in Iowa sehr gelegen. Sie erledigte die Kleinigkeiten, die ihre Aufmerksamkeit erforderten, und ging.

Als Riley nach Hause fuhr, fГјhlte sie sich bei dem Gedanken an ein Abendessen im Kreise ihrer Familie regelrecht beschwingt. Besonders zufrieden war sie darГјber, dass sie Blaine Hildreth und seine Tochter fГјr heute Abend eingeladen hatte.

Riley war erfreut, dass Blaine Teil ihres Lebens war. Er war ein hГјbscher, charmanter Mann. Und wie sie war er erst seit kurzem geschieden.

Wie sich herausgestellt hatte, war er auch bemerkenswert mutig.

Es war Blaine, der auf Shane Hatcher geschossen und ihn schwer verletzt hatte, als Hatcher Rileys Familie bedroht hatte.

Riley wГјrde ihm dafГјr auf ewig dankbar sein.

Bislang hatte sie bloß eine Nacht mit Blaine verbracht, da waren sie bei ihm zu Hause gewesen. Sie achteten sehr auf Diskretion, und seine Tochter Crystal hatte die Frühlingsferien bei ihren Cousins verbracht. Riley lächelte über die Erinnerung an ihr leidenschaftliches Liebesspiel.

Ob der heutige Abend genauso enden wГјrde?



*



Rileys Haushälterin Gabriela hatte eine köstliche Mahlzeit aus Chiles Rellenos nach einem Familienrezept, das sie aus Guatemala mitgebracht hatte, zubereitet. Alle genossen die dampfenden, üppig gefüllten Paprikaschoten.

Riley war sehr zufrieden mit dem so guten Essen und der wunderbaren Gesellschaft, die sie genoГџ.

„Nicht zu picante?“, fragte Gabriela.

NatГјrlich war das Essen auch fГјr US-amerikanische Geschmacksnerven nicht zu scharf und wГјrzig, und Riley war sicher, dass Gabriela das wusste. Gabriela hielt sich, was ihre original mittelamerikanischen Rezepte betraf, stets zurГјck. Ganz offensichtlich bevorzugte sie den ,leichten Weg, Komplimente zu bekommen.

„Nein, es ist perfekt", sagte Rileys fГјnfzehnjГ¤hrige Tochter April.

„Das beste Essen aller Zeiten", sagte Jilly, das dreizehnjГ¤hrige MГ¤dchen, das Riley gerade adoptierte.

„Einfach unglaublich", sagte Aprils beste Freundin Crystal.

Crystals Vater, Blaine Hildreth, sprach nicht sofort. Aber Riley konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass auch er von dem Gericht hingerissen war. Sie wusste auch, dass Blaines Wertschätzung professioneller Natur war. Blaine besaß hier in Fredericksburg ein gehobenes Restaurant, dass sich dabei jedoch einer lässigen Atmosphere erfreute.

„Wie machen Sie das nur, Gabriela?“, fragte er nach ein paar Bissen.

„Es un secreto", sagte Gabriela mit einem schelmischen Grinsen.

„Ein Geheimnis, ja?“, fragte Blaine. „Welche Sorte KГ¤se haben Sie denn benutzt? Ich kann es nicht einordnen. Es ist weder Monterey Jack noch Chihuahua. Manchego vielleicht?"

Gabriela schГјttelte den Kopf.

„Ich werde es Ihnen nie verraten", sagte sie lГ¤chelnd.

Während Blaine und Gabriela weiter über das Rezept scherzten, teils auf Englisch, teils auf Spanisch, fragte sich Riley, ob sie und Blaine vielleicht....

Sie errötete ein wenig bei der Idee.

Nein, heute Abend wird bestimmt nichts passieren.

Da die ganze Familie anwesend war, würde es kaum eine Möglichkeit für ein diskretes Miteinander geben.

Nicht, dass sie mit den Dingen, wie sie waren, nicht einverstanden gewesen wäre.

Von Menschen umgeben zu sein, die ihr so viel bedeuteten, war ihr an diesem besonderen Abend Freude genug. Aber als sie zusah, wie sich ihre Familie und Freunde amГјsierten, wurden Rileys Gedanken von eine neuen Anliegen heimgesucht.

Eine Person am Tisch hatte bisher kaum ein Wort gesagt, und das war Liam, der Neuzugang in Rileys Haushalt. Liam war in Aprils Alter, und die beiden Teenager waren schon einmal miteinander ausgegangen. Riley hatte den groГџen, schlaksigen Jungen vor seinem Гјbergriffigen, betrunkenen Vater gerettet. Er brauchte einen Platz zum Leben, und dieser Ort war jetzt eben das Sofa in Rileys Familienzimmer, auf dem er schlief.

Liam war normalerweise gesprächig und kontaktfreudig. Aber etwas schien ihn heute Abend zu beunruhigen.

Riley fragte: „Stimmt etwas nicht, Liam?"

Der Junge schien sie nicht einmal zu hören.

Riley sprach etwas lauter.

„Liam."

Liam blickte von seinem Essen auf, das er bisher kaum angerГјhrt hatte.

„Was?“, fragte er.

„Stimmt etwas nicht?"

„Nein. Warum?"

Riley kniff unruhig die Augen zusammen. Etwas war nicht in Ordnung. Liam war selten so einsilbig.

„Ich habe mich nur gewundert", sagte sie.

Sie nahm sich vor, später mit Liam allein zu sprechen.



*



Beim Nachtisch übertraf sich Gabriela mit einer köstlichen Obstorte. Anschließend genossen Riley und Blaine einen Drink, während die vier Kinder sich im Familienzimmer unterhielten, und dann gingen Blaine und seine Tochter nach Hause.

Riley wartete bis April und Jilly auf ihre Zimmer gingen. Dann ging sie allein ins Familienzimmer. Liam saГџ ruhig auf dem noch zugeklappten Schlafsofa und starrte ins Leere.

„Liam, ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Ich wГјnschte, du wГјrdest mir davon erzГ¤hlen."

„Da ist nichts", sagte Liam.

Riley verschränkte ihre Arme und sagte nichts. Sie wusste vom Umgang mit den Mädchen, dass ihm Umgang mit jungen Menschen, abwarten manchmal die beste Strategie war.

Dann sagte Liam: „Ich will nicht darГјber reden."

Riley war erschrocken. An die jugendliche Launen von April und Jilly war sie gewöhnt, zumindest von Zeit zu Zeit. Doch für Liam war so ein Verhalten völlig untypisch. Er war stets angenehm und zuvorkommend. Auch war er ein engagierter Schüler, und Riley schätzte seinen guten Einfluss auf April.

Schweigend wartete Riley weiter.

SchlieГџlich sagte Liam: „Ich bekam heute einen Anruf von Dad."

Riley spГјrte ein Ziehen in der Magengrube.

Sie kam nicht umhin, sich an diesen schrecklichen Tag zu erinnern, als sie zu Liams Haus geeilt war, um ihn davor zu bewahren, von seinem Vater Гјbel verprГјgelt zu werden.

Sie wusste, dass sie nicht Гјberrascht sein sollte. Dennoch wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte.

Liam sagte: „Er sagt, dass ihm all das leid tue. Er sagt, dass er mich vermisst."

Rileys Sorge wurde größer. Sie besaß für Liam nicht das Sorgerecht. Im Moment fungierte sie als eine Art spontane Pflegemutter, und sie hatte keine Ahnung, was ihre zukünftige Rolle in seinem Leben sein würde.

„MГ¶chte er, dass du nach Hause kommst?“, fragte Riley.

Liam nickte.

Riley konnte sich nicht dazu durchringen, die offensichtliche Frage zu stellen....

„Was mГ¶chtest du?"

Was würde sie tun ––was könnte sie tun––wenn Liam sagte, dass er zurück wolle?

Riley wusste, dass Liam ein sanftmütiger Junge war, der schnell verzieh. Wie viele Opfer von Missbrauch war auch er anfällig für konsequente Verleugnung.

Riley setzte sich neben ihn.

Sie fragte: „Warst du hier glГјcklich?"

Aus Liams Kehle drang ein kleines Würgegeräusch. Zum ersten Mal erkannte Riley, dass er den Tränen nahe war.

„Oh, ja", sagte er. „ Das war.... Ich war sehr glГјcklich."

Riley fühlte, wie ihre eigene Kehle ihr eng wurde. Sie wollte ihm sagen, dass er so lange hier bleiben konnte, wie er nur wollte. Aber was könnte sie tun, wenn sein Vater von ihm verlangte, dass er zurückkehrte? Es läge nicht in ihrer Macht, das zu verhindern.

Eine Träne lief jetzt Liams Wange hinunter.

„Es ist nur, dass.... seit Mom weg ist.... Ich bin alles, was Dad noch hat. Oder zumindest war ich das, bis ich ging. Jetzt ist er ganz allein. Er sagt, er trinkt nicht mehr. Er sagt, er wГјrde mir nichts mehr antun."

Riley platzte beinahe hervor....

„Glaub ihm nicht. Glaube ihm nie, wenn er so etwas sagt."

Stattdessen sagte sie: „Liam, du musst wissen, dass dein Vater sehr krank ist."

„Ich weiГџ", sagte Liam.

„Es liegt an ihm, sich die Hilfe zu holen, die er braucht. Aber bis er das tut, wird es sehr schwer fГјr ihn sein, sich zu Г¤ndern."

Riley schwieg fГјr einen Moment.

Dann fГјgte sie hinzu: „Denk immer daran, dass es nicht deine Schuld ist. Das weiГџt du doch, oder?"

Liam unterdrГјckte ein Schluchzen und nickte.

„Bist du jemals dorthin zurГјckgegangen, um ihn zu sehen?“, fragte Riley.

Liam schГјttelte lautlos den Kopf.

Riley streichelte seine Hand.

„Ich mГ¶chte nur, dass du mir eins versprichst. Wenn du zu ihm gehst, geh nicht allein. Ich will bei dir sein. Versprichst du mir das?"

„Ich verspreche es", sagte Liam.

Riley griff nach einer Box mit TaschentГјchern und bot sie Liam an, der sich die Augen abwischte und die Nase putzte. Dann saГџen beide fГјr ein paar lange Momente der Stille beieinander.

SchlieГџlich sagte Riley: „Brauchst du mich noch bei etwas anderem?"

„Nein. Jetzt geht es mir gut. Danke fГјr.... naja, du weiГџt schon."

Er lächelte sie schwach an.

„So ziemlich alles", fГјgte er hinzu.

„Gern geschehen", sagte Riley und erwiderte sein LГ¤cheln.

Sie verlieГџ das Familienzimmer, ging ins Wohnzimmer und setzte sich allein auf die Couch.

Plötzlich entfuhr ihrem Hals ein Schluchzen, und sie fing an zu weinen. Sie war erstaunt, wie sehr sie das Gespräch mit Liam erschüttert hatte.

Doch als sie darГјber nachdachte, lag der Grund auf der Hand.

Ich bin einfach Гјberfordert, dachte sie.

Immerhin versuchte sie immer noch, Jillys Adoption zu regeln. Sie hatte das arme Mädchen aus ihrem eigenen Elend gerettet. Als Riley sie gefunden hatte, hatte Jilly versucht, aus reiner Verzweiflung ihren Körper zu verkaufen.

Was hatte sich Riley also bloГџ dabei gedacht, sich noch einen Teenager ins Haus zu holen?

Sie wünschte sich plötzlich, Blaine wäre noch hier, und sie könne mit ihm reden.

Blaine schien immer zu wissen, was er sagen sollte.

Sie hatte die Ruhe zwischen den Fällen für eine Weile genossen, aber nach und nach hatten sich die Sorgen eingeschlichen, vor allem um ihre Familie und heute auch um Bill.

Es fГјhlte sich kaum nach Urlaub an.

Riley kam nicht umhin, sich zu fragen....

Stimmt etwas nicht mit mir?

War sie irgendwie unfähig, ein ruhiges Leben zu genießen?

Jedenfalls wusste sie, dass sie sich einer Sache sicher sein konnte.

Diese Flaute würde nicht lange anhalten. Irgendwo beging gerade irgendein Monster eine abscheuliche Tat—und es lag an ihr, es aufzuhalten.




KAPITEL VIER


Am nächsten Morgen wurde Riley durch das Vibrieren ihres Telefons geweckt.

Sie stöhnte laut, als sie sich schüttelte, um wach zu werden.

Die Flaute ist wohl vorbei, dachte sie bei sich.

Sie schaute auf ihr Handy und sah, dass sie Recht hatte. Es war eine SMS von ihrem Teamchef bei der BAU, Brent Meredith. Es war ein Aufruf, ihn zu treffen, und er in dem fГјr ihn typischen knappen Stil verfasst....



BAU, 8:00 Uhr.



Sie schaute auf die Uhr und merkte, dass sie sich beeilen musste, um es noch rechtzeitig zu diesem so kurzfristig angesetzten Termin zu schaffen. Quantico war nur eine halbe Stunde Fahrt von zu Hause entfernt, dennoch musste sie hier schnell wegkommen.

Riley brauchte nur Minuten, um ihre Zähne zu putzen, ihre Haare zu kämmen, sich anzuziehen und nach unten zu eilen.

Gabriela machte in der KГјche bereits FrГјhstГјck.

„Ist der Kaffee schon fertig?“, fragte Riley sie.

„SГ­", sagte Gabriela und schenkte ihr eine heiГџe Tasse ein.

Riley nippte eifrig an ihrem Kaffee.

„MГјssen Sie ohne FrГјhstГјck aus dem Haus?“, fragte Gabriela sie.

„Ich fГјrchte ja."

Gabriela gab ihr einen Bagel.

„Dann nehmen Sie das mit. Sie mГјssen etwas in Ihrem Magen haben."

Riley dankte Gabriela, nahm noch ein paar SchlГјcke von dem Kaffee und eilte zu ihrem Auto.

Während der kurzen Fahrt nach Quantico überkam sie ein merkwürdiges Gefühl.

Tatsächlich fühlte sie sich besser als in den letzten Tagen, beinahe euphorisch.

Zum Teil kam das sicherlich durch den Adrenalinschub, der sie durchfuhr, als ihr Geist und ihr Körper sich auf einen neuen Fall vorbereiteten.

Aber es war auch etwas ziemlich Beunruhigendes––ein Gefühl, als ob wieder Normalität einkehrte.

Riley seufzte bei dieser Einsicht.

Sie fragte sich, was es bedeutete, dass sich die Jagd auf Monster fГјr sie normaler anfГјhlte, als Zeit mit den Menschen zu verbringen, die sie liebte?

Es kann einfach nicht.... naja, normal sein, dachte sie.

Schlimmer noch, es erinnerte sie an etwas, das ihr Vater, ein brutaler und bitterer pensionierter Marineoffizier, zu ihr gesagt hatte, bevor er starb.

„Du bist eine JГ¤gerin. Was die Leute ein normales Leben nennen, wГјrde dich umbringen, wenn du es zu lange leben mГјsstest."

Riley wГјnschte von ganzem Herzen, dass es nicht wahr sei.

Aber in Zeiten wie diesen konnte sie nicht anders, als sich Sorgen zu machen––war es unmöglich für sie, die Rollen der Frau, Mutter und Freundin dauerhaft zu besetzen?

War es hoffnungslos, es Гјberhaupt zu versuchen?

War ‚die Jagd� das Einzige, was in ihrem Leben wirklich zu ihr gehörte?

Nein, definitiv nicht das Einzige.

Sicherlich nicht einmal das Wichtigste.

Entschlossen versuchte sie die unangenehme Frage aus ihrem Kopf zu bekommen.

Als sie das BAU-Gebäude erreichte, parkte sie und eilte in Brent Meredith Büro.

Als sie ankam, sah sie, dass Jenn schon da war und viel fröhlicher und wacher aussah, als Riley sich fühlte. Riley wusste, dass Jenn, wie Bill, eine Wohnung in Quantico hatte, also hatte sie sich weniger beeilen müssen. Doch einen Teil von Jenns frühmorgendlicher Frische schrieb Riley auch deren Jugend zu.

Riley war als sie noch jünger gewesen war, genauso gewesen––sofort und zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Arbeiten bereit, und stets in der Lage, für längere Zeit ohne Schlaf auszukommen, wenn der Job es so verlangte.

Lagen diese Tage hinter ihr?

Es war kein angenehmer Gedanke, der nicht half, Rileys ohnehin schon getrГјbte Stimmung aufzuhellen.

Brent Meredith machte, so wie er da an seinem Schreibtisch saß, mit seinen schwarzen, kantigen Zügen, seinem breiten Körperbau und seiner immerwährenden Bodenständigkeit, wie immer eine beeindruckende Figur.

Riley setzte sich und Meredith verlor keine Zeit, sondern kam sofort zur Sache.

„Heute Morgen gab es einen Mord. Es geschah am Г¶ffentlichen Strand des Naturschutzgebietes Belle Terre. Ist eine von Ihnen mit den Г–rtlichkeiten vertraut?"

Jenn sagte: „Ich war einige Male dort. Ein toller Ort zum Wandern."

„Ich war auch schon dort", entgegnete Riley.

Riley erinnerte sich gut an das Naturschutzgebiet. Es war an der Chesapeake Bay, kaum mehr als zwei Autostunden von Quantico entfernt. Dort gab es mehrere hundert Hektar Wald und eine Bucht mit einem breiten, öffentlich zugänglichen Strand. Das Gebiet war bei Natur- und Sportbegeisterten sehr beliebt.

Meredith trommelte mit seinen Fingern auf seiner Schreibtischplatte.

„Das Opfer war Todd Brier, ein lutherischer Pastor aus dem nahen Sattler. Er wurde am Strand bei lebendigem Leibe begraben."

Riley schГјttelte es innerlich.

Lebendig Begraben!

So etwas war in ihren Albträume schon vorgekommen, aber nie hatte sie an einem Fall gearbeitet, in dem es um diese Art grausigen Mordes ging.

Meredith fuhr fort: „Brier wurde heute Morgen gegen sieben Uhr gefunden, und es sah so aus, als wГ¤re er erst seit einer Stunde tot gewesen."

Jenn fragte: „Was macht diesen Mord zu einem Fall fГјr das FBI?"

Meredith sagte: „Brier ist nicht das erste Opfer. Gestern wurde in der NГ¤he bereits die Leiche einer jungen Frau namens Courtney Wallace gefunden."

Riley unterdrГјckte einen Seufzer.

„Sagen Sie nichts", sagte sie. „Auch sie wurde bei lebendigem Leib begraben.“

„Sie sagen es", sagte Meredith. „Sie wurde auf einem der Wanderwege im gleichen Naturschutzgebiet getГ¶tet, offenbar ebenfalls am frГјhen Morgen. SpГ¤ter am Tag wurde sie dann entdeckt, als ein Wanderer auf die aufgewГјhlte Erde stieГџ und den ParkwГ¤chter rief."

Meredith lehnte sich in seinem Stuhl zurГјck und drehte sich leicht hin und her.

Er sagte: „Bisher haben die Г¶rtlichen Polizisten keine VerdГ¤chtigen oder Zeugen. Abgesehen von den jeweiligen Orten und dem Modus Operandi des MГ¶rders, haben sie Гјberhaupt nicht viel. Beide Opfer waren junge, gesunde Menschen. Bislang reichte die Zeit nicht, um herauszufinden, ob es irgendeine Verbindung zwischen den beiden gibt, auГџer jene, dass sie beide am frГјhen Morgen da drauГџen waren."

Als Rileys versuchte, zu begreifen, was sie da gerade gehört hatte, raucht ihr der Kopf. Bisher wusste sie zu wenig, um loslegen zu können.

Sie fragte: „Hat die Г¶rtliche Polizei das Gebiet schon abgeriegelt?"

Meredith nickte.

„Sie haben das bewaldete Gebiet in der NГ¤he des Weges und die HГ¤lfte des Strandes fГјr die Г–ffentlichkeit gesperrt. Ich habe ihnen gesagt, dass sie die Leiche am Strand nicht bewegen sollen, bis meine Leute da sind."

„Was ist mit dem KГ¶rper der Frau?“, fragte Jenn.

„Er befindet sich im Leichenschauhaus in Sattler, der nГ¤chstgelegenen Stadt. Der Gerichtsmediziner vom Tidewater District ist gerade am Strand. Ich will, dass Sie beide so schnell wie mГ¶glich dorthin fahren. Nehmen Sie ein FBI-Fahrzeug, etwas AuffГ¤lliges. Ich hoffe, dass das FBI, wenn es am Tatort sichtbar wird, diesen TГ¤ter zumindest verlangsamen wird. Ich schГ¤tze, er ist mit dem TГ¶ten noch nicht fertig."

Meredith blickte zwischen Riley und Jenn hin und her.

„Irgendwelche Fragen?“, fragte er.

Riley hatte eine Frage, aber sie wusste nicht, ob sie sie stellen sollte.

SchlieГџlich sagte sie: „Sir, ich mГ¶chte einen Antrag stellen."

„Und?“, sagte Meredith und lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurГјck.

„Ich mГ¶chte, dass Special Agent Jeffreys diesem Fall zugewiesen wird."

Merediths Augen verengten sich.

„Jeffreys ist beurlaubt", sagte er. „Ich bin sicher, dass Sie und Agentin Roston das alleine regeln kГ¶nnen."

"Ich bin mir auch sicher, das wir das kГ¶nnen", sagte Riley. „Aber...."

Sie zögerte.

„Aber was?“, fragte Meredith.

Riley geschluckte schwer. Sie wusste, dass es Meredith nicht gefiel, wenn Agenten ihn um einen persönlichen Gefallen baten.

Sie sagte: „Ich denke, er muss wieder an die Arbeit, Sir. Ich denke, das tГ¤te ihm gut."

Meredith blickte finster drein und sagte fГјr einen Moment nichts.

Dann sagte er: „Ich werde ihn nicht offiziell mit dem Fall beauftragen. Aber wenn Sie wollen, dass er informell mit Ihnen arbeitet, habe ich nichts dagegen."

Riley dankte ihm und versuchte dabei, nicht zu überschwänglich zu klingen, damit er seine Meinung nicht wieder änderte. Anschließend forderten sie und Jenn einen offiziellen Geländewagen des FBI an.

Als Jenn nach SГјden losfuhr, holte Riley ihr Handy hervor und schrieb Bill eine SMS.



Ich arbeite mit Roston an einem neuen Fall. Der Direktor sagt, es ist okay, wenn du dich uns anschließt. Ich möchte, dass du es tust.



Riley wartete einen Moment. Ihr Herz schlug etwas schneller, als sie sah, dass die Nachricht als "gelesen" markiert wurde.

Dann tippte sie ....



Können wir auf dich zählen?



Wieder wurde die Nachricht als "gelesen" markiert, doch eine Antwort kam keine.

Rileys Mut schwand.

Vielleicht ist das hier keine gute Idee, dachte sie. Vielleicht ist es noch zu frГјh.

Sie wГјnschte, Bill wГјrde antworten, wenn auch nur, um ihr abzusagen.




KAPITEL FГњNF


Während Jenn mit dem Geländewagen weiter in Richtung Süden fuhr, schielte Riley immer wieder nach der SMS, die sie gesendet hatte.

Minuten vergingen, und Bill hatte immer noch nicht geantwortet.

SchlieГџlich beschloss sie, ihn anzurufen.

Sie tippte seine Nummer ein. Zu ihrer Frustration ging nur die Mailbox dran.

Beim Piepston sagte sie einfach: „Bill, ruf mich zurГјck. Sofort!“

Als Riley das Telefon auf den SchoГџ legte, blickte sich Jenn zu ihr um.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Jenn.

„Ich weiГџ es nicht", sagte Riley. „Ich hoffe nicht."

Ihre Sorge wurde während der Fahrt immer größer. Sie erinnerte sich an eine SMS, die sie von Bill erhalten hatte, während sie an ihrem letzten Fall in Iowa arbeitete....



Nur dass du Bescheid weiГџt. Ich sitze hier mit einem Pistolenlauf im Mund.



Riley erschauderte bei der Erinnerung an das verzweifelte Telefongespräch, das auf diese Nachricht gefolgt war, und indem sie es geschafft hatte, ihm den Selbstmord auszureden.

Passiert es gerade wieder?

Wenn ja, was könnte sie, Riley, tun, um zu helfen?

Ein plötzliches, schrilles, durchdringendes Geräusch verjagte diese Gedanken aus Rileys Kopf. Es dauerte eine Sekunde bis ihr klar wurde, dass Jenn die Sirene eingeschaltet hatte, als sie stockenden Verkehr geraten waren.

Riley verstand die Sirene als deutliche Erinnerung an sich selbst....

Ich muss bei der Sache bleiben.



*



Es war ungefähr halb elf, als Riley und Jenn im Naturschutzgebiet Belle Terre ankamen. Sie folgten einer Straße zum Strand, bis sie ein paar geparkte Polizeiautos und einen Krankenwagen sahen. Jenseits der Fahrzeuge auf einem grasbewachsenen Hügel befand sich eine Barriere aus Polizeiband, welche die Öffentlichkeit vom Strand fern halten sollte.

Als Riley und Jenn aus dem Geländewagen ausstiegen, war der Strand nicht sofort sichtbar.

Aber Riley sah die Möwen fliegen, spürte eine frische Brise auf ihrem Gesicht, roch Salz in der Luft und hörte das Geräusch der Brandung.

Sie war bestürzt, aber kaum überrascht, dass sich bereits eine kleine Gruppe von Reportern auf dem Parkplatz hinter dem Tatort versammelt hatte. Sie drängten sich um Riley und Jenn und stellten Fragen.

„Es gab zwei Morde in zwei Tagen. Handelt es sich hier um einen SerienmГ¶rder bei der Arbeit?"

„Gestern hatten Sie den Namen des Opfers verГ¶ffentlicht. Haben Sie dieses neue Opfer bereits identifiziert?"

„Haben Sie die Familie des Opfers schon kontaktiert?"

„Stimmt es, dass beide Opfer lebendig begraben wurden?"

Riley erschauderte bei der letzten Frage erneut. Natürlich war sie nicht überrascht, dass sich herumgesprochen hatte, wie die Opfer gestorben waren. Reporter konnte bereits so viel wissen, wenn sie den lokalen Polizeifunk hörten. Aber sie besaß keinerlei Zweifel, dass die Presse diese Morde maximal ausschlachten würde.

Riley und Jenn schoben sich, ohne einen Kommentar abzugeben, an den Reportern vorbei. Dann wurden sie von ein paar einheimischen Polizisten begrüßt, die sie am Polizeiband vorbei über den Grasaufgang zum Strand begleiteten. Riley spürte, wie Sand in ihre Schuhe sickerte, während sie lief.

Bald kam der Tatort in Sicht.

Mehrere Männer standen um ein Loch im Sand herum, indem immer noch die Leiche lag. Als sie sich näherten, kamen zwei von ihnen auf Riley und Jenn zugelaufen. Der eine war ein stämmiger, rothaariger Mann in Uniform. Der andere, ein schlanker Mann mit lockigen schwarzen Haaren, trug ein weißes Hemd.

„Ich bin froh, dass Sie so schnell kommen konnten", sagte der rothaarige Mann, als Riley und Jenn sich vorstellten. „Ich bin Parker Belt, der Polizeidirektor von Sattler. Das ist Zane Terzis, der Gerichtsmediziner des Tidewater Districts."

Direktor Belt fГјhrte Riley und Jenn zu dem Loch, und sie schauten auf die halb aufgedeckte Leiche hinab.

Riley war es mehr als gewohnt, Leichen in verschiedenen Zuständen der Verstümmelung und Verwesung zu sehen. Trotzdem durchfuhr sie bei dieser eine besondere Art von Schrecken.

Er war ein blonder Mann von ungefähr dreißig Jahren, und er trug ein Jogging-Outfit, das für einen Lauf am Strand an einem kühlen Sommermorgen geeignet schien. Seine Arme waren bei dem verzweifelten Versuchen, sich selbst auszugraben, in einer statuenhaften Stellung der Totenstarre verblieben. Seine Augen waren fest verschlossen, und sein weit geöffneter Mund war mit Sand gefüllt.

Direktor Belt stand jetzt neben Riley und Jenn.

Er sagte: „Er hatte noch seine Brieftasche voll mit Ausweisdokumenten––nicht, dass wir sie wirklich gebraucht hГ¤tten. Ich erkannte ihn sofort, als Terzis und seine MГ¤nner sein Gesicht freigelegt hatten. Sein Name ist Todd Brier, und er ist ein lutherischer Pastor in Sattler. Ich war nicht in seiner Kirche, denn ich bin Methodist. Aber ich kannte ihn. Wir waren gute Freunde. Wir gingen ab und zu zusammen angeln."

In Belts Stimme lag Trauer und Schock.

„Wie wurde die Leiche gefunden?“, fragte Riley.

„Ein Mann ging hier mit seinem Hund spazieren", sagte Belt. „Der Hund blieb an dieser Stelle stehen, schnГјffelte und jaulte, fing dann an zu graben, und sogleich erschien eine Hand."

„Ist der Typ, der die Leiche gefunden hat, noch da?“, fragte Riley.

Belt schГјttelte den Kopf.

„Wir haben ihn nach Hause geschickt. Er war schwer erschГјttert. Aber wir sagten ihm, er mГјsse fГјr Fragen weiterhin zur VerfГјgung stehen. Ich kann Sie mit ihm in Kontakt bringen."

Riley blickte vom Körper auf zum Wasser, das etwa fünfzig Meter entfernt lag. Das Wasser der Chesapeake Bay war von einem tiefen, satten Blau, mit weißen Wellen, die sanft über den nassen Sand schlugen. Riley konnte erkennen, dass Ebbe herrschte.

Riley fragte: „Das hier war schon der zweite Mord?"

„So ist es", antwortete Belt grimmig.

„Ist so etwas denn vor den beiden FГ¤llen schon einmal hier passiert?"

„Hier in Belle Terre, meinen Sie?“, fragte Belt. „Nein, nichts dergleichen. Dies ist ein friedliches Reservat fГјr VГ¶gel und Wildtiere. Der Strand wird von Einheimischen, meist Familien, genutzt. Von Zeit zu Zeit mГјssen wir einen MГ¶chtegern-Wilderer festnehmen oder einen Streit unter den Besuchern schlichten. Manchmal mГјssen wir auch einen Landstreicher vertreiben. Das ist bereits das Schlimmste, was hier jemals passiert ist."

Riley lief um das Loch herum, um die Leiche aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Sie sah einen Blutfleck auf dem Hinterkopf des Opfers.

„Was halten Sie von dieser Wunde?“, fragte sie Terzis.

„Es sieht so aus, als wГ¤re er von einem harten Gegenstand getroffen worden", sagte der Gerichtsmediziner. Ich werde es genauer untersuchen, sobald wir die Leiche in die Pathologie geschafft haben. Aber so wie es aussieht, wГјrde ich sagen, das es wahrscheinlich ausreichte, um ihn zu betГ¤uben, gerade lange genug, damit er sich nicht wehren konnte, wГ¤hrend der MГ¶rder ihn begrub. Ich bezweifle, dass er jemals vГ¶llig bewusstlos war. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er hart gekГ¤mpft hat."

Riley erschauderte wieder.

Ja, so viel stand fest.

Sie sagte zu Jenn: „Mach ein paar Fotos und schick sie mir bitte auch."

Jenn nahm sofort ihr Handy heraus und fing an, Fotos von dem Loch und der Leiche zu schießen. Währenddessen ging Riley erneut um das Loch herum und suchte den Strand nach allen Richtungen hin ab. Der Mörder hatte nicht viele Hinweise hinterlassen. Der Sand um das Loch herum war offensichtlich durch den Mörder aufgewühlt worden, als er dort gegraben hatte, und es gab eine Spur verschwommener Fußabdrücke, dort wo der Jogger auf das Loch zugelaufen war.

Verschwommen waren auch die Fußabdrücke des Mörders. Der trockene Sand konnte die Form eines Schuhs nicht lang halten. Aber Riley konnte erkennen, wo das Sumpfgras, durch das sie gekommen waren, von jemand anderem als dem Ermittlungsteam zerstört worden war.

Sie zeigte auf Belt und sagte: „Lassen Sie Ihre Jungs das Gras mit Sorgfalt durchkГ¤mmen, um zu sehen, ob sich dort irgendwelche Fasern verfangen haben kГ¶nnten."

Der Direktor nickte.

Ein Gefühl überkam Riley plötzlich––ein vertrautes Gefühl, das sie manchmal überraschte, wenn sie an einem Tatort war.

Sie hatte es in ihren letzten Fällen nicht oft gespürt. Aber es war ein ihr willkommenes Gefühl, eines, das sie als Werkzeug benutzen konnte.

Wie eine unheimliche Intuition für die Innenwelt des Mörders.

Wenn sie sich diesem GefГјhl hingab, wГјrde sie wahrscheinlich einige Einblicke in das, was hier geschehen war, bekommen.

Riley entfernte sich ein paar Schritte von der Gruppe, die sich am Tatort versammelt hatte. Sie blickte zu Jenn und sah, dass ihre Partnerin sie beobachtete. Riley wusste, dass Jenn ihren Ruf kannte, laut dem sie sich in die Köpfe der Mörder versetzen konnte. Riley nickte und sah, wie Jenn sofort in Aktion trat, den Umstehende ihre Fragen stellte, und die anderen am Tatort ablenkte, so dass Riley ein paar Momente hatte, um sich auf ihre Fähigkeiten zu konzentrieren.

Riley schloss die Augen und versuchte, sich den Tatort so vorzustellen, wie er zum Zeitpunkt des Mordes ausgesehen haben musste.

Die entsprechenden Bilder und Töne konnte sie sich bemerkenswert leicht vorstellen.

Draußen war es noch dunkel, und der Strand war schattig, aber es gab, dort wo die Sonne später aufgehen würde, Spuren von Licht am Himmel über dem Wasser. Es war nicht zu dunkel, um etwas zu sehen.

Es herrschte Flut, und das Wasser began wahrscheinlich nur einen Steinwurf entfernt, also war das Geräusch der Brandung laut.

Laut genug, damit er sich kaum selbst graben hören konnte, erkannte Riley.

In diesem Moment hatte Riley keine Probleme, in diesen fremden Geist einzutauchen…



Ja, er grub, und sie konnte die Anstrengung in seinen Muskeln und eine Mischung aus SchweiГџ und Seeluft auf seinem Gesicht spГјren, als er die Schaufeln voller Sand so weit weg warf, wie er nur konnte,.

Das Graben war nicht einfach. Tatsächlich war es ein bisschen frustrierend.

Es war nicht einfach, so ein Loch in den Sand zu graben.

Sand hatte diese Eigenschaft, wieder in sich zusammenzufallen und den Raum, in dem er gegraben hatte, teilweise wieder aufzufГјllen.

Er dachte....

Es wird nicht sehr tief sein. Aber es muss gar nicht tief sein.

Die ganze Zeit blickte er dabei über den Strand und suchte nach seiner Beute. Und tatsächlich kam sie bald in Sichtweite und joggte nicht allzu weit entfernt zufrieden vor sich hin.

Und zur richtigen Zeit war das Loch genau so tief, wie es sein musste.

Der Mörder schob die Schaufel in den Sand, hob die Hände und winkte.

„Komm her!“, rief er dem Jogger zu.

Nicht, dass es darauf ankäme, was er schrie––der Jogger würde nicht in der Lage sein, seine genauen Worte herauszuhören, bloß einen gedämpften Schrei.

Der Jogger hielt bei dem Geräusch an und schaute in seine Richtung.

Dann ging er zu dem Mörder hinüber.

Der Jogger lächelte, als er sich näherte, und der Mörder lächelte zurück.

Bald befanden sie sich in Hörweite.

„Was ist los?“, schrie der Jogger Гјber die Brandung hinweg.

„Komm her und ich zeige es Ihnen", schrie der MГ¶rder zurГјck.

Der Jogger lief unbedacht zu dem Ort, wo der Mörder stand.

„Schauen Sie da runter", sagte der MГ¶rder. „Sehen Sie genau hin."

Der Jogger beugte sich vor, und mit einer schnellen, geschickten Bewegung nahm der Killer die Schaufel, schlug sie ihm auf den Hinterkopf und schubste ihn in das Loch....



Riley wurde durch den Klang von Direktor Belts Stimme aus ihrer Träumerei gerissen.

„Agentin Paige?"

Riley Г¶ffnete die Augen und sah, dass Belt sie mit einem neugierigen Blick ansah. Er hatte sich von Jenns Fragen nicht lange abgelenkt lassen.

Er sagte: „Sie scheinen uns fГјr einen Moment verlassen zu haben."

Riley hörte Jenn in der Nähe kichern.

„Das macht sie manchmal", erklГ¤rte Jenn dem Direktor. „Keine Sorge, sie arbeitet hart."

Riley wiederholte schnell die Eindrücke, die sie gerade gewonnen hatte––alles sehr hypothetisch, natürlich, und natürlich kaum eine genaue Wiedergabe dessen, was tatsächlich passiert war.

Aber sie war sich sehr sicher, dass der Jogger einer Einladung des Mörders gefolgt war und sich ihm ohne Angst genähert hatte.

Dies gab ihr einen kleinen, aber entscheidenden Einblick.

Riley sagte zum Polizeidirektor: „Der MГ¶rder ist charmant und sympathisch. Die Leute vertrauen ihm."

Die Augen des Direktors weiteten sich.

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte er.

Riley hörte hinter sich ein Lachen von jemandem, der sich ihr von Hinten näherte.

„Vertrauen Sie mir, sie weiГџ, was sie tut."

Sie wirbelte beim Klang der Stimme herum.

Bei dem was sie sah, verbesserte sich ihre Stimmung abrupt.




KAPITEL SECHS


Direktor Belt trat auf den Mann zu, der sich ihnen näherte.

Er sagte: „Mein Herr, dieser Bereich ist gesperrt. Haben Sie die Absperrung nicht gesehen?“

„Das geht in Ordnung.“, sagte Riley. „Das ist Special Agent Bill Jeffreys. Er gehГ¶rt zu uns.“

Riley eilte zu Bill und führte ihn gerade so weit weg, dass sie von den anderen nicht gehört wurden.

„Was ist passiert?“, fragte sie. „Warum hast du meine Nachrichten nicht beantwortet?“

Bill lächelte schüchtern.

„Ich war einfach nur ein Idiot. Ich …“ Seine Stimme verblasste und er sah weg.

Riley wartete auf seine Antwort.

Dann sagte er schlieГџlich: „Als ich deine Nachrichten bekam, wusste ich einfach nicht, ob ich bereit bin. Ich rief Meredith an, um Details zu erfahren, aber ich wusste immer noch nicht, ob ich bereit bin. Verdammt, ich wusste nicht einmal, ob ich bereit bin, als ich hier herfuhr. Ich wusste nicht, ob ich bereit bin, bis ich gerade eben sah....“

Er zeigte auf die Leiche.

Er fГјgte hinzu: „Jetzt weiГџ ich es. Ich bin bereit, wieder an die Arbeit zu gehen. Ich bin dabei.“

Seine Stimme war fest und sein Ausdruck sah so aus, als ob er es wirklich ernst meinte. Riley atmete erleichtert auf.

Sie fГјhrte Bill zurГјck zu den Beamten, die sich um die Leiche im Loch versammelt hatten. Sie stellte ihn dem Direktor und dem Gerichtsmediziner vor.

Jenn kannte Bill bereits und sie schien froh, ihn zu sehen, was Riley gefiel. Das Letzte, was Riley brauchte, war, dass Jenn sich an den Rand gedrängt oder verärgert fühlte.

Riley und die anderen erzählten Bill, was er bisher noch nicht wussten. Mit großem Interesse hörte er zu.

SchlieГџlich sagte Bill zum Gerichtsmediziner: „Ich denke, es wГ¤re in Ordnung, die Leiche jetzt mitzunehmen. Das heiГџt, wenn es Agentin Paige recht ist.“

„Ist mir recht.“, stimmte Riley ihm zu. Sie war froh, dass Bill wieder ganz der Alte und darauf bedacht war, AutoritГ¤t auszustrahlen.

Als das Team des Gerichtsmediziners begann, die Leiche aus dem Loch zu ziehen, inspizierte Bill die Umgebung.

Er fragte Riley: „Hast du den Tatort des vorherigen Mordes schon ГјberprГјft?“

„Noch nicht.“, antwortete sie.

„Dann sollten wir das jetzt tun.“, sagte er.

Riley sagte zu Direktor Belt: „Lassen Sie uns einen Blick auf den anderen Tatort werfen.“

Der Direktor stimmte zu. „Bis zum Naturschutzgebiet sind es einige Kilometer.“, fГјgte er hinzu.

Wieder schafften sie es kommentarlos an den Reporter vorbeizukommen. Riley, Bill und Jenn stiegen in den Geländewagen des FBI ein, während Direktor Belt und der Gerichtsmediziner einen anderen Wagen nahmen. Der Direktor führte sie vom Strand weg, über eine sandige Straße in ein bewaldetes Gebiet. Dort, wo die Straße endete, parkten sie ihre Autos. Riley und ihre Kollegen folgten den beiden Beamten zu Fuß auf einen Trampelpfad, der durch die Bäume führte.

Der Direktor fГјhrte die Gruppe am Wegrand entlang und deutete auf einige deutlich erkennbare FuГџspuren am Boden.

„GewГ¶hnliche Turnschuhe.“, kommentierte Bill die Situation.

Riley nickte. Sie konnte die Abdrücke erkenne, die in beide Richtungen zeigten. Aber sie war sich sicher, dass sie ihnen nicht viel mehr Informationen als die Schuhgröße des Täters liefern würden.

Allerdings wurden die FuГџspuren von weiteren interessanten AbdrГјcken durchbrochen. Zwei wackelige Linien gruben sich in den Boden.

„Was hГ¤ltst du von diesen Linien?“, fragte Riley Bill.

„Spuren einer Schubkarre, die irgendwo hin- und dann wieder zurГјck fГјhren.“, sagte Bill. Er blickte Гјber die Schulter zur StraГџe zurГјck und fГјgte hinzu: „Ich schГ¤tze, der MГ¶rder hat geparkt, wo wir jetzt parken und nahm seine Werkzeuge mit sich.“

„Das haben wir uns auch gedacht.“, stimmte Belt zu. „Und in diese Richtung hat er den Ort wieder verlassen.“

Bald kamen sie an eine Stelle, wo ihr Weg einen schmaleren kreuzte. In der Mitte des Weges befand sich ein langes und tiefes Loch. Es war etwa so breit wie der Weg selbst.

Direktor Belt wies auf die Stelle, an der der neue Weg sich aus den umliegenden BГ¤umen hervor schlГ¤ngelte. „Das Opfer scheint aus dieser Richtung gekommen zu sein.“, sagte er. „Das Loch war getarnt, und sie fiel hinein.“

Terzis fГјgte hinzu: „Ihr KnГ¶chel war gebrochen, wahrscheinlich von dem Sturz. Sie war also hilflos, als der MГ¶rder anfing, Dreck auf sie zu kippen.“

Riley schauderte wieder bei dem Gedanken an diesen schrecklichen Tod.

Jenn sagte: „Und all das ist gestern passiert.“

Terzis nickte und sagte: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Todeszeitpunkt mit dem des Mordes am Strand Гјbereinstimmt – wahrscheinlich gegen sechs Uhr morgens.“

„Vor dem eigentlichen Sonnenaufgang.“, fГјgte Belt hinzu. „Es war wohl noch ziemlich dunkel. Ein Jogger, der nach Sonnenaufgang hierher kam, sah, dass der Boden aufgewirbelt war und rief uns an.“

Während Jenn anfing, weitere Fotos zu machen, suchte Riley das Gebiet ab. Ihre Augen fielen auf plattgedrücktes Gestrüpp, das von den Schubkarrenspuren durchzogen war. Sie konnte die Stelle sehen, and der der Mörder etwa fünf Meter ab vom Weg Erde aufgehäuft hatte. Die Bäume standen ziemlich dicht Am Rand des Wegs, so dass eine Joggerin weder den Mörder noch die Erde hätte sehen können, während sie in diese Richtung rannte.

Das Loch war nun von der Polizei erneut ausgegraben worden, die die Schaufelladungen voll Erde direkt neben denen des Mörders angehäuft hatte.

Riley erinnerte sich, dass Meredith den Namen dieses Opfers in Quantico erwähnt hatte, aber sie konnte sich im Moment nicht daran erinnern.

Sie sagte zu Direktor Belt: „Ich nehme an, Sie konnten das Opfer identifizieren.“

„Das stimmt.“, sagte Belt. „Sie hatte immer noch alle ihre Ausweise bei sich, genau wie Todd Brier. Ihr Name war Courtney Wallace. Sie lebte in Sattler, aber ich kannte sie nicht persГ¶nlich. Also kann ich dir noch nicht viel Гјber sie erzГ¤hlen, auГџer, dass sie jung war, wahrscheinlich Anfang zwanzig.“

Riley kniete sich neben das Loch und schaute hinein. Sofort erkannte sie, wie der Mörder seine Falle gestellt hatte. An der Unterseite des Lochs befand sich eine schwere, lose gewebte Decke aus Jute, in der sich Blätter und Geröll verfangen hatten. Über das Loch gebreitet musste sie für eine unvorbereitete Joggerin unsichtbar gewesen sein, vor allem im Dämmerlicht.

Sie nahm sich vor, ein forensisches Team der BAU hinzuziehen, um diese beiden Standorte noch genauer untersuchen zu lassen. Vielleicht könnten sie den Ursprung des Jutetuchs zurückverfolgen.

In diesem Moment verspürte Riley das gleiche Gefühl, das sie schon am Strand gehabt hatte, als würde sie in den Kopf des Mörders schlüpfen. Dieses Mal war das Gefühl nicht annähernd so stark. Aber sie konnte sich vorstellen, dass er genau wir gesessen hatte, wo sie jetzt kniete, und auf seine hilflose Beute geblickt hatte.

Was tat er in jenen Momenten, bevor er begann, sie lebendig zu begraben?

Sie erinnerte sich an ihren frГјheren Eindruck, dass er charmant und sympathisch sein musste.

Als er die junge Frau auf dem Grund dieser Grube vorfand, hatte er ihr zunächst wahrscheinlich Verwunderung vorgespielt. Vielleicht vermittelte er der Frau sogar den Eindruck, dass er ihr helfen würde, rauszukommen.

Sie vertraute ihm, dachte Riley. Wenn auch nur fГјr einen Moment.

Dann fing er an, sie zu necken.

Und schon bald begann er, Schubkarren voller Dreck auf sie zu schГјtten.

Sie muss geschrien haben, als ihr klar wurde, was vor sich ging.

Wie hat er also auf ihre Schreie reagiert?

Riley spürte, dass in diesem Moment sein Sadismus voll zum Vorschein gekommen sein musste. Er hielt inne, um ihr eine einzige Schaufel Dreck ins Gesicht zu werfen – nicht so sehr, um sie am Schreien zu hindern, sondern um sie zu quälen.

Riley zitterte jetzt am ganzen Körper.

Sie war erleichtert, als die Verbindung zum Mörder verflog.

Jetzt könnte sie den Tatort wieder objektiv betrachten.

Die Form der Grube erschien ihr seltsam. Das Ende, an dem sie stand, war keilförmig gegraben. Das andere Ende gab die gleiche Form spiegelverkehrt wider.

Es sah so aus, als hätte sich der Mörder dabei Mühe gegeben.

Aber warum?, fragte sich Riley. Was könnte das bedeuten?

Gerade da hörte sie Bills Stimme irgendwo hinter sich rufen.

„Ich habe etwas gefunden. Kommen Sie, das mГјssen Sie sehen.“




KAPITEL SIEBEN


Riley wirbelte herum, um zu sehen, weshalb Bill schrie. Seine Stimme erklang hinter den Bäumen auf der einen Seite des Weges.

„Was ist das?“, rief Direktor Belt.

„Was haben Sie gefunden?“, wiederholte Terzis.

„Kommen Sie einfach her.“, schrie Bill zurГјck.

Riley stand auf und ging in seine Richtung. Sie konnte zertretene BГјsche sehen, dort wo er den Weg verlassen hatte.

„Sind Sie unterwegs?“, rief Bill und klang jetzt ein wenig ungeduldig.

Riley konnte an seinem Tonfall erkennen, dass er es ernst meinte.

Gefolgt von Belt und Terzis wanderte sie durch das Dickicht, bis sie die kleine Lichtung erreichten, auf der Bill stand. Er schaute immer noch auf den Boden.

Er hatte tatsächlich etwas gefunden.

Ein weiteres StГјck Stoff war Гјber den Boden gespannt worden, lose durch kleine Stifte an den Ecken gehalten.

„GroГџer Gott.“, murmelte Terzis.

„Nicht noch eine Leiche.“, sagte Belt.

Aber Riley wusste, dass es etwas anderes sein musste. Das Loch war viel kleiner als das andere und quadratisch.

Bill zog Plastikhandschuhe an, um FingerabdrГјcke zu vermeiden. Dann kniete er nieder und zog das Tuch vorsichtig weg.

Alles, was Riley sehen konnte, war ein rundes StГјck dunkles, poliertes Holz.

Bill nahm den hölzernen Ring vorsichtig mit beiden Händen und zog ihn nach oben.

Alle auГџer Bill schnappten nach Luft, Гјber das, was er da langsam aus dem Loch holte.

„Eine Sanduhr!“, sagte Direktor Belt.

„Die größte, die ich je gesehen habe.“, fГјgte Terzis hinzu.

Und in der Tat, das Objekt war gut einen halben Meter breit.

„Bist du sicher, dass es keine Falle ist?“, warnte Riley.

Bill stand mit dem Objekt in der Hand auf, hielt es senkrecht und behandelte es so behutsam, wie er auch einen Sprengsatz angefasst hätte. Er stellte es aufrecht auf dem Boden neben dem Loch auf.

Riley kniete nieder und untersuchte es genau. Das Ding schien weder Drähte noch Federn zu haben. Vielleicht war etwas unter dem Sand versteckt? Sie kippte das Ding zur Seite und konnte nichts Merkwürdiges erkennen.

„Es ist nur ein groГџes Stundenglas.“, murmelte sie. „Und es wurde versteckt wie die Falle auf dem Weg.“

„Nicht wirklich ein Stundenglas.", sagte Bill. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Sand lГ¤nger als eine Stunde lang rieselt. Es ist eine Sanduhr.“

Das Objekt erschien Riley überraschend schön. Die beiden Glaskugeln waren exquisit geformt und durch eine schmale Öffnung miteinander verbunden. Die runden hölzernen Ober- und Unterteile wurden durch drei Holzstäbe verbunden, in die dekorative Muster geschnitzt worden waren. Das Oberteil war mit einem Wellenmuster verziert. Das Holz war dunkel und gut poliert.

Riley hatte schon früher Sanduhren gesehen – viel kleinere Versionen zum Kochen, die drei, fünf oder zwanzig Minuten lang dauerten. Diese war viel, viel größer, über einen halben Meter groß.

Din untere Kugel war teilweise mit braunem Sand gefГјllt.

In der oberen Kugel war kein Sand.

Direktor Belt fragte Bill: „Woher wussten Sie, dass hier etwas sein wГјrde?“

Bill hockte neben der Sanduhr und untersuchte sie aufmerksam. Er fragte: „Fand von Ihnen noch jemand die Form der Grube merkwГјrdig?“

„Ja, ich“, sagte Riley. „Die Enden des Lochs wurden keilfГ¶rmig gegraben.“

Bill nickte.

„Es hatte in etwa die Form eines Pfeils. Der Pfeil zeigte auf die Stelle, an der sich der Weg wegbog, und einige der BГјsche waren zertreten. Also bin ich einfach dorthin gegangen, wo der Pfeil hinzeigte.“

Direktor Belt starrte immer noch erstaunt auf die Sanduhr.

„Nun, wir haben GlГјck, dass Sie es gefunden haben.“, sagte er.

„Der MГ¶rder wollte, dass wir hier nachsehen.“, murmelte Riley. „Er wollte, dass wir das herausfinden.“

Riley blickte auf Bill, dann auf Jenn. Sie konnte erkennen, dass sie genau das dachten, was sie dachte.

Der Sand in der Sanduhr war fertig gelaufen.

Irgendwie, auf eine Weise, die sie noch nicht verstanden, bedeutete das, dass sie kein GlГјck haben wГјrden.

Riley sah Belt an und fragte: „Hat einer deiner MГ¤nner so einen Sanduhr am Strand gefunden?“

Belt schГјttelte den Kopf und sagte: „Nein.“

Riley fГјhlte eine dunkle Ahnung in sich aufsteigen.

„Dann haben Sie nicht grГјndlich genug gesucht.“, sagte sie.

Belt und Terzis waren einen Augenblick lang sprachlos. Sie sahen aus, als könnten sie ihren Ohren nicht trauen.

Dann sagte Belt: „Schauen Sie, so etwas wГ¤re sicher aufgefallen. Ich bin sicher, dass in der nГ¤heren Umgebung nichts war.“

Riley runzelte die Stirn. Dieses so sorgsam platzierte Ding musste einfach wichtig sein. Sie war sich sicher, dass die Polizei eine weitere Sanduhr Гјbersehen hatte.

Genau wie sie, Bill und Jenn, als sie selbst am Strand gewesen waren. Wo könnte sie sein?

„Wir mГјssen zurГјckgehen und nachsehen.“, sagte Riley.

Bill trug die riesige Sanduhr zum Geländewagen. Jenn öffnete den Kofferraum, und sie und Bill legten das Objekt hinein und stellten sicher, dass es gegen jede scharfe oder plötzliche Bewegung gesichert war. Sie bedeckten es mit einer Decke, die im Geländewagen gelegen hatte.

Riley, Bill und Jenn stiegen in den Geländewagen und folgten dem Auto des Polizeidirektors zurück zum Strand.

Die Zahl der Reporter, die sich auf dem Parkplatz versammelt hatten, war gestiegen, und sie wurden immer aggressiver. Als Riley und ihre Kollegen durch sie hindurchliefen und am gelben Band vorbeigingen, fragte sie sich, wie lange sie noch in der Lage sein wГјrden, ihre Fragen zu ignorieren.

Als sie den Strand erreichten, befand sich die Leiche nicht mehr in der Grube. Das Team des Gerichtsmediziners hatte es bereits in ihren Kastenwagen Van geladen. Die Г¶rtliche Polizei suchte das gebiet immer noch nach Spuren ab.

Belt sprach zu seinen Männern, die sich um ihn versammelt hatten.

„Hat hier jemand eine Sanduhr gesehen?“, fragte er. „Es sieht aus wie eine riesige Sanduhr, mindestens 70 cm groГџ.“

Die Polizisten waren über diese Frage sichtlich verblüfft. Sie schüttelten die Köpfe und verneinten.

Riley wurde langsam ungeduldig.

Irgendwo hier muss etwas sein, dachte sie. Sie ging auf einen nahegelegenen Grasplatz und schaute sich um. Aber sie konnte keine Sanduhr sehen, nicht einmal aufgewГјhlten Sand, der auf etwas frisch Vergrabenes hindeuten wГјrde.

Oder hatte ihre Intuition ihr einen Streich gespielt? Manchmal passierte das.

Diesmal nicht, dachte sie.

Sie war sich sicher.

Sie ging zurück und schaute sich noch einmal das Loch an. Es war ganz anders als das im Wald. Es war flacher und formloser. Der Mörder hätte den trockenen Sand am Strand nicht zu einem Pfeil formen können, wenn er es versucht hätte.

Sie drehte sich um und blickte in alle Richtungen.

Sie sah weit und breit nur Sand und die Brandung.

Die herrschte Ebbe. Natürlich hätte der Mörder eine aus nassem Sand eine Art Pfeilskulptur formen können, aber der wäre dann sofort sichtbar gewesen. Wenn sie nicht zerstört worden war, hätte man eine solche Skulptur immer noch sehen können müssen.

Sie fragte die anderen: „Haben Sie hier noch jemanden gesehen, auГџer dem Mann mit dem Hund, der die Leiche gefunden hat?“

Die Polizisten zuckten mit den Achseln und sahen sich an.

Einer von ihnen sagte: „Niemanden auГџer Rags Tucker.“

Riley horchte auf.

„Wer ist das?“, fragte sie.

„Nur ein exzentrischer alter Strandbewohner.“, sagte Direktor Belt. „Er lebt da drГјben in einem kleinen Wigwam.“

Belt deutet den Strand hinunter, dorthin wo sich das Ufer in einer Kurve von ihnen weg bog.

Riley wurde jetzt zornig.

„Warum haben Sie ihn vorher nie erwГ¤hnt?“, fragte sie ungehalten.

„Es hatte keinen Zweck.“, sagte Belt. „Wir haben schon direkt nach unserer Ankunft mit ihm gesprochen. Mit dem Mord hat er nichts zu tun. Er sagt, er habe noch geschlafen, als es passierte.“

Riley stöhnte vor Ärger.

„Wir werden dem Kerl jetzt einen Besuch abstatten.“, sagte sie.

Gefolgt von Bill, Jenn und Direktor Belt, ging sie den Strand entlang.

Als sie liefen, sagte Riley zu Belt: „Ich dachte, Sie hГ¤tten den Strand abgeriegelt.“

„Haben wir.“, sagte Belt.

„Wie zum Teufel kommt es dann, dass noch jemand hier ist?“, fragte Riley.

„Nun, wie ich schon sagte, Rags lebt eben hier.“, sagte Belt. „Es schien nicht sinnvoll, ihn zu evakuieren. AuГџerdem hat er keinen anderen Ort, an den er kГ¶nnte.“

Nachdem sie in die Kurve eingebogen waren, fГјhrte Belt sie Гјber den Strand zu einem grasbewachsenen HГјgel. Die Gruppe watete durch den weichen Sand und das hohe Gras bis zur Spitze des HГјgels. Von dort aus konnte Riley etwa hundert Meter entfernt ein kleines provisorisch aussehendes Wigwam erkennen.

„Das ist das Haus des alten Rags.“, sagte Belt.

Als sie näher kamen, sah Riley, dass es mit Plastiktüten und Decken bedeckt war. Hier hinter dem Hügel lag es außer Reichweite der Flut. Um das Wigwam herum lagen Decken, die mit einer bunten Auswahl an Gegenständen bedeckt waren.

Riley sagte zu Belt: „ErzГ¤hlen Sie mir von diesem Rags Tucker. Gibt es in Belle Terre keine Vorschriften gegen Landstreicherei?“

Belt kicherte ein wenig.

Er sagte: „Nun ja, aber Rags ist nicht gerade ein typischer Landstreicher. Er ist so farbenfroh, und die Leute mГ¶gen ihn, vor allem Touristen. Und er ist kein VerdГ¤chtiger, glauben Sie mir. Er ist der harmloseste Kerl der Welt.“

Belt zeigte auf die Details der Decke.

„Mit all dem komischen Zeug, das er hier hat, fГјhrt er so eine Art GeschГ¤ft. Er sammelt MГјll vom Strand auf, und die Leute kommen vorbei, um Sachen zu kaufen oder Dinge einzutauschen, die sie nicht mehr wollen. Meistens ist es nur ein Vorwand, um mit ihm zu reden. Das macht er den ganzen Sommer, solange das Wetter hier angenehm ist. Er schafft es, genug Geld zusammenzubekommen, um den Winter Гјber eine billige kleine Wohnung in Sattler zu mieten. Sobald das Wetter wieder schГ¶n ist, kommt er hierher zurГјck.“

Als sie näher kamen, konnte Riley die Objekte deutlicher sehen. Es war wirklich eine bizarre Sammlung, bestehend aus Treibholz, Muschelschalen und anderen Naturgegenständen, aber auch alte Toaster, kaputte Fernseher, alten Lampen und anderen Objekte, die die Besucher zweifellos für ihn mitgebracht hatten, waren darunter.

Als sie an den Rand der gespannten Decken kamen, rief Belt: „Hey, Rags. Ich mГ¶chte gern noch etwas mit dir bereden.“

Eine raue Stimme antwortete aus dem Inneren des Wigwams.

„Ich sagte doch bereits, ich habe niemanden gesehen. Hast du den Widerling noch nicht gefangen? Ich mag die Idee nicht, dass ein MГ¶rder an meinem Strand herumlauft. Ich hГ¤tte es dir schon gesagt, wenn ich etwas gewusst hГ¤tte.“

Riley ging auf den Wigwam zu und rief: „Rags, ich muss mit Ihnen reden.“

„Wer sind Sie?“

“FBI. Ich frage mich, ob Sie vielleicht auf eine große Sanduhr gestoßen sind. Sie wissen schon, so eine Art Stundenglas.“

Ein paar Minuten lang blieb die Antwort aus. Dann zog eine Hand innerhalb des Wigwams ein Laken zur Seite, das die Г–ffnung bedeckte.

Drinnen saГџ ein dГјrrer Mann im Schneidersitz, seine groГџen Augen starrten sie an.

Und direkt vor ihm stand eine riesige Sanduhr.




KAPITEL ACHT


Der Mann im Wigwam starrte Riley aus groГџen grauen Augen an. Rileys Aufmerksamkeit wechselte zwischen dem Landstreicher und der groГџen Sanduhr vor ihm hin und her. Es fiel ihr schwer, sich zu entscheiden, was verblГјffender war.

Rags Tucker hatte lange graue Haare und einen Bart, der bis zur Taille hing. Seine zerfetzte, locker sitzende Kleidung passte perfekt zu seinem Namen.

NatГјrlich fragte sie sich ...

Ist dieser Typ ein Verdächtiger?

Es schein ihr schwer vorstellbar. Seine Gliedmaßen waren spindeldürr, und er schien kaum robust genug, um einen dieser Morde begangen haben zu können. Er strahlte Harmlosigkeit aus.

Riley vermutete, dass sein schmuddeliges Aussehen eine Art Pose war. Er roch nicht schlimm, zumindest von dort, wo sie stand, und seine Kleidung sah zwar abgenutzt, jedoch sauber aus.

Was die Sanduhr betraf, so sah sie jener anderen, die sie in der Nähe des Waldwegs gefunden hatten, sehr ähnlich. Sie war über einen halben Meter groß, mit gewellten Furchen auf der Oberseite und drei gekonnt geschnitzten Stäben, die den Rahmen zusammenhielten. Mit der anderen identisch war sie jedoch nicht. Zum einen war das Holz nicht mehr so dunkelbraun, und, obwohl die geschnitzten Muster sich ähnelten, sahen sie nicht wie exakte Nachbildungen der Motive aus, die sie auf der ersten Sanduhr gesehen hatten.

Aber diese kleinen Abweichungen waren nicht die wichtigste Unterschied zwischen den beiden.

Der lag im Sand, der den Zeitablauf anzeigte. In der Uhr, die Bill unter den Bäumen gefunden hatte, war der gesamte Sand in der unteren Kugel. Aber in dieser Uhr war der größte Teil des Sandes noch in der oberen Kugel.

Die Sandkörner waren in Bewegung und rieselten langsam in die Kugel darunter.

Riley war sich einer Sache sicher–– der Mörder hatte sie dazu gebracht, diese Uhr zu finden, so sicher, wie er sie ich dazu gebracht hatte, die Andere zu finden.

Tucker sprach endlich. „Woher wussten Sie, dass ich sie habe?“, fragte er Riley.

Riley holte ihre Dienstmarke heraus.

„Ich stelle die Fragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Woher haben Sie sie denn?“

Tucker zuckte mit den Achseln.

„Sie war ein Geschenk.“, sagte er.

„Von wem?“, fragte Riley.

„Von den GГ¶ttern vielleicht. So weit ich das sagen kann, muss sie vom Himmel gefallen sein. Das ist die beste Theorie, die ich habe. Als ich heute Morgen zum ersten Mal nach drauГџen blickte, sah ich sie sofort da drГјben auf den Decken bei meinen anderen Sachen stehen. Ich holte sie rein und ging wieder schlafen. Seit meinem erneuten Erwachen sitze ich nun schon eine Weile hier und schaue sie mir an.“ Er starrte fest auf die Sanduhr.

„Ich habe noch nie gesehen, wie die Zeit vergeht.“, sagte er. „Es ist eine einzigartige Erfahrung. Es fГјhlt sich an, als wГјrde die Zeit gleichzeitig langsam und schnell vergehen. Und sie gibt einem so ein GefГјhl, als seien die Dinge unausweichlich. Man kann die Zeit nicht zurГјckdrehen, wie man so schГ¶n sagt.“

Riley fragte Tucker: „Lief der Sand schon so, als Sie die Uhr gefunden haben, oder haben Sie sie umgedreht?“

„Ich habe sie so gelassen, wie sie war.“, sagte Tucker. „Glauben Sie, ich wГјrde es wagen, den Lauf der Zeit zu Г¤ndern? Mit den Dingen des Kosmos lege ich mich nicht an. So dumm bin ich nicht.“

Nein, er ist Гјberhaupt nicht dumm, dachte Riley bei sich.

Sie fühlte, dass sie anfing, Rags Tucker mit jedem Augenblick, den ihr Gesprächs andauerte, besser zu verstehen. Seine verwirrte und zerlumpte Strandräuberpersönlichkeit wurde sorgfältig zur Unterhaltung der Besucher kultiviert. Er hatte sich hier in Belle Terre in eine lokale Attraktion verwandelt. Und von dem, was Direktor Belt ihr über ihn erzählt hatte, wusste Riley, dass er damit daraus ein bescheidenes Einkommen generierte. Er hatte sich lokal etabliert und die unausgesprochene Erlaubnis erhalten, genau dort zu leben, wo er sein wollte.

Rags Tucker war hier, um zu unterhalten und unterhalten zu werden.

Es dämmerte Riley, dass dies eine heikle Situation war.

Sie wГјrde ihm die Sanduhr abnehmen mГјssen. Das wollte sie schnell und ohne viel Aufhebens machen.

Aber wГјrde er bereit sein, sie ihr zu geben?

Obwohl sie die Gesetze zur Durchsuchung und Beschlagnahme sehr gut kannte, war sie sich Гјberhaupt nicht sicher, inwiefern sie sich auf einen Landstreicher, der in einem Wigwam auf Г¶ffentlichem Grund und Boden lebte, anwenden lieГџen.

Sie kГјmmerte sich also lieber selbst darum, ohne sich vorher einen Durchsuchungsbefehl zu beschaffen. Aber sie musste dabei vorsichtig vorgehen.

Sie sagte zu Tucker: „Wir glauben, dass derjenige, der die beiden Morde begangen hat, sie hier gelassen hat.“

Tuckers Augen weiteten sich.

Dann sagte Riley: „Wir mГјssen diese Uhr mitnehmen. Sie kГ¶nnte ein wichtiges Beweismittel sein.“

Tucker schГјttelte langsam den Kopf.

Er sagte: „Sie vergessen das Gesetz des Strandes.“

„Welches wГ¤re?“, fragte Riley.

„Finderlohn. AuГџerdem, sollte es wirklich ein Geschenk der GГ¶tter sein, sollte ich es nicht fortgeben. Ich mГ¶chte den Willen des Kosmos nicht verletzen.“

Riley analysierte seinen Blick. Sie konnte erkennen, dass er nicht verrückt oder wahnhaft war––auch wenn er sich manchmal so verhielt. Das war alles Teil der Show.

Nein, dieser Landstreicher wusste genau, was er tat und sagte.

Er macht Geschäfte, dachte Riley.

Riley Г¶ffnete ihre Brieftasche, nahm einen 20-Dollar-Schein heraus und bot ihm diesen an.

Sie sagte: „Vielleicht hilft das, die Dinge mit dem Kosmos in Ordnung zu bringen.“

Tucker deutet ein Grinsen an.

„Ich weiГџ nicht.“, sagte er. „Das Universum kann heutzutage ziemlich teuer sein.“

Riley hatte den Eindruck, dass sie das Spiel des Mannes verstanden hatte und auch, wie sie mitspielen konnte.

Sie sagte: „Es dehnt sich immer weiter aus, was?“

„Ja, seit dem Urknall.“, sagte Tucker. Er rieb sich die Finger und fГјgte hinzu: „Und wie ich hГ¶re, macht es aktuell eine neue Inflationsphase durch.“

Riley kam nicht umhin, die Klugheit und Kreativität dieses Mannes zu bewundern. Sie dachte, dass es besser wäre, bald einen Deal mit ihm abzuschließen, bevor das Gespräch zu abwegig wurde, als dass sie es noch zu einem sinnvollen ende hätte bringen können. Sie nahm einen weiteren 20-Dollar-Schein aus ihrer Brieftasche.

Tucker riss ihr beide Zwanziger aus der Hand.

„Sie gehГ¶rt Ihnen.“ sagte er. „Passen Sie gut darauf auf. Ich habe das starke GefГјhl, da ist etwas wirklich MГ¤chtiges an dem Ding.“

Riley dachte, dass er Recht hatte––wahrscheinlich mehr, als er wissen konnte.

Mit einem Grinsen fГјgte Rags Tucker hinzu: „Ich denke, Sie kГ¶nnen damit umgehen.“

Bill zog seine Handschuhe wieder an und näherte sich der Uhr, um sie mitzunehmen.

Riley sagte zu ihm: „Sei vorsichtig, halte sie so ruhig wie mГ¶glich. Wir sollten mГ¶glichst nicht beeinflussen, wie schnell sie lГ¤uft.“

Als Bill die Uhr in die Hand nahm, sagte Riley zu Tucker: „Danke fГјr die Hilfe. Vielleicht werden wir wiederkommen, um weitere Fragen zu stellen. Ich hoffe, Sie sind dann verfГјgbar.“

Tucker zuckte mit den Achseln und sagte: „Ich werde hier sein.“

Als sie sich umdrehten, fragte Direktor Belt Riley: „Was glauben Sie, wie viel Zeit bleibt noch, bis der ganze Sand nach unten geflossen ist?“

Riley erinnerte sich, dass der Gerichtsmediziner gesagt hatte, beide Morde hätten gegen sechs Uhr morgens stattgefunden. Riley schaute auf ihre Uhr. Es war jetzt fast elf. Sie rechnete kurz.

Riley sagte zu Belt: „Der Sand wird in etwa neunzehn Stunden durchgelaufen sein.“

„Was passiert dann?“, fragte Belt.

„Jemand wird sterben.“, sagte Riley.




KAPITEL NEUN


Riley bekam Rags Tuckers Worte nicht mehr aus dem Kopf.

„Und sie gibt einem so ein GefГјhl, als seien die Dinge unausweichlich.“

Sie und ihre Kollegen machten sich auf den Weg zurГјck zum Tatort. Bill trug die Sanduhr, und Jenn und Direktor Belt unterstГјtzten ihn dabei, die Uhr ruhig zu halten. Sie versuchten, den Sandstrom in der Sanduhr nicht zu beeinflussen. Und natГјrlich war es der fallende Sand, von dem Rags gesprochen hatte.

Unvermeidlichkeit.

Als sie bei dem Gedanken erschauderte, wurde ihr klar, dass dies genau der Effekt war, den der Mörder im Sinn gehabt hatte.

Er wollte, dass sie seinen bevorstehenden Mord wie einen sich zuziehenden Knoten der Unausweichlichkeit erlebten.

Es war seine Art, sie zu provozieren.

Riley wusste, dass sie sich nicht zu sehr verunsichern lassen durften, aber sie befГјrchtete, dass es nicht einfach werden wГјrde.

Als sie sich durch den Sand schleppte, nahm sie ihr Handy hervor und rief Brent Meredith an.

Als er antwortete, sagte sie: „Sir, wir sind in einer ernsten Lage.“

„Um was geht es?“, fragte Meredith.

„Unser MГ¶rder wird alle 24 Stunden zuschlagen.“

„Herrgott.“, sagte Meredith. „Woher wissen Sie das?“

Riley war kurz davor, ihm alles zu erklären, überlegte es sich aber nochmal anders. Noch besser wäre es, wenn ihr Chef beide Uhren sehen könnte.

„Wir sind auf dem Weg zurГјck zum GelГ¤ndewagen.“, sagte Riley. „Sobald wir da sind, rufe ich Sie zu einer Videokonferenz an.“

Riley beendete den Anruf gerade, als sie zurГјck zum Tatort kamen. Belts Leute suchten im Moorgras immer noch nach Hinweisen. Die Polizisten staunten nicht schlecht Гјber den Anblick von Bill, der die riesige Sanduhr trug.

„Was zum Teufel ist das?“, fragte einer der Polizisten.

„Ein Beweismittel.“, sagte Belt.

Es kam Riley in den Sinn, dass das Letzte, was sie jetzt wollten, war, dass Reporter einen Blick auf die Uhr warfen. Wenn das passierte, wГјrden sich GerГјchte verbreiten, die die Situation noch verschlimmern wГјrden. Und es wГјrden sicher noch Reporter auf dem Parkplatz lauern. Sie wussten bereits, dass zwei Menschen lebendig begraben worden waren. An dieser Geschichte nicht wГјrden sie dranbleiben wollen.

Sie wandte sich an Direktor Belt und fragte: „Kann ich mir Ihre Jacke ausleihen?“

Belt zog seine Jacke aus und gab sie ihr. Riley legte sie vorsichtig über die Sanduhr und bedeckte sie vollständig.

„Kommt schon.“, sagte Riley zu Bill und Jenn. „Lasst uns versuchen, sie zu unserem Fahrzeug zu bringen, ohne all zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.“

Als sie und ihre beiden Kollegen den abgesperrten Bereich verließen, sah Riley, dass noch mehr Reporter eingetroffen waren. Sie drängten sich um Bill und wollten wissen, was er bei sich trug.

Riley zuckte zusammen, als sie sich um Bill drängelten, der versuchte, die Sanduhr so ruhig wie möglich zu halten. Das Drängeln allein könnte schon ausreichen, um den Sandstrom zu stören. Schlimmer noch, jemand könnte Bill die Sanduhr aus den Händen schlagen.

Sie sagte zu Jenn: „Wir mГјssen sie von Bill fernhalten.“

Sie und Jenn drängten sich durch die Menge und befahlen den Journalisten, sich zurückzuziehen.

Die Reporter gehorchten Гјberraschend schnell und standen herum und glotzten.

Riley erkannte schnell....

Wahrscheinlich denken sie, dass es eine Bombe ist.

Immerhin war ihr und ihren Kollegen im Wald diese Möglichkeit in den Sinn gekommen, als Bill die erste Sanduhr aufgedeckt hatte.

Riley schauderte bei dem Gedanken an die Schlagzeilen, die das geben wГјrde, und die Panik, die darauf folgen wГјrde.

In scharfem Ton sagte sie zu den Reportern: „Es handelt sich nicht um einen Sprengsatz. Es sind nur Beweise. Und diese sind zerbrechlich.“

Ein erneuter Chor von Stimmen fragte, um was es sich handle

Riley schüttelte den Kopf und wandte sich von ihnen ab. Bill hatte den Geländewagen erreicht, und so beeilten sie und Jenn sich, ihn einzuholen. Sie stiegen ein und befestigten vorsichtig die neue Sanduhr neben der anderen, die immer noch mit einer Decke bedeckt war.

Die Reporter drängelten sich schnell um den Wagen und schrien ihre Fragen.

Riley stöhnte vor Frustration.Von neugierigen Leuten umgeben, würden sie nie dazu kommen, den Fall zu lösen.

Riley setzte sich ans Steuer und fuhr langsam los. Ein besonders entschlossener Reporter versuchte, ihr den Weg zu versperren, indem er sich direkt vor das Fahrzeug stellte. Sie ließ die Sirene des Fahrzeugs ertönen und verschreckte ihn. Dann fuhr sie den Geländewagen vom Parkplatz und ließ die Schar an Reporter hinter sich.

Nachdem sie etwa einen halbe Kilometer gefahren waren, fand Riley eine abgelegene Stelle, wo sie das Fahrzeug parken konnte.

Dann sagte sie zu Jenn und Bill: „Das Wichtigste zuerst. Wir mГјssen die Sanduhren sofort nach FingerabdrГјcken absuchen.“

Bill nickte und sagte: „Da ist ein Koffer im Handschuhfach.“

Als Jenn und Bill zu arbeiten begannen, holte Riley ihr Tablet heraus und fГјhrte sprach im Video Call mit Brent Meredith.

Zu ihrer Гњberraschung war Merediths Gesicht nicht das einzige, das auf ihrem Bildschirm erschien. Es gab acht weitere Gesichter, darunter auch ein babyhaftes, sommersprossiges Gesicht, das Riley alles andere als glГјcklich machte.

Es war Spezialagent Carl Walder, Merediths Vorgesetzter an der BAU.

Riley unterdrГјckte einen Seufzen der Entmutigung. Sie hatte sich schon oft mit Carl Walder gestritten.

Tatsächlich hatte er sie mehrmals suspendiert und sogar gefeuert.

Aber warum war er bei diesem Anruf dabei?

Mit einem nur spГ¤rlich verdeckten Knurren sagte Meredith: „Agent Paige, Direktor Walder war so freundlich, sich uns fГјr dieses GesprГ¤ch anzuschlieГџen. Und er hat ein Team zusammengestellt, das uns bei diesem Fall unterstГјtzt.“

Als Riley den verärgerten Ausdruck auf Merediths Gesicht sah, verstand sie die Situation genau.

Carl Walder hatte den ganzen Morgen lang den Fall verfolgt. Als er herausfand, dass Riley um eine Videokonferenz mit Meredith gebeten hatte, rief er seine eigene Gruppe von Agenten zusammen. Im Moment saГџen sie alle in ihren separaten BГјros und Kabinen der BAU mit ihren zur Konferenzschaltung eingerichteten Computern.

Riley konnte nicht anders, als finster dreinzuschauen. Der arme Brent Meredith musste sich gefühlt haben, als wäre er in einen Hinterhalt geraten. Riley war sich sicher, dass Walder, wie immer, die Logenplätze für sich beanspruchte. Und indem er ein eigenes Team einbrachte, signalisierte er ganz ungeniert sein mangelndes Vertrauen in Rileys Professionalität.

GlГјcklicherweise waren einige der Leute, die Walder mitgebracht hatte, Leute, mit denen sie bereits gearbeitet hatte und denen sie vertraute. Sie sah Sam Flores, einen streberhaften und brillanten Labortechniker, und Craig Huang, einen vielversprechenden jungen AuГџendienstmitarbeiter, dem sie als Mentorin diente.

Aber das Letzte, was sie jetzt brauchte, war ein Team, das sie managen und organisieren musste. Sie wusste, dass sie am besten mit Bill und Jenn zusammenarbeiten wГјrde.

Carl Walder sah recht zufrieden mit sich selbst aus und sagte:

„Ich habe gehГ¶rt, Sie haben Informationen fГјr uns, Agentin Paige. Ermutigende Neuigkeiten, hoffe ich.“

Riley schluckte ihre Wut herunter. Sie war sich sicher, dass er vom Gegenteil Гјberzeugt war.

„Ich fГјrchte nicht, Sir.“, sagte sie.

Sie hielt ihr Tablet, damit die Gruppe die Sanduhren sehen konnte, die Bill und Jenn auf der Suche nach Fingerabdrücken geschickt bestäubten.

Riley sagte: „Wie Sie sehen kГ¶nnen, arbeiten die Agenten Jeffreys und Roston hier mit mir. Wir haben an jedem der beiden Mordorte eine Sanduhr gefunden. Die fertig durchgelaufene war in der NГ¤he der ersten Leiche versteckt. Wir haben diejenige, die immer noch lГ¤uft, nicht weit weg von der Stelle, wo das zweite Opfer begraben wurde, gefunden. Wir schГ¤tzen, dass sie morgen frГјh gegen sechs Uhr ablГ¤uft.“

Riley konnte ein deutliches Schnaufen hören und sah den Schock auf den Gesichtern, die sie vom Bildschirm aus anstarrten––mit Ausnahme des Gesichts von Walders.




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